Canon [1]

[637] Canon (v. gr. Kanōn), 1) eigentlich gerader Stab, um daran u. damit etwas aufrecht zu halten od. zu richten; daher 2) (Regula, Norma), Alles, was zu näherer Bestimmung od. Maßgebung dient, also Richtschnur, Regel, Gesetz, Vorbild, Muster; daher 3) in der Kunstgeschichte eine Statue des Polykletos, welche als die Regel für die Schönheitsverhältnisse der menschlichen Gestalt anerkannt wurde (nach Ein. war es sein Doryphoros, nach And. eine Figur von reiferem Lebensalter), s. Polykletos; darnach 4) das Maß od. Gesetz der Proportion des menschlichen Körpers; die alte Kunst nahm deren drei an, welchen allen der menschliche Fuß als Einheit zu Grunde lag; in zweien derselben geht er in der Höhe des menschlichen Körpers von der Sohle bis zum Haaransatz 6 Mal, in, dem dritten aber 7 Mal, u. dieser letzte heißt der Ägyptische C.; 5) (Musik), der Monochord (s.d.), nach welchem alle übrigen Tonverhältnisse bestimmt wurden; 6) in der Rhetorik u. Grammatik, ein als gültig angenommener Grundsatz; 7) (Mathem.), eine allgemeine Regel, welche auf eine Reihe ähnlicher geometrischer u. arithmetischer Aufgaben angewendet werden kann (wofür die Neueren Methode, Regel, Vorschrift brauchen); daher 8) eine Tafel berechneter Größen, z.B. C. logarithmorum, so v.w. Logarithmische Tafeln; 9) in der Chronologie, Hauptmomente od. Zeitabschnitte, welche als bestimmt angenommen wurden u. nach denen man die dazwischen liegenden Zeiträume berechnete, so v.w. Epochen; daher 10) (Canŏnes chronologĭci), chronologische Tafeln bestimmter Art, z.B. die der güldenen Zahl, der Epakten, der Ostern etc.; 11) bei den Alexandrinischen Grammatikern, Sammlung der älteren griechischen Schriftsteller, welche als Muster zum Studium u. zur Nachahmung aufgestellt waren; es gab derselben für jede Gattung der Poesie u. Prosa, s.u. Griechische Literatur; diesem Alexandrinischen C. hatte die Schule des Krates in Pergamum einen, von anderen Grundsätzen ausgehenden, den Pergamenischen C., entgegen aufgestellt; 12) bei den Kirchenschriftstellern die Sammlung der biblischen Bücher, deren Inhalt von der Kirche als Regel des christlichen Glaubens u. Lebens angenommen war, s. Bibelkanon; daher diese Bücher selbst Canonische Bücher hießen, vgl. Canonicität; 13) die Regel des christlichen Glaubens u. Lebens selbst; 14) in der alten Kirche die kirchliche Ordnung, die kirchliche Vorschrift, im Gegensatz zu dem bürgerlichen Gesetz; daher Canŏnes apostolĭci, die angeblich von den Aposteln festgesetzten gottesdienstlichen Regeln, s.u. Apostolische Constitutionen. Auch später die Verordnungen der allgemeinen Concilien, welche zu allgemein verbindlichen Kirchengesetzen wurden, welche das Canonische Recht (s.d.) ausmachen; insbesondere 15) die vorgeschriebenen Gebete[637] welche theils der Priester bei der Weihung der Hostie absang, Meßcanon (s.u. Messe); theils bei dem in Klöstern u. Stiften abgehaltenen Chordienst gesungen wurden; daher Canonische Stunden, s. Chordienst; auch 16) die Vorschriften über die Art u. Dauer der Kirchenbuße, Canŏnes poenitentiāles, s. Bußkanon; 17) das Verzeichniß derer, welche den Kirchendienst versahen; daher Canonici, s.d.; 18) Verzeichniß der Märtyrer u. Heiligen, daher Canonisation, s.d.; 19) (röm. Ant.), in der Kaiserzeit im Römischen Reiche die jährliche Abgabe an Naturalien; jetzt 20) (Staatsw.), die jährliche Geldabgabe, auf welche eine bis dahin ihrem Betrage od. ihrem Anfalle nach noch ungewisse Leistung od. Beschränkung regulirt od. abgelöst wird; 21) der Erbzins, welchen der Erbpachter an den Grundherrn zu zahlen hat; 22) (Schriftg.), zwei Arten großer Schrift (C. u. Großer C.), womit sonst die Meßcanons (s. oben 15) gedruckt wurden, die aber jetzt nur noch zu Buchtiteln gebraucht werden, s.u. Schrift.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 637-638.
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