Tag [1]

[200] Tag, 1) eigentlich im Gegensatz zur Nacht, die Zeit während welcher die Sonne sich über dem Horizont eines bestimmten Orts befindet, also von ihrem Aufgang bis zu ihrem Niedergang (wirklicher T.). Unter dem Äquator, wo die Polhöhe = 0 ist, währet der T. das ganze Jahr hindurch 12 Stunden; am Nordpole dagegen, wo der Pol im Zenith u. der Äquator im Horizont liegt, dauert der T. ohne Unterbrechung von der Frühlingsnachtgleiche an bis zur Herbstnachtgleiche, weil zum erstren Zeitpunkt die Sonne durch den Äquator in die nördliche Hälfte der Ekliptik übertritt u. folglich während 24 Stunden einen Kreis am Himmel parallel dem Horizont zu beschreiben scheint, welcher bis zur Sommersonnenwende (21. Juni) allmälig immer höher (bis zu 45°) steigt u. dann bis zur Herbstnachtgleiche wieder auf 0 (Horizont) fällt; es wird dann also während dieser ganzen Zeit gar nicht Nacht, so wie in der andern Hälfte des Jahrs gar nicht T. Am Südpol ist es umgekehrt; hier beginnt der T. mit der Herbstnachtgleiche u. endigt mit der Frühlingsnachtgleiche. In den zwischen den beiden Polen u. dem Äquator gelegenen Breiten ist die Länge des Tages nach den verschiedenen Jahreszeiten sehr verschieden, in der nördlichen Hemispäre am längsten um die Zeit der Sommersonnenwende, den 21. Juni, wo derselbe in der Mittlern gemäßigten Zone gegen 17 Stunden dauert, ohne die Dämmerung zu rechnen; am kürzesten hingegen um die Zeit der Wintersonnenwende, den 20. December, wo die Sonne eben da sich nur gegen 8 Stunden über dem Horizont befindet. In der südlichen Hemisphäre umgekehrt. Zweimal im Jahre ist sich T. u. Nacht über dem ganzen Erdboden gleich, nämlich um die Zeit der Nachtgleiche, den 20. März u. 23. September; 2) (Astronomischer T.), die Zeit einer Achsendrehung der Erde, u. zwar entweder in Bezug auf den Fixsternhimmel von der Culmination eines Fixsterns bis zur nächstfolgenden, Sterntag; od. in Bezug auf die Sonne die Zwischenzeit zwischen zwei auf einander folgenden oberen Kulminationen, der Sonne, wahrer Sonnentag; od. in Bezug auf einen gedachten Punkt, welcher immer zur Frühlingsnachtgleiche mit der Sonne zusammenfällt, sonst aber mit gleichmäßiger Geschwindigkeit sich im Äquator fortbewegt, Sonnentag nach mittlerer Zeit; der letztere ist der, nach welchem alle bürgerliche Zeit bei uns gerechnet wird (s. Mittlere Zeit). Bei den Hebräern wurde der T. von Sonnenuntergang bis wieder dahin berechnet (während Perser u. Babylonier von Sonnenaufgang anfingen), ohne ihn weiter einzutheilen, höchstens unterschied man Morgen, Mittag, Abend, nach Verrichtung des bürgerlichen Lebens. Nach dem Exil aber kannten die Hebräer die Abtheilung des Tages in Stunden, was sie unstreitig den Babyloniern verdankten. Jeder T. hatte, so wie die Nacht, 12 Stunden, welche nach Verschiedenheit der Jahreszeit an Länge verschieden waren. Übrigens zählten die Hebräer die Tage, während die Ägyptier sie nach den Planeten nannten. Auch die Griechen hatten Anfangs ihre Tage, welche sie ebenfalls mit Sonnenuntergang anfingen, nicht in besondere Theile abgetheilt, sondern bezeichneten sie nach dem Stand der Sonne (Morgen, Mittag, Abend), od. nach den Geschäften des bürgerlichen Lebens, z.B. zur Zeit, wo der Markt sich anfüllt, wenn die Stiere vom Pflug gespannt werden etc. In späterer Zeit wurde auch hier, namentlich bei den Athenern, die Eintheilung in Stunden eingeführt, u. diese, so wie die Tage selbst, nach ägyptischer Weise nach den Planeten benannt. Übrigens unterschied man auch schon Tage nach[200] den Geschäften des Lebens, als Werkel- u. Festtage. In Italien bestimmten die Etrurier den T. nach dem höchsten Stand der Sonne, worin ihnen die Umbrer nachfolgten, während die Römer denselben mit Mitternacht begannen, bürgerlicher T. (Diescivilis), woneben sie jedoch auch einen natürlichen T. (Dies naturalis), vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne, hatten. Früher kannte man nur die Benennungen Aufgang u. Untergang der Sonne, später wurde der Mittag noch hinzugefügt, welcher durch einen Stundenrufer angezeigt wurde; es geschah, wenn die Sonne von der Curie aus gesehen zwischen den Rostra u. der Gräcostasis hervortrat. Erst als man die Sonnenuhren kennen lernte, hörte diese Bezeichnung auf. Die Eintheilung des natürlichen Tages War in vier Tageszeiten: prima (nämlich Hora), nach unserer Rechnung früh 6 Uhr; tertia, früh 9 Uhr; sexta, Mittag 12; nona, Nachmittag 3 Uhr; u. verschiedene Nachtzeiten, welche in nicht officieller Sprache als Vespera, Nox media, Gallicinium, Diluculum bezeichnet wurden; strenger war die Eintheilung der Nacht bei dem Militär in Vigilia prima, secunda, tertia, quatra, nach der Zeit der Ablösung der Nachtwachen. Griechen u. Römer gaben mehre Tage des Jahres als Unheil bringend an, an denen nicht ohne Gefahr irgend etwas unternommen weiden könne, solche Tage waren bes. die, an denen einmal eine Schlacht verloren, ein Verbrechen entdeckt, dem Staate ein Unheil widerfahren war etc., sie hießen unglückliche Tage (s. Anesimoi, Atri dies, Ägyptischer Tag etc.). Der T. wird bei den meisten jetzigen europäischen Nationen in zwei Hälften: von Mitternacht bis Mittag (Vormittag) u. von Mittag bis Mitternacht (Nachmittag), jede von 12 Stunden, eingetheilt, nur in Italien (Toscana ausgenommen) zählt man die Stunden von Sonnenuntergang anfangend, von 1 bis 24, u. hat, da bei dieser Bestimmungsart der Mittag nicht zu jeder Zeit auf die gleichnamige Stunde fällt, im römischen Kalender eigene Tabellen für die Stunden der Sessionen, des Mittagsessens etc. angefertigt. Im Mittelalter war diese Art die Stunden zu bezeichnen auch in Deutschland u. in manchen Reichsstädten noch vor etwa 50 Jahren üblich. Vgl. Wochentag. 3) Im Gegensatze mit den unterirdischen in ewiger Nacht sich befindenden Räumen, alles auf der Oberfläche der Erde befindliche u. vom Tageslicht Erleuchtete. Am od. über Tage heißt daher so viel, als auf der Erde, es mag im Freien od. innerhalb eines Gebäudes sein.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 200-201.
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