[504] Kornhäuser (Getreidelagerhäuser, Getreidesilos, Elevatoren; hierzu Tafel »Kornhaus«), in Nordamerika seit den 60er Jahren des 19. Jahrh. gebräuchliche hohe, turmartige Gebäude, die der Höhe nach in neun oder mehr Kammern geteilt sind. Das Getreide wird durch Paternosterwerke bis zum Dache gehoben, gemeinschaftlich in die für die betreffende Qualität (Grad) bestimmte Abteilung eingefüllt und bei der Entnahme unten abgelassen. Das Emporheben von 10 dz Getreide auf 22 m Höhe kostet 2,85 Pf. Heizmaterial, gegen 10,75 Pf. Tagelohn bei dem auf europäischen Speichern ausgeführten Umschaufeln des Getreides. Die amerikanischen K. befinden sich im Besitz großer Getreidehandelsfirmen oder besonderer Lagerhausgesellschaften. Der Farmer verkauft sein Getreide in der Regel an diese, kann es aber auch gegen Erstattung von Lagergebühren nur in Depot geben. Der Farmer erhält dann einen Lagerschein, durch dessen Verpfändung er einen Teil der eingelieferten Getreidemenge sofort flüssig machen kann, ohne genötigt zu sein, das Getreide zu ungünstiger Zeit zu verkaufen. Die Lagerscheine selbst sind durch Blanko-Indossament übertragbare Orderpapiere. Sie geben nicht Anspruch auf das eingelieferte Getreide selbst, sondern nur auf eine gleiche Menge gleichartigen Getreides, lieferbar gegen Zahlung der darauf haftenden Spesen; sie eröffnen aber jedem Besitzer des Scheins die Möglichkeit, diese Kornmenge von jedem Lagerhaus des Elevatorenverbandes in Natura zu fordern. Der Farmer steht somit durch die Einrichtung der K. und der Elevatoren in direkter Beziehung mit dem Welthandel und vermag jederzeit sein Korn an die günstigste Stelle zu dirigieren und zu der für ihn vorteilhaftesten Zeit in den Handel zu bringen.
Auch in Deutschland hat man versucht, an wichtigen Verkehrspunkten K. zu errichten, um dem deutschen Landwirt deren technische und ökonomische Vorteile zu verschaffen. Namentlich soll der Landwirt durch Verbindung der K. mit Verkaufs- und Absatzgenossenschaften in die Lage versetzt werden, sich aus der Abhängigkeit vom Zwischenhandel zu befreien, es soll ihm die Beleihung der in Kornhäusern niedergelegten Vorräte erleichtert und die Möglichkeit verschafft werden, für seine Waren die günstigste Zeit des Verkaufs abzuwarten. Die ersten K. in Deutschland wurden in Süddeutschland, namentlich in Bayern (Trostberg, Landshut, Regensburg, Ebern, Windsfeld etc.), zum Teil mit staatlichen Zuschüssen, errichtet. 1896 wurde der preußischen Regierung der Betrag von 3 Mill. Mk. vom Landtag zur Unterstützung der Errichtung von Kornhäusern bewilligt. Es bildeten sich Lagerhausgenossenschaften, die ohne Verbindung mit andern Genossenschaften den Lokalkonsum regeln, direkte Absatzquellen schaffen, den Zwischenhandel einschränken, eine gleichmäßige Handelsware herstellen, eine bessere Aufbewahrung, Reinigung und Verwertung des Getreides erzielen und die Vorteile der Lombardierung sich zunutze machen. Die Bedingungen für die Beteiligung des preußischen Staates an der Errichtung und dem Betrieb von Kornhäusern sind die folgenden: Das Kornhaus wird entweder vom Staate selbst gebaut und eingerichtet oder von der Genossenschaft, wenn diese es verlangt, dann aber unter staatlicher Genehmigung der Baupläne und unter staatlicher Kontrolle der Bauausführung; das Kornhaus geht in das Eigentum des Staates über. In der Regel wird das Kornhaus vom Staate der Genossenschaft vermietet. Für die Vertragsbedingungen ist im allgemeinen folgendes festzustellen: a) Der Abschluß erfolgt auf längere Zeiträume, erstmalig auf wenigstens fünf Jahre; b) der jährliche Mietzins ist für die ersten fünf Jahre in der Regel auf 21/2 Proz. des vom Staat aufgewendeten Kapitals zu bemessen, wozu noch die etwaige Vergütung für den Bauplatzwert hinzutritt. Die Genossenschaft übernimmt ferner die Verpflichtung, Gebäude, Inventar, Maschineneinrichtungen gegen Feuersgefahr zu versichern, sie in ordnungsmäßigem Zustande zu erhalten etc. Die Genossenschaft übernimmt ferner die Verpflichtung, alle Lasten und Abgaben des Grundstückes und Gebäudes, insbes. auch die kommunalen Realsteuern zu tragen. Für umfangreiche Erneuerungen und Ergänzungen von Substanzteilen des Gebäudes und der maschinellen Einrichtungen können während[504] der fünfjährigen Versuchsfrist die Mittel ebenfalls vom Staate hergegeben und vom Dreimillionenfonds entnommen werden, von dem zu diesem Zweck ein entsprechender Betrag zu reservieren ist. Für die Verzinsung des Betrages gelten dieselben Bestimmungen wie für das übrige Baukapital; c) auf Antrag können ein bis höchstens drei Freijahre gewährt werden. Die auf die Freijahre folgenden Mietsraten werden gegen 3 Proz. Verzinsung und wenigstens 1 Proz. Amortisation mit der Maßgabe gestundet, daß bei Auflösung des Vertrages wie auch im Falle des Konkurses der Genossenschaft diese Mietsraten, soweit sie noch nicht amortisiert sind, in voller Höhe sofort fällig werden.
Eine größere Verbreitung hat das amerikanische Elevatorensystem in Rußland gefunden, begünstigt durch das Gesetz vom 30. März 1888 über Lagerhäuser und Warrants. Neben einer Anzahl Landschaften sind insbes. auch Eisenbahngesellschaften und Staatsbahnen mit der Gründung von Elevatoren vorangegangen. Als Hauptzweck der Institution wird in Rußland angesehen: Beschaffung eines billigen Warenkredits, einfachere Klassifikation des Getreides, Erhöhung der Qualität, Verbilligung der Auf- und Abladungskosten. Die Reichsbank ist ermächtigt, auf die aufgespeicherten Waren Darlehen zu 6 Proz. zu gewähren.
Ein bemerkenswertes Beispiel eines Kornhauses in einer europäischen Hafenstadt bietet der auf beifolgender Tafel in Ansicht und Durchschnitt abgebildete Silo- und Bodenspeicher der Freihafen-Gesellschaft in Kopenhagen. Derselbe ist auf der Spitze einer Mole von 57 m Breite im Freihafen belegen. Die Kais auf jeder Seite haben je 13 m Breite, sie sind mit zwei Eisenbahngleisen versehen, die an den Enden durch Drehscheiben und Quergleise verbunden sind. Am Kai entlang führt ein Tunnel zur Aufnahme von Rohrleitungen, elektrischen Kabeln etc., in denen auf jeder Seite 6 Quertunnel zur Aufnahme von 12 Bandtransporten münden. Letztere werden durch Öffnungen in den Haupttunnel geschüttet, nachdem die eisernen Verschlußdeckel entfernt sind. Das Gebäude hat eine Länge von 52 m, eine Breite von 31,5 m, von denen 13 m auf den Silospeicher entfallen, und eine Höhe vom Kellerfußboden bis zum Dach von 39 m. Die 36 Silobehälter haben eine Höhe von 20 m, eine Länge von 4,5 m, eine Breite von 3,8 m und fassen je 200 Ton. Der trichterförmige Boden ist aus Beton zwischen T-Trägern gebildet und ruht auf schmiedeeisernen Säulen. Auf jeden Knotenpunkt kommt ein Druck von ca. 450,000 kg. Die Wände der Behälter bestehen aus Brettern zwischen gut verankerten Ständern, nur die Außenwände der zwei Gruppen zu je 18 bildenden Behälter sind der Feuersicherheit halber in Monierkonstruktion hergestellt. Der Betrieb gestaltet sich in folgender Weise. Das im Dampfer ankommende Getreide wird mittels der Schiffswinden gehoben und durch Rohre auf die zunächstliegenden Bänder gestürzt. Die Bänder bestehen aus imprägniertem Hanf, sind 65 cm breit und leisten bei 2 m Geschwindigkeit und unregelmäßiger Beschüttung 6070 T. pro Stunde. Zwei Bänder arbeiten auf einem Elevator, wobei stets ein Band ausgerückt wird. Das von dem Bande herangebrachte Getreide wird durch Elevatoren gehoben, die 40 m lang sind, 12 Pferdekräfte gebrauchen und bei 8,5 m Bechergeschwindigkeit und Patentbechern von 22 cm Breite und 12 cm Höhe 6070 T. in der Stunde leisten. Von den Elevatoren geht das Getreide auf zwei Dezimalkastenwagen, deren jede 1000 kg zurzeit wiegt. Ein Mann hat zwei Wagen zu bedienen; während die eine volläuft, wird die andre tariert und abgelassen mittels des am Kasten befindlichen Hebels. Dann wird mittels des an dem Kasten sichtbaren zweiten Hebels der Zulauf auf die andre Wage gestellt und die zweite tariert. Da in der Stunde 60 Wiegungen gemacht werden müssen, ist hierfür eine Minute Zeit gegeben. Um den bei den Wiegungen entstehenden, bei manchen Getreidearten fürchterlichen Staub zu beseitigen, sind die Wagenbehälter oben abgedeckt; durch den vorhandenen schmalen Spalt wird Luft gesaugt, wodurch der Austritt des Staubes verhindert wird. Das gewogene Getreide fällt in einen drehbaren Trichter und wird durch letztern entweder in die zunächst liegende Boden- oder Siloabteilung geleitet, oder wenn es in entferntere gelagert werden soll, je nach Befinden dem obern oder untern Bande des Längsbandes zugeführt. Jedes Band hat zwei Abwurfwagen, die das Getreide entweder nach rechts oder links in die Rohre oder wieder auf das Band laufen lassen. Bewegt werden die Wagen mechanisch durch eine Kette, deren Bewegung durch einen Zug am Steuerseil eingeleitet wird. Die gleiche Einrichtung dient auch zur Zirkulation des Getreides und zur Verladung in Schiffe. Soll in Schiffe verladen werden, so treten die drehbaren Verladerohre in Funktion, die eine Ausladung von 12 m besitzen und mit den beweglichen, vertikal hängenden Rohren das Getreide direkt in den Schiffsraum leiten. Soll umgearbeitet werden, so wird das Rohr, das zunächst liegt, geöffnet durch Drehen eines trichterförmigen Kopfstückes. Das Getreide-läuft anfangs ohne Hilfe, später zugeschaufelt durch das Rohr auf den betreffenden Bandtransport und Elevator; beim Auslauf aus demselben wird es in einem breiten Strahl einem Luftstrom ausgesetzt, der den seinen Staub und die Spreu entfernt; dann geht es durch den Drehtrichter und die passende Rohrleitung auf den Boden zurück. Es leuchtet ein, daß eine derartige Lüftung einen ganz andern Effekt haben muß als das Umarbeiten auf dem Boden mit der Hand. Für eine energische Reinigung und Entfernung von gröbern Teilen ist außerdem eine Reinigungsmaschine vorgesehen.
Der Betrieb aller dieser Maschinen erfolgt elektrisch von der Zentrale des Freihafens, die mit 400 Pferdekräften arbeitet, die 5 Primärdynamos mit 250 Volt treiben. Die Verteilung der elektrischen Energie erfolgt nach dem Dreileitersystem mit 2 × 250 Volt. Im Silospeicher sind vorhanden 6 Elektromotoren zu 15 Pferdekräften zum Betriebe der Elevatoren, einer gleicher Größe für den obern Bandtransport und Exhaustor, zwei im Keller zum Betriebe der hier befindlichen Bänder und einer für die Reinigungsmaschine, zusammen zehn Stück. Außerdem sind noch zwei elektrische Winden mit zwei direkt gekuppelten 20-Pferdekräftemotoren vorhanden. Dieselben heben 1000 kg mit 0,5 m Geschwindigkeit in der Sekunde. Der elektrische Betrieb, bei dieser Anlage wohl zum erstenmal in so großem Maßstab ausgeführt, hat sich ausgezeichnet bewährt. Die stete Betriebsbereitheit, der Fortfall aller der schweren Transmissionen und Riemen oder Seiltriebe, die naturgemäß immer nach den obersten Etagen der Speicher zu leiten sind, machen denselben, wenn er mit Sachkenntnis angelegt wird, zweifellos auf diesem Gebiet allen andern Antrieben überlegen. Vgl. Luther, Konstruktion und Einrichtung der Speicher, besonders der Getreidemagazine (Braunschw. 1886); Ramm, Konstruktion und Betrieb eines einfachen amerikanischen Getreidehauses[505] (Stuttg. 1896); Böhm, Die K. (Heft 26 der »Münchener volkswirtschaftlichen Studien«, das. 1898); Buhle, Transport- und Lagerungseinrichtungen für Getreide und Kohle (Berl. 1899); Maier-Boden. Neumann, Die Getreideverkaufsgenossenschaften (Stuttg. 1902); Hoffmann, Das Versuchskornhaus und seine wissenschaftlichen Arbeiten (Berl. 1904).
Buchempfehlung
Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.
88 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro