Algĕbra

[306] Algĕbra (v. arab., Math.), der Theil der Arithmetik, der sich mit der Lösung solcher Aufgaben beschäftigt, in denen der Werth einer od. mehrerer Zahlen gefunden werden soll, nachdem das Resultat bekannt ist, welches aus irgend welchen Rechnungsoperationen mit jener zu bestimmenden Zahl hervorgeht. Solche Aufgaben heißen algebraische Aufgaben, u. sie unterscheiden sich von den übrigen Aufgaben der Arithmetik, welche das Resultat zu bestimmen verlangen, zu dem man durch vorgeschriebene Rechnungsoperationen mit gegebenen Größen gelangt. So ist es eine nicht algebraische Aufgabe, zu bestimmen, was man erhalte, wenn man 8 mit 15 multiplicire u. das Resultat durch 6 dividire; dagegen ist es eine algebraische Aufgabe zu bestimmen, welche Zahl es sei, welche wieder zum Vorschein kommt, wenn man die Summe von ihr u. 5 mit 3 multiplicirt, u. vom Product 29 abzieht. Das Verfahren der A. besteht darin, für die noch unbekannte Größe ein Zeichen zu wählen (gewöhnlich einen Buchstaben vom Ende des Alphabets x, y, z, u, v); dasselbe auf die in der Aufgabe vorgeschriebene Weise durch Rechnungszeichen mit anderen Zahlen zu verbinden, zieht hieraus sich ergebende Ausdrücke von gleichen Werthe zu einer Gleichung zusammenzustellen u. aus dieser nach Anleitung arithmetischer Grundsätze u. Lehrsätze der einen Seite des Gleicheheitszeichens die unbekannte Größe allein, auf der andern aber ein Ausdruck steht, der nur bekannte Größen enthält. So würde aus obiger algebraischer Aufgabe die Gleichung anzusetzen sein (x + 5) 3 - 29 = x u. dieselbe würde wie folgt umzuformen sein: 3x + 15 - 29 = x; 3x - x = 29 - 15; 2x = 14; x = 7. Eine solche Gleichung, welche zur Bestimmung einer in ihr vorkommenden unbekannten Größe führen kann, heißt eine algebraische Gleichung im Gegensatz zu analytischen od. identischen Gleichungen, in denen die eine Seite nur eine Umformung der andern Seite od. auch genau denselben Ausdruck enthält, wie z.B.

Algĕbra

Hiernach nennt man auch die A. den Theil dei Mathematik, welcher lehrt, unbekannte Größen durch Hülfe der Gleichungen zu finden (s. Gleichung) Da die A. sich der Buchstaben für gewisse Größen u. kurzer Zeichen zum Ausdruck der Rechnungsoperationen bedient, wie dieß in der Buchstabenrechnung gelehrt wird, so versteht man oft die[306] letztere unter dem Namen A., während sie streng genommen nur das Instrument ist, welches die A. voraussetzt (s. Buchstabenrechnung). Es hat aber hierin noch seinen Grund, daß die in der Buchstabenrechnung vorkommenden positiven u. negativen Zahlen in neuerer Zeit algebraische Zahlen genannt zu werden pflegen u. daß algebraische Summe die Summe mehrerer theils positiver, theils negativer Zahlen bedeutet. Die A. läßt sich wie auf alle anderen Größen auch auf geometrische Größen anwenden, u. der Theil der Mathematik, welcher geometrische Aufgaben mittelst A. zu lösen lehrt, heißt algebraische Geometrie. Die niedere A. beschäftigt sich mit Gleichungen vom 1. u. 2. Grade, die höhere mit solchen vom 3. u. noch höheren Graden (s. Gleichung); auch theilt man sie innumerische A. (A. numerosa), in welcher die in der Aufgabe vorkommenden bekannten Größen bestimmte Zahlen sind, wie in obiger Aufgabe (x + 5) 3 - 29 =x; u. symbolische A. (A. literalis, A. speciosa), in welcher die bekannten Größen unter der Form allgemeiner Größen erscheinen u. sowie die unbekannten seit Vieta durch Buchstaben (Litera, Species) bezeichnet werden. Gewöhnlich bedient man sich für dieselben der Buchstaben aus dem Anfange des Alphabets. So würde obige Aufgabe allgemein ausgedrückt lauten (x + a) b - c x u. die Auflösung derselben würde sein

Algĕbra

Die A. kam durch die Araber nach Europa. Muhammed Ben Mussa soll ihr Erfinder gewesen sein; wahrscheinlich lernten sie solche von den Griechen. Diophantos aus Alexandria schrieb im 4. Jahrh. n. Chr. das erste Werk über A. u. löste darin schon reine Gleichungen des 2. Grades. Durch die Mauren kam die A. nach Spanien, u. von da nach Italien. 1434 schr. Lucas Paiolus: Summa de arithmetica geometria proportioni e proportionalità, ebenso I. Regiomontarus ein Werk über Trigonometrie, in dem man Spiren der A. findet. Im 16. Jahrh. beschäftigten in Italien sich vorzüglich mit der A.: S. Ferreo zu Bologna, A. Florido in Florenz, N. Tarlmea zu Venedig u. Cardan in Mailand. Tarmlea u. Cardan erfanden Auflösungen für einige kubische Gleichugen (daher die Cardanische Regel). Im Jahre 1514 erschien eine Schrift über A. von Chr. Rudolph aus Schlesien. Ihm folgten in Deutschland M. Stifel u. I. Scheibel. Ein Niederländer, S. Stevinus, gab 1585 in einem Werke zuerst den Potenzen Namen nach ihren Exponenten, F. Vieta gebrauchte am Ende des 16. Jahrh. zuerst Buchstaben. Im 17. u. 18. Jahrh. ward die A. durch Girard, Descartes, Taylor, Raphson, Nicole, Newton, Leibnitz, Lembert, Euler, Alembert, Hindenburg u. Kästner ausgebildet. Newton gab neue Aufschlüsse über die Grenzen der Wurzeln der Gleichungen u. suchte dieselben durch unendliche Reihen; Leibnitz u. Nicole beschäftigten sich viel mit dem Casus irreducibilis; Euler vervollkommnete Newtons Methode, Wurzeln durch unendliche Reihen zu finden, erfand eine Methode, Gleichungen des 4. Grades aufzulösen, u. wandte do Differentialrechnung zuerst zur Auflösung der Gleichungen an. Neuere Literatur: Eger, Handbuch der allgemeinen Arithmetik, Berlin 1834, 2 Bde.; dessen Algebra, übersetzt von Grüson, Berl. 1821; v. Borcke, Anweisung zur Zahlen- u. Buchstabenrechnung, sowie zur A., Lpz. 1836, 3 Th.; Casparin, Lehrbuch der A., Koblenz 1836; Eytelwein, Anweisung zur Auflösung der höheren numer. Gleichung etc., Berl. 1837; Gräf, Handbuch der A., Frkf. 1837; Öttinger, Lehrbuch der Arithmetik u. A., Freiburg i. Br. 1837; Nizze, A., Prenzl. 1838; Lacroix, Elémens d'Algebre, Par. 1836; Bezout, Algebre (neue Ausgabe von Reynaud), ebd. 1829; Garnier, Elém. d'Alg., ebd. 1811.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 306-307.
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