Delbrück [2]

[607] Delbrück, 1) Martin Friedrich Rudolf von, preuß. Staatsmann, geb. 16. April 1817 in Berlin, gest. daselbst 1. Febr. 1903, Sohn des 1830 als Superintendent in Zeitz verstorbenen Geheimrats Joh. Friedr. Gottl. D., der 1800–1809 die Erziehung der beiden ältern Söhne Friedrich Wilhelms III. (des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. und des Kaisers Wilhelm) leitete, studierte die Rechte, trat 1837 in den Staatsdienst und ward 1842 Hilfsarbeiter im Finanzministerium. 1844 in das neugebildete Handelsministerium versetzt und 1848 zum Ministerialdirektor und Chef der Handelsabteilung ernannt, leitete er mit Erfolg die Verhandlungen über die Erneuerung des Zollvereins, gewann 1851 Hannover und Oldenburg dafür und bestimmte 1853 die deutschen Staaten, die von Österreich schon für dessen Zollverein gewonnen waren, zur Erneuerung des bisherigen Zollvereins auf zwölf Jahre, während sich Österreich mit einem Zoll- und Handelsvertrag mit dem Zollverein begnügen mußte. Auch die freihändlerischen Handelsverträge mit Frankreich, Belgien, Italien und andern Staaten sind sein Werk, ebenso die unitarische Umwandlung des Zollvereins nach 1866. Seit August 1867 Präsident des Bundeskanzleramts und 1868 preußischer Staatsminister ohne Portefeuille, vertrat D. fortan Bismarck sowohl im Bundesrat als im Reichstag und galt als des Kanzlers »rechte Hand«. Bei den Unterhandlungen mit den süddeutschen Staaten im Herbst 1870, zuerst in München, dann in Versailles, hervorragend beteiligt und zur Verteidigung der Versailler Verträge im norddeutschen Reichstag im Dezember berufen, wurde er wegen seiner Verdienste um die Reichsgründung 1871 mit 200,000 Tlr. dotiert; 18. Jan. 1896 erhielt er mit dem Schwarzen Adlerorden den Adel. Auch im neuen Reich behielt er das Präsidium des Reichskanzleramts, folgte aber Bismarck nicht auf dem Wege, durchgreifende wirtschaftliche Reformen durch den Staat zu bewerkstelligen. Dann erbat und erhielt er 1. Juni 1876 seine Entlassung und bekämpfte als Reichstagsmitglied 1878–81, seinen Grundsätzen getreu, freilich vergeblich, die Annahme des neuen Zolltarifs, namentlich der Getreide- und der Industrieschutzzölle.

2) Bertold, Sprachforscher, geb. 26. Juli 1842 in Putbus, Neffe des vorigen, studierte 1859–62 in Halle und Berlin, war 1864–66 Gymnasiallehrer in Marienwerder, habilitierte sich 1867 an der Universität Halle und bekleidet seit 1870 die ordentliche Professur der vergleichenden Sprachwissenschaft und des Sanskrits an der Universität zu Jena. D. ist der Begründer der vergleichenden Forschung auf dem Gebiete der Syntax. ' Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Syntaktische Forschungen« (Halle 1871 bis 1888, 5 Bde.); »Das altindische Verbum aus den Hymnen des Rigweda seinem Bau nach dargestellt« (das. 1874); »Einleitung in das Sprachstudium« (Leipz. 1880, 3. Aufl. 1893; engl., das. 1882); »Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen« (das. 1889); »Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen« (Straßb. 1893–1900,3.–5. Bd. des »Grundrisses der vergleichenden Grammatik« von Brugmann und D.); »Grundfragen der Sprachforschung, mit Rücksicht auf W. Wundts Sprachpsychologie erörtert« (das. 1901).

3) Hans, Historiker, geb. 11. Nov. 1848 in Bergen (Insel Rügen), studierte Geschichte in Heidelberg, Greifswald und Bonn und wurde, nachdem er den Feldzug von 1870 mitgemacht hatte, 1874 Erzieher des Prinzen Waldemar von Preußen, dritten Sohns des damaligen Kronprinzen, in welcher Stellung er bis zum Tode des Prinzen (27. März 1879) verblieb. 1881 habilitierte er sich in Berlin, wurde 1885 außerordentlicher und 1896 ordentlicher Professor. 1882–1885 gehörte er dem Abgeordnetenhaus, 1884–90 dem Reichstag an, wo er sich der Reichspartei anschloß. Seine bekanntesten Schriften sind: »Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau« (Berl. 1880, Bd. 4 u. 5 des von G. I. Pertz unvollendet hinterlassenen Werkes); eine kürzere selbständige Biographie unter gleichem Titel (das. 1882, 2 Bde.; 2. Aufl. 1894); »Die Perserkriege und die Burgunderkriege« (das. 1886); »Historische und politische Aufsätze« (das. 1887) und als deren Fortsetzung »Erinnerungen, Aufsätze und Reden« (das. 1903); »Die Strategie des Perikles, erläutert durch die Strategie Friedrichs des Großen« (das. 1890); »Friedrich, Napoleon, Moltke, ältere und neuere Strategie« (das. 1892); »Die Polenfrage« (das. 1894); »Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte« (das. 1900–1902, 2 Bde.). 1882–83 gab D. mit G. zu Putlitz die »Politische Wochenschrift« heraus, trat aber 1883 in die Redaktion der »Preußischen Jahrbücher« ein, die er seit 1889 allein führt. 1885–1893 gab D. auch den von Schultheß 1860 begründeten »Europäischen Geschichtskalender« (s.d.) heraus. Mit Adolf Harnack veröffentlichte er die Broschüre »Evangelisch-sozial« (Berl. 1896).

4) Max Emil Julius, Agrikulturchemiker Bruder des vorigen, geb. 16. Juni 1850 in Bergen auf Rügen, studierte seit 1868 in Berlin und Greifswald, wurde 1872 Assistent an der Gewerbeakademie in Berlin, 1873 an der Versuchsstation zu Halle und übernahm 1874 die Gründung und Leitung der Berliner Versuchsstation des Vereins der Spiritusfabrikanten in Deutschland. 1875 habilitierte sich D. an der Gewerbeakademie zu Berlin, 1877 Mitglied des Patentamts, gründete 1879 die Versuchsbrennerei Biesdorf und ward 1881 Lehrer an der landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. An dieser begründete und entwickelte er die technische Abteilung, besonders das Institut für Gärungsgewerbe (Spiritus-, Hefe-, Essig-, Stärke- und Braugewerbe umfassend), die größte von Interessentenkreisen erhaltene wissenschaftliche Anstalt. Delbrücks Arbeiten umfassen das gesamte hier angedeutete Gebiet, einige, wie die natürliche Pilzreinzucht, haben allgemeine physiologische Bedeutung. D. war wesentlich beteiligt an der Entwickelung der Gewerbegesetzgebung, besonders des Branntweinsteuergesetzes und der aus diesem sich ergebenden Syndizierung des Brennereigewerbes und der Schaffung der Industrie der Spiritusapparate für Licht-, Wärme- und Krafterzeugung.

5) Klemens, Oberpräsident von Westpreußen, geb. 19. Jan. 1856 in Halle a. S., studierte die Rechte, betrat 1879 die Verwaltungslaufbahn, war 1882–1885 Regierungsassessor in Marienwerder, 1885–92 Landrat in Tuchel, wurde 1892 Regierungsrat beim Oberpräsidium in Danzig und erhielt das landwirtschaftliche Dezernat, gehörte auch dem Zentralverein[607] westpreußischer Landwirte an. Seit 1896 Oberbürgermeister von Danzig, wurde er 15. Okt. 1902 Oberpräsident von Westpreußen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 607-608.
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