Metternich [2]

[198] Metternich, altes rheinländisches Dynastengeschlecht, welches schon als reichsfreiherrlich Stimmrecht auf den Reichstagen hatte. Die von den 12 früheren Linien noch bestehende einzige Linie, M.-Winneburg, ist seit 1697 reichsgräflich u. seit 1803 reichsfürstlich; doch führte zu Reichszeiten nur der Chef des Hauses den Titel Fürst, erst seit 1813 führen denselben alle Glieder des Hauses. 1814 erhielt der Fürst vom Kaiser das Recht, das lothringische Wappen zu führen u. 1816 vom König beider Sicilien den Titel als Herzog von Portella. Die Hauptbesitzungen des Hauses lagen ehedem auf dem linken Rheinufer; die M. erwarben die Lehn nach dem Aussterben der früheren Besitzer durch den Erzbischof Lothar (s. M. 1). Als beim Lüneviller Frieden diese Besitzungen an Frankreich verloren[198] gingen, wurden die M. 1802 durch die ehemalige Reichsabtei Ochsenhausen in Schwaben (bestehend aus dem Flecken Ochsenhausen, 22 Dörfern, 14 Meiereien, 6300 Ew., 70,000 Gulden Einkünfte) entschädigt. Diese Besitzung wurde 1806 zu Gunsten Württembergs mediatisirt, u. die nunmehrige Standesherrschaft Ochsenhausen erhielt den Titel eines Fürstenthums Winneburg. 1825 verkaufte der Fürst M. die Standesherrschaft Ochsenhausen an den König von Württemberg. Die jetzigen Besitzungen dieses Hauses sind in Böhmen: die mit den Gütern Katzerow, Biela u. Kraschau vereinigte Herrschaft Plaß (6 QM. u. 56 Ortschaften), die Herrschaft Königswart mit Miltigan, Amons- u. Marcusgrün (2,15 QM. u. 23 Ortschaften); in Mähren: die Herrschaft Brezezowitz; am Rhein: die Güter Gramme, Bronbach, Oberche, Reinhardstein u. die Domaine Johannisberg; am Bodensee das Gut Hersberg. Wappen: 3 schwarze Muscheln in Silber, im Herzschild das lothringische Wappen. Merkwürdig sind: 1) Lothar, geb. 1551, wurde 1599 Erzbischof von Trier u. st. 1623. 2) Lothar Friedrich, 1673–1675 Erzbischof von Mainz, s.d. (Erzb.). 3) Karl Heinrich, Vetter von M. 1), wurde 1699 Erzbischof von Mainz u. st. in demselben Jahr. 4) Philipp Emmerich, wurde von seinem Vetter M. 1) nach dem Erlöschen der Linien Winneburg u. Beilstein, mit den Gütern derselben belehnt u. 1697 in den Grafenstand erhoben. 5) Fürst Georg, geb. 1746 in Coblenz, wurde 1773 österreichischer Gesandter in Mainz, Trier, Köln, so wie im Westfälischen Kreise, 1790 Wahlbotschafter bei der Wahl u. Krönung Leopolds II., 1791–94 dirigirender Minister in den Niederlanden, österreichischer Principalcommissarius bei dem Rastadter Congreß u. 1810 in Abwesenheit seines Sohnes provisorischer Minister des Auswärtigen; er war vermählt mit Beatrix Aloysia geb. Gräfin v. Kagenegg u. st. 1818. 6) Fürst Clemens Wenzeslaus Lothar, Sohn des Vor., geb. 15. Mai 1773 in Coblenz, studirte seit 1788 in Strasburg, war 1790 Cermonienmeister bei der Krönung des Kaisers Leopold II., setzte dann bis 1794 das Studium der Rechte in Mainz fort, bereiste darauf England, wurde 1795 österreichischer Gesandter im Haag, trat als Diplomat bei dem Rastadter Friedenscongreß als Gesandter des Westfälischen Grafencollegiums auf, wurde 1801 österreichischer Gesandter in Dresden, 1803 in Berlin, 1806 auch in Paris u. nach dem Feldzuge von 1809 Staatsminister u. im Octbr. an Stadions Stelle Minister des Auswärtigen, als welcher er zu Ungarisch Altenburg den Frieden mit Champagny verabredete; erbegleitete dann die Erzherzogin Marie Luise nach Paris u. war im Mai 1812 bei der Zusammenkunft des Kaisers Franz II. mit Napoleon. Während des Feldzuges in Rußland that er Alles, um den Kaiserstaat im entscheidenden Augenblick gerüstet in die Schranken treten lassen zu können. Auf seine Mahnung wurde 1813 hauptsächlich der Waffenstillstand geschlossen, u. als alle Mittel, die kriegführenden Mächte zum Frieden zu bringen, wobei M. in Prag selbst die Unterhandlungen leitete, an Napoleons Hartnäckigkeit scheiterten, entwarf er selbst die Kriegserklärung Österreichs gegen Frankreich u. unterzeichnete am 9. Septbr. die Quadrupelallianz zwischen Österreich, Rußland, England u. Preußen. Am Abend nach der Schlacht von Leipzig ertheilte ihm Kaiser Franz für sich u. seine Nachkommen die österreichische Fürstenwürde, Thätig wirkte er auch in Frankfurt, Freiburg Basel, Langres u. Chaumont u. ließ kein Mittel unversucht, um Napoleon zum Frieden zu bewegen, dirigirte den Congreß in Chatillon vom Hauptquartier des Kaisers aus u. pflog von Dijon aus mit dem Grafen Artois Unterhandlungen; ging dann nach der Eroberung von Paris dahin, unterzeichnete den Tractat von Fontainebleau u. den Frieden von Paris, reiste hierauf nach London u. führte auf dem Congreß in Wien den Vorsitz bei den Unterhandlungen. Statt des bisherigen Besitzers, Marschall Kellermann, erhielt er den Johannisberg (s.d.). Er nahm als österreichischer Bevollmächtigter an den Verhandlungen des zweiten Pariser Friedens 1815 Theil u. schloß dann in Mailand 1816 den Vertrag mit Baiern. Im Februar 1816 ernannte ihn der König beider Sicilien zum Herzog von Portella mit 60,000 Ducaten Einkünften. 1818 war er österreichischer Bevollmächtigter auf dem Congreß in Aachen, präsidirte 1819 bei den Karlsbader Beschlüssen, leitete 1820 in Wien die Beschlüsse zur Vervollständigung der Deutschen Bundesacte, wohnte den Congressen in Troppau u. Laibach bei, erhielt 1821 den Titel eines kaiserlich königlichen Haushof- u. Staatskanzlers, führte dann die Verhandlungen auf dem Congresse in Verona, war bei der Zusammenkunft des Kaisers von Österreich mit dem Kaiser von Rußland in Czernowitz im Sept. 1823, unterhandelte später mit Nesselrode, wurde 1824 Präsident der Ministerialconferenzen für die inneren Angelegenheiten, reiste 1825 nach Paris u. ordnete dort mehre diplomatische Angelegenheiten, erhielt 1826 vom König von Spanien den Rang als Grand erster Klasse u. den Herzogstitel. 1830 benahm er sich nach der Julirevolution in Paris sehr vorsichtig u. gemäßigt, obschon er den Nachwirkungen der Revolution überall fest u. sicher entgegentrat. Beim Tode des Kaisers Franz I., 1835, blieb M. in seiner Stellung u. setzte seine conservative Friedenspolitik fort, hielt die Würde Österreichs überall aufrecht, sorgte bes. für das Übergewicht in Italien u. trug wesentlich zur Erhaltung des Friedens, auch bei dem Conflict wegen der Orientalischen Frage, 1840 u. 1841, bei. Sein Werk war der Tractat vom 13. Juli 1841, durch welchen Frankreich wieder in den Bund der Großmächte eintrat; seitdem die Tories in England wieder am Ruder waren, verband er sich immer inniger mit England, um dem Übergewicht Rußlands entgegenzuwirken, bes. in Bezug auf die Türkei u. Griechenland. Den ruhigen Gang seiner Staatsverwaltung störte im Febr. 1846 der polnische Aufstand in Galizien. Eine Folge des wiederhergestellten Einvernehmens mit Rußland war der Wiener Vertrag vom 6. Nov. 1846, wodurch der Freistaat Krakau dem österreichischen Kaiserstaate einverleibt wurde. Als 1847 die Bewegung, welche die Reformen des Papstes Pius IX. in Italien hervorgerufen hatten, die Macht Österreichs dort zu erschüttern drohten, mißbilligte M. das Verfahren des Papstes offen u. hielt in der Lombardei das zeither befolgte System streng aufrecht, bewilligte aber dem Grafen Radetzki die von diesem verlangte Vermehrung der Streitmacht nur unvollständig. In den deutschen Erbstaaten erweckte die Berufung des preußischen allgemeinen Landtages nach Berlin u. die Verhandlungen desselben auch in Österreich das Verlangen nach[199] gleichmäßiger Erweiterung der ständischen Rechte. Die Stände mehrer Provinzen faßten darauf begehrliche Beschlüsse, denen M. zwar entgegentrat, dennoch aber zu einigem Nachgeben entschlossen schien, was sich bei der Versammlung der niederösterreichischen Stände, die auf den 10. März 1848 nach Wien berufen waren, offenbaren sollte. Ungleich geneigter bewies sich M. gegen Ungarn, wo dem am 11. Nov. 1847 in Presburg eröffneten Reichstage mehre Gesetzvorschläge vorgelegt wurden, welche alle die Verbesserung der Lage des Landes u. den Fortschritt bezweckten. Bei den Wirren in der Schweiz unterstützte M. die katholischen Cantone, u. nur der Einspruch Englands u. der rasche Sieg Dufours im Sonderbundskriege hinderte ihn, den Erfolg der radicalen Sache aufzuhalten. In Frankreich war M. mit der Politik Louis Philipps u. seines Ministers Guizot einverstanden. Bei dem nach der Februarrevolution auch in Österreich losbrechenden Sturme wollte er Anfangs nicht weichen, indeß da sich gegen ihn die allgemeine Stimme richtete, so erhielt er vom Kaiser noch am Abend des 13. März 1848 seine Entlassung. Persönlich gefährdet, nachdem das Volk bereits seine Villa am Rennwege angegriffen hatte, ging er durch Böhmen über Dresden u. Leipzig nach Holland u. England. Am 6. April erreichte er unter dem Namen. eines Grafen von Miltigau den Haag u. am 19. London, wo er von Seiten der hohen Aristokratie des Landes eine zuvorkommende Aufnahme fand. Anfang November 1849 siedelte er nach Brüssel über, bezog in der ersten Hälfte des Juni 1851 den Johannisberg im Rheingau, kehrte am 23. Sept. 1851 nach Wien zurück u. st. 11. Juni 1859. M. war vermählt zuerst seit 1795 mit Gräfin Eleonore von Kaunitz (st. 1825); dann seit 1827 mit Marie Autonie von Leykam, Gräfin von Beilstein (st. 1829); seit 1831 mit Melanie Marie Antonie, Gräfin von Zichy-Ferraris. Er hatte aus seinen drei Ehen drei Söhne u. drei Töchter. Vgl. Fürst Clemens von M. u. sein Zeitalter, von M. G. Rieder, Ludwigsburg 1836; Schmidt-Weißenfels, Fürst M. Geschichte seines Lebens u. seiner Zeit, Prag 1860. Jetziger Chef ist: 7) Fürst Richard, ältester Sohn des Vor. aus der zweiten Ehe, geb. am 7. Jan. 1829, widmete sich der diplomatischen Laufbahn, wurde Legationssecretär bei der österreichischen Gesandtschaft in Paris, im April 1856 außerordentlicher Gesandter u. bevollmächtigter Minister Österreichs an den sächsischen Höfen, während des italienischen Feldzuges von 1859 nach Verona berufen, um beim Kaiser das Referat für die Auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen, u. ging nach der Unterzeichnung des Friedens von Zürich als Botschafter Österreichs nach Paris (accreditirt 15. Nov. 1859). Er ist seit 1856 vermählt mit Pauline geb. Gräfin von Sandor.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 198-200.
Lizenz:
Faksimiles:
198 | 199 | 200
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon