Struensee

[132] Struensee, 1) Karl Gustav von, preuß. Minister, geb. 18. Aug. 1735 in Halle, gest. 17. Okt. 1804, Sohn Adam Struensees, des Verfassers des alten Halleschen Gesangbuches, Predigers an der Ulrichskirche daselbst, dann zu Altona, studierte in Halle Mathematik und Philosophie, wurde 1757 Professor an der Ritterakademie in Liegnitz, pflegte hier die Anwendung der Mathematik auf die Kriegskunst und gab »Anfangsgründe der Artillerie« (3. Aufl., Leipz. 1788) und »Anfangsgründe der Kriegsbaukunst« (das. 1771–74, 3 Bde.; 2. Aufl. 1786) heraus, das erste bessere einschlägige Werk in Deutschland. Auf Veranlassung seines Bruders ging er 1769 nach Kopenhagen, wurde dänischer Justizrat und Mitglied des Finanzkollegiums, kehrte nach dem Sturze seines Bruders 1772 als preußischer Untertan heim und lebte auf seinem Gut Alzenau bei Haynau in Schlesien. 1777 Direktor des Bankkontors in Elbing geworden, 1782 als Oberfinanzrat und Direktor der Seehandlung nach Berlin berufen, erhielt er 1789 vom König von Dänemark unter Hinzufügung des Namens v. Karlsbach den Adel und wurde 1791 preußischer Staatsminister und Chef des Akzise- und Zolldepartements, vermochte aber die in seinen Schriften empfohlenen Reformen im Finanzwesen nicht durchzuführen. Vgl. v. Held, Struensee (Berl. 1805).

2) Johann Friedrich, Graf von, dän. Staatsmann, Bruder des vorigen, geb. 5. Aug. 1737 in Halle, gest. 28. April 1772 in Kopenhagen, ward 1758 Stadtphysikus in Altona, begleitete 1768–69 als Leibarzt den jungen Dänenkönig Christian VII. auf einer ausländischen Reise und erwarb sich schnell dessen Gunst, später auch die der von ihrem Gatten vernachlässigten Königin Karoline Mathilde (s. Karoline 1), die Anfang 1770 seine Geliebte wurde. Gestützt auf seine Macht über das Königspaar, entfernte er, im Mai d. J. zum Konferenzrat und Vorleser des Königs sowie zum Kabinettssekretär der Königin ernannt,[132] die bisherigen Günstlinge und Minister, zuerst den Grafen v. Holck, an dessen Stelle Enev. Brandt (s. d. 2) trat, dann den Premierminister J. H. E. Bernstorff, und Ende 1770 hob er den Staatsrat auf. Auch ließ er sich von dem schwachsinnigen König die Vollmacht erteilen, Kabinettsbefehle ohne königliche Unterschrift auszufertigen. Im Juli 1771 zum Geheimen Kabinettsminister ernannt und in den Grafenstand erhoben, suchte er Dänemark von dem Einfluß Rußlands frei zu machen und Schweden gegenüber eine strenge Neutralitätspolitik zu beobachten. Im Innern wollte er nach dem Muster Friedrichs d. Gr. durch einen aufgeklärten Despotismus gewerbliche Tätigkeit, Wohlstand und freiheitliche Bildung begründen. Die Finanzen wurden geordnet, die Abgaben verringert, Handel und Industrie von vielen Fesseln befreit, die Frondienste des leibeignen Bauernstandes auf ein bestimmtes Maß festgestellt, Bildungs- und Wohlfahrtsanstalten errichtet, die strengen Strafgesetze und die Zensur gemildert, die Folter abgeschafft und alle Zweige der Verwaltung reorganisiert. Doch ging S. hierbei allzu rücksichtslos und schnell zu Werke, verfeindete sich mit allen hervorragenden Persönlichkeiten, reizte das Volk durch Verdrängung der S. unbekannten dänischen Sprache zugunsten der deutschen und machte sich hierdurch besonders bei der national-dänisch-orthodoxen Geistlichkeit verhaßt. Auch erregte sein ehebrecherisches Verhältnis zur Königin, die ihm 7. Juli 1771 eine Tochter (Prinzessin Luise Augusta, Urgroßmutter der Kaiserin Auguste Viktoria) gebar, lebhaften Anstoß. Unter der Führung seines frühern Gönners Grafen Rantzau-Ascheberg, der Stiefmutter Christians, Juliane Marie (s. d.), des Erbprinzen Friedrich und des Kabinettssekretärs Gullberg (s. d.) bildete sich schließlich eine Verschwörung gegen ihn. In der Nacht zum 17. Jan. 1772 drangen die Verschwörer in das Zimmer Christians VII. und zwangen ihn, einen Befehl zur Verhaftung Struensees, der Königin und Brandts zu unterzeichnen. Hierauf wurde S. eines Anschlags gegen die Person des Königs, um ihn zur Abdankung zu nötigen, des Mißbrauchs der höchsten Gewalt sowie eines verbrecherischen Umgangs mit der Königin angeklagt und, nachdem diese und er ihr strafbares Liebesverhältnis gestanden hatten, 6. April zur Hinrichtung verurteilt. Nach Bestätigung des Todesurteils durch den König erfolgte 28. April d. J. die Exekution, indem S. erst die rechte Hand, dann der Kopf abgeschlagen und der Rumpf zerstückelt wurde. Mich. Beer und Heinrich Laube haben sein Schicksal in Trauerspielen behandelt. Vgl. Höst, Graf S. und sein Ministerium (Leipz. 1826); Reverdil, S. et la cour de Copenhague 1760–1772 (hrsg. von A. Roger, Par. 1858); Jenssen-Tusch, Die Verschwörung gegen die Königin Karoline Mathilde und die Grafen S. und Brandt (Leipz. 1864); Wittich, Struensee (das. 1879); Blangstrup, Christian VII. og Caroline Mathilde (Kopenh. 1890); N. Lassen, Den Struenseeske Proces (das. 1891).

3) Gustav Otto von (Pseudonym Gustav vom See), Romanschriftsteller, Großneffe der vorigen, geb. 13. Dez. 1803 zu Greifenberg in Pommern, gest. 29. Sept. 1875 in Breslau, studierte in Bonn und Berlin die Rechte, wurde 1834 Regierungsrat in Koblenz und 1847 Oberregierungsrat in Breslau. 1863 war er liberales Mitglied des preußischen Landtags, 1866 trat er in Ruhestand. Unter seinen ältern Romanen (gesammelt Bresl. 1867–69, 18 Bde.; neue Ausg. 1876, 6 Bde.) verdienen »Rancé« (1845), »Die Egoisten« (1853), »Vor fünfzig Jahren« (1859) und »Herz und Welt« (1862) hervorgehoben zu werden. Seine stärkste Produktivität entfaltete der talentvolle und gebildete Erzähler in den letzten Jahrzehnten seines Lebens, wo er unter andern die Romane: »Wogen des Lebens« (Bresl. 1863, 3 Bde.); »Gräfin und Marquise« (Leipz. 1865, 4 Bde.) mit der Fortsetzung »Ost und West« (Bresl. 1865, 4 Bde.), »Arnstein« (das. 1868, 3 Bde.), »Valerie« (das. 1869, 4 Bde.), »Falkenrode« (Hannov. 1870, 4 Bde.), »Krieg und Friede« (Berl. 1872, 4 Bde.), »Gänseliese« (Hannov. 1873, 3 Bde.), »Ideal und Wirklichkeit« (das. 1875, 3 Bde.), »Erlebt und erdacht«, Novellen (das. 1875, 2 Bde.), »Die Philosophie des Unbewußten« (das. 1876, 3 Bde.) etc. erscheinen ließ.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 132-133.
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