Landwirtschaftliche Vereine

[154] Landwirtschaftliche Vereine (Ackerbaugesellschaften), Vereinigungen von Landwirten zur Förderung ihrer Interessen und zur Hebung der Landwirtschaft. In Deutschland entstanden die ersten landwirtschaftlichen Vereine um die Mitte des 18. Jahrh. Zu den ältesten gehören: die Thüringische Landwirtschaftsgesellschaft zu Weißensee (1762), die Königliche Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle (1764, jetzt Landwirtschaftlicher Zentralverein für die Provinz [154] Hannover), die Landwirtschaftliche Sozietät in Leipzig (1764), die Ökonomisch-patriotische Gesellschaft zu Breslau (1772) etc. Die eigentliche Entwickelung und Verbreitung des landwirtschaftlichen Vereinswesens erfolgte aber erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. – Aus dem Bedürfnis der deutschen Landwirte, einen gemeinsamen Vereinigungspunkt und ein Organ zur Vertretung der gemeinsamen Interessen zu haben, entstand die Wanderversammlung der deutschen Land- und Forstwirte, die zum erstenmal 1837 in Dresden tagte und dann über 30 Jahre lang alljährlich an einem Orte Deutschlands statt fand; heute bildet sie die Sektion für Agrikulturchemie der Wanderversammlung deutscher Naturforscher und Ärzte. Sie erlag der Konkurrenz mit dem 1867 gegründeten Kongreß norddeutscher Landwirte, der 1872 sich zum Kongreß deutscher Landwirte erweiterte und sich alsdann 1894 mit der seit 1875 bestehenden Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer, deren Mitglieder auch »Agrarier« genannt werden, verschmolz. Die landwirtschaftlichen Vereine, anderen Spitze in Preußen das Landesökonomiekollegium (s. d.) steht, sind in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung Organe der Belehrung, Aufklärung und Aufmunterung in allen Gebieten der Landwirtschaft durch Veranstaltung von Versammlungen, Vorträgen, Ausstellungen, Maschinenprüfungen, Förderung des Betriebs durch Auswerfung von Prämien, Herausgabe von Fachzeitschriften etc. Sie unterstützen freiwillig die staatliche Landwirtschaftspflege bei Verwendung staatlicher Mittel zu Prämiierungszwecken, bei dem landwirtschaftlichen Versuchs- und Unterrichtswesen etc. Schließlich sind sie sachverständige Beiräte der Regierung in allen die Landwirtschaft betreffenden technischen und wirtschaftlichen Fragen durch Erstattung von Gutachten über Gesetzentwürfe, Intervention betreffs der Erntestatistik, Vermittelung der Wünsche und Anliegen der agrikolen Kreise etc. Sie erhalten in letzterer Beziehung die Eigenschaft der Interessenvertretung und suchen vielfach in neuester Zeit den Übergang zu finden zur Schaffung besonderer Beratungskörper, wie dse Landwirtschaftskammern (s. d.), das preußische Landesökonomiekollegium und der Deutsche Landwirtschaftsrat (s. d.), in Bayern das Generalkomitee (seit 1810), in Sachsen der Landeskulturrat, in Württemberg die Zentralstelle der landwirtschaftlichen Vereine, in Baden und Elsaß-Lothringen der Landwirtschaftsrat, in Österreich die Landeskulturräte und Berufsgenossenschaften der Landwirte etc. Teilweise nahmen in jüngster Zeit die landwirtschaftlichen Vereine sozialpolitischen Charakter an, wie der seit 1893 in Berlin bestehende Bund der Landwirte (s. d.), die Bauernvereine (s. d.), der schweizerische Bauernbund, die Kongresse, Agrartage u. dgl. m. Neben den allgemeinen Vereinen bestehen zahlreiche Spezialvereine für die Förderung einzelner Zweige, wie Pferdezucht-, Geflügel-, Bienenzucht-, Molkerei-, Hundezucht-, Fischerei-, Kaninchenzucht-, Obstbau-, Weinbau-, Gartenbau-, Moorkultur- etc. Vereine und, finanziell unabhängig von den Regierungen, die 1885 gegründete Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft in Berlin (s. Landwirtschaftsgesellschaft). Zu den bekanntesten landwirtschaftlichen Spezialvereinen, die meist Mitte Februar in der sogen. großen landwirtschaftlichen Woche in Berlin ihre Generalversammlungen abhalten, gehören: der Klub der Landwirte in Berlin (1866, »Nachrichten aus dem Klub der Landwirte«), der Deutsche Inspektorenverein (1891, Berlin; 5000 Mitglieder, 114 Zweigvereine), der Verband deutscher Landwirtschaftslehrer (1897, Eisenach; 180 Mitglieder), der Berliner Verein deutscher Landwirtschaftsbeamten (1865); Hauptverband deutscher Landwirtschaftsbeamten-Vereine (1899, Berlin; 14 Zweigvereine, 450 Mitglieder), der Deutsche Milchwirtschaftliche Verein (1874, Bremen), der Verein der Spiritusfabrikanten in Deutschland (1857, Berlin), der Verein der Stärkeinteressenten, der Verein für die Rübenzuckerindustrie des Deutschen Reiches (Berlin), der Verein zur Förderung der Moorkultur im Deutschen Reiche (1883, Berlin), die Vereinigung der Buchführungsinteressenten, die Züchtervereinigungen und Zuchtgenossenschaften (s. Herdbuch-Gesellschaft), die Vereinigung deutscher Schweinezüchter, der Deutsche Fischereiverein (1870, Berlin), der Deutsche Pomologenverein (1860, Berlin), Wanderversammlung deutscher Pomologen und Obstzüchter, Wanderversammlung deutscher und österreichisch-ungarischer Bienenzüchter etc.

In Österreich bestehen landwirtschaftliche Gesellschaften in Wien (gegründet 1802, Mitgliederzahl mit sämtlichen Bezirksvereinen und Kasinos rund 20,000), außerdem selbständige Vereine, darunter der Klub der Land- und Forstwirte, der Verein für Güterbeamte (1879, mit Pensionsversicherungsanstalt etc., 5265 Mitglieder in Wien), Linz (1845), Salzburg, Graz, Klagenfurt (1764), Laibach (1767), Triest, Görz, Brünn (1770), Troppau, Lemberg und Krakau, außerdem Landeskulturräte in gesetzmäßiger Verbindung mit zahlreichen Berufsgenossenschaften der Landwirte in Oberösterreich (1886), Istrien (1884), Tirol (1881, Sektion Innsbruck und Trient), Dalmatien (1886), Böhmen (1888), an Stelle der aufgelösten patriotisch ökonomischen Gesellschaft in Prag, und Mähren (1899) in Brünn. Als gemeinschaftliche Konferenz aller österreichischen Landwirtschaftsgesellschaften und andrer Fachvereine diente der Österreichische Agrartag (I. 1868, dann I. 1873, II. 1879, III. 1885, IV. 1893, V. u. VI. 1895), aller Weinbauinteressenten der Österreichische Weinbaukongreß in Wien. In Ungarn besteht der Landwirtschaftliche Agrikulturverein von Ungarn in Budapest und zahlreiche Komitatsvereine. – In der Schweiz besitzt jeder Kanton seinen landwirtschaftlichen Kantonalverein, der sich jährlich zu einer allgemeinen Versammlung vereinigt; die nennenswertesten sind die zu Basel (seit 1797), Bern (seit 1758), Genf, Lausanne und Zürich. Neben dem Schweizerischen landwirtschaftlichen Verein für die deutschen besteht noch die Federation des sociétés d'agriculture de la Suisse für die französischen Kantone, daneben die Gesellschaft schweizerischer Landwirte. – In Frankreich gehören zu den halbamtlichen Vereinsorganisationen die Société nationale d'agriculture in Paris (1878 neu organisiert) und die lokalen landwirtschaftlichen Gesellschaften (Comices agricoles), außerdem bestehen zahlreiche freie Vereine, von denen die bedeutendsten sind die Société des agriculteurs de France (seit 1868) und die Société nationale d'encouragement à l'agriculture (seit 1878). Als beratende Organe, die jedoch keine Wichtigkeit erlangten, dienen seit 1852 Chambres consultatives und der Conseil supérieur du commerce, de l'agriculture et de l'industrie. In Belgien bilden seit 1889 die Delegierten der Bezirks-Landwirtschaftsvereine (Comices agricoles) den Ackerbau-Provinzialverein (Societé provinciale d'agriculture), als beratendes Organ besteht ein[155] oberster Landwirtschaftsrat (Conseil supérieur d'agriculture). In England wurde bereits 1723 die Society of Improvers in the knowledge of Agriculture in Scotland, wohl der älteste aller landwirtschaftlichen Vereine, gegründet, während sich die Royal Society of agriculture in London die namhaftesten Verdienste um die Landwirtschaft erworben hat; ähnliche Verhältnisse finden sich in Italien, Rußland (Freie ökonomische Gesellschaft in Petersburg, seit 1767, und in Moskau) und Dänemark (Landhaushaltungsgesellschaft, seit 1776). Große Aufmerksamkeit wird dem landwirtschaftlichen Vereinswesen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika geschenkt, deren jeder durch eine State Agricultural Society vertreten ist.

Vgl. »Preußens landwirtschaftliche Verwaltung in den Jahren 1884–1887« (Berl. 1888); Mentzel und Lengerkes »Landwirtschaftlicher Kalender«, II. Teil; »Die Landwirtschaft in Bayern« (vom Grafen v. Lerchenfeld-Köfering, Münch. 1890); v. Langsdorff, Die Landwirtschaft im Königreich Sachsen (Dresd. 1889); »Jahrbuch der deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft« (Berl.) und das der k. k. Landwirtschafts-Gesellschaft in Wien; »Festschrift zur Feier des 75jährigen Bestehens der Oldenburgischen Landwirtschaftsgesellschaft« (Berl. 1894); »50 Jahre der Landwirtschaft der Provinz Sachsen im Lichte der Tätigkeit des Landwirtschaftlichen Zentralvereins« (das. 1894); »Verzeichnis der Landeskulturräte und der land- und forstwirtschaftlichen Gesellschaften und Vereine in Österreich« (Wien 1891); Richter, Das landwirtschaftliche Vereins- und Genossenschaftswesen in Österreich (das. 1902); »Verhandlungen des österreichischen Agrartages« (das.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 154-156.
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