Rákóczi

[580] Rákóczi (Rákóczy, spr. rākōzi), berühmtes, in Oberungarn und Siebenbürgen ansässiges, jetzt erloschenes adliges Geschlecht, mit dem Prädikat Rákócz und Felsö-Vadász, dessen reiche Besitzungen im Tokaier Weingebiet und in den Komitaten Sáros, Abauj, Zemplin u. a. gelegen waren. Die hervorragendsten Sprößlinge des Geschlechts sind:

1) Siegmund, der erste siebenbürgische Fürst dieses Namens, ward nach dem Tode Stephan Bocskais im Februar 1607 zum Fürsten von Siebenbürgen erhoben, legte aber schon 5. März 1608 diese Würde zugunsten Gabriel Báthoris nieder u. starb 6. Dez. d. J

2) Georg I., Sohn des vorigen, geb. 1591, gest. 11. Okt. 1648, ward nach dem Tode Gabr. Bethlens im November 1630 zum Fürsten von Siebenbürgen ernannt und benutzte die damaligen Bedrängnisse des Hauses Habsburg, um im Interesse der bedrohten Verfassung und Glaubensfreiheit wiederholte Einfälle in Oberungarn zu unternehmen. Nachdem er 1643 mit Schweden und kurz darauf in Munkács auch mit Frankreich ein Bündnis gegen Ferdinand 111. geschlossen, insurgierte er fast ganz Ungarn, stand schon in der Nähe von Preßburg und war Torstensson bei der Belagerung von Brünn behilflich, als er sich von der Pforte zum Rückzug bewegen ließ; der Friede von Linz (Ende 1645) sprach den Ungarn freie Religionsübung sowie Zurückgabe aller den Protestanten genommenen Kirchen, R. für seine Person sieben oberungarische Komitate auf Lebenszeit und große Besitzungen zu. Auch erhielt er für sich und seine Nachkommen die Reichsfürstenwürde. Vgl. Szilágyi, Actes et documents pour servir à l'histoire de l'alliance de George R. prince de Transsylvanie avec les Français et les Suédois dans la guerre de 30 ans (Pest 1873), Georg R. I. im Dreißigjährigen Krieg (deutsch in der »Ungar. Revue«, 1883) und Rákóczi György. 1593–1648 (das. 1893, magyar.); Beke und Barabás, Georg R. I. und die Pforte (1888, magyar.). Sein Tagebuch gab Koncz heraus (Erdélyi Muzeum, 1900).

3) Georg II., Sohn und Nachfolger des vorigen, geb. 1621, gest. 7. Juni 1660 in Großwardein, heiratete Sophie Bathori, die Erbin großer Güter, folgte dann 1648 seinem Vater auf den Thron von Siebenbürgen und gelangte durch den Sultan Mohammed IV. auch zur Oberherrlichkeit in der Moldau und Walachei, ward aber, da er gegen den Willen der Pforte für Schweden gegen Polen Partei ergriff und einen Zug dahin unternahm, der sein Heer in polnische Gefangenschaft brachte, 1657 auf Drängen der Türken des Thrones verlustig erklärt und erhielt zunächst in Rhédei, dann in Barcsai einen Gegenfürsten aufgestellt. Durch die Stände von neuem anerkannt, hielt er zäh an der Macht fest und reizte dadurch die Türken. Am 22. Mai 1660 wurde er zwischen Gyalu und Fenes von ihnen besiegt und starb bald darauf an seinen Wunden. Vgl. Alex. Szilágyi, Rákóczy György (Budap. 1891, magyar.). Sein noch unmündiger Sohn Franz I. gelangte, bei dem Tode seines Vaters erst 15 Jahre alt, nicht zur Herrschaft in Siebenbürgen, ließ sich (1665–71) in die von seinem Schwiegervater Peter Zrinyi und dem Palatin Wesselényi geleitete Verschwörung ein, ward aber vom Kaiser begnadigt und lebte dann zurückgezogen in Munkács. Seine Gemahlin gebar ihm zwei Kinder.

4) Franz II., ungar. Freiheitsheld, geb. 27. März 1676 in Borsi als Sohn des ebengenannten Franz I. und der heldenmütigen Helene Zrínyi, Stiefsohn des Kurutzenfürsten Emrich Tököli, gest. 8. April 1735 in Rodosto, wurde von den Jesuiten im Neuhauser Konvikt und später in Prag streng katholisch erzogen, erhielt 1691 auf Fürsprache seines Schwagers, des Grafen Aspremont, einen Teil der konfiszierten Familiengüter zurück, verlobte sich 1694 mit Maria Amalia von Hessen-Rheinfels und erhielt die Erlaubnis, auf seinen oberungarischen Gütern zu wohnen. Jetzt erst wurde er durch den Obergespan Bercsényi über die Stimmung und Leiden des Landes aufgeklärt, doch ließ sich R. erst nach Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges durch einen geheimen Agenten des Wiener Hofes verleiten, Ludwig XIV. um Geld und Waffen zu bitten; R. wurde im April 1701 verhaftet, nach Wiener-Neustadt gebracht und vor ein fremdes Kriegsgericht gestellt. Durch seine Gemahlin 7. Nov. befreit, entfloh er nach Warschau, worauf ihn die Regierung zum Tod und zum Verlust seiner Güter verurteilte. Zunächst von den aufständischen Bauern 1703 um Hilfe angegangen, rief er im Juni durch das Manifest »Recrudescunt inclytae gentis Hungariae vulnera« die Nation behufs Verteidigung ihrer Verfassung und der Glaubensfreiheit zu den Waffen. 1703 eroberte er Oberungarn bis Preßburg, 1704 das Land jenseit der Donau und wurde von den siebenbürgischen, 1705 von den ungarischen Ständen in Széchény zum Fürsten gewählt. Wiederholte Verhandlungen mit dem bedrängten Wiener Hofe scheiterten, und da Ludwig XIV., dessen Hilfe unentbehrlich war, auf endgültigen Abfall drang, so erfolgte auf dem Reichstag von Ónod (13. Juni 1707) die Thronentsetzung des Königs Joseph I. Nunmehr überließ aber Ludwig XIV. die Aufständischen ihrem Schicksal. Die undisziplinierten Kurutzen wurden 1707 aus Siebenbürgen verdrängt, im August 1708 bei Trentschin, 1710 bei Romhány geschlagen; die kaiserlichen Generale Heister und Pálffy drängten die auch von der Pest dezimierten Aufständischen immer mehr nach Nordosten. Während R. in Polen weilte, schloß sein Feldherr Károlyi mit General Pálffy den Waffenstillstand von Szatmár; die Kurutzen ergaben sich. R. aber ging ins Exil, zunächst nach Polen, dann nach Frankreich und schließlich, vom Preßburger Reichstage (1712–15) in die Acht getan, nach Rodosto am Marmarameer, wo er sich religiösen Übungen und der Ausarbeitung seiner Memoiren widmete. Das ungarische Volk bewahrte ihm seiner uneigennützigen Prinzipientreue und seines tragischen Schicksals halber eine rührende Anhänglichkeit; sein Name und der nach ihm benannte Marsch entflammen noch heute nationale Gefühle. Franz Joseph I. gab 18. April 1904 die Einwilligung, daß die vom Rákócziforscher Koloman v. Thaly in Konstantinopel (Galata) in der Kirche der französischen Lazzaristen aufgefundenen Überreste Rákóczis in die Heimat befördert würden; auch der Urteilsspruch von 1712 sollte zurückgenommen werden. Die Überführung nach Kaschau konnte aber politischer Wirrnisse wegen erst im Oktober 1906 mit fürstlichem Pomp durchgeführt werden, nachdem der [580] Reichstag das Gesetz von 1712 aboliert hatte. R. schrieb: »Mémoires sur les révolutions de Hongrie« (Haag 1739, in 6 und 2 Bdn.; ins Ungarische übersetzt von Koloman v. Thaly, Pest 1866 u. ö.); seine Autobiographie: »Principis Francisci R. confessiones et aspirationes principis christiani« (teils in lateinischer, teils in französischer Sprache; gewöhnlich »Confessio peccatoris« genannt, seit 1746 wiederholt aufgelegt und 1903 von Domján [Miskolcz] in das Ungarische übersetzt). Oft gedruckt ist das »Officium Rákóczianum« und zugeschrieben wird ihm das »Testament politique et moral du Prince Rakoczi« (Haag 1751, 2 Bde.). Seine zahlreiche Korrespondenz, seine Erlasse veröffentlichten Kol. v. Thaly u. a. im Auftrag der Ungarischen Akademie im »Archivum Rákócziánum«. Beiträge zu seiner Lebensbeschreibung lieferten: Thaly, Die Jugend des Fürsten R. (magyar., 2. Aufl., Preßb. 1881) und »Literarhistorische und kulturgeschichtliche Studien zur Rákóczi-Zeit« (magyar., Budap. 1885); Fiedler, Aktenstücke zur Geschichte Fr. Rákóczis (Wien 1871); Krones, Zur Geschichte Ungarns im Zeitalter Fr. Rákóczis II. (das. 1870); Acsády in der Milleniumgeschichte Ungarns (Bd. 7); Áldásy, Geschichte des Reichstages von Ónod (magyar., Budap. 1895); Angyal, Beiträge aus französischen Archiven zur Geschichte der Emigration Rákóczis II. (magyar., das. 1905); E. Horn, Franc. R. II. (Par. 1905). Thaly (s. d.) gab auch die wichtigen Korrespondenzen und Biographien seiner Heerführer Bercsényi, Forgách, Jávorka, Ocskay, Károlyi u. a. heraus. Eine Übersicht der Rákóczi-Bibliographie veröffentlichte Baranyai in der Zeitschrift »Századok« (1905).

Von den beiden Söhnen Rákóczis versuchte Josef, von der Pforte unterstützt, 1737–38 vergeblich einen Aufstand in Südungarn zu organisieren; er starb 1738 in Tschernawoda an der Pest. Der jüngere, Georg, erhielt vom französischen Hof eine Pension, ehelichte eine Marquise de Béthune, soll ein abenteuerliches Leben geführt haben und starb 23. Juni 1756 in St.-Denis bei Paris; die Romanschriftsteller Horn und Falk versuchten den Abenteurer Saint-Germain mit Georg R. zu identifizieren. Mit der Nonne Josefa Charlotte, der einzigen Tochter Josef Rákóczis, erlosch das fürstliche Haus R. 3. Juli 1780 in einem Pariser Kloster. Vgl. über die letztgenannten die Studien von Thaly und Wertner (im »Turul«, 1884, 1887, 1892, u. im »Deutschen Herold«, 1887).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 580-581.
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