Europa [2]

[628] Europa (gewöhnlich von dem phönic. Ereb, Abendland, abgeleitet), nach Australien der kleinste Erdtheil, eigentlich die halbinselförmige Verlängerung Asiens, hängt mit diesem ostwärts in einer Ausdehnung von wenigstens 600 M. zusammen, wird südöstl. von den nördl. Ausläufern des Mittelmeers und südl. von diesem selbst begränzt; im W. bespült es der atlant. Ocean, nördl. das [628] Eismeer. Der nördlichste Punkt des Festlands ist Cap Nordkyn (Nordcap ist auf der Insel Mageröe), der südlichste Cap Tarifa in Spanien, der westlichste das portug. Cap la Roca, der östl. die Karamündung in das Eismeer. Die Oberfläche wird zu 179000 QM. berechnet, von denen ungefähr 9000 auf die Inseln fallen. E. ist vor den andern Erdtheilen mehrfach begünstigt: durch seine Lage zwischen Asien, Afrika und Nordamerika, durch sein gemäßigtes Klima, seine Gliederung und beispiellose Küstenentwicklung, indem der Küstenumfang nicht weniger als 4500 M. beträgt. E. zerfällt seiner natürlichen Bildung nach: in die südl. Halbinseln (Krim, türk.-griech., ital., span.-portug.); in die Westländer Frankreich und Niederlande, von denen England durch einen Meeresarm getrennt ist; das centrale E. zwischen Nordsee, Ostsee, dem adriat. und schwarzen Meere; die nördl. scandinavische Halbinsel und das europ. Rußland mit seinen weiten Ebenen. Die europ. Inseln liegen mit Ausnahme Islands alle nahe an der Küste oder bilden Archipeln; sie lassen sich in folgende Gruppen zusammenstellen: der griech. Archipel, die jon. Inseln, der dalmat. Archipel, Sicilien mit seinen Nebeninseln, Sardinien und Corsica, die Balearen, der brit. Archipel mit den Gruppen der norman. Inseln, den Hebriden, Orkaden, shetländ. Inseln u. Faröern, der Inselsaum an der Küste der Nordsee, der dän. Archipel, Oeland, Gothland, die Inseln des rigaischen Meerbusens, der Archipel von Abo, die Alandsinseln, die Inseln des bothn. und finn. Meerbusens, der Inselsaum der norweg. Küste, endlich Nova Semla mit den Nebeninseln. Das centrale E. hat 2 Hauptgebirge: die Alpen, an welche sich der Hämus anschließt, so daß sich ein Gebirgswall von dem genues. Meerbusen bis an das schwarze Meer bildet; das deutsche Mittelgebirge, durch die Karpathen bis an den Dniestr reichend, außerordentlich mannigfaltig verzweigt, im Ganzen dem Alpenzuge parallel, so daß sich quer durch E. das Donauthal an das schwarze Meer hinzieht. Von dem Hämus laufen Zweige gegen S. und erfüllen als eigenes Gebirgssystem die türk.-griech. Halbinsel; ähnlich zweigt sich der Apennin von den Alpen ab und erfüllt Italien. Das franz. Gebirgssystem wird durch Rhein und Rhone von den Alpen und vom deutschen Mittelgebirge getrennt; die Wand der Pyrenäen zwischen Mittelmeer und Ocean, zwischen Ebro und Garonne scheidet das Hochland der span.-portug. Halbinsel von Frankreich; noch unabhängiger entwickelt sich die Bodengestaltung der brit. Insel. Die scandinavische Halbinsel ist ebenfalls von einem eigenen Gebirge erfüllt, das im W. in hohen Felswänden in das Meer abstürzt und von tiefen, langen, oft äußerst schmalen Meerbusen durchrissen ist, während es östl. in Terrassen zum balt. Meere sich abstuft; an das scandinav. Gebirge lehnt sich das Felsplateau Finnlands zwischen dem weißen Meere, dem finn. und bothn. Meerbusen. An den Rheinmündungen beginnt die große europ. Ebene, welche sich dem Nordabhange des Mittelgebirges entlang über den untern Lauf der Weser, Elbe, Oder und Weichsel hinzieht und sich in Rußland von dem Ostabhange der Karpathen bis an das Eismeer, den Ural, den Kaukasus und das schwarze Meer ausbreitet. Isolirte Tiefebenen zeigen sich als mächtige Gebirgsspalten, z.B. zwischen Alpen und Apennin als Poebene, zwischen Vogesen und Schwarzwald als Rheinebene und die ungar. Tiefebenen zwischen Alpen und Karpathen. Vulkan. Thätigkeit zeigen in einzelnen Spuren die Ausläufer des Hämus, sehr stark der Westrand des Apennin von Sicilien bis Toscana (Aetna, Macaluba, die liparischen Vulkane, Vesuv, die Gasausströmungen des Barigazo etc.); dagegen hat das eigentliche continentale E. keinen thätigen Vulkan, wohl aber das ferne Island u. das in ewigem Eise begrabene Nova Semla (Sarytschef). – Das Bewässerungssystem E.s ist durch die Darstellung seines Gebirgssystems bereits bestimmt. E.s Herzstrom ist die Donau, indem sie von den Alpen und dem europ. Mittelgebirge zugleich genährt wird; aus den Alpen kommen Rhein und Rhone, und werden durch [629] Zuflüsse des westl. Mittelgebirges genährt, 2 Brüder, von denen der eine sich südwärts, der andere sich nordwärts wendet. Die ital. Halbinsel gewährt nur zwischen Alpen und Apennin in dem Pogebiete Raum zu einer bedeutenderen Flußentwicklung, die türk.-griech. nirgends, das span. Hochland aber schiebt in seine Flüsse (Duero, Tajo, Guadiana, Guadalquivir, Ebro) so viele Felsenriegel, daß dieselben erst wenige Meilen oberhalb ihrer Mündung schiffbar werden. Die dem eigentlichen Frankreich angehörigen Ströme (Seine, Loire, Garonne) münden in den Ocean; von dem mitteldeutschen Gebirge fließen Ems, Weser und Elbe in die Nordsee, die Oder in das balt. Meer, eben dahin von den Sudeten und Karpathen her die Weichsel. Der Landrücken, welcher von den Quellen des Dniestr bis an den Ural hin das osteurop. Tiefland durchschneidet, weist den Niemen, die Düna und Newa in das balt. Meer, Dwina und Mezen in das weiße, die Petschora in das Eismeer; südwärts dagegen Dniepr u. Don in das schwarze Meer, die Wolga in das kasp. Größere Seebecken haben sich an dem Nordrande der Alpen (Genfersee, die Seen in den schweizer. Alpen bis zu dem Bodensee, die Seen in den bayer. und österr. Alpen, Neusiedler- u. Platensee) und an dem Südrande (LagoOrta, Maggiore, di Varese, Lugano, Como, Iseo, Garda) gebildet; sodann in unzähliger Menge in dem nördl. Theile der Tiefebene (die mecklenburg., preuß. Seen, der Peipus- und Ilmensee); ausgezeichnet durch Seen ist Finnland (Ladoga, Onega, Saima, Pielis), sowie die Ostseite der scandinav. Halbinsel. Im Ganzen ist E. trefflich mit Wasserstraßen versehen, wenn gleich die größten derselben, Wolga und Donau, der Länge der amerikan. und asiat. nicht von Ferne gleichkommen. Das Klima E.s ist das gemäßigte, nur ein kleiner Ausschnitt fällt in die nördl. kalte Zone und selbst diese wird durch das aus dem südlicheren atlant. Ocean herangetriebene Wasser (durch den Golfstrom und die Südwestwinde) dergestalt gemildert, daß noch bei Kola, unweit des Eismeeres, Gerste gebaut wird. Dagegen nimmt die Wärme gegen O. zu, mit der Entfernung vom Ocean ab, weil sich dort die kalten Luftströme von Sibirien und den Steppen der Tartarei her geltend machen; daher die kalten Winter von Odessa, Astrachan etc., die so südl. als das mittlere Frankreich liegen. Die von Afrika und Arabien herwehenden Luftströmungen geben den südl. Halbinseln eine wärmere Temperatur, als andere Erdstriche unter der gleichen Breite haben, so daß auf Sicilien und in Andalusien Palme und Zuckerrohr an das trop. Klima erinnern. In dem südwestl. und centralen E. wird das Klima außerdem durch die verschiedenen Gebirgs- u. Thalbildungen mannigfach bedingt; eine Tagreise z.B. kann in den Alpen vom ewigen Schnee durch die Region der Alpengräser und -kräuter, die Waldregion hinab bis zu einer Thaltiefe führen, wo der Weinstock wild rankend köstlichen Wein liefert und Mandeln und Feigen gedeihen; dagegen ist in dem östl. Tieflande das Klima und die Vegetation so gleichförmig als die Gestaltung des Bodens. Nach dem Klima richtet sich die Vegetation; man theilt E. in 4 Pflanzenzonen, deren Gränzlinien sich vielfältig krümmen. Die nördl. Zone, ziemlich genau durch den Polarkreis bezeichnet, hat einen kurzen, aber wegen der ununterbrochen wirkenden Sonnenstrahlen sehr heißen Sommer, einen langen, sehr kalten Winter; es ist die Zone der Birke und Kiefer, während das Getreide nur in günstigen Lagen durch Hafer und Gerste vertreten ist. Ihr folgt die Zone der Eiche und Buche: Südscandinavien, Dänemark, Norddeutschland, England, die Niederlande, das nordwestl. Frankreich, Polen und Mittelrußland umfassend, die Zone der schönsten Waldungen, des Roggen u. Weizen, des Flachses u. Aepfelbaums. Auf sie folgt die Zone der Kastanien, den größten Theil von Frankreich, die Schweiz, Süddeutschland, Ungarn, Südrußland u. die Türkei in sich begreifend, wo neben edelm Obst und Weizen die Rebe ihre Traube und der Mais seine Kolben zeitigt; die südl. Zone endlich, die der Olive, bringt die eigentlichen Südfrüchte hervor, baut neben Weizen [630] u. Mais den ergiebigen Reis, während Cactusarten aus den Gesteinritzen hervorwuchern. Wie das Pflanzenreich von dem Klima bedingt ist, so die Thierwelt von beiden. Die Hausthiere sind in Folge der europäischen Cultur bis in den höchsten Norden verbreitet; Island hat noch Pferde, Rindvieh und Schafe, und nur der Lappländer ersetzt Rind, Schaf u. Pferd durch das einzige Rennthier. Im Norden finden sich die gleichen Raubthiere wie auf den höheren Gebirgen südwärts: Bär, Luchs, Edelmarder etc., während Wolf und Fuchs sich überall einfinden, wo sie der Mensch duldet; ebenso verhält es sich mit den Raubvögeln aus dem Falkengeschlechte, während der Geier dem Süden angehört. Die Gemse, der Steinbock, das Murmelthier gehören ausschließlich dem Hochgebirge an. Die nördl. Gewässer hegen Robben und Walthiere, sowie Schwimmvögel in viel größerer Menge und zahlreicheren Arten als die südl.; den südl. Meeren ist der Thunfisch, die Sardelle etc. eigenthümlich, den nördl. der Häring u. Stockfisch etc. Der Süden hat viel mehr Amphibien, Insekten und Würmer als der Norden, namentlich auch giftige Arten (Viper, Skorpion, Tarantel), er entfaltet überhaupt im allgemeinen mannigfaltigeres Leben als der Norden. – Wie die nützlichsten Pflanzen u. Thiere fast über die ganze Oberfläche E.s verbreitet sind, so daß die Grundbedingung aller Cultur, der Ackerbau, fast überall möglich, so hat es auch die wichtigsten Mineralien im Ueberfluß, dagegen ist es ziemlich arm an den s.g. edeln Metallen u. Steinen. E. fördert mehr Eisen u. Steinkohlen zu Tage als die anderen Erdtheile zusammengenommen, ebenso hat es Ueberfluß an Salz. Gold liefern der Ural und die österr. Karpathen, Silber kommt fast in allen älteren Gebirgsformationen vor, besonders im Mittelgebirge und in den span. Sierren; Quecksilber liefern hauptsächlich die krain. Alpen und die Sierra Morena; Kupfer Ural, Karpathen und das scandinav. Gebirge; Zinn das Erzgebirge u. Cornwallis; Zink das mitteleurop. Gebirge fast in seiner ganzen Ausdehnung, Blei findet sich in den Karpathen, dem Erz- u. Riesengebirge, dem Schwarzwald, in den Sevennen, Pyrenäen etc. – Die Einwohnerzahl E.s beläuft sich auf 270 Mill., es ist also der bevölkertste Erdtheil; sie zerfallen: 1) in romanische Völker: Portugiesen, Spanier, Franzosen, Italiener, Walachen, welche aus der Vermischung der Römer mit den Ureinwohnern und der Beimischung der später eingewanderten Germanen u. Slaven entstanden sind. 2) Die germanische: Deutsche, Dänen, Norweger, Schweden, Holländer und Engländer. 3) Die slavischen: Russen, Polen, Tschechen, Kroaten, Serben etc. 4) Finnen: Finnländer, Maghyaren, Esthen, Liven, Türken. 5) Albanesen. 6) Letten. 7) Celten, Ueberreste in Irland, England, Spanien u. Frankreich. 8) Hellenen, Reste in Griechenland. 9) Armenier. 10) Juden. 11) Zigeuner. Der Religion nach sind fast alle Europäer Christen; die Türken und ein Theil der Albanesen u. Serben bekennen sich zum Islam, die Juden zu dem Mosaismus, die Zigeuner sind, scheint es, der Mehrzahl nach Heiden, ebenso noch einige Lappländer. E. ist in der Cultur allen andern Erdtheilen voran; es benutzt nicht bloß seinen Bodenreichthum am fleißigsten, sondern hebt auch Mineralschätze in andern Erdtheilen; der Europäer verarbeitet ferner nicht bloß die Naturerzeugnisse seines Erdtheils, sondern auch die der andern, und versieht Amerikaner, Asiaten, Afrikaner und Australier mit seinen industriellen Erzeugnissen, E. ist demnach der Erdtheil der Industrie. Es ist auch der Erdtheil der Kunst und Wissenschaft, der Erfindungen, und nur die nach Amerika verpflanzten Europäer tragen zu diesem Schatze ihr Schärflein bei; in Asien sind ohne Zweifel die ältesten, vorhistorischen Erfindungen gemacht worden, alle geschichtlichen dagegen in E. und im europäisirten Amerika. Deßwegen ist E. der mächtigste und reichste Erdtheil, den andern zusammengenommen überlegen, u. die Zeit scheint bereits angebrochen zu sein, daß der ganze Erdball durch die Europäer einer höheren Bestimmung entgegengeführt werden soll. – Politisch zerfällt E. in 78 souveräne u. 5 Vasallenstaaten; im westl. E.: Portugal, [631] Spanien, Andorra, Frankreich, England, Belgien, Niederlande; im nördl.: Dänemark, Schweden, Norwegen; im centralen: 31 rein deutsche Staaten (s. Deutschland), Oesterreich, Preußen, 25 schweizer. Cant.; im südl.: Sardinien, Toscana, Parma, Modena, Kirchenstaat, San Marino, Neapel und Sicilien, jonische Inseln, Montenegro, Griechenland, Türkei, Walachei, Moldau, Serbien; im östl. E.: Rußland.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 628-632.
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