Nicaragŭa

[617] Nicaragŭa, die ausgedehnteste der fünf mittelamerikan. Republiken (s. Karte »Westindien und Mittelamerika«), zwischen 10°45´-15°6´ nördl. Br. und 83°10´-87°35´ westl. L., mißt 123,950 qkm und wird im Norden von Honduras, im S. von Costarica, im W. vom Stillen Ozean und im O. vom Karibischen Meer begrenzt. Den östlichen Teil bildet das Mosquitoterritorium (s. d.), dem eine Menge von Klippen (Cays) sowie die große Mosquitobank vorgelagert sind und dessen 550 km lange lagunenbesetzte Flachküste nur schlechte Häfen besitzt, darunter den von Bluefields, an der Mündung des gleichbenannten Flusses, und Greytown, an der Mündung des San Juan. Dagegen hat die 350 km lange pazifische Küste vortreffliche Häfen, wie Salinas, San Juan del Sur, Nascolo, Corinto (der wichtigste) und die südlichen Verzweigungen der Fonsecabai (s. d.). Den Hauptteil bildet ein zum Karibischen Meer abgedachtes, bis 1800 m hohes, vorwiegend aus altkristallinischen und paläozoischen, von Porphyr, Diorit, Melaphyr, Diabas sowie von Andesit und Basalt durchsetzten Felsarten bestehendes Bergland, an das sich die 25–75 km breite alluviale und tertiäre Küstenniederung entlang dem Karibischen Meer anlehnt. Südwestlich davon zieht sich von der Fonsecabai zur Mündung des Rio San Juan eine grabenförmige, nur bis 46 m hohe Talgegend, welcher der Nicaragua- und Managuasee eingebettet sind. Der schmale Hügellandstreifen, der dieses zentrale Tal vom Stillen Ozean trennt, ist von einer jungen, zum Teil noch tätigen Vulkanreihe besetzt, aus deren Aufschüttungen stellenweise tertiäres Sedimentärgestein heraussteht und in welcher der Coseguina (mit heftigem Ausbruch 1835) 863 m, der Viejo 1780 m, der beständig rauchende Momotombo 1258 m, der Masaya (1670, 1782, 1857 und 1902 tätig) 906 m, der Mombacho 1400 m und der Ometepe (auf der gleichnamigen Nicaraguaseeinsel) 1720 m erreicht. Starke Erdbeben sind an der Südwestseite des Landes nicht selten. Die größern Flüsse, darunter der Coco oder Wanks River, an der Grenze gegen Honduras, der Rio Grande, der Bluefields River und der San Juan, sind in der Küstenniederung schiffbar, haben aber vor ihrer Mündung gefährliche Barren und in ihrem Gebirgslaufe zahlreiche Schnellen. Der Panaloyo führt nur in regenreichen Jahren Wasser von Managuasee zum Nicaraguasee. Das Klima ist tropisch (Rivas mit 25° mittlere Jahrestemperatur), die winterliche große Trockenzeit (verano, Dezember bis April) ebenso wie die sommerliche kleine Trockenzeit (veranillo, August) sind aber bloß im W. deutlich ausgeprägt. Im O. sind die Regengüsse im Winter nur weniger reichlich und heftig als im Sommer. Die jährliche Regenhöhe beträgt in Greytown 5639 mm, in Bluefields 2352, in Rivas 1699, in Masaya 1347, in Corinto 2286 mm. Die Pflanzenwelt ist ähnlich wie in Costarica und Columbia, nordöstlich von dem großen Haupttale mischen sich den neotropischen Palmen und Mahagonibäumen aber bereits viele neoboreale Gattungen bei, und die Waldungen sind im O. ungleich üppiger und dichter als im W. In der einheimischen Tierwelt sind boreale Typen spärlich vertreten. Fuchs, Spitzmaus sowie Flughörnchen fehlen, während Puma und Jaguar in den Wäldern überall vorkommen (s. Mittelamerika).

Die Bevölkerung wird auf 430.000 angegeben, während sie 1888 ohne die unzivilisierten Indianer 282,845 (136,249 männlich, 146,596 weiblich) betrug. Die Volksdichtigkeit (im Mittel 3 auf 1 qkm) ist an der pazifischen Seite viel größer als an der atlantischen. Die Zahl der unvermischten Weißen ist gering, sogen. Ladinos (Mischlinge von Weißen und Indianern) machen etwa 50 Proz, reine Indianer (Chontalas, Suma, Wulwa etc.) 33 Proz., Mulatten und Neger 16 Proz. von der Gesamtzahl aus. Fremde gibt es 1200, darunter 125 Deutsche. Die Volksbildung ist vernachlässigt, jedoch zählte man 1900: 323 öffentliche Schulen mit 17,803 Schulkindern sowie daneben 10 Kollegien und 2 Universitäten (facultades) in Leon und Granada. Ein Museum für Industrie, Handel und Wissenschaft ist in Managua eingerichtet. Die römisch-katholische Kirche unter einem von dem Erzbischof von Guatemala abhängigen Bischof ist die herrschende, doch besteht Religionsfreiheit. Die protestantische Brüdergemeinde hat an der Mosquitoküste 12 Stationen mit 9 Missionaren und 3300 Gemeindegliedern. Hauptbeschäftigung ist Ackerbau, namentlich auf Mais und Bohnen, die Hauptnahrung des Volkes; Kaffee wird um Managua, Leon und in den Hochtälern besonders von Deutschen und Nordamerikanern angebaut und ist Hauptausfuhrartikel (1902: 10,2 Mill. kg), ferner Zuckerrohr (1902: 5 Mill. kg Zucker), Baumwolle (6000 Ztr.), Bananen, vortrefflicher Kakao, Tabak, Reis, etwas Weizen etc. Ansehnlich ist auf den östlichen Graslandschaften die Zucht von Rindern (400,000), die aber ebenso wie die früher recht guten Pferde mangels frischer Zufuhren degenerieren. Die meist von amerikanischen Gesellschaften betriebenen Bergwerke (1903: 103) von Chontales, Matagalpa und Nueva Segovia liefern Gold (5,5 Mill. Mk.) und Silber, reich sind besonders die Gruben am Djavali, einem Nebenfluß des Bluefields. Die unbedeutende Industrie erzeugt namentlich Seife (auch für die Ausfuhr) und Bretter, zu denen die großen Wälder unerschöpfliches Material liefern. Die Indianer, besonders in und bei Masaya, flechten bunte Schilfmatten und Palmhüte, fertigen Hängematten sowie Trinkgefäße aus den Schalen des Kalebassenbaums, irdene Gefäße etc. Der Handel ist geringfügig. Die wichtigsten Häfen sind: Corinto und San Juan del Sur am Stillen Ozean und San Juan del Norte (Greytown) am Karibischen Meer. In Corinto, auf das etwa 50 Proz. vom Gesamtverkehr entfallen, liefen 1903: 264,838 Ton.[617] ein, davon 163,662 T. unter vereinsstaatlicher und 97,403 unter deutscher Flagge. Die Handelsflotte der Republik bestand 1902 aus 2 Dampfern mit 420 Ton. und 18 Segelschiffen mit 10,032 Ton. Die Einfuhr betrug 1903: 2,419,504, die Ausfuhr 3.646,333 Goldpesos. Die wichtigsten Verkehrsländer sind die Vereinigten Staaten (1,421,467 Einfuhr, 1,880,630 Pesos Ausfuhr), England (529,295 Einfuhr, 257,823 Pesos Ausfuhr), Deutschland (258,819 Einfuhr, 419,325 Doll. Ausfuhr), Frankreich. Ausfuhrartikel sind Kaffee, Bananen, Kautschuk, Vieh, Häute, Gold, Baumwolle, Silber, Gelb-, Zedern- und Mahagoniholz. Deutsche Konsulate bestehen in San Juan del Norte und Managua, ein Vizekonsulat in Corinto. Seit 1887 besteht ein Kreditinstitut, Banco Agricola Mercantil. Maße und Gewichte sind seit 1893 amtlich metrisch, doch tatsächlich meistens altkastilisch, wobei das Meter = 1,165 Varas, das Kilogramm = 2,173 Libras und das Liter = 1,25 Flasche gerechnet wird. 1 Medio Kakao hält 7–8 Libras; für Branntwein wird das alte englische Weingallon von 3,785 Lit. benutzt. Gesetzlich ist Silber Währungsmetall, der Peso von 100 Centavos = 4,05 Mk. mit 4/5 seinen Scheidemünzen zu 20,10 und 5 Centavos; auch sind Centavostücke aus 3/4 Kupfer und 1/4 Nickel geprägt. Einschließlich fremder Münzen gibt es im Land etwa 300,000 Pesos Silber, davon ein Drittel in Staatskassen gegen rund 4 Mill. Pesos uneinlösbaren Papiergeldes, das daher eigentliche Währung geworden ist und kaum ein Drittel des Nennwertes gilt. Eisenbahnen (1904: 250 km) verbinden Corinto mit Leon, Managua, Granada und Masaya mit Diriamba. Straßenbahnen sind im Betrieb in Granada und von Rivas nach San Jorge am Nicaraguasee. Die Telegraphen hatten 1904 eine Drahtlänge von 4600 km und 123 Ämter; ein die Republik mit Nord- und Südamerika verbindendes Kabel ist in San Juan del Sur gelandet.

Nach der Verfassung vom 11. Juli 1894 werden der Präsident und Vizepräsident auf vier Jahre gewählt, ebenso der Gesetzgebende Körper, der aus 24 von den 12 Provinzen (von jeder 2 Mitglieder und 2 Stellvertreter) gewählten Mitgliedern besteht und immer im Januar zusammentritt. Der in Guatemala residierende deutsche außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister ist auch für N. akkreditiert. Der Staat ist in 12 Provinzen: Managua, Leon, Granada, Rivas, Chinandega, Masaya, Carazo, Matagalpa, Jinotega, Esteli, Nueva Segovia und Chontales geteilt. Ein höchster Gerichtshof besteht zu Leon. Die Staatseinnahmen aus Zöllen, Branntwein- und Tabaksteuer, Telegraphen, Post und Eisenbahnen etc. betrugen 1903: 4,913,857, die Ausgaben 6,914,957, die innere Schuld 7,931,597 Mk., die äußere Schuld (Eisenbahnanleihe) 2,334,945 Goldpesos. Das stehende Heer hatte 1904 eine Stärke von 4000 Mann, doch ist jeder Eingeborne vom 17.–55. Jahre dienstpflichtig. Hauptstadt war früher Leon, jetzt ist es Managua (s. d.). Die Flagge Nicaraguas (s. Tafel »Flaggen I«) zeigt die Landesfarben Blau, Weiß, Blau horizontal gestreift, die Kriegsflagge trägt in der Mitte das Staatswappen. Das Wappen zeigt in einem pyramidalen, mit Waffen und Fahnen geschmückten Schilde, der von einer vierzinnigen goldenen Mauerkrone überhöht ist, in Blau fünf aus dem Meer aufsteigende Felsenberge, hinter denen die Sonne ausgeht; auf dem mittlern Berg einen Pfahl mit der nimbierten roten Freiheitsmütze, darüber einen Regenbogen (s. Tafel »Wappen III«).

[Geschichte.] N. gehörte früher zu Guatemala, riß sich 1821 mit diesem von Spanien los und wurde 1823 einer der fünf Vereinigten Staaten von Mittelamerika (s. d.). Erst 1848 kam in N. eine Verfassung und eine gesetzliche Regierung zustande. Auf den Präsidenten Ramirez folgte im März 1851 Pineda, diesem 26. Febr. 1853 der General Fruto Chamorro. Während N. sich noch mit Costarica um den Besitz des Hafens San Juan del Norte stritt, erhob England im Namen des Königs der Mosquitoküste Ansprüche auf den Besitz dieses wichtigen Punktes, von dem aus der Kanal von N. über den Isthmus geführt werden sollte, und besetzte 1. Jan. 1848 San Juan, das die Engländer Greytown nannten. 1851 trat ein Kongreß aus Abgeordneten von Honduras, Costarica und N. zusammen, um die Grundlagen einer neuen Bundesverfassung zu entwerfen, doch kam sie nicht zustande. Dagegen ward 7. März 1854 mit Guatemala ein Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen. Bald darauf erhob sich die demokratische Partei unter Francisco Castellon und Maximo Jerez gegen Chamorro, nahm im Mai 1854 Leon und belagerte Granada, wo Chamorro sich eingeschlossen hatte. Als letzterer 12. März 1855 starb, trat José Maria Estrada an seine Stelle, wogegen Castellon einen nordamerikanischen Abenteurer, William Walker, zu Hilfe rief. Dieser eroberte 14. Okt. Granada und ward von dem nordamerikanischen Gesandten als Präsident anerkannt. Gegen letzteres verwahrten sich aber im Dezember 1855 die Regierungen von Salvador, Honduras und Costarica, und letzteres erließ 9. März 1856 eine förmliche Kriegserklärung, der sich Guatemala, Salvador und Honduras anschlossen. Walker ward 1857 gestürzt, und General Martinez erhielt die Präsidentenwürde. Walker versuchte zwar die Gewalt in N. wiederzuerlangen, ward aber vom General Alvarez gefangen genommen und 12. Sept. 1860 erschossen. Darauf kam auch ein Vertrag mit England wegen Abtretung des Mosquitolandes gegen jährliche Erlegung von 5000 Doll. zustande, die endgültige Annexion erfolgte aber erst 1895. Ein neuer Unionsversuch von Guatemala, Salvador, Honduras und N. scheiterte 1861 wiederum bei der Ausführung. Längere Zeit zeichnete sich N. durch seine friedliche und stetige Regierung vor den andern mittelamerikanischen Republiken aus, obwohl sich auch hier Liberale, Granadinos und Konservative, Leoneses schroff gegenüber standen. Als bei der Präsidentenwahl von 1889 die Gewalt auf den Leonesen Sacaza überging, wurde zuerst die Ruhe erschüttert, um so mehr als gleichzeitig der Plan eines Zusammenschlusses der Zentralamerikanischen Republiken wieder auftauchte. Darüber brach nach längern Unruhen 1893 sogar ein Krieg mit Honduras aus, der erst von Sacazas Nachfolger Santos Zelaya beendet wurde. Dieser hat der Republik 1894 eine neue Verfassung gegeben und sich seitdem an der Spitze des Staates behauptet trotz der Erschütterungen, die ein neuer Versuch der Begründung eines zentralamerikanischen Bundes 1896–98 im Gefolge hatte. Vgl. Squier, Travels in N. (New York 1852, 2 Bde.); Scherzer, Wanderungen durch N. (Braunschw. 1857); Lévy, Notas geograficas y económicas sobre la república de N. (Par. 1873); Bovallius, Nicaraguan antiquities (Stockh. 1886); Ortega, N.en los primeros años de su emancipación politica (Par. 1894); Pector, Étude économique sur la République de N. (Neuchatel 1893); v. Girsewald, Sechs Monate in N. (Braunschweig 1896); Niederlein, The state of N. (Philadelphia[618] 1898); Walker, Ocean to Ocean, an account of N and its people (Chicago 1902); Karte von Sonnenstern und Collins (amtlich, das. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 617-619.
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