Sardinische Monarchie

[608] Sardinische Monarchie, bis 1861 Bezeichnung eines italienischen Königreichs, das die Insel Sardinien sowie auf dem Festlande das Herzogtum Savoyen, das Fürstentum Piemont, die Herzogtümer Aosta und Montserrat, die Grafschaft Nizza und das Herzogtum Genua umfaßte. Der Flächengehalt beträgt 76,000 qkm (1377,31 QM.) mit (1857) 5,167,542 Einw. Vom jetzigen Königreich Italien begreift das Gebiet außer der Insel die Provinzen Alessandria, Cuneo, Genua, Novara, Porto Maurizio, Turin und einen Teil von Pavia, während Savoyen und Nizza an Frankreich abgetreten sind. Residenz war Turin. Über Geographie und Statistik des Königreichs vgl. Bartolomeis, Notizie topografiche e statistiche sugli stati sardi (Tur. 1840 bis 1847, 3 Bde.); Casalis, Dizionario geografico-storico, etc. (das. 1843–56, 28 Bde.), und Stefani, Dizionario generale, etc. (das. 1855).

[Geschichte.] Nachdem der Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen den Königstitel angenommen und 24. Aug. 1720 die ihm 1713 durch den Utrechter Frieden zugefallene Insel Sizilien gegen die Insel Sardinien ausgetauscht hatte, bildeten Sardinien (s. d.) und Savoyen (s. d.) die S. M., die von der[608] neu erworbenen Insel den Namen erhielt, während Piemont nichtsdestoweniger das Hauptland blieb. 1730 trat der König die Regierung an seinen Sohn Karl Emanuel I. (III.) ab. Als er sich ein Jahr später der Krone wieder bemächtigen wollte, ward er verhaftet und starb 1732 in der Gefangenschaft. 1733 übernahm Karl Emanual I. im Polnischen Erbfolgekriege den Oberbefehl über die französischen und sardinischen Truppen in Italien, nahm Mailand und schlug die Österreicher 29. Juni 1734 bei Parma und 19. Sept. bei Guastalla. Im Wiener Frieden erhielt er 1738 von Mailand Novara und Tortona. Im Österreichischen Erbfolgekrieg (1741–48) verbündete er sich in der Hoffnung, Mailand ganz zu erwerben, zuerst mit Frankreich, trat aber durch die Verträge von Turin (1742) und Worms (1743) zu Maria Theresia über und stellte gegen englische Subsidien ein Heer von 45,000 Mann auf, wofür ihm Österreich die Grafschaft Anghiera mit Vigevano, die Herrschaft Bobbio, Piacenza bis zur Nura und das genuesische Finale sowie einen Teil des Fürstentums Pavia zusicherte. Er kämpfte nun mit wechselndem Erfolge, zuletzt aber glücklich gegen die Spanier und Franzosen, die er 16. Juni 1746, mit den Österreichern vereinigt, bei Sant' Antonio schlug, und erhielt durch den Aachener Frieden 1748 alles, was Österreich versprochen hatte, mit Ausnahme von Piacenza und Finale. Auch um die innern Zustände seiner Lande machte sich Karl Emanuel verdient durch Anlegung von Kanälen und Straßen, Abschluß eines Handelsvertrags mit Mailand (1752) und Erlaß eines neuen Gesetzbuches, des sogen. Corpus Carolinum. Er besteuerte die geistlichen Güter, besetzte alle Stellen selbst und unterwarf die päpstlichen Bullen seiner Bestätigung.

Ihm folgte 1773 sein Sohn Viktor Amadeus III., unter dessen Regierung die meisten Schöpfungen seines Vaters wieder verfielen und die Finanzen in Unordnung gerieten. Als Schwiegervater der Brüder Ludwigs XVI. von Frankreich begünstigte der König während der französischen Revolution die Emigranten und trat mit den Gegnern Frankreichs in Verbindung, worauf die Franzosen 22. Sept. 1792 in sein Gebiet einrückten und fast ohne Widerstand Savoyen und Nizza besetzten. Zur Wiedererlangung seiner Lande schloß Viktor Amadeus mit England einen Subsidienvertrag, und nachdem es ihm gelungen war, ein Heer von 50,000 Mann aufzustellen, wurden die Franzosen zurückgedrängt. Allein schon 1794 drangen sie aufs neue vor, und obgleich sie mit Hilfe der Österreicher 1795 abermals zurückgeworfen wurden, so rückten Schérer und Kellermann mit zwei Armeen wiederum ein und schlugen 23.–25. Nov. die Österreicher und Sardinier. Nachdem 1796 Bonaparte den Oberbefehl über die Franzosen übernommen und bei Montenotte und Millesimo die verbündeten Heere fast vernichtet hatte, schloß Viktor Amadeus 28. April einen Waffenstillstand und 15. Mai den Frieden von Paris, in dem er Savoyen und Nizza abtrat. Er starb 16. Okt. 1796 und hatte seinen Sohn Karl Emanuel II., einen schwachen und bigotten Fürsten, zum Nachfolger. Dieser befand sich ganz in den Händen der französischen Generale, mußte ihnen im Juni 1798 die Zitadelle von Turin einräumen und verzichtete, als das Direktorium ihm trotzdem den Krieg erklärte, 9. Dez. gegen freien Abzug von Turin auf seine festländischen Besitzungen. Er begab sich nach der Insel Sardinien, wo er in Cagliari seine Residenz aufschlug, trat 4. Juni 1802 die Krone an seinen Bruder Viktor Emanuel I. ab und starb als Jesuit 1819 in Rom. Am 11. Sept. 1802 erfolgte die förmliche Vereinigung Piemonts mit Frankreich und seine Einteilung in sechs Departements. Erst nach dem Sturz Napoleons I. 1814 wurde die S. M. wiederhergestellt und durch das Herzogtum Genua vergrößert. Zu gleicher Zeit wurde auf dem Wiener Kongreß die Erbfolge dahin geregelt, daß nach dem Erlöschen des regierenden Mannesstammes die von Thomas Franz, dem jüngern Sohn des Herzogs Karl Emanuel I., gestiftete Linie Savoyen-Carignan zum Thron gelangen sollte.

Am 14. Mai 1814 zog Viktor Emanuel in Turin ein. Er war zwar gutmütig, aber beschränkt und infolgedessen ganz von seinem Beichtvater, dem Abbé Botta, und seiner Gemahlin Maria Theresia, einer Österreicherin, abhängig. So beeilte er sich, die alten Zustände wiederherzustellen und alles, was während der französischen Herrschaft geschehen war, rückgängig zu machen. Die Jesuiten wurden zurückberufen, und die Inquisition, die Rechtsungleichheit der Bevölkerung, die alte Gerichtsverfassung wurden wieder eingeführt; nur den Steuerdruck und die Vermehrung der Polizeigewalt behielt man von dem französischen System bei. Die französische Herrschaft hatte jedoch den politischen Ansichten, vorzüglich der gebildetern Stände, eine liberale Richtung gegeben, der selbst der Adel und die Armee nicht fern blieben. Daher ward die Gärung bald allgemein, und eine Zweigverbindung der Carbonari bildete eine Verschwörung, in die auch der Prinz Karl Albert von Savoyen-Carignan, der präsumtive Nachfolger des Thron erben Karl Felix, verwickelt war. So wurde die piemontesische Militärrevolution vorbereitet. Am 10. März 1821 erhoben sich die Verschwornen zu Alessandria und proklamierten die spanische Konstitution und das Königreich Italien. Die Garnisonen von Pinerolo, Asti u.a. O., zuletzt auch die von Turin, schlossen sich an. Entmutigt entsagte der König in der Nacht des 13. März zugunsten seines Bruders Karl Felix dem Thron, ernannte den Prinzen von Carignan zum Regenten bis zu dessen Ankunft aus Modena und begab sich nach Nizza. Der Prinz proklamierte, die Trikolore in der Hand, die Annahme der spanischen Konstitution. Eine »im Namen des Königreichs Italien« handelnde einstweilige Giunta sowie ein neues Ministerium wurden gebildet, und Karl Albert leistete der Verfassung sowie dem König Karl Felix den Eid der Treue. Der neue König lehnte jedoch in einem Manifest vom 16. März die Verfassung ab, befahl dem Prinzen, sich an die Spitze der treugebliebenen Truppen zu stellen, und drohte mit der Intervention der verbündeten Mächte. Karl Albert gehorchte und verließ Turin; 7. April rückten die Österreicher unter Bubna in Piemont ein, zersprengten 8. April bei Novara die Aufständischen und stellten in wenigen Tagen die alte Ordnung her. Unter dem Schutz der österreichischen Bajonette, die bis 1823 im Lande blieben, begann nun die vollständigste Reaktion. Durch zahlreiche Hochverratsprozesse wurden alle bei der Revolution Beteiligten verfolgt; die Universitäten Turin und Genua wurden auf ein Jahr geschlossen und nach ihrer Wiedereröffnung ebenso wie die andern Schulen strengster Aussicht unterstellt. So herrschten kirchliche Reaktion und politischer Absolutismus bis zum Tode des Königs Karl Felix (27. April 1831), mit dem der Mannesstamm der regierenden Linie erlosch.[609]

Nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses folgte nun Karl Albert, Prinz von Savoyen-Carignan, der, nachdem er die Umkehr seiner Gesinnung durch seine Teilnahme am Feldzug des Herzogs von Angoulême gegen Spanien 1823 bekundet hatte, als Statthalter nach Sardinien geschickt worden war. Er behielt das absolutistische System seines Vorgängers bei, befestigte auch durch ein Konkordat von 1840, da er strenger Katholik war, die Herrschaft der Klerikalen, führte aber doch viele nützliche Reformen, namentlich der Justiz, des Verkehrswesens und des Unterrichts ein und sorgte insbes. für die Vermehrung und Ausbildung seines Heeres. Österreich gegenüber bewies er namentlich seit 1846 größere Selbständigkeit, und nach der Thronbesteigung des Papstes Pius IX. riß auch ihn die in Italien ausgebrochene nationale Bewegung mit fort und nötigte ihn auch zu einer Änderung seiner innern Politik. Am 30. Okt. 1847 veröffentlichte er ein Regierungsprogramm, das liberale Zugeständnisse gewährte und andre verhieß, und 8. Febr. 1848 gab er seinen Staaten eine konstitutionelle Verfassung, wodurch ganz Oberitalien von Begeisterung für das »Schwert Italiens« (la spada d'Italia) erfüllt wurde. Es folgte 8. März die Bildung eines neuen Ministeriums unter dem als Führer der patriotischen Partei bekannten Grafen Balb o. Zugleich wurden Rüstungen ins Werk gesetzt, und nach dem Ausbruch der Revolution in Mailand entschloß sich der König 23. März, den Lombarden Hilfe zu leisten, und rückte mit 30,000 Mann, die später bis auf 60,000 Mann verstärkt wurden, in die Lombardei ein; 26. März zogen die ersten sardinischen Truppen in Mailand ein. Der Feldzug war anfangs nicht unglücklich; die Generale Bava und Graf Gerbaix de Sonnaz siegten bei Goito 8. April und Pastrengo 30. April über die Österreicher; Peschiera ward belagert und, nachdem ein italienischer Angriff auf Verona durch den Kampf bei Santa Lucia 6. Mai, aber auch der Versuch Benedeks, Peschiera zu entsetzen, durch ein zweites Gefecht bei Goito 30. Mai abgeschlagen waren, zur Kapitulation genötigt, worauf Radetzky sich nach Verona zurückzog. Inzwischen beschlossen zwar die Lombarden 29. Mai und 4. Juli auch die Venezianer den Anschluß an Sardinien; aber der Abfall der italienischen Fürsten von der nationalen Sache und die Erschütterung der Disziplin in der sardinischen Armee bewirkten, daß Karl Albert nicht mehr die volle Zuversicht zu dem Siege seiner Waffen bewahrte. Während er einen kostbaren Monat in Unschlüssigkeit verlor, hatte sich Radetzky bedeutend verstärkt, und als der König 12. Juli die Operationen wieder aufnahm, wurden die Sardinier, deren Heer zu weit auseinander gezogen war, 25. Juli nach tapferm Kampf in der Schlacht von Custoza völlig geschlagen. Darauf zog sich der König nach Mailand zurück und schloß 9. Aug. einen Waffenstillstand ab, demzufolge Lombardo-Venetien, Parma und Modena von den sardinischen Truppen geräumt wurden.

Dieser Ausgang des Krieges übte auf die innern Verhältnisse Sardiniens notwendig einen Rückschlag aus. Balbo war schon 26. Juli aus dem Ministerium getreten, das Fusionsministerium Casati nahm bereits 7. Aug. seine Entlassung. Republikanische Bestrebungen waren freilich in Piemont aussichtslos, aber die radikalern Elemente gewannen doch Boden und drängten auf Fortsetzung des Krieges. Da diese Stimmung auch in dem am 16. Okt. zusammengetretenen Parlament das Übergewicht erhielt, nahm im Dezember das nach dem Rücktritt Casatis ernannte Ministerium Revel-Pinelli seine Entlassung, und Gioberti trat an die Spitze eines neuen Kabinetts, das in seinem Programm die nationale Einheit und Unabhängigkeit sowie die Entwickelung der Verfassungsinstitutionen im demokratischen Sinne als seine Ziele bezeichnete. Giobertis Versuch, mit dem Papst und dem Großherzog von Toskana eine Verständigung herbeizuführen, scheiterte, worauf er 21. Febr. zurücktrat und durch den Marchese Colli ersetzt wurde. Inzwischen wurde die Regierung durch die neugewählte Kammer so zum Kriege gedrängt, daß sie 12. März 1849 den Waffenstillstand mit Österreich aufkündigte. An die Spitze des 120,000 Mann starken Heeres trat ein polnischer General, Chrzanowski. Radetzky hatte alles getan, um den Feind in dem Glauben zu bestärken, er werde, wie 1848, die Lombardei räumen. hatte aber währenddessen seine 70,000 Mann bei Pavia konzentriert, überschritt 20. März den Ticino und stieß am 21. auf die Sardinier, die er bei Mortara und Vigevano schlug. Am 23. wurde das sardinische Hauptheer, 54,000 Mann, bei Novara von Radetzky völlig besiegt. Karl Albert verzichtete noch in der Nacht vom 23. zum 24. März auf die Krone zugunsten seines ältesten Sohnes, Viktor Emanuel II., und begab sich nach Portugal, wo er 26. Juli starb. Der junge König schloß sofort mit Radetzky einen Waffenstillstand, in dem er sich verpflichtete, die Freikorps aufzulösen, das Gebiet zwischen Po, Sesia und Ticino und die Festung Alessandria den kaiserlichen Truppen als Friedenspfand zu überlassen, die sardinische Flotte aus dem Adriatischen Meer zurückzuziehen und seine Armee auf den Friedensfuß zu setzen.

Die Nachricht von der Niederlage und Abdankung Karl Alberts und dem Waffenstillstand rief in Turin die größte Aufregung hervor. Die Kammer beschloß in der ersten Aufwallung die Fortsetzung des Kampfes, erkannte aber bald die Unmöglichkeit davon. Ein kurzes Nachspiel zum Kriege bildete der Aufstand in Genua 1. April, der durch eine große Truppenmacht unter Lamarmora unterdrückt werden mußte. Über vier Monate dauerten die Friedensverhandlungen mit Österreich. Viktor Emanuel lehnte es entschieden ab, bessere Bedingungen durch den Anschluß an das österreichische System zu erkaufen; er behauptete die innere Unabhängigkeit Sardiniens. Die Österreicher steigerten dagegen ihre Kriegsentschädigungsforderung auf 230 Mill. Fr. Darauf stellte Piemont die Unterhandlungen ein, bis Österreich unter dem Druck französischer und englischer Intervention auf 75 Mill. herabging und Sardinien den Besitzstand vor dem Kriege zugestand. Am 6. Aug. 1849 wurde auf diese Bedingungen der Friede zu Mailand abgeschlossen.

Viktor Emanuel, der den edlen Massimo d'Azeglio an die Spitze des Ministeriums berief, war entschlossen, durch eine ehrlich liberale Politik die S. Minden Stand zu setzen, ihre nationale Aufgabe in dem geeigneten Augenblick mit mehr Aussicht auf Erfolg wieder aufzunehmen. Als die Deputiertenkammer die Genehmigung des Friedensvertrags verweigerte, weil er keine Amnestie für die lombardischen Flüchtlinge enthielt, ward sie 20. Nov. 1849 aufgelöst. Aus den Neuwahlen ging eine gemäßigtliberale Nationalvertretung hervor, die nach Genehmigung des Friedens (9. Jan. 1850) in Gemeinschaft mit dem Ministerium eine auf die gründliche [610] Reform der Zustände des Landes gerichtete gesetzgeberische Tätigkeit begann. Die ersten Gesetze, nach dem Justizminister Siccardi benannt, hoben die geistliche Gerichtsbarkeit auf und bestimmten die bürgerlichen Erfordernisse zur Gültigkeit eines Ehevertrags. Der Widerstand des Klerus dagegen wurde durch die Verhaftung und Bestrafung des Erzbischofs Franzoni von Turin gebrochen. Der Eintritt Cavours (s. d.) in das Ministerium 11. Okt. 1850 gab der Reformtätigkeit der Regierung einen neuen Aufschwung. Trotz des Widerstandes des Adels und des Klerus wurden die Fideikommisse, die Majorate, die Erstgeburtsrechte, die geistlichen Zehnten (auf Sardinien) etc. aufgehoben. Der öffentliche Unterricht wurde gehoben, und für Brücken-, Straßen- und Eisenbahnbauten wurde viel getan. Das Zollwesen wurde in frei händlerischem Sinn umgestaltet und durch freisinnige Handelsverträge Handel und Verkehr gesteigert. Die Kriegsschuld an Österreich wurde abbezahlt und die Finanzen geordnet. Mit kräftiger Hand und militärischer Entschlossenheit leitete Lamarmora die Reorganisation und Disziplinierung des Heeres, während Cavour um die Vergrößerung der Marine erfolgreich bemüht war.

Die Lage des Staates in Europa war schwierig, da er rings von feindlich gesinnten Nachbarn umgeben war und die klerikale Partei, durch das Zivilehegesetz von 1852 von neuem gereizt, alles aufbot, um einen Umschwung herbeizuführen. Die Bischöfe schleuderten Proteste und Exkommunikationen gegen die Anhänger der Zivilehe, die der Papst 19. Sept. für ein Konkubinat erklärte. Frankreich und Österreich mischten sich in diese Krisis zugunsten der Geistlichkeit ein. Doch der König und die überwiegende Mehrheit der Nation blieben fest, und die innere Politik wurde noch entschiedener freisinnig, als nach dem Rücktritt d'Azeglios 4. Nov. 1852 Cavour den Vorsitz im Ministerium und die Finanzen übernahm. Nun wurden 1854 die meisten Klöster und viele Kanonikate aufgehoben und ein erheblicher Teil des Kirchengutes unter staatliche Verwaltung gestellt. In der auswärtigen Politik hatte sich Sardinien seit dem Frieden vorsichtig verhalten und an England eine Stütze gesucht. Als nun 1853 der Bund Englands und Frankreichs gegen Rußland zustande kam, erkannte Cavour den Vorteil eines engen Anschlusses an diese, und in dem Bündnis mit den Westmächten vom 26. Jan. 1855 verpflichtete sich der König von Sardinien, im Krimkrieg ein Hilfskorps von 15,000 Mann zu stellen, wogegen die britische Regierung der sardinischen ein Darlehen von 1 Mill. Pfd. Sterl. gewährte. So wurden im April 1855 die sardinischen Truppen auf Kosten Englands nach der Krim übergeführt und dort in einer Stärke von 17–18,000 Mann bis zum Frühjahr 1856 erhalten.

Dies Bündnis gab der auswärtigen Politik Sardiniens, die Cavour seit 10. Jan. 1855 leitete, einen neuen Aufschwung und ermutigte es, im Rate der Mächte wieder im Namen Italiens aufzutreten. Es gewann dafür das Wohlwollen der Westmächte, die Österreich durch seine schwankende Haltung im Krimkrieg sich entfremdet hatte, und eine Reise Viktor Emanuels nach Paris und London (im November 1855) gab dies der Welt deutlich zu erkennen. Auf den Friedenskonferenzen zu Paris (vom 25. Febr. bis 16. April 1856) war Sardinien durch Cavour selbst vertreten, der den Mächten die Beschwerden Italiens unterbreitete und auf die schwierige Lage hinwies, in die Sardinien durch den Druck Österreichs einer- und den revolutionären Geist anderseits gebracht werde. Indem so der Gegensatz Sardiniens zu Österreich sich erweiterte, nahm die nationale Bewegung in Italien einen neuen Aufschwung, und Sardinien bereitete sich vor, an ihre Spitze zu treten. Der Notenwechsel mit Österreich wurde immer schärfer und führte im März 1857 zum Abbruch des diplomatischen Verkehrs. Geheime Verhandlungen mit Napoleon waren schon angeknüpft und wurden bei einem Besuch Cavours in Plombières 20. Juli 1858 zum Abschluß gebracht. So kam es 1859 zum Kriege zwischen Österreich einer- und dem mit Frankreich verbundenen Sardinien anderseits; über den Verlauf und die Folgen dieses Krieges s. Italien, S. 89 ff. In dem neuen Königreich Italien, dessen Titel Viktor Emanuel 14. März 1861 annahm, ging die S. M. auf. Vgl. Manno, Storia della Sardegna (s. oben, S. 608); Mimaut, Histoire de Sardaigne (Par. 1825); Brofferio, Storia del Piemonte (Tur. 1849–52, 5 Bde.) und Storia del parlamento subalpino (Mail. 1865–70, 6 Bde.); Cesare di Saluzzo, Histoire militaire de Piémont (Tur. 1818; 2. Aufl. 1859–61, 5 Bde.), dazu als Fortsetzung: Pinelli, Storia militare del Piemonte (das. 1855, 3 Bde.; deutsch von Riese, Leipz. 1856–57, 4 Bde.); Ricotti, Storia della monarchia piemontese (Flor. 1861–69, 6 Bde.); Bianchi, Storia della monarchia piemontese, 1773–1861 (Tur. 1877–85, 4 Bde., unvollendet); »Relazioni diplomatiche della monarchia di Savoia 1554–1814« (das. 1886–91, 3 Bde.); Ferrero, I reali di Savoia nel esiglio 1799–1806 (das. 1897); Beauchamp, Histoire de la révolution de Piémont (Par. 1821–23, 2 Bde.); Santa Rosa, De la révolution piemontaise (das. 1822); »Bericht des österreichischen Generalstabs über den Feldzug von 1848« (Wien 1850, 2 Bde.); Manfredi, La spedizione sarda in Crimea (Rom 1896); Boggio, La Chiesa e lo Stato in Piemonte (Tur. 1854, 2 Bde.); Manno und Promis, Bibliografia storica degli stati della monarchia di Savoia (das. 1884–1902, 7 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 608-611.
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