Möbel

[5] Möbel (franz. meuble, v. lat. mobilis; hierzu Tafel »Möbel I-III«), aller »bewegliche« Hausrat, im engern Sinne die größern Einrichtungsstücke der Wohn- und Arbeitsräume (in ihrer Gesamtheit auch Mobiliar genannt). Sie werden in neuerer Zeit fast nur aus Holz gebildet, während im Altertum und im Mittelalter auch steinerne und metallene M. häufig vorkamen, wie der Thronsessel Kaiser Heinrichs III. (s. Kaiserstuhl). Ihrer Bestimmung nach lassen sie sich in zwei Gruppen trennen: 1) Sitz- und Lagermöbel, 2) Standmöbel (Tische, Kasten und Schränke). [5] Sessel, Tische und Bettstellen der Ägypter und Assyrer zeigen meist senkrechte Stützen und Lehnen mit rechtwinklig angesetzten Verbindungen, Sitzbrettern, Tischplatten etc., doch finden sich auch Tische mit Kreuzfüßen und Faltstühle; die M. waren durch Untergestelle höher oder niedriger zu machen. Prachtmöbel wurden mit Metall- und Eisenbeineinlagen, Email u. dgl. verziert, die Thronsessel mit Teppichen belegt. Teppiche und Polster waren das unentbehrliche Erfordernis für die Ruhebetten der meisten orientalischen Völker, die, wie heute noch, lieber lagen, als aufrecht saßen und daher auch niedrigerer Tische bedurften und noch bedürfen. Diese Sitte ging auf die Griechen und Römer über, deren Sitzmöbel auch im wesentlichen die asiatischen Formen, nur mit einer Neigung zu geschwungenen Linien, beibehielten. Dazu kam die Verzierung der Sessel- und Tischfüße mit Tierfüßen und Tierköpfen, in welch letztere man auch gern die Seitenlehnen ausgehen ließ. Bis auf die Römer behalf man sich zum Aufbewahren der Kleider etc. mit Laden, Truhen, tragbaren Kästchen; in der spätern römischen Zeit kamen zuerst Schränke mit mehreren Türen und Fächern in Gebrauch. Im Mittelalter waren die M. häufig immobil: Steinbänke in den Fensternischen, Truhen und Etageren an den getäfelten Wänden, Schränke in den letztern; in romanischer Zeit bemalte man die glatten Flächen der M., in gotischer verzierte man sie mit Schnitzwerk (Tafel I, Fig. 3 u. 9). Im Renaissancezeitalter entwickelte sich dann die häusliche Einrichtung und insbes. das Mobiliar in der trotz der Veränderungen der Mode bis auf den heutigen Tag in Geltung gebliebenen Art. Namentlich wurden Schränke der verschiedensten Größe und Bestimmung zu einem Hauptbestandteil des Mobiliars und zu einem Hauptgegenstand künstlerischer Gestaltung: neben den auf das mannigfaltigste und kostbarste gezierten, mit Geheimfächern etc. versehenen Kunstschränken und Kabinetten erscheinen insbes. Kredenztische oder Büfette (Fig. 6 u. 10), Bücherschränke, Truhen für Kleider und Wäsche (Fig. 11), Schmuck- und Waffen schränke, Tische (Fig. 5), Sitzmöbel für profane (Fig. 2 u. 4) und kirchliche Zwecke (Kirchen- und Chorstühle, Fig. 7) etc. Holzbildhauerei, Drechslerkunst und eingelegte Arbeit aus verschiedenfarbigem Holz (Holzintarsia), aber auch in Marmor, Halbedelsteinen, Messing und Zinn dienen zur Ausschmückung der M. Diese verschiedenen Techniken begreift man unter dem Namen Kunsttischlerei. Den kräftigen Formen der Barockzeit folgen die zierlichen, gewundenen und geschnörkelten Formen des Rokoko (Fig. 1, 8 u. 13). Man überzog das Holz mit weißem Lackanstrich, Vergoldung und Bemalung, und der Tischler Boule (s. d.) brachte die Einlagen von Schildkrot und Metall in die Mode (Fig. 12). Von der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. an bis in die 60er Jahre des 19. herrschte die Geradlinigkeit und Schmucklosigkeit, die Anwendung der Furnierung der wohlfeilen Holzarten mit dünnen Platten kostbarerer Hölzer vor (Fig. 14). Gegen diese Nüchternheit erhob sich, nachdem das deutsche Kunstgewerbe nach 1870 einen neuen Aufschwung genommen, eine Gegenbewegung. die sich zunächst an den Stil der deutschen und italienischen Renaissance, später an den Barock- und Rokokostil anschloß und vornehmlich durch einen großen Reichtum an Schnitzereien zu wirken suchte. Während die Franzosen an ihren historischen Stilrichtungen (Louis XIV, XV, XVI und Empire) festhielten, bildete sich in England und danach auch in Nordamerika ein eigentümlicher Möbelstil aus, der sich mehr an das moderne praktische Bedürfnis als an die überlieferten Stilformen hielt. Ursprünglich hatte man dabei auf den englischen Möbelstil des 18. Jahrh., namentlich auf die Musterbücher von Chippendale (s. d.), Sheraton u.a. zurückgegriffen, deren Vorbilder aus einer Mischung von gotischen Konstruktionsformen mit chinesischen und französischen Schmuckformen (Rokoko) hervorgegangen waren. In den modernen Nachahmungen und Umgestaltungen wurden die Schmuckformen den konstruktiven noch mehr untergeordnet. So wurden geradlinige Steifheit und Schmucklosigkeit im Verein mit großer Standfestigkeit und bei den Sitzmöbeln mit größter Ausgiebigkeit für Haltung und Bewegung des Sitzenden die charakteristischen Eigentümlichkeiten des modernen englischen Möbelstils, die aber zugleich Eigentümtlichkeiten der englischen Lebensgewohnheiten sind. Man hatte geglaubt, diese Lebensgewohnheiten durch Masseneinfuhr englischer M. auch auf andre Volks genossenschaften übertragen zu können; aber die englischen M. sind fast überall als fremdartige Kunstwerke betrachtet worden. Sie waren eine Zeitlang Modeartikel; da sie jedoch auch anderswo, namentlich in Deutschland, geschickt nachgeahmt, auch vielfach verbessert und dem deutschen Geschmack angepaßt wurden (Tafel II, Fig. 2, 7 u. 9), nahm die Einfuhr bald wieder ab. Der Bedarf an M. im englischen Stil wird jetzt in allen Ländern von einheimischen Fabrikanten befriedigt. Durch die englischen M. war aber die Anregung zu einer abermaligen Reform des Möbelstils gegeben worden, die in Deutschland auf um so fruchtbarern Boden fiel, als inzwischen eine Übersättigung an den überladenen und schwerfälligen Renaissance- und Barockmöbeln eingetreten war.

Ein nationales Gepräge erhielt der moderne Möbelstil, dessen Grundlagen Zweckmäßigkeit, Schmucklosigkeit und Festigkeit bei voller Betonung der Eigentümlichkeit des Materials bilden, zuerst in Belgien unter der Führung des Malers Henri van de Vel de (s. d.). Er setzte an die Stelle der englischen Geradlinigkeit, Steifheit und Magerkeit gebogene und geschwungene Linien und geschweifte Formen, die dem Auge angenehmer sind, und das nationale Element brachte er durch flämische Kraft und Derbheit hinein. Unter Verzicht auf jegliches plastische oder gemalte Ornament suchte er nur durch das Spiel der Linien, durch die konstruktiven Formen und durch den Gegensatz zwischen Flächen und Umrahmungen zu wirken (Tafel III, Fig. 6 u. 7). In Frankreich, wo der englische Möbel stil ebenfalls Eingang fand, wurde er, wieder im Einklang mit dem Volkscharakter, zu größerer Eleganz gesteigert, und an die Stelle englischer Steifheit trat französische Zierlichkeit, die jedoch bald so übertrieben wurde, daß diese schmächtigen M. mit ihren nach auswärts gebogenen Stützen unter völliger Verleugnung des Materials wie aus Eisen geschmiedet erschienen (Tafel III, Fig. 1 u. 3). Charles Plumet und H. Sauvage, zwei Pariser Architekten, sind die Hauptvertreter dieses Stils, der aber keineswegs allein für den modernen französischen Möbelstil bezeichnend ist. In Paris vertreten unter andern L. Sorel, der den Eigentümlichkeiten des Materials durchaus gerecht wird (Tafel III, Fig. 2 u. 8), und Carabin andre Richtungen. Letzterer ist vorwiegend Bildhauer. Bei seinen Möbeln spielt die nackte menschliche Figur, teils als Träger, teils als schmückendes Beiwerk, eine so hervorragende Rolle, daß die Gebrauchsfähigkeit des Möbels dadurch beeinträchtigt wird. Wertvoller sind die modernen M. von E.Gallé und L. Majorelle in [6] Nancy, wo sich eine von Pariser Einflüssen unabhängige Schule von Kunsthandwerkern gebildet hat. Sie suchen mit den neuen Formen, im Gegensatz zu den Parisern, reiche farbige Wirkungen zu erzielen, teils durch Schmuck der Flächen mit Einlagen von farbigen Hölzern (echter Intarsia), die zu Bildern (meist Landschaften) zusammengesetzt werden, teils durch Verwendung von emaillierten Fayenceplatten (Tafel III, Fig. 4 u. 5).

Unabhängig von dem englischen Möbelstil haben sich auch die Münchener Künstler und Kunsthandwerker gemacht, welche die moderne Bewegung vertreten. Sie ist in München von Malern ausgegangen, die zunächst einen Protest gegen die ihrer Meinung nach einseitige und darum verhängnisvolle Führung des Kunstgewerbes durch die Architekten einlegen wollten, später aber, nachdem die Architekten sich zumeist ebenfalls der modernen Bewegung angeschlossen, mit diesen wieder Fühlung gewannen. Auch bei den Münchenern sind Zweckmäßigkeit, Standfestigkeit und Bequemlichkeit leitende Grundsätze. Daneben kommen auch, wie bei den Belgiern, Eigentümlichkeiten des Volkscharakters, namentlich bayrische Derbheit und Massigkeit, zum Ausdruck, wobei der bäuerliche Hausrat, der von einigen Künstlern sogar unmittelbar nachgeahmt wird, von nicht geringem Einfluß gewesen ist. Daneben wird auf Dekoration insofern nicht ganz verzichtet, als bei Schränken die auch unter der Politur möglichst bewahrte Naturfarbe des Holzes durch Verzierungen aus geschnittenem Metall in phantastisch geschwungenen und geschnörkelten Linien gehoben wird. R. Riemerschmid (Tafel II, Fig. 1 u. 4), B. Pankok (Fig. 3), A. Petrasch (Fig. 8), K. Bertsch und B. Paul sind die Hauptvertreter dieser Richtung, die durch die 1898 begründeten »Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk« eine geschäftliche Verwertung ihrer Entwürfe in größerm Umfang bezweckt. Eine gesonderte Stellung unter den Münchenern nimmt der Maler und Architekt H. E. v. Berlepsch ein, der in seinen Kunstmöbeln (Bücher- und Zierschränken, Schreibtischen mit Aufsätzen) nach reicher und mannigfaltiger Gestaltung des Aufbaues strebt und malerische Wirkungen durch verschiedenfarbige Hölzer und Flächenmusterung zu erzielen sucht.

In Berlin, wo sich die moderne Bewegung anfangs zumeist in der Nachahmung englischer M. kundgab, sind in neuerer Zeit besonders die Architekten W. O. Dreßler (Tafel II, Fig. 10), F. Hanel, A. Biberfeld, H. Werle, G. Honold u.a., die Maler Otto Eckmann (s. d.) und H. Friling und die Möbelfabrikanten Kimbel u. Friedrichsen, F. Thierichens, Flatow u. Priemer und L. Kießling mit Entwürfen und Ausführungen von modernen Möbeln hervorgetreten. Bei gepolsterten und bezogenen Sitzmöbeln kommt der moderne Stil auch in der Färbung, Musterung und Ornamentik der verwendeten Stoffe zu entschiedenem Ausdruck. Neben diesen spezifisch modernen Möbelformen ist in der Berliner Möbelindustrie neuerdings auch ein sogen. nordischer Stil in Aufnahme gekommen, der in bald freierer, bald strengerer Behandlung die architektonischen und Zierformen des nordischen Mittelalters modernen Bedürfnissen anzupassen sucht. In Arbeiten dieser Art haben sich der Architekt Hirschler (Tafel II, Fig. 5) und der Maler W. Leistikow (Fig. 6) versucht, bei Polstermöbeln zum Teil unter Verwendung von gewebten Stoffen in altnordischer Technik.

Auf die Reform des Möbelstils gerichtete Bestrebungen haben sich auch in Karlsruhe (Architekt H. Billing), Darmstadt, wo allerdings die 1899 gegründete Künstlerkolonie nur eine kurze Blüte erlebt hat, und Dresden offenbart, wo der Maler O. Gußmann, der Bildhauer K. Groß und die Architekten M. Rose und E. Schaudt mit besonderm Erfolg tätig sind und diese Bestrebungen einen Mittelpunkt in den »Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst« gefunden haben. In neuester Zeit hat die Möbelindustrie auch auf den sogen. Biedermeierstil (s. Biedermeier) zurückgegriffen. Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné du mobilier français de l'époque carlovingienne à la Renaissance (Par. 1855–75, 6 Bde.); Jacquemart, Histoire du mobilier (das. 1877); Champeaux, Le meuble (das. 1885, 2 Bde.); Bonnaffé, Le meubleen France an XVI. siècle (das. 1886); Havard, Dictionnaire de l'ameublement (das. 1887–90, 4 Bde.) und Histoire et philosophie des styles (das. 1898, 2 Bde.); Hirth, Das deutsche Zimmer (4. Aufl., Münch. 1899); Storck, Einfache M. im Charakter der Renaissance (Wien 1875); Schwenke, Ausgeführte M. und Zimmereinrichtungen der Gegenwart (Berl. 1884, 2 Bde.); Pape, Der Möbeltischler der Renaissance (Dresd. 1884); Prignot, Moderne Sitzmöbel (Berl. 1885); Lambert und Stahl, Das M. Musterbuch stilvoller M. aus allen Ländern (Stuttg. 1886–90); Gurlitt, M. deutscher Fürstensitze (Berl. 1888); Dohme, M. aus den königlichen Schlössern zu Berlin und Potsdam (das. 1889); Rémon, Moderne M. (1. Teil: M. im Empirestil; 2. Teil: M. im englischen Stil, das. 1894–95); I. v. Falke, Mittelalterliches Holzmobiliar (2. Aufl., Wien 1897); Roeper und Bösch, M. aller Stilarten vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Münch. 1897); Zell, Bauernmöbel aus dem bayrischen Hochland (Frankf. a. M. 1899); »M. und Zimmereinrichtungen der Gegenwart« (Berl. 1900–04); Bode, Die italienischen Hausmöbel der Renaissance (Leipz. 1902); Luthmer, Deutsche M. der Vergangenheit (das. 1902); Köppen und Breuer, Geschichte des Möbels (Berl. 1904); Timms und Webb, Die 35 Möbelstile (78 Tafeln, Lond. u. Darmst. 1904); A. G. Meyer, Tafeln zur Geschichte der Möbelformen (Leipz. 1902 bis 1905); Hepplewhite, Englische Hausmöbel. Stil Ende des 18. Jahrh. (Berl. 1906); die »Vorbilderhefte aus dem königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin«; »Journal für moderne M.« (Stuttg. 1880–95); »M. und Dekoration« (hrsg. von Schmauk, Dresd.). S. auch Zimmerausstattung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 5-7.
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