Orleans [2]

[352] Orleans (die Herzoge von). Schon während das Haus Valois in Frankreich regierte, waren Prinzen desselben Herzoge von O., so namentlich König Karl VI. Bruder Ludwig, der 1407 auf Anstiften Johann's von Burgund ermordet wurde. Mit Ludwig's Enkel, dem nachherigen König Ludwig All., ward 1498 die Linie O. Nachfolger der Valois auf dem franz. Throne, wo sie aber mit Heinrich III. 1589 wieder erlosch. Von den nachfolgenden Bourbons wurde O. von Ludwig XIV. seinem einzigen Bruder Philipp I., Herzog von Orleans, geb. 1640, verliehen, welcher der Stifter des seit 1830 in Frankreich regierenden Hauses Bourbon-Orleans war. Auf Mazarin's (s.d.) Betrieb durch seine Erziehung planmäßig verweichlicht, behielt er Zeitlebens weibische Neigungen zu Putz und Gepränge, bewies aber während eines Krieges gegen Holland doch so viel Muth im Felde, daß die Soldaten von ihm sagten, er fürchte sich mehr, von der Sonne verbrannt zu werden als vor Pulver und Kugeln. Er war zuerst mit Henriette von England, einer Schwester König Karl II., vermählt, bei der ihm Ludwig XIV. gegründete Ursache zur Eifersucht gegeben haben mag; seine zweite Gemahlin war Elisabeth Charlotte von der Pfalz, geb. 1652, rühmlich bekannt durch ihren achtungswerthen Charakter und ihre Liebe zu den Wissenschaften, auch Verfasserin einer Sammlung höchst anziehender Briefe über den franz. Hof, die meist in ihrer Lebensbeschreibung von Schütz (Lpz. 1820) mitgetheilt sind. – Ein Sohn dieses 1701 gestorbenen, weibischen Philipp war Philipp II., Herzog von Orleans, geb. 1674, gewöhnlich der Regent genannt, weil er diese Würde während der Minderjährigkeit Ludwig XV. in Frankreich bekleidete. Es gebrach ihm nicht an Geistesgaben und Talenten und bei seinem ausgezeichneten Gedächtnisse hatte er sich eine Menge von Kenntnissen, freilich planlos, angeeignet; dazu kam persönliche Liebenswürdigkeit und ein Zug allgemeinen Wohlwollens, der ihn unfähig machte, ein Despot zu sein. Allein von Jugend auf namentlich durch den Einfluß seines Untergouverneurs, des Abbé Dubois, seines spätern Günstlings, nachherigen Cardinals und Premierministers, zum Wüstling erzogen, besaß er auch nicht die mindeste Achtung vor der Sittlichkeit und stand selbst mit seiner an den Herzog von Berri vermählten Tochter in schändlicher Vertraulichkeit. Gegen seines Vaters Willen hatte er sich mit Mademoiselle de Blois, einer natürlichen aber anerkannten Tochter Ludwig XIV. verheirathet, mit der er sechs Töchter und einen Sohn erzeugte, aber nicht glücklich lebte. Nicht ohne Auszeichnung wohnte er mehren Feldzügen in den Niederlanden und während des span. Erbfolgekrieges bei, wo er sich aber auch in einen Plan verwickeln ließ, der ihn nach dem wahrscheinlich gewordenen Unterliegen Philipp IV. in Spanien auf den [352] span. Thron bringen sollte und weil dies verrathen worden, ihm viel Unannehmlichkeiten zuzog. Wegen der ihm zugeschriebenen ehrgeizigen Absichten wurden ihm auch die seit 1711 in der kön. Familie vorgekommenen plötzlichen Todesfälle aufgebürdet, die er durch Gift herbeigeführt haben sollte, obgleich Ludwig XIV. seine Unschuld anerkannte. In seinem Testamente beschränkte Letzterer jedoch die dem Herzoge als künftigem Regenten zustehende Gewalt zu Gunsten seiner natürlichen Söhne, des Herzogs von Maine und Grafen von Toulouse, denen er auch das Erbfolgerecht zusicherte. Da jedoch der Herzog von O. die vornehmsten Personen des Hofes, die Parlamente und das Heer für sich und auch die verloren gehabte Gunst des Volkes wieder gewonnen hatte, wurde auf seinen Einspruch nach Ludwig XIV. am 1. Sept. 1715 erfolgten Tode, dessen Testament feierlich für ungültig erklärt und dem Herzog-Regenten die höchste Gewalt zugesprochen. Obgleich ihm nun Scharfblick in Regierungsangelegenheiten keineswegs abging, ließ er doch, bei seiner Abneigung gegen anstrengende Geschäfte, meist seine Minister schalten, wodurch die Vortheile mancher nützlichen Anordnung verloren gingen und eine verderbliche Unsicherheit in den Gang der Staatsgeschäfte kam. Dazu kam die Einführung des Papiergeldes durch den Schottländer Law und die von demselben veranlaßten Handelsunternehmungen auf Actien, deren Werth aber mit dem des Papiergeldes durch Misgriffe der Regierung plötzlich zerstört wurde, was zahllose Familien ganz zu Grunde richtete und eine Masse von Elend über das ganze Land verbreitete. Weil der Regent den natürlichen Söhnen Ludwig XIV. das Erbfolgerecht und den Titel der Prinzen von Geblüt absprechen ließ, betrieb die Gemahlin des Herzogs von Maine mit dem span. Gesandten einen Anschlag, der ihn um die Regentschaft bringen und im Fall des Ablebens Ludwig XV. dem König von Spanien die franz. Krone zuwenden sollte, was aber verrathen und wofür vier der untergeordneten Theilnehmer hingerichtet wurden. Der 1719 mit Spanien begonnene Krieg endigte 1721 nach Erreichung des Zweckes, dessen Vergrößerung in Italien und Beeinträchtigung Frankreichs zu verhindern, und im Febr. 1723 legte der Herzog endlich die Regentschaft in Ludwig XV. Hände nieder, der sich für volljährig erklärte und von ihm allmälig in den Geschäftsgang eingeweiht worden war. Der Herzog gab sich nun ganz seinen schwelgerischen Neigungen hin, übernahm zwar im Aug. 1723, nach des Ministers Dubois Tode, die Stelle eines Premierministers, starb aber schon im Dec. am Schlagflusse, einer Folge seiner Völlerei.

Auch er hatte durch seine Regierung, sein persönliches Beispiel und das zügellose Leben an seinem Hofe die franz. Revolution vorbereiten helfen, an der sein Urenkel Louis Joseph Philipp, Herzog von O., geb. 1747, der nicht weniger durch seine Ausschweifungen, wie unter dem Namen Egalité berüchtigte Vater des Königs der Franzosen, Ludwig Philipp I. (s.d.), einen schmachvollen Antheil nahm. Von ansehnlichem und selbst gefälligem Äußern und nicht ohne natürlichen Verstand, aber unwissend, leichtgläubig und charakterlos, war er frühzeitig so tief in die ausschweifendste Lebensart versanken, daß er in die höchste Sittenlosigkeit noch einen Ruhm setzte. Ohne persönlichen Muth, allein doch ehrsüchtig, konnte er es Ludwig XVI. nicht vergeben, daß er ihn nach seiner keineswegs rühmlichen Theilnahme an der unentschiedenen Seeschlacht bei Ouessant gegen die Engländer (1778), anstatt zum Großadmiral, zum Generalobersten der Husaren ernannte; glücklicher war er in seinen Bewerbungen um die Stelle eines Großmeisters aller Freimaurerlogen in Frankreich, die ihm nicht entging. Beim Volke setzte er sich durch Widerspruch gegen die Hofpartei, Vertheilung von Getreide an Hülfsbedürftige und Gewährung anderer Unterstützungen in den Jahren 1788 und 1789, sowie durch persönliche Anwesenheit bei manchem drohenden Auftritte jener verhängnißvollen Zeit in Gunst, sodaß am 12 Jul. 1789 neben der Büste Necker's auch die des Herzogs im Triumph durch die Straßen von Paris getragen wurde. Auch zum Mitglied der ersten Nationalversammlung hatte er sich wählen lassen, sowie bald ganz für den dritten Stand erklärt und war in vertraute Beziehung mit den verwegensten Köpfen getreten, die in seinem Range, seinem ungeheuren Vermögen und der Gunst, in der er beim Volke stand, vortreffliche Mittel zur Erreichung ihrer persönlichen Zwecke sahen, die er bei seiner feigen Unfähigkeit nicht zu nützen vermochte. Die Partei des Herzogs hauptsächlich betrieb auch jenen Zug der Pariser nach Versailles am 5. Oct. 1789, der ihn zunächst als Reichsverweser an die Spitze des Staates bringen sollte, wie man ihm vorspiegelte, aber blos seine Entfernung nach England herbeiführte, von wo er erst nach acht Monaten zurückkam und dann durch die Nationalversammlung von jeder Anklage wegen jener Vorfälle freigesprochen wurde. Selbst mit dem Könige ausgesöhnt. erschien der Herzog im Jan. 1792 wieder am Hofe, ward aber durch die beleidigende Behandlung der mit der stattgehabten Ausgleichung unbekannten Höflinge von Neuem zum heftigsten Gegner des Königs und der Königin. Den entschiedensten Revolutionsmännern sich anschließend und mit Marat, Robespierre und Danton zum Abgeordneten von Paris beim Convent ernannt, nahm er am 15. Sept. 1792 den Namen Egalité an, ließ die Verzichtleistung auf sein Thronfolgerecht bekannt machen und stimmte für die Hinrichtung Ludwig XVI., was selbst die Jakobiner entrüstete. Auch die Hinrichtung sah er mit an, beging den übrigen Tag derselben durch ein wildes Gelag auf einem Landsitze und berief sich frech auf das patriotische Verdienst, für des Königs Tod gestimmt zu haben, als er in Folge eines Conventsbeschlusses mit allen noch übrigen Bourbons verhaftet, nach Marseille gebracht und vor Gericht gestellt wurde. Dort freigesprochen, unterblieb gleichwol auf Befehl des Wohlfahrtsausschusses seine Freilassung und er wurde nach Paris vor das Revolutionstribunal gebracht, am 6. Nov. 1793, angeblich wegen Verschwörung gegen die Sicherheit der Republik verurtheilt und auch hingerichtet, wobei ihn der Pöbel noch seinen Antheil an der Verurtheilung Ludwig XVI. vorwarf. Ganz das Gegentheil des Herzogs war seine tugendhafte und edle Gemahlin Luise Marie Adelaide von Penthièvre, geb. 1753, welche in der sorgfältigsten Erziehung ihrer Kinder einen Ersatz für ihr eheliches Misgeschick fand. Sie wurde im Jul. 1792 von dem Herzoge geschieden, erhielt aber erst 1795 die Freiheit und 1797 den Genuß ihres Vermögens wieder, lebte später in Spanien, kam aber 1814 nach Paris zurück, wo sie auch 1821 starb.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 352-354.
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