Savoyen [1]

[649] Savoyen (franz. Savoie, ital. Savoja), ehemaliges Herzogtum, später ein Teil des Königreichs Sardinien, wurde 1860 an Frankreich abgetreten und bildet die beiden Departements Savoyen und Obersavoyen (s. d.). – S. (Sapaudia) wird im 4. Jahrh. n. Chr. als eine Landschaft des römischen Gallien erwähnt; 443 siedelten sich hier mit römischer Erlaubnis die Überbleibsel der wenige Jahre vorher von den Hunnen besiegten Burgunder an und machten S. zum Ausgangspunkt weiterer Eroberungen im Rhonetal und in den Gebieten am Fuß der Alpen. Ihr Reich wurde 532 von den Franken unterworfen, und S. stand von nun an unter fränkischer Herrschaft; bei der Auflösung der karolingischen Monarchie wurde es 879 ein Teil des von Boso begründeten niederburgundischen Reiches, das 933 mit Oberburgund vereinigt ward und 1032 unter die Herrschaft der deutschen Könige kam. Damals stand die Grafschaft S. mit den Nachbargrafschaften Belley, Maurienne und Aosta unter dem Grafen Humbert Weißhand, dem Ahnherrn des heutigen italienischen Königshauses, der Konrad II. bei der Erwerbung Burgunds wesentliche Dienste leistete. Sein Sohn Oddo vermählte sich um 1050 mit Adelheid, der Erbtochter des Markgrafen Manfred von Turin; durch diese Ehe wurde das Haus S. nach Italien verpflanzt und die folgenreiche Verbindung der Länder östlich und westlich der Kottischen Alpen begründet. Oddos Sohn Amadeus II., der Schwager Heinrichs IV., unterstützte diesen 1076 auf seinem Zuge nach Canossa und soll dafür ein Gebiet in Burgund als Lohn erhalten haben. Dessen Enkel Amadeus III. nahm am zweiten Kreuzzug teil und starb 1149 auf Cypern. Sein Enkel Thomas I. (1189–1233), ein kräftiger Fürst, vergrößerte sein Gebiet unter anderm durch den Erwerb von Chambéry und leistete Kaiser Friedrich II. als Reichsvikar wesentliche Dienste. Von seinen acht Söhnen war der älteste, Amadeus IV., gest. 1253, gleichfalls ein Anhänger Friedrichs II.; er erwarb 1243 Pinerolo und hinterließ einen minderjährigen Sohn, Bonifaz, für den erst sein Oheim Thomas II. (gest. 1259) die Regierung führte. Als Bonifaz 1263 starb, trat sein Oheim Peter II. (gest. 1268), der sich das Waadtland unterworfen hatte, an die Spitze des Hauses und ließ sich vom König Richard mit dessen Besitzungen belehnen. Seine Neffen Thomas III. und Amadeus V. Söhne Thomas' II., wurden die Stifter der beiden Linien Piemont und S., deren ältere 1418 erlosch. worauf Piemont wieder mit S. vereinigt wurde. Amadeus V., der 1285 nach dem Tode seines Oheims Philipp I. zur Regierung von S. gelangte, war ein treuer Anhänger Kaiser Heinrichs VII., der ihn 1311 zum Reichsfürsten erhob. Ihm folgte 1323 sein Sohn Eduard (gest. 1329), dann dessen Bruder Aimo (1329–43), der durch Heirat die Anwartschaft auf Montserrat erwarb. Dessen Sohn Amadeus VI. (1343–83), ein in aller Welt berühmter Kriegsheld, erwarb in Italien Chieri, Savigliano und Teile der Diözesen Ivrea und Vercelli, von dem Dauphin Faucigny und Gex. Karl IV. ernannte ihn 1365 zum Reichsvikar in einem großen Gebiet des arelatischen Reiches und löste 1361 die Grafschaft S. von diesem Reich ab, indem er sie unmittelbar dem römischen Reich einverleibte. Amadeus VI. führte in seinen Landen die Primogenitur-Erbfolge ein und setzte ihre Unteilbarkeit fest. Sein Sohn Amadeus VII. (1383–91) erwarb 1388 Stadt und Grafschaft Nizza. Dessen Sohn Amadeus VIII. ward vom Kaiser Siegmund 1416 zum Herzog von S. erhoben und 1422 mit der Grafschaft Genf belehnt. Er erwarb 1426 von Mailand Vercelli, zog sich aber 1434 von den Regierungsgeschäften zurück. 1439 ward er vom Baseler Konzil unter dem Namen Felix V. zum Papst erwählt, dankte 1449 ab und starb 1451 als Kardinal. Sein Sohn Ludwig (1434–65) stellte 1445 in einem Grundgesetz die Unveräußerlichkeit der savoyischen Krongüter fest. Seine Nachfolger waren: Amadeus IX. (gest. 1472), Philibert I. (gest. 1482), Karl I. (gest. 1489), Karl II. (gest. 1496), Philipp II. (gest. 1497), Philibert II. (gest. 1504) und dessen Bruder Karl III. Dieser erhielt 1530 von seinem Schwager, Kaiser Karl V., Asti, verlor aber Genf und Wallis, die sich 1534 der Eidgenossenschaft anschlossen, und 1536 auch das Waadtland, Chablais und Gex an Bern und dessen eidgenössische Verbündete. In demselben Jahre wurde er von Franz I. von Frankreich angegriffen, der am 3. April Turin nahm und fast ganz S. und Piemont okkupierte. Die Franzosen behaupteten diese Lande 1537 gegen den kaiserlichen Feldherrn Guasto und blieben durch den Waffenstillstand von Nizza im Besitz ihrer Eroberungen. In Asti, Vercelli, Fossano blieben kaiserliche Besatzungen. Karl III. starb 1553, ohne seine Lande zurückerlangt zu haben, und erst sein Sohn Emanuel Philibert, der sich als spanischer Feldherr einen Namen erworben hatte, erhielt 1559 durch den Frieden von Cateau-Cambrésis sein Land mit Ausnahme einiger festen Plätze, die ihm erst später von Frankreich eingeräumt wurden, zurück. Mit den [649] Schweizern schloß er 1564 einen Vertrag, demzufolge er das Chablais wiedererhielt, auf Genf, Waadtland und Wallis aber verzichtete. Er erwarb Tenda 1575 und Oneglia 1576, gründete 1560 eine Universität in Mondovi, erbaute 1564 die Zitadelle von Turin und legte durch Erbauung von Galeeren in Villafranca den Grund zu einer Marine. Im Innern brach er mit dem Feudalsystem und führte ein aufgeklärtes absolutes Regiment ein. Sein Sohn Karl Emanuel I. (1580–1630), ein ehrgeiziger, ruheloser Fürst, der sein Land in viele Kriege verwickelte, erhielt durch den Frieden von Lyon 1601 von Heinrich IV. von Frankreich die Markgrafschaft Saluzzo, deren Markgrafengeschlecht ausgestorben war, und auf die auch Frankreich Ansprüche erhoben hatte, trat aber dafür die Landschaften Bresse, Bugey, Valromey und Gex an Heinrich IV. ab. Zuletzt nahm er wegen seiner Ansprüche auf Montserrat an dem Mantuanischen Erbfolgekrieg teil. Sein Sohn Viktor Amadeus I. (1630–37), dessen jüngerer Bruder, Thomas, der Stifter der Linie S.-Carignan wurde, ward 1631 mit einem Teil von Hoch-Montserrat abgefunden, wogegen er Pinerolo und das Tal von Perosa an Frankreich abtreten mußte. Unter seinem Sohn Karl Emanuel II. (1638–75) fielen 1659 die Besitzungen der ausgestorbenen savoyischen Nebenlinie der Grafen von Genf an S. Auf Karl Emanuel II. folgte sein Sohn Viktor Amadeus II., der 1690 der großen Allianz gegen Frankreich beitrat. Darauf wurden Piemont und S. von den Franzosen besetzt, aber durch die Verträge von Turin und Vigevano, in denen der Herzog sich von der Koalition lossagte, erhielt er 1696 alles, was er verloren hatte, zurück und erwirkte überdies den Rückerwerb des 1631 abgetretenen Pinerolo mit Perosa. Im Spanischen Erbfolgekrieg schloß sich der Herzog anfangs an Ludwig XIV. an, trat aber 1703 zu Österreich und seinen Verbündeten über. Infolgedessen wurde fast sein ganzer Staat von den Franzosen okkupiert, und der Herzog geriet in die bedrängteste Lage, bis ihn Eugens Sieg bei Turin 7. Sept. 1706 befreite, worauf die französischen Truppen im März 1707 Italien räumten. Im Utrechter Frieden 1713 erhielt Viktor Amadeus II. von Frankreich alle Festungen und Täler auf der Ostseite der Kottischen und Seealpen, vom Kaiser und aus der spanischen Erbschaft ganz Montserrat, Teile des Herzogtums Mailand (unter anderm Alessandria, die Lomellina, Val Sesia) und die Insel Sizilien mit dem Königstitel. Sizilien, das 1718 von Spanien erobert wurde, vertauschte er zufolge des Londoner Vertrags vom 17. Febr. 1720 mit Sardinien. Seitdem bildeten S. und Sardinien die Sardinische Monarchie (s. d.); das Stammland S. wurde aber 1860 an Frankreich abgetreten. Die ältere Linie des Hauses S. erlosch 27. April 1831, worauf die jüngere Linie, S.-Carignan, auf den Thron kam. Vgl. Cibrario, Notizie sopra la storia dei principi di Savoia (2. Aufl., Tur. 1866), Origini e progresso della monarchia di Savoia (2. Aufl., Flor. 1869, 2 Bde.) und Storia della monarchia di Savoia (Tur. 1840–44, 3 Bde.); Canale, Storia della origine e grandezza della real casa di Savoia (Genua 1368, 2 Bde.); Cristina Belgiojoso, Histoire de la maison de Savoie (Par. 1860); St.-Genis, Histoire de Savoie (Chamb. 1869, 3 Bde.); Carutti, Regesta comitum Sabaudiae ab ultima stirpis origine ad annum 1253 (Tur. 1889), Storia della diplomazia della corte di Savoia (das. 1875–1880, 4 Bde.) und Storia della corte di Savoia durante la rivoluzione e l'impero francese (das. 1892, 2 Bde.); »La casa di Savoia e la monarchia italiana; plebisciti« (hrsg. von N. Bianchi, das. 1884, 2 Bde.); Gerbaix di Sonnaz, Studi storici sul contado di Savoia e sul marchesato in Italia (das. 1883–97, 2 Bde.); Hellmann, Die Grafen von S. und das Reich bis zum Ende der staufischen Periode (Innsbr. 1900); Gabotto, Lo stato Sabaudo da Amadeo VIII. ad Emanuele Filiberto (Tur. 1892–95, 3 Bde.) und Il Piemonte e la casa di Savoia fino al 1492 (Flor. 1896); Sclopis, Degli stati generali e d'altre istituzioni politiche di Piemonte e di Savoia (Tur. 1851); Perrin, Histoire de Savoie (Chambéry 1900); F. de Angeli, Storia di casa Savoia (Mail. 1906). Vgl. auch die Literatur bei Artikel »Sardinische Monarchie« und die Geschichtskarten bei Artikel »Frankreich« und »Italien«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 649-650.
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