Höferecht

[417] Höferecht (nicht zu verwechseln mit »Hofrecht«, s. d.), eine solche Ordnung des Erbrechts an Grundbesitz, nach der dieser auf einen unter mehreren gleichnahen Miterben (den Anerben, Grunderben) ungeteilt übergeht, sofern der Eigentümer nicht eine gegenteilige Bestimmung trifft. Ein solches H. hatte sich in einigen Gegenden Deutschlands (Teile von Schleswig-Holstein, Kurhessen, Waldeck, Mecklenburg, Bayern etc.), wo das Hofsystem (s. d.) besteht, auch nach Beseitigung des ältern, den Interessen des Gutsherrn dienenden Anerbenrechts (s. d.) gewohnheitsrechtlich erhalten. In der neuern Zeit ist es in vielen Ländern, um die Bauerngüter und einen gut gestellten Bauernstand zu erhalten, gesetzlich geregelt oder neu eingeführt worden (Höfegesetze). Solche Gesetze wurden erlassen in Baden (für Bezirke des Schwarzwaldes, 28. März 1808, 23. Mai 1888), Braunschweig (Gesetze über Vererbung und Unteilbarkeit der Rittergüter vom 20. Mai 1858, den bäuerlichen Grundbesitz vom 28. März 1874), Mecklenburg-Schwerin (Verordnungen von 1869 und 1872, betreffend die Intestaterbfolge in die bäuerlichen Erbpachtgüter der Domänen), Schaumburg-Lippe (11. April 1870), Herzogtum Oldenburg (24. April 1873), Fürstentum Lübeck (16. Jan. 1879), Bremen (14. Jan. 1876, für das Landgebiet), tür die Provinzen und Landesteile Hannover (2. Juni 1874 mit Novellen von 1880 und 1884), Lauenburg (21. Febr. 1881), ferner unter dem Titel Landgüterordnungen: für Westfalen, einschließlich der Kreise Rees, Essen, Duisburg und Mülheim a. Rh. (30. April 1882), Brandenburg (11. Juli 1883), Schlesien (24. April 1884), Schleswig-Holstein mit Ausschluß von Lauenburg (2. April 1886), Regbez. Kassel mit Ausschluß des Kreises Rinteln (1. Juli 1887); ferner in Österreich (Gesetz vom 1. Febr. 1889 für die im Staatsrat vertretenen Länder, betreffend die Einführung besonderer Erbteilungsvorschriften etc.). Das H. gilt kraft Gesetzes als allgemeines Intestaterbrecht, sofern der Eigentümer nicht eine anderweite Verfügung trifft, in Baden, Mecklenburg-Schwerin, Schaumburg-Lippe, Braunschweig, Österreich; dagegen ist seine Anwendung von der in das freie Belieben der Eigentümer gestellten Eintragung des Geländes in eine amtliche Rolle (Höfe-, Landgüter-, Erbgüterrolle) abhängig nach den preußischen Provinzialgesetzen, in Bremen und in Oldenburg. Diese Eintragung ist im Interesse der Sache sehr erleichtert, sie kann auf Antrag des Eigentümers jederzeit wieder gelöscht werden, so daß dann in Ermangelung einer letztwilligen Verfügung das gemeine Erbrecht in Kraft tritt. Demnach ist der Eigentümer in allen Fällen in seinen freien Entschließungen nicht gehindert, nur bildet hier das Anerbenrecht die Ausnahme als Folge einer ausdrücklichen Willenserklärung, dort die Regel als Folge des Mangels einer solchen Erklärung. Das Recht der freien Verfügung des Eigentümers über das Anerbengut bleibt auch im übrigen (Veräußerung, Zerteilung, Belastung) allgemein bestehen. Eine Ausnahme machen Baden, Mecklenburg-Schwerin und Schaumburg-Lippe, wo die relative Gebundenheit der Anerbengüter beibehalten wurde, und Österreich, wo sie durch Landesgesetz wieder eingeführt werden kann. Das moderne H. erkennt ferner die Gleichberechtigung der Erben an, nur hat es das Verhältnis der Erbbeteiligten untereinander modifiziert. Der Anerbe hat entweder das Recht, von den Miterben die Übertragung der auf sie angefallenen Gutsteile gegen Wertersatz zu verlangen (Westfalen, Brandenburg, Schlesien, Schleswig-Holstein, Kassel), oder er erhält kraft Gesetzes das Ganze und muß den Überschuß des Gesamtwertes über den ihm zukommenden Anteil herauszahlen (Hannover, Lauenburg, Bremen, Österreich). Dann wird durch das neue Recht die Stellung der Nachlaßgläubiger möglichst wenig beeinträchtigt. Voraussetzung für Anwendung des Anerbenrechts[417] ist allgemein, daß die ihm zu unterwerfenden Grundstücke land- und forstwirtschaftlich benutzt werden oder hierfür geeignet sind; dabei sind verschiedene Bestimmungen über Beschaffenheit und Größe der Besitzungen getroffen. Meist müssen sie mit einem Wohnhaus versehen sein. In Braunschweig und Schaumburg-Lippe gilt das H. nur für Bauernhöfe, in Österreich nur für landwirtschaftliche Besitzungen mittlerer Größe, wobei es der Landesgesetzgebung überlassen ist, nähere Bestimmungen zu treffen. Dann sind in einigen Ländern Höchst- und Mindestbeträge für Fläche und Wert festgesetzt, so in Bremen mindestens 5 Hektar, in Brandenburg und Westfalen mindestens 75, in Schlesien mindestens 60 Mk. Katastralreinertrag; in Hannover, Schleswig-Holstein, Lauenburg, Kassel, Oldenburg sind in dieser Beziehung keine Bestimmungen getroffen. Ausgenommen sind aber auch hier wie überall die durch Lehen und Familienfideikommisse an eine singularrechtliche Erbfolge gebundenen Güter. Mannigfaltig sind die Bestimmungen über den Begriff Zubehör sowie darüber, ob der Anerbe ein solches mit übernehmen muß oder es ablehnen kann. Allgemein ist für Bemessung des Gutswertes der Ertrags-, nicht der Verkaufswert zu unterstellen. Derselbe wird in einigen Ländern (Hannover, Lauenburg, Oldenburg, Bremen, Braunschweig) in jedem Fall durch Gericht und Sachverständige festgestellt, in andern (Westfalen, Brandenburg, Schlesien) sind hierfür feste Normen, gewöhnlich ein Vielfaches des Grundsteuerreinertrags, festgesetzt. Dem Anerben wird ein Voraus (Präzipuum) gewährt, sei es, daß von vornherein zu seinen gunsten der Gutswert niedrig bemessen oder von dem ermittelten Ertragswert ein Bruchteil in Abzug gebracht wird, dann wird er auch noch hinsichtlich der Fälligkeit und der Verzinsung der den Miterben zustehenden Forderungen begünstigt. Alle Gesetze behalten dem Grundeigentümer die Wahl des Anerben vor. Erfolgt dieselbe nicht, so wird der durch das Gesetz Berufene Anerbe. Meist muß der Anerbe Abkömmling des Erblassers sein (so in Hannover, Lauenburg, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Kassel, Braunschweig, Bremen, Schaumburg-Lippe). Andre Gesetze gehen weiter (Westfalen und Schlesien allgemein, Oldenburg und Braunschweig für einzelne Güterarten), indem auch andre Verwandte einbezogen werden. Die meisten Gesetze haben bei der Erbfolgeordnung das Majorat eingeführt, einzelne (Westfalen, Oldenburg) lassen auch das Minorat zu. In Österreich wird der Übernehmer durch Landesgesetzgebung in der Weise bestimmt, daß die Gesetzgebung an das Recht und die Ordnung der gesetzlichen Erbfolge gebunden bleibt und innerhalb dieser Grenzen die Reihenfolge festsetzt, in der unter mehreren nach der gesetzlichen Erbfolge zugleich eintretenden Erben die einzelnen zur Übernahme des Hofes berufen sind. Die Landesgesetzgebung kann jedoch die Anordnung treffen, daß der überlebende Ehegatte unmittelbar nach den Nachkommen des Erblassers und vor den übrigen Verwandten (2.–6. Linie) desselben als Übernehmer berufen werde (sogen. Angriffsrecht). Bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches des Deutschen Reiches ist die Frage viel erörtert worden, ob das H. in dieses aufgenommen werden soll. Man sah aber wegen der großen örtlichen und wirtschaftlichen Verschiedenheit mit Recht davon ab. Der Art. 64 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmt nur, daß die landesgesetzlichen Vorschriften über das Anerbenrecht bei land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken und deren Zubehör unberührt bleiben, daß jedoch die Landesgesetzgebung das Recht des Erblassers über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, nicht beschränken dürfe. Vgl. v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigentumsverteilung im Deutschen Reich (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 20 u. 25; Leipz. 1882 u. 1884) und Agrarpolitische Zeit- und Streitfragen (das. 1889); »Schriften des Vereins für Sozialpolitik«, Bd. 21 (Verhandlungen in Frankfurt a. M., 1882); Frommhold, Die rechtliche Natur des Anerbenrechtes nach der neuesten Höfegesetzgebung etc. (Bresl. 1885) und Deutsches Anerbenrecht (Greifsw. 1896); Stengele, Die Bedeutung des Anerbenrechts für Süddeutschland (Stuttgart 1894); »Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen«, im Auftrag des Ministeriums für Landwirtschaft etc. herausgegeben von Sering (Berl. 1898–1901, 10 Tle.); Peltzer, Das Gesetz, betreffend das Anerbenrecht bei Renten- und Ansiedlungsgütern vom 9. Juni 1896 (das. 1896); Peltasohn, Rentenguts- und Anerbenrechts-Gesetzgebung in Preußen (das. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 417-418.
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