[457] Wegerecht (Straßenrecht), Inbegriff der Rechtsgrundsätze für die Anlegung, Benutzung und Unterhaltung von Straßen und Wegen. Die Straßen- und Wegegesetzgebung ist in den einzelnen Staaten sehr verschieden; zum Teil ist das Wege- und Straßenwesen überhaupt nicht durch Gesetze, sondern durch Verordnungen, Ortsstatuten etc. geregelt und in den einzelnen Landesteilen desselben Staates verschieden. Letzteres gilt namentlich von Preußen. Die Wege sind öffentliche oder Privatwege. Die öffentlichen Wege dienen dem öffentlichen Verkehr und können demselben kraft privaten Rechts nicht entzogen werden. Die Privatwege (Wirtschaftswege, Feldwege, Adjazentenwege, d. h. Wege, die den Anliegern gehören) dienen dem Gebrauch bestimmter einzelner Personen und unterliegen daher dem Privatrecht. Privatwege bestehen als Wegegerechtigkeit, wenn einer Person als der Eigentümerin eines Grundstückes das Recht zusteht, sich eines Weges über das (»dienende«) Grundstück eines andern zu bedienen (s. Grunddienstbarkeiten). Die öffentliche Verwaltung (Wegeverwaltung) befaßt sich nur mit öffentlichen Wegen. Auf diese bezieht sich auch die Wegepolizei, d. h. die Gesamtheit der Beschränkungen, denen die Benutzung der öffentlichen Wege im allgemeinen Interesse unterworfen ist. Diese Bestimmungen des Wegepolizeirechts betreffen namentlich den Verkehr der Geschirre, das Ausweichen, die Breite der Wagenspur, die Beleuchtung[457] und Bezeichnung der Fuhrwerke u. dgl. Während nach früherm gemeinen deutschen Rechte die öffentlichen Wege als in niemandes Eigentum stehend gedacht wurden, sind sie jetzt zumeist Eigentum des öffentlichen Verbandes (Gemeinde, Kreis, Provinz, Staat), dem die Unterhaltung obliegt. Zum Zweck der Anlegung und Erweiterung von öffentlichen Wegen kann Enteignung (s. d.) stattfinden. Nach ihrer Verkehrsbedeutung teilt man die öffentlichen Wege in Hauptwege (Heer- oder Landstraßen), Vizinalwege (Nachbarwege) und Gemeindewege (Ortsstraßen, Gemeindeverbindungswege, Feldwege); nach der Art ihrer Herstellung verschieden, z. B. in Kunststraßen (Chausseen) und Landwege (s. Straßenbau). Die rechtlich erheblichste Unterscheidung ist die nach der Unterhaltungspflicht in Staats-, Provinzial-, Kreis-, Bezirks-, Distrikts-, Gemeindestraßen. Während im Mittelalter und teilweise noch bis ins 18. Jahrh. hinein die Straßen von den Landesherren als Einnahmequelle betrachtet wurden (vgl. Gasner, Zum deutschen Straßenwesen in der ältesten Zeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Leipz. 1889), machte sich bei der zunehmenden Bedeutung des Verkehrs und des Postwesens mehr und mehr der Gesichtspunkt geltend, die Straßen als wichtige Verkehrsmittel zu behandeln und in diesem Sinne die Straßennetze zu vervollständigen. Früher hatten die Landesherren vielfach ein sogen. Wege- oder Straßenregal, d. h. ein ausschließliches Benutzungsrecht an den öffentlichen Wegen, in Anspruch genommen, deren Benutzung sie dann dem Publikum nur gegen Zoll, Wege- und Geleitsgeld gestatteten. Jetzt tritt die Pflicht zur Anlegung und Unterhaltung von öffentlichen Wegen (Wegebaupflicht, Wegepflicht) in den Vordergrund, und die Frage, wem die Wegelast obliege, wird gesetzlich geregelt. In einigen Staaten gibt es überhaupt keine Staatsstraßen mehr. So sind in Preußen in Ansehung des Wegebaues an die Stelle des Staates die Provinzen getreten, die minder wichtigen, aber doch dem allgemeinen Verkehr dienenden Wege sind Kreisstraßen, die unbedeutendern Wege von mehr örtlicher Bedeutung Gemeindewege. Mehr und mehr ist an die Stelle der früher bei der Erfüllung der Wegebaupflicht üblichen Naturalwirtschaft die Geldwirtschaft getreten, d. h. die Frondienste (Hand- und Spanndienste, Wegefronen) sind abgeschafft, und die Kosten des Wegebaues werden von den verpflichteten Körperschaften im Wege der Umlage aufgebracht. Doch bestehen zur Offenhaltung der Straßenzüge, namentlich zur Winterszeit, immer noch Verpflichtungen zu Gemeindediensten, die gesetzlich geregelt sind, während sonst für Straßenfronen, wo sie noch bestehen, zumeist das Herkommen entscheidend ist. Wo die finanziellen Kräfte der Gemeinden und Gemeindeverbände (»Wegeverbände«; z. B. Wegeordnung für die Provinz Posen vom 15. Juli 1907) nicht ausreichen, haben Staat, Provinz oder Kreis Beihilfen zu gewähren. In Frankreich, woselbst früher das System der Wegefronen (corvées) übel berüchtigt war, sind durch das Straßengesetz vom 21. Mai 1836 die Naturalleistungen für die chemins vicinaux auf ein Mindestmaß beschränkt worden. In manchen Ländern kommen auch besondere Straßenverbände vor (in Österreich »Konkurrenzen« genannt, weil die Gemeinden »zusammenwirken«) und zwar dann, wenn an einem Wege Gegenden und Gemeinden interessiert sind, die zusammen keine politische Verwaltungseinheit bilden. In Preußen kommen nur vereinzelt »Aktienchausseen« vor. Wegegeld wird zwar in manchen Ländern noch erhoben (vgl. z. B. die Erlasse über Verleihung des Rechts zur Chausseegelderhebung in der »Preußischen Gesetzsammlung« von 1907), dasselbe ist aber nicht mehr eine Finanzquelle, sondern lediglich Gebühr, Beitrag zu den Unterhaltungskosten der Straße (s. Wegegeld). Selbst in England, wo die Zentralgewalt den Straßen ihre Aufmerksamkeit nur in geringem Maß zuwenden konnte, hat man schon frühzeitig den Grundsatz der Gebührenerhebung zur Anwendung gebracht. Der Wegebau lag dort lediglich den Gemeinden ob, während die Grafschaften die Brücken bauten. Da andre geeignete Organe fehlten, so mußten daher besondere Wegebaugesellschaften geschaffen werden, welche Herstellung und Erhaltung der Wege von allgemeinerer Bedeutung übernahmen. Diese heute allmählich verschwindenden Gesellschaften, die turnpike trusts (so genannt nach dem für Erhebung des Wegegeldes angebrachten Drehkreuz, turnpike), brachten Geld durch eine Anleihe auf und erhoben für Deckung der Kosten, Verzinsung und Rückzahlung der Schuld ein Wegegeld. Wo diese Einrichtung noch besteht, ist die Bezirkswegekasse, vertreten durch einen Verwaltungsrat (District Board), das zum Wegebau verpflichtete Rechtssubjekt. Besondere Grundsätze hat der Radfahrverkehr, der Verkehr von Straßenlokomotiven und von Kraftfahrzeugen hervorgerufen. Für die beiden erstern vgl. z. B. die sächsischen Verordnungen vom 18. Mai und 16. Okt. 1907; für den Verkehr mit Kraftfahrzeugen auf Straßen hat der Bundesrat 28. Mai 1906 im »Reichsanzeiger« Grundzüge veröffentlicht und die deutschen Regierungen ersucht, den Verkehr in ihren Gebieten dementsprechend zu regeln, was dann auch vielfach geschehen ist. Vgl. v. Reitzenstein, Das deutsche W. in seinen Grundzügen (2. Ausg., Freib. i. Br. 1892); Schultz, Zum preußischen W. (Paderb. 1893); Bering, Die Rechte an öffentlichen Wegen (Berl. 1894); Kluckhuhn, Das Recht der Wirtschaftswege (das. 1904); Just, Kommentar zur Wegeordnung für die Provinz Westpreußen vom 27. Sept. 1905 (das. 1906); Ecker, Rheinisches W. (das. 1906); Friedenthal, Preußisches W. unter besonderer Berücksichtigung des schlesischen Provinzialrechts (Bresl. 1906); Germershausen, Das W. und die Wegeverwaltung in Preußen (3. Aufl., Berl. 1907, 2 Bde.); Glen, Law relating to highways (2. Aufl., Lond. 1897); Guillaume, Traité pratique de la voirie vicinale (5. Aufl., Par. 1878); Féraud-Giraud, Traités des voies rurales publiques et privées (4. Aufl., das. 1896. 2 Bde.).