[61] Chloroformiren, durch Einathmung von Chloroform betäuben. Vom Professor Simpson in Edinburgh (1847) in der chirurgischen u. geburtshülflichen Praxis eingeführt, ist es wegen seiner rascher u. leichter eintretenden Wirkung bald dem Ätherisiren (mit Schwefeläther) vorgezogen worden. Beim Ch. ist das oft so lästige Stadium der Aufregung weit milder u. flüchtiger, die Wirkung sicherer u. vollkommener. Die zum Ch. verwendete Dosis beträgt im Durchschnitt 23 Quentchen, 1 Loth muß als Maximum gelten. Die Begeisterung, welche die Vorzüge des Ch. unter den Ärzten hervorriefen, verwandelte sich aber bald in Mißtrauen gegen dasselbe, als allenthalbenher von Todesfällen bei Anwendung des Chloroform gemeldet wurde, u. nur nach u. nach erst gelangte das Ch. wieder zu Ansehen u. gilt heute noch als das vorzüglichste Betäubungsmittel. So viel aber hat sich erwiesen, daß Chloroform in der Hand des Ungeübten weit gefährlicher ist als Schwefeläther, indem bei letzterem die Narkose zwar langsamer erfolgt, aberzeitig genug warnende Symptome eintreten. Der Tod beim Ch. kann durch zu concentrirtes Einathmen erfolgen, u. zwar durch Erstickung u. Blutvergiftung. Der Apparat, womit man chloroformirt, must durchaus der atmosphärischen Luft Zutritt gestatten,[61] sonst können schon sehr kleine Mengen schnellen Tod bedingen. Anfangs glaubte man, Nase u. Mund hermetisch schließen zu müssen, u. construirte dazu mancherlei Apparate; später bediente man sich ganz einfach eines vor die Nase gehaltenen u. mit Chloroform befeuchteten Tuches, das man nur vor die Nase hält, ohne die Luft ganz abzuschließen. Am sichersten meidet man die Gefahr zu concentrirter Chloroforminhalation durch Anwendung einer Mischung von reinem Äther u. Chloroform (nie mehr als 1/4). Die Hauptregel für das Ch. ist, sich eines völlig reinen Chloroforms zu bedienen (das Chloroform [s.d.] wird im Handel sehr verfälscht). Als Zeichen der eingetretenen Wirkung des Ch-s ist die Verlangsamung des Pulses u. die Muskelerschlaffung anzusehen; alsdann ist das weitere Ch. einzustellen, sowie auch dann, wenn die gewöhnliche Dosis bereits verbraucht ist. Das Ch. ist bei leichten Operationen zu vermeiden, auch bei denjenigen Operationen, wo mangelndes Bewußtsein des Patienten Gefahr bringen könnte, wie z.B. bei Operationen im Munde, wo der Kranke das Blut von sich geben muß. Auch bei bevorstehendem starken Blutverlust ist das Ch. nur mit Vorsicht anzuwenden, u. bei manchen Krankheitszuständen bedarf die Entscheidung darüber der größten Umsicht des Arztes. Simpson wendete das Ch. zuerst in der Geburtshülfe an bei natürlichen sowie künstlichen Geburten. Jedoch ist von vielen Seiten dagegen gestimmt worden; indem die die Geburt befördernden Wehen gar leicht gestört werden u. bei künstlichen Geburten der Arzt durch Ch. u. Aufhebung des Gefühls der Kreisenden für seine leichtverletzenden Instrumente den Wegweiser verliert. Beim Kaiserschnitt jedoch ist es ein wichtiges u. schätzbares Mittel, ebenso wie bei manchen Krampfzuständen (Strictur) der Gebärmutter, welche Nachgeburtsoperationen oft so sehr erschweren. Übrigens sind die Vortheile des Ch-s bei Operationen für den Patienten sowie für den Arzt schätzenswerth genug. Dem Kranken wird nicht nur der Schmerz bei der Operation erspart, sondern auch die Angst vor derselben. Indem dadurch das Nervensystem weit weniger ergriffen wird, als dies sonst wohl der Fall sein dürfte, geht die Heilung der Wunde besser von Statten. Ferner entschließt sich mancher Kranke zur Operation früher als dies sonst geschah, u. davon hängt das Gelingen der Operation in vielen Fällen ab. Der Arzt kann kühnere Eingriffe machen, wird nicht von dem Patienten beunruhigt, kann schleuniger zum Ziele kommen od. umsichtiger verfahren. Außer zu Operationen hat man das Ch. noch in allerlei bes. krampfhaften od. schmerzhaften Krankheiten zur Erleichterung, Beruhigung od. auch Heilung des Patienten verwendet, u. die Erfahrung hat gelehrt, daß dadurch die Krampfanfälle, z.B. bei der sogenannten Fallenden Sucht, eingestellt, abgekürzt od. wenigstens gemildert werden. Ebenso hat man es in einigen Fällen der ausgebrochenen Hundswuth bei Menschen mit Vortheil, zwar nicht zur Heilung, aber zur Milderung der Anfälle wirken sehen. In schmerzhaften Krankheiten, wie in dem sogenannten acuten Rheumatismus, hat es gute Dienste geleistet, einestheils dadurch, daß man solche Kranke, bes. wenn sie über den ganzen Körper hin davon befallen sind, im narkotisirten Zustande verlegen u. transportiren kann, ohne durch heftigen Schmerz den Zustand des Kranken zu verschlimmern; anderntheils dadurch, daß man die, in den befallenen Gelenken wie gewöhnlich gekrümmten Glieder ohne Schmerz gerade richten kann u. somit der Gefahr eines nach abgelaufener Krankheit im Gelenke gekrümmten Gliedes entweicht, was nicht immer durch die Operation (den sogenannten Sehnenschnitt) zu beseitigen gelingt. Eine bes. auch für die gerichtliche Medicin nicht unwichtige Verwendung des Ch. zur Entdeckung sogenannter simulirter Krankheiten, zumal äußerer Gebrechen, hat schon öfters sicher u. schnell Aufschluß u. Entscheidung gegeben, denn in der durch Ch. bewirkten Betäubung hört alle Simulation, zumal äußerer Leiden u. Gebrechen, auf. In neuester Zeit hat man das Ch. zur Tödtungdes Schlachtviehes angewandt; dasselbe erleichtertnicht nur das Schlachten, sondern hält auch das Fleisch länger frisch. Vgl. Martin u. Biswanger, Das Chloroform in seiner Wirkung auf Menschen u. Thiere, Lpz. 1848; Weiger, Beweise der Unschädlichkeit des Schwefeläthers u. der Nachtheile des Chloroforms, Wien 1850; Jungken, Anwendung des Ch. bei Augenoperationen (Deutsche Klinik 1851); Berend, Zur Chloroformcasuistik (Hannov. 1850) u. zur Chloroformfrage, 2. Beitrag, Bresl. 1852.