[791] Gewerbehygiene, der Teil der öffentlichen Gesundheitspflege (s.d.), der sich auf die Gewerbe erstreckt und besonders die Förderung des Wohls der Arbeiter bezweckt (Arbeiterhygiene), während der Schutz der Anwohner der Gewerbebetriebe vor nachteiligen Eingriffen aller Art seitens der letztern das Gebiet der Gewerbesanitätspolizei bildet. Die G. berücksichtigt hauptsächlich die Fabriken und größern Werkstätten (daher auch Fabrikhygiene), während für die Arbeiter der kleinern und kleinsten Betriebe, die Hausindustrie und die Handwerker gewerbehygienische Bestimmungen in geringem Umfange vorhanden sind. Die G. erstreckt sich wesentlich auf folgende Punkte: 1) Schutz der Arbeiter (Gewerbtreibenden) vor Schädigungen ihrer Gesundheit und ihres Lebens durch den Gewerbebetrieb, Förderung des Arbeiterwohls durch hygienische Maßnahmen innerhalb und außerhalb der Arbeitsstätte. Hierher gehören: a) Schutz gegen Unfälle aller Art, Unfallverhütung, Unfallversicherung. Hauptgegenstände der Unfallverhütung sind Maschinen, Transmissionen, Schmiervorrichtungen, Dampfkessel und andre mit gespannten Gasen gefüllte Apparate, Gegenstände von hoher Temperatur, giftige und ätzende, feuergefährliche und explosive Substanzen. b) Schutz gegen gesundheitswidrige Ausnutzung, resp. Abnutzung der Arbeitskraft, Regelung der Arbeitszeit für erwachsene Arbeiter und Arbeiterinnen, Nachtarbeit, Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit, Arbeit der jugendlichen Personen, der Frauen und Kinder. c) Schutz gegen krankmachende Berufsschädlichkeiten, wie Staub, schädliche Gase, Gifte, Infektionsstoffe, starke Temperaturschwankungen, Nässe, Feuchtigkeit. d) Schutz gegen nachteilige Einflüsse der Arbeit, besonders die einseitige Überanstrengung einzelner Körperteile, wie professionelle Zwangsstellungen (anhaltendes Stehen, Sitzen, Knien, Hocken etc.), wiederholte Inanspruchnahme derselben Muskelgruppen, Nervenzentren etc. e) Hygienische Herrichtung der Arbeitsstätte in bezug auf Größe des Arbeitsraumes, Reinlichkeit, Desinfektionsfähigkeit, natürliche und künstliche Beleuchtung, Heizung, Abkühlung, Ventilation, Aborte, Feuerschutz und Feuerrettung. f) Hygienische Bemühungen, die unmittelbar die Person des Arbeiters betreffen, wie die Kleidung in der Fabrik, Ankleideräume, Speiseräume, Wasch- und Badeeinrichtungen in der Fabrik, Arbeiterwohnungen, Baracken. g) Wohlfahrtseinrichtungen, wie Kost- und Speiseanstalten, Kaffeeschenken, Konsumvereine, Krippen für die Säuglinge, Bewahranstalten für kleine Kinder, Kleinkinderschulen, Kindergärten, Schulen, Fortbildungsschulen, Arbeiterbildungsvereine, Haushaltungsschulen, Witwen- und Waisenversorgung etc. h) Das Arbeiterkrankenwesen betrifft die Krankenhäuser und Baracken, Krankentransport, Fabrikärzte, Krankenpfleger und -Pflegerinnen, Samariterwesen, Krankenkassenwesen, Krankenversicheruug, Invaliditätsversicherung, Altersversorgung, Begräbnis- und Sterbekassen. Die Verhältnisse der Handwerker, der Hausindustriellen und der ländlichen Arbeiterbe dürfen besonderer Maßnahmen auf dem Gebiete der G. Während sie sich bezüglich der Unfallverhältnisse, der Versicherung, des Kassenwesens leicht an die Einrichtungen für Fabrikarbeiter anschließen, stoßen die hygienischen Bestrebungen zur Verbesserung der Arbeitsstätten, zur Gewährung von Schutz gegen die unter b, c, d angegebenen Übelstände, selbst die zur Ausdehnung der unter f und g genannten Betätigungen der G. auf diese Kategorien von Arbeitern auf Schwierigkeiten. In mancher Hinsicht wirken hier die Berufsgenossenschaften günstig. Schon die Innungen und die Zünfte, die Gewerkvereine, besonders die Knappschaften, haben von jeher neben sozialen auch hygienische Maßnahmen zum Wohl ihrer Mitglieder getroffen, für die Gegenwart aber sind in viel ausgedehnterm Maße die für Deutschland durch Reichsgesetz vom 6. Juli 1884 geschaffenen Korporationen wirksam. Der G. schließen sich gewisse Kapitel der öffentlichen Gesundheitspflege an, die zwar für die Allgemeinheit gelten, aber hauptsächlich auf Arbeiter Anwendung finden. Dahin gehören Bauhygiene und Baupolizei der kleinen und kleinsten Wohnungen, das Schlafstellenwesen, Volksküchenwesen, die Asyle für Obdachlose, das öffentliche Desinfektionswesen, Volksbadeanstalten und das Volksschulwesen. Auch hier ist wieder die Fabrikbevölkerung der großen Städte bedeutend besser gestellt als die Handwerker, die Hausindustriellen der kleinen Städte und die landwirtschaftlichen Arbeiter.
Die Gewerbe bringen der Bevölkerung gewisse sozialpolitische Gefahren, namentlich ist die Gesundheit auf dem ganzen Gebiete der Industrie der Nahrungs- und Genußmittel und der Gebrauchsgegenstände bedroht. Diese Kapitel schließt man indes von der G. aus (vgl. Nahrungsmittelgesetz) und berücksichtigt nur 2) den Schutz der Anwohner gegen die von den Gewerben herrührenden Gefahren. Hier kommen in Betracht: Unfalle, besonders Explosionen von Dampfkesseln etc.; Gifte aller Art, die sich in Boden, Wasser und Luft verteilen; Infektionsstoffe, die durch Lumpen, Felle, Häute, Fleisch, Därme etc. in die Umgebung des Gewerbebetriebes gelangen; Verbreitung von ansteckenden Krankheiten durch die Arbeiter selbst; Schädigung durch Rauch und Ruß. Während diese Beeinflussungen der An wohner Leben und Gesundheit direkt bedrohen, können gewisse Belästigungen doch zu Gesundheitsschädigungen führen und verlangen Abwehr. Dahin gehören widerliche, bez. aufdringliche Gerüche, die den Anwohnern den Aufenthalt im Freien verkümmern und sie veranlassen, die Fenster geschlossen zu halten, ebenso starke Geräusche, die sehr lästig werden und in der Nähe von Schulen, Krankenhäusern etc. völlig unzulässig sind. Gegen Schädigungen, die sich auf den Besitzstand der An wohner, bez. deren Erwerb erstrecken, gewähren die Gesetze, das Klageverfahren, Entschädigungsbestimmungen etc. ausreichenden Schutz, und gewerbehygienische Maßnahmen finden nicht statt, soweit es sich nicht um gewisse, oben genannte Dinge handelt. Hier kommen in Betracht: Einfluß schädlicher Gase, Dämpfe und Flugstaubarten auf die Vegetation (Devastationsgebiete), Schädigungen der Fischerei durch Abwässer aller Art (Flußverunreinigung), Schädigung der Jagd durch die Nähe industrieller Betriebe, Schädigungen der Viehzucht durch Gase, Dämpfe, Flugstaub, durch Verbreitung von Milzbrand seitens der Gerbereien etc., Schädigung eines Gewerbes durch ein andres durch Verunreinigung von Luft und Boden etc. Vgl. »Handbuch der praktischen G.« (hrsg. von Albrecht u. a., Berl. 1896); Kraft, Fabrikshygiene (1. Bd., Wien 1891); Eulenberg, Handbuch der G. (Berl. 1876); Weyls[791] »Handbuch der Hygiene«, Bd. 8: G. von Bluhm, Goldschmidt u. a. (Jena 1897); Korn, Allgemeine G. (Leipz. 1902); Dammer, Handbuch der Arbeiterwohlfahrt (Stuttg. 190203, 2 Bde.); Layet, Hygiène industrielle (Par. 1897); »Zeitschrift für G., Unfallverhütung und Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen« (Wien, seit 1894); Archiv für Unfallheilkunde, G. und Gewerbekrankheiten (Stuttg. 18961901).