[156] Riese, ein Mensch von mehr als gewöhnlicher Körperlänge. Eine Länge, welche 6 Fuß übersteigt, gilt schon für eine besondere Größe, zur eigentlichen Riesenform wird sie, wenn sie mehr als 61/2 Fuß beträgt. Bei jedem Volke des Alterthums hat sich die Sage von Riesengeschlechtern in der Urzeit u. von einzelnen R-n in späterer Zeit erhalten. Nach der jüdischen Sage waren R-n (Nephilim) die Producte der Vermischung der Elohimssöhne mit den Menschentöchtern; ganze Riesenvölker waren die Rephaim u. Enakim, die Ureinwohner Kanaans, welche schon vor der Einwanderung der Israeliten ausgerottet od. verdrängt sich noch in einzelnen Resten an der Küste (Gath, Gaza, Asdod) fanden, z.B. zur Zeit Sauls der R. Goliath (s.d.). In den griechischen Theogonien u. Kosmogonien bringt die Erde, nachdem sich das Wasser von der Oberfläche der Erde verlaufen hat u. diese von der Sonne erwärmt ist, in jugendlicher Kraft die Götter u. nach ihnen die R-n (Giganten, s.d. 2), vgl. Centimanen), vielarmig u. vielköpfig, hervor, welche im Vertrauen auf ihre rohe Stärke einen Kampf mit den Göttern wagten. Als Riesenvolk erscheinen bei Homer die Urbewohner auf Sicilien, welche den Kyklopen wichen. In der Indischen Mythologie brachte Brama R-n hervor; sie waren auch hier den Göttern verhaßt u. mit denselben im Kampf (vgl. Ravana); sie wurden mit dem Blitze besiegt u. theils getödtet, theils in Höhlen u. Klüfte gedrängt. In der Nordischen Mythologie bilden sie ebenfalls den Gegensatz zu den Göttern u. zu den Lichtwesen. Die vielen Riesengeschlechter stammten alle von Ymir, welcher aus dem schmelzenden Eise entstanden u. von den Asen erschlagen worden war (s.u. Nordische Mythologie I.) ab; zunächst die Hrimthursen, d.i. Eis- od. Reifriesen. Diese wohnten in Niflheim, von wo ihr Anführer Hrimr sie einst bei dem Weltuntergang zum Rachekampf gegen die Götter führen wird. Bei der Ymirsfluth wurden sie in ihr Element aufgelöst, nur einer, Bergelmir, hatte sich gerettet u. wurde Stammvater der Jöten, welche unter dem Riesenkönig Utgardstoki die Burg Utgard in Jötunheim am äußersten Erdkreise bewohnten. Die Jöten sind ungestaltig, manche haben mehre Arme, manche mehre Köpfe; sie sind dumm, gierig, zornig, übermüthig u. frevelhaft, reich an Gold u. Schätzen, haben schöne Heerden, machen auf Jagd u. Seefahrt reiche Beute u. stellen schönen Weibern nach. Die Weiber der R-n, Gygien od. Gifen, treiben Zauberei u. Weissagung; von ihnen sind die Vargynien (gefeiete Wölfinnen) eine Abart. Den Gegensatz zu den R-n bilden das Geschlecht der Zwerge (s.d.). In der Deutschen Volkssage haben sich im Mittelalter noch z.B. Gargantua, in der Heldensage aber Sigenot, Eike, Fasolt (s.d. a.) u.[156] an R-n erhalten. Sie verschwanden mit der Einführung des Christenthums, u. die Sage rettete sie auf Berge, Felsen, Hügel, Inseln, wo sie ein einsames, trauriges Greisenleben führen; zuweilen identificirten sie die christlichen Lehrer mit dem Teufel; vgl. Hünen. Nach der Entdeckung von Amerika berichtete man über dort aufgefundene Riesenvölker; so gab man den Patagoniern eine Länge von 7, ja bis 12 Fuß. Im Allgemeinen kann man annehmen, daß Bewohner in kälteren Klimaten (nur nicht in den höchsten Breitegraden), zumal in einem halbwilden Zustande lebende, eine größere Körperstatur erreichen, als Bewohner heißer Gegenden u. daß unter diesen dann sich wieder Menschen von wirklicher Riesenform häufiger als unter anderen Nationen finden. Da das männliche Geschlecht in der Mehrzahl einige Zoll höhere Körperstatur hat, als das weibliche, so findet man auch unter Männern häufiger Riesenformen, obgleich Riesenweiber, des Contrastes wegen, noch auffallender sind. An Berichten einzelner Menschen von Riesenstatur ist ebenfalls das Alterthum reich (vgl. Orion, Ephialtes, Antäos); man wollte damals auch schon Riesenskelete von ungeheuerer Größe ausgegraben haben, so erzählt Plutarchos, daß man in Tingis in Mauritanien den Körper des R-n Antäos (s.d.), welcher 60 Ellen lang gewesen, gefunden habe; bes. reich an solchen Ausgrabungen war Sicilien, wo 1342 ein solches Skelet in einer Höhle am Berg Eryx gefunden wurde, welches aber sogleich in Staub zerfiel; ein anderes 1516 bei Mazara von 20 Ellen Länge. Häufig sind auch die Berichte von einzeln gefundenen Riesenknochen, indessen sind dieß Thierknochen gewesen od. der ganze Fund hat auf Betrug beruht. Was R-n aus neuerer Zeit betrifft, so führt Buffon 15 verificirte Beispiele riesenhafter Menschen an, unter ihnen Hans Bav, welcher im Jahre 1550, 47 Jahre alt, nach dem Leben gezeichnet war, von 11 rheinischen Fuß; ein Heiduck des Erzherzogs Ferdinand von 11 Fuß Höhe, Bernhard Gili aus dem tridentinischen Gebiete, welcher sich 1764 in Frankreich u. Deutschland sehen ließ; seine Länge betrug angeblich 10 Fuß, war aber wenigstens 8 Fuß 2 Zoll schwedisches od. 9 Fuß berner Maß. Als Ursache eines solchen ungewöhnlichen Wachsthums kann nichts Anderes angegeben werden, als ein ausschweifender Bildungstrieb. Als Abnormität deutet sich aber die Riesenbildung auch dadurch an, daß das richtige Verhältniß der einzelnen Glieder zu einander doch meist weniger od. mehr gestört ist; auch sind die meisten R-n eben so an Körper wie an Geist schwach, haben einen matten, langsamen Puls u. werden selten alt. Bei Thieren mit festen Knochen, welche ein bestimmtes Ende der Zeit des Wachsthums haben, kommen nicht leicht ungewöhnliche Körpergrößen vor; doch erlangen von Hausthieren ganze Racen, bei sehr guter Weide u. unter anderen begünstigenden Verhältnissen unverhältnißmäßige Größe, wie das friesische Rindvieh, die holsteinischen Pferde etc. Vgl. K. Weinhold, Die R-n des germanischen Mythus, Wien 1858.