Forstwissenschaft

[789] Forstwissenschaft, die Gesamtheit der systematisch geordneten Kenntnisse, die sich auf das Forstwesen beziehen. Einen Teil jener Kenntnisse empfängt die F. von andern Wissenschaften, und sie begründet ihre Schlußfolgerungen durch diese Wissenszweige, die man daher die forstlichen Grundwissenschaften nennt. Als solche sind anzusehen die Naturwissenschaften: Physik, Chemie, Mineralogie, Geognosie, Bodenkunde, Meteorologie und Klimalehre, dann Botanik und Zoologie, ferner Mathematik, Volkswirtschaftslehre, Staatswissenschaft. Werden diese Wissenszweige in dem durch die forstlichen Zwecke[789] begrenzten Umfang aufgefaßt, so pflegt man dies durch den Zusatz »Forst« anzudeuten (Forstbotanik, Forstzoologie, Forstmathematik, Forstvermessung etc.). Die F. ist eine angewandte Wissenschaft. Aus der Anwendung der Grundwissenschaften auf das Forstwesen ergeben sich die forstlichen Haupt- oder Fachwissenschaften. Das noch nicht völlig durchgebildete System der letztern läßt sich folgendermaßen gliedern:

I. Forstwirtschaftslehre. 1) Forstliche Produktionslehre: a) Waldbaulehre; b) Forstschutzlehre; c) Forstnutzungslehre. 2) Forstliche Betriebslehre: a) Waldwert- und Rentabilitätslehre; b) Forsteinrichtungslehre. 3) Forsthaushaltslehre (Forstverwaltungslehre).

II. Staatsforstwissenschaft. 1) Forstpolitik. 2) Forstverwaltungsrecht.

III. Forstgeschichte.

IV. Forststatistik.

Nebenwissenschaften, die in keinem notwendigen Zusammenhang mit den forstlichen Fachwissenschaften stehen, aber von den Forstleuten in der Regel gekannt sein müssen, sind Rechtskunde und Baukunde.

Die Geschichte der F. geht kaum um 11/2 Jahrhundert zurück. Solange das Holz im Überfluß vorhanden war (s. Forstwirtschaft), fehlte es an jedem Motiv, die Forstwirtschaftslehre systematisch zu gestalten und wissenschaftlich zu begründen. Auch dann, als seit dem 16. und 17. Jahrh. der traurige Zustand vieler Forsten, die Furcht vor Holzmangel zu einer rationellern Gestaltung der Waldbenutzung mahnten, entwickelte sich nur ganz langsam eine wissenschaftliche Behandlung der auf einer ziemlich rohen Empirie beruhenden Forstwirtschaftslehre. Die mit dem Wirtschaftsvollzug betrauten Jäger vermochten nichts weiter, als auf dem Wege der praktischen Beobachtung gewisse Regeln für die Wirtschaft abzuleiten, die sie oft genug in unberechtigter Weise generalisierten und dadurch ihren Wert verminderten. Auch als seit 1760 Forstschulen entstanden, richteten sie ihre Tätigkeit zunächst lediglich auf die Erlernung des praktischen, handwerksmäßigen Wirtschaftsvollzugs. Der erste Versuch, das gesamte forstliche Wissen zu sammeln und systematisch zu ordnen, ging von kameralistisch gebildeten Nichtforstleuten aus, von denen unter den Verwaltungsbeamten v. MoserGrundsätze der Forstökonomie«, 1757), StahlOnomatologia forestalis«, 1772), v. Brocke (»Wahre Gründe der physikalischen und experimentalischen allgemeinen F.«, 1768 bis 1775), unter den kameralistisch gebildeten Univertätslehrern, die seit 1770 auf den meisten deutschen Hochschulen F. lehrten, Suckow (Professor an der Kameralhochschule zu Lautern, Verfasser einer »Ökonomischen Botanik«, 1777), Jung-Stilling (»Lehrbuch der F.«, 1781), Nau (»Anleitung zur deutschen F.«, 1790), Walther (»Lehrbuch der F.«, 1795, und wertvolle forstbotanische Schriften) und Trunk in Freiburg (»Forstlehrbuch«, 1788) die bedeutendsten sind. Zu einer vollständigen Begründung und Ausgestaltung der F. waren indessen die Berufsforstwirte bestimmt, aber vor 1790 wenig geeignet, da ihnen eine tiefere wissenschaftliche Bildung mangelte. Zunächst schien es auch vor allem wichtig, in den praktischen Wirtschaftsbetrieb größere Ordnung und Übersichtlichkeit zu bringen. Eine Reihe von Systemen der Forsteinrichtung entstand, und auch die mathematische Seite der F. machte rasche Fortschritte. Auf diesem Gebiet haben Öttelt in Thüringen (Verfasser einer ihrer Zeit bedeutenden Schrift: »Beweis, daß die Mathesis bei dem Forstwesen unentbehrliche Dienste tut«, 1765–1768), v. Wedell in Schlesien, Hennert in der Mark Brandenburg (Verfasser einer »Anweisung zur Taxation der Forsten«, 1791) Bedeutendes geleistet. Es entstanden rasch eine Reihe von Forstschulen, an denen dem Studium der F. die schulgerechte methodische Form und enzyklopädische Vollständigkeit gegeben wurde.

Einen bedeutenden Schritt vorwärts wurde die F. durch G. L. Hartig und Cotta am Anfang des 19. Jahrh. geführt, doch kommt nur Cotta über die Zusammenstellung schulgerechter Generalregeln hinaus. Ja, eine gewisse doktrinäre Schulrichtung (vollkommen geeignet für die damaligen Praktiker), eine gewisse dogmatische Gebundenheit ist zur Signatur namentlich der Hartigschen Epoche geworden. Gegen diese Regelgerechtigkeit und Gebundenheit trat Fr. Pfeil seit 1816 energisch auf. Er wurde der Begründer einer Richtung in der F., welche die Berechtigung der Schulregeln leugnet und die wirtschaftlichen Maßregeln aus der freien Beurteilung der konkreten örtlichen Verhältnisse herleitet. Gleichzeitig hat Pfeil zuerst die allgemein wirtschaftlichen Grundlagen der Forstwirtschaft klar erfaßt. Der rasche Aufschwung, den seit 1820 die Naturwissenschaften nahmen, wirkte mächtig mit zu der Vertiefung der F. Auf dem Gebiet der Forstbotanik (s.d.) hatten schon Walther und Burgsdorf vor Hartig und Cotta nicht Unbedeutendes geleistet, und Bechstein in DreißigackerForstbotanik«, 5. Aufl. von Behlen, Erfurt 1842), Borckhausen (»Handbuch der Forstbotanik und Forsttechnologie«, Gieß. 1800–03), Reum in TharandtForstbotanik«, 2. Aufl., Dresd. 1825) u. a. waren auf diesem Wege weiter vorgeschritten; Hundeshagen, Th. Hartig, Schacht, Nördlinger, Willkomm und namentlich Robert Hartig haben sodann mit Erfolg weitergearbeitet. Die übrigen, dem Gebiet der Naturwissenschaften angehörigen forstlichen Grundwissenschaften fanden erst seit 1830 eine wahrhaft wissenschaftliche Bearbeitung, die Entomologie durch Th. Hartig und in hervorragender Weise durch RatzeburgForstinsekten«, Berl. 1837–44, 2 Bde.), später durch Altum (s. Forstzoologie), die Bodenkunde durch Hundeshagen (Jena 1847, 2 Bde.), Senst (2. Aufl., Berl. 1877), K. Grebe (4. Aufl., das. 1886) und Ramann (das. 1893). Viel früher waren die mathematischen Grundlagen der F. zu einem gewissen Abschluß gekommen. Die Arbeiten von Späth in Altdorf (»Handbuch der F.«, Nürnb. 1801–05), Georg Däzel (»Über die zweckmäßigste Methode, große Waldungen auszumessen und zu berechnen«, Münch. 1799), die Methoden der Forsteinrichtung von G. L. Hartig und Cotta (die sogen. Fachwerksmethoden, s. Forsteinrichtung), von Paulsen und Hundeshagen (Formelmethoden) sind hier besonders zu nennen. Der mathematische Teil der F. (Taxation, Waldwertrechnung und Statik) fand später in König (»Handbuch der Forstmathematik«, 5. Aufl. von Grebe, Gotha 1864), Preßler, K. und G. Heyer namhafte Vertreter. Jedenfalls bedarf der weitere Ausbau der F. der Methode des exakten Versuchs, die besonders in Deutschland durch die Organisation des Forstversuchswesens (s.d.) gepflegt wird. Die in neuerer Zeit mit Lehrkräften und Lehrmitteln reich ausgestatteten forstlichen Unterrichtsanstalten arbeiten, wenngleich auf verschiedenen Wegen (Forstakademie, Universität), an der Fortbildung und Vertiefung der F. Auch in der Wirtschaft ist ein reges, wissenschaftliches Leben vielerorts eingekehrt, wozu Zeitschriften und zahlreiche Vereine reiche Anregung geben. Die Forstgeschichte, d. h. die geschichtliche Darstellung der Rechtsverhältnisse des Waldes (namentlich[790] des Waldeigentums), der Waldwirtschaft, der F. und Forstpolitik, wurde besonders bearbeitet durch Bernhardt, Geschichte des Waldeigentums, der Waldwirtschaft und F. in Deutschland (Berl. 1872–1875, 3 Bde.); Roth, Geschichte des Forst- und Jagdwesens in Deutschland (das. 1879); v. Berg, Geschichte der deutschen Wälder bis zum Schluß des Mittelalters (Dresd. 1871); Fraas, Geschichte der Landbau- und F. seit dem 16. Jahrhundert (Münch. 1865); Schwappach, Handbuch der Forst- u. Jagdgeschichte Deutschlands (Berl. 1885–88) und dessen »Grundriß der Forst- u. Jagdgeschichte Deutschlands« (2. Aufl., das. 1892). Vgl. Heß, Enzyklopädie und Methodologie der F. (Nördling. u. Münch. 1885–92, 3 Bde.); Fischbach, Lehrbuch der F. (4. Aufl., Berl. 1886); Lorey, Handbuch der F. (in Verbindung mit andern, 2. Aufl., Tübing. 1903, 4 Bde.); Fürst, Illustriertes Forst- und Jagdlexikon (2. Aufl., Berl. 1903); »Allgemeine Enzyklopädie der gesamten Forst- und Jagdwissenschaften« (hrsg. von R. v. Dombrowski, v. Guttenberg und Henschel, Wien 1886–93, 8 Bde.).

Zeitschriften: Hartigs »Forst- und Jagdarchiv von und für Preußen« (Leipz. 1816–20); Behlens »Forst- und Jagdzeitung« (seit 1825, fortgesetzt von v. Wedekind, K. u. G. Heyer, jetzt hrsg. von Lorey und Lehr, Frankf. a. M.); Pfeils »Kritische Blätter für Forst- und Jagdwissenschaft« (Leipz. 1823–59, fortgesetzt bis 1870 von Nördinger); »Tharander Forstliches Jahrbuch« (von Kunze, Dresd., seit 1842); Grunerts, später Borggreves »Forstliche Blätter« (1861–91); Baurs »Monatsschrift für das Forst- und Jagdwesen« (Stuttg. 1861–78), fortgesetzt als »Forstwissenschaftliches Zentralblatt« (jetzt hrsg. durch Fürst, Berlin); Danckelmanns »Zeitschrift für Forst- und Jagdwesen« (Berl., seit 1869; jetzt hrsg. von Riebel und Weise); Danckelmanns und Mundts »Jahrbuch der preußischen Forst- und Jagdgesetzgebung und -Verwaltung« (das., seit 1869); Burckhardt, »Aus dem Walde«, Mitteilungen in zwanglosen Heften (Hannov. 1865 bis 1881,10 Hefte); »Zentralblatt für das gesamte Forstwesen«, von Friedrich (Wien, seit 1875); »Österreichische Forstzeitung« (das., seit 1883); »Aus dem Walde. Wochenblatt für Forstwirtschaft« (Tübing., seit 1887); »Mündener forstliche Hefte«, von Weise (Berl. 1892–1902); »Forstlich-naturwissenschaftliche Zeitschrift«, von Tubeuf (Münch. 1892–98); »Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Land- und Forstwirtschaft«, von Tubeuf u. Hiltner (Stuttg., seit 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 789-791.
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