Bayern

184. Bayern.
184. Bayern.
Bayern, Württemberg, Baden und Elsass-Lothringen. I. (Karten)
Bayern, Württemberg, Baden und Elsass-Lothringen. I. (Karten)

[166] Bayern, Königreich, zweitgrößter Staat des Deutschen Reichs, 75.865 qkm, besteht aus dem größern östl. Hauptteil (69.928 qkm), dem Donau-, Main-und zu einem kleinen Teil dem Elbgebiete angehörend, und aus dem westl. vom Rhein gelegenen kleinen Gebietsteile der Pfalz (Rheinpfalz, Rhein-B.; 5937 qkm). [Karte: Bayern, Württemberg etc.] Hauptgebirge: im S. die Allgäuer und Bayrischen sowie die Berchtesgadener (Salzburger) Alpen; an diese nördl. angelehnt die Schwäbisch-Bayrische (Oberdeutsche) Hochebene; an der Ostgrenze der Böhmerwald, in der Mitte der Fränkische Jura; im NO. das Fichtelgebirge und der Frankenwald; im NW. das Rhöngebirge, dem sich südwestl. der Spessart anschließt, links vom Main der Odenwald; in der Pfalz die Hardt. Wichtigste Ströme: die das Hauptland von W. nach O. durchströmende Donau (Nebenflüsse rechts: Iller, Lech mit Wertach, Isar, Inn mit Salzach; links: Wörnitz, Altmühl, Naab, Regen, Ilz) und der nördl. entgegengesetzt fließende Main (Nebenflüsse rechts: Rodach, Itz, Fränkische Saale; links: Regnitz), durch den Ludwigs-Donau-Main-Kanal verbunden. Seen: Ammer-, Würm- oder Starnberger, Tegern-, Chiem-, Walchen-, Königssee etc. Der Bodensee gehört B. nur bei Lindau an. Das Hochland hat bedeutende Sumpfebenen (»Moose« oder »Riede«).

Bodenkultur. Gegen 41 Proz. (46.295 qkm) des Flächenraums Ackerland, in den Alpengegenden bes. Viehzucht vorherrschend. Ausgedehnte Forste (26.073 qkm, wovon 9462 Staatsforsten), beträchtlicher Bergbau, bes. in Eisen, Stein-, Braunkohlen, Graphit und Salz. Berühmte Mineralquellen in Unterfranken und Oberbayern.

Die Bevölkerung 1900: 6.176.057 E. (4.357.133 Katholiken, 1.739.695 Protestanten, 54.928 Juden). Die geistige Kultur des Landes wird neben Volksschulen, Schullehrerseminaren (12), Realschulen (54), Progymnasien (30), Realgymnasien (5), Gymnasien (44) etc. auf je einer Technischen und Tierärztlichen Hochschule (München) und drei Universitäten (München, Würzburg, Erlangen) gepflegt. Die Künste haben sich bes. seit Ludwig I. einer besondern Fürsorge seitens der Regierung zu erfreuen (Akademie der bildenden Künste in München).

Die Industrie, im Mittelalter blühend, in gewissen Zweigen noch sehr bedeutend: Maschinen, Eisen- und Stahlwaren, Gold- und Silberarbeiten, Goldschlägerei, Graphitgeschirre, Spinnereien, Glaswaren, optische Instrumente, Spielwaren, Chemikalien, Brannt-, Schaum- und Obstwein, vor allem die Bierbrauerei. Lebhafter Handel bei ausgezeichneten Verkehrsmitteln (1904: 6225 km Eisenbahnen, 18.933 km Telegraphenlinien mit 52.406 km Leitungen, 4879 Post-, 3338 Telegraphenanstalten).

Kirchliche Verhältnisse. Die kath. Kirche gliedert sich in 2 Erzbistümer (München-Freising und Bamberg) und 6 Bistümer (Augsburg, Regensburg, Passau; Eichstätt, Speyer, Würzburg). Die prot. Kirche steht unter den Oberkonsistorien zu München und (Pfalz) zu Speyer.

Verfassung und Verwaltung. Staatsform die konstitutionelle Monarchie auf Grund der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818; der Thron erblich nur im Mannsstamm des Hauses Wittelsbach nach dem Recht der Erstgeburt. Der König teilt die gesetzgebende Gewalt mit dem Landtage, der Kammer der Reichsräte (erbliche Würdenträger und vom König auf Lebenszeit ernannt) und der [166] Kammer der Abgeordneten (159), die seit 1848 aus allgemeinen indirekten Wahlen hervorgeht. Im Bundesrat hat B. 6 Stimmen, im Reichstag 48 Abgeordnete. Oberste beratende Behörde der Staatsrat (12 Staatsräte im ordentlichen, 16 im außerordentlichen Dienst), oberste Verwaltungsbehörde das Staatsministerium aus 6 Ministerien. Landeseinteilung in 8 Regierungsbezirke: Oberbayern, Niederbayern, Pfalz, Oberpfalz und Regensburg, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken und Aschaffenburg, Schwaben und Neuburg; jeder Regierungsbezirk in Verwaltungsbezirke (sog. unmittelbare Städte und Bezirksämter). Budget für die Finanzperiode 1904/5 in Einnahme und Ausgabe je 441.825.326 M; direkte Steuern 39.795.000 M; Zölle und indirekte Steuern 48.517.450 M; königl. Haus 5.402.475 M; Etat der Staatsschuld 57.860.870 M; Reichszwecke 34.963.313 M; Staatsschuld 1903: 1.728.656.849 M; darunter 1.351.139.800 M Eisenbahn-, 125.255.399 M Grundrentenschuld, 11.600.000 M Kulturrentenschuld. Matrikularbeiträge 24.806.973 M.

B. hat, abweichend von der allgemeinen Reichsverfassung, als Reservatrechte auch das Aufsichtsrecht über die Heimats- und Niederlassungsverhältnisse und die selbständige Verwaltung seines Post- und Telegraphenwesens. 9 Staatsorden; der vornehmste Orden der St. Hubertusorden. Wappen s. Abb. 184; Landesfarben weiß und blau.

Die bayr. Armee bildet einen selbständigen Bestandteil des Reichsheers mit eigener Verwaltung unter der Militärhoheit des Königs von B., im Kriegsfalle unter dem Oberbefehl des Deutschen Kaisers (s. die Beilage zu Deutschland). Festungen: Ingolstadt, Neuulm, Germersheim.

Geschichte. B., ursprünglich von den kelt. Bojern bewohnt, zu Augustus' Zeit als Prov. Noricum dem Röm. Reich einverleibt, wurde nach der Völkerwanderung von dem german. Völkerbunde der Bajuwarier in Besitz genommen, an deren Spitze vom 6. bis 8. Jahrh. unter fränk. Oberhoheit das Geschlecht der Agilolfinger stand. 788 wurde B. unter Tassilo III. dem Fränk. Reiche einverleibt. Nach dem Aussterben der Karolinger (911) wurde dem Lande in Arnulf II. (907-937), dem Sohne des bayr. Markgrafen Luitpold, ein eigener Herzog gegeben. Nach häufigem Wechsel der Herzöge (947-955 Kaiser Ottos I. Bruder Heinrich, 1061-70 Otto von Nordheim, dann die Welfen) und Abtrennung der Ostmark und Kärntens belehnte Kaiser Friedrich I. 1180 den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach (gest. 1183), den Stammvater der heutigen Dynastie, mit dem Herzogtum. 1214 erwarb das Haus die Rheinpfalz. Herzog Albrecht IV., der wieder die durch öftere Teilungen geschwächten bayr. Lande vereinigte, führte 1506 die Primogenitur und Unteilbarkeit ein. Seit dem 16. Jahrh. trat das Haus B., nächst dem Kaiser, an die Spitze der kath. Regierungen Deutschlands. Als Haupt der Liga zeichnete sich namentlich Maximilian I. (1597-1651) aus, der im Dreißigjähr. Kriege von der pfälz. Linie die Oberpfalz und die Kurwürde erwarb und auch im Westfäl. Frieden behauptete. Ihm folgte sein friedlicher und sparsamer Sohn Ferdinand Maria (1651-79). Dessen Sohn Maximilian II. Emanuel (1679-1726) schloß sich im Span. Erbfolgekriege an Frankreich an und stürzte dadurch sein Land in namenloses Elend. Sein Sohn Karl Albrecht (1726-45), als Karl VII. 1742 zum Deutschen Kaiser gewählt, führte wegen seiner Ansprüche auf Österreich, von Friedrich d. Gr. unterstützt, seit 1740, meist unglücklich, Krieg mit Maria Theresia. Sein Sohn Maximilian III. Joseph (1745-77) schloß mit Österreich den Frieden zu Füssen 22. April 1745, reformierte die Gesetzgebung und hob 1773 den Jesuitenorden auf. Mit ihm erlosch die wittelsbach-bayr. Linie und B. kam an den Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz. Die von Österreich geltend gemachten Ansprüche führten zu dem Bayr. Erbfolgekriege zwischen Österreich und Preußen, der 13. Mai 1779 durch den Frieden von Teschen, in welchem B. nur das Innviertel an Österreich überließ, beendigt wurde. 16. Febr. 1799 starb Karl Theodor ohne legitime Nachkommen; ihm folgte Herzog Maximilian IV. Joseph von Zweibrücken, der einem aufgeklärten Despotismus huldigte und an Montgelas einen tatkräftigen Minister hatte. Für die im Lunéviller Frieden (1801) abgetretenen linksrhein. Besitzungen erhielt B. durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) reichen Ersatz in säkularisierten Bistümer und Abteien sowie Reichsstädten, noch größern Zuwachs aber (darunter die Markgrafschaft Ansbach und Bayreuth) für den Anschluß an Napoleon in den Feldzügen gegen Österreich (1805 und 1809). 1806 erhielt der Kurfürst die Souveränität und den Königstitel und trat 12. Juli dem Rheinbunde bei. Danach nahm das bayr. Kontingent 1812 teil an dem Feldzuge gegen Rußland, aber nach den Siegen der Alliierten 1813 trat B. durch den Vertrag von Ried (8. Okt.) zu denselben über und erhielt in den Pariser und Wiener Verträgen gegen Rückgabe von Tirol, Vorarlberg, Salzburg und des Innviertels an Österreich die Rheinpfalz wieder. 26. Mai 1818 erfolgte die Oktroyierung der im wesentlichen noch heute gültigen Verfassung. Max I. Joseph starb 13. Okt. 1825; ihm folgte sein Sohn Ludwig I., unter dessen Regierung ein System großer Sparsamkeit in die Staatsverwaltung kam, während daneben für die bildenden Künste Staunenswertes geschah. 15. Mai 1833 trat B. dem Deutschen Zollverein bei. Tief verhaßt machte sich der ultramontane Minister Abel, der 1847 durch Ludwigs Geliebte, die Tänzerin Lola Montez, gestürzt wurde. Tumultuarische Bewegungen, ebenfalls wegen Lola Montez entstanden, erhielten durch die Februarrevolution einen polit. Charakter, und 20. März 1848 legte Ludwig (gest. 29. Febr. 1868) die Krone nieder. Ihm folgte sein Sohn Maximilian II. Die revolutionäre Bewegung in der Rheinpfalz Mai 1849 wurde mit Hilfe Preußens unterdrückt; B. schloß sich aber in der deutschen Politik mehr und mehr an Österreich an und besiegelte den Bund mit diesem durch das Bündnis zu Bregenz und die Übernahme der Bundesexekution in Kurhessen (1850). Im Innern wurde unter dem Ministerium von der Pfordten (seit April 1849) die Polizeiwillkür herrschend, so daß sich Kammerauflösungen öfters wiederholten, bis endlich (April 1859) von Schrenck an Stelle von der Pfordtens trat. Maximilian II. starb 10. März 1864. Sein Sohn und Nachfolger Ludwig II. ersetzte den Minister von Schrenck wieder durch von der Pfordten und nahm 1866 an dem Kriege gegen Preußen teil. B. mußte dafür durch Vertrag vom 22. Aug. 1866 ein Gebiet von 551 qkm abtreten und eine Kriegskostenentschädigung von 30. Mill. Gulden zahlen. Zugleich ging es ein Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen ein. Dez. 1866 übernahm der liberale Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst das Ministerium des Auswärtigen und schloß 8. Juli 1867 die neuen Zollvereinsverträge ab, wurde aber 1869 durch die Klerikalen zum Rücktritt genötigt. Unter dem neuen Ministerium Bray hielt B. seinen Verträgen gemäß im Kriege 1870/71 fest an Preußen; die Regierung erklärte gegen weitgehende Zugeständnisse 23. Nov. 1870 ihren Beitritt zum Deutschen Reiche, der 21. Jan. 1871 auch vom Landtage genehmigt wurde. Nach dem Rücktritt des Grafen Bray (22. Juli 1871) trat Graf Hegnenberg-Dux an die Spitze des Ministeriums, nach dessen Tode (2. Juni 1872) von Pfretzschner. Im März 1880 übernahm der bisherige antiklerikale Kultusminister von Lutz das Präsidium. 1886 führte die Verschwendungssucht des geistig überreizten Königs zu Konflikten, schließlich zur Einsetzung einer Regentschaft und Überwachung des Königs, der sich 13. Juni den Tod gab. Da Ludwigs Bruder, König Otto, gleichfalls geisteskrank ist, übernahm Prinz Luitpold, 2. Sohn König Ludwigs I., die Regentschaft auch für diesen. 31. Mai 1890 trat von Crailsheim, im Febr. 1903 Freiherr von Podewils-Dürniz an die Spitze des Ministeriums.

Literatur. Wenz, »Volkskunde« (4 Bde., 1879-84); Götz, »Geogr.-histor. Handbuch« (2 Bde., 1895-98); Köstler, »Gebiets- und Ortskunde« (2 Bde., 1895-96); geschichtliche Werke von Buchner (1820-55), Riezler (1878-1903), Schreiber (1889-91), Heigel (1880-90), Preger (13. Aufl. 1895), Schwann (1890-94), Ratzinger (1898).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 166-167.
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