[335] Tasso, 1) Bernardo, ital. Dichter, geb. 11. Nov. 1493 in Venedig, gest. 5. Sept. 1569 in Ostiglia, studierte in Padua, bekleidete verschiedene Stellen in Rom, Ferrara und Venedig und trat 1532 als Geheimschreiber in die Dienste des Fürsten Ferrante Sanseverino von Salerno. Zwischen 1535 und 1536 heiratete er die geistvolle Porzia de' Rossi und siedelte 1543 nach Sorrento über, wurde jedoch vom Fürsten oft aus seinem glücklichen Heim zu Kriegszügen oder Gesandtschaften abgerufen. 1548 mit seinem Herrn in des Kaisers Ungnade gefallen, hielt er sich an verschiedenen Orten auf und kam 1556, von allem entblößt, nach Ravenna, von wo ihn der Herzog von Urbino nach Pesaro berief. 1563 ward er erster Sekretär des Herzogs Wilhelm von Mantua, 1567 Statthalter von Ostiglia. Sein Hauptwerk ist das romantische Epos »L'Amadigi di Gaula« (Vened. 1560 u. ö.; am besten, Bergamo 1755, 4 Bde.), größtenteils nach dem spanischen Roman vom Amadis. Eine einzelne Episode daraus verarbeitete er zum »Floridante«, von dem er aber nur 19 Gesänge schrieb, und den sein Sohn Torquato T. vollendete und herausgab (Bologna 1587). Noch sind seine teils sehr schätzbaren lyrischen Poesien, die erst als »Amori« (Vened. 1555; vermehrt, das. 1560), dann als »Rime« (Bergamo 1749, 2 Bde.) erschienen, und die Sammlungen seiner »Lettere« (Padua 173351, 3 Bde.; Bologna 1869, mit Biographie) zu erwähnen. Vgl. Pasolini, I genitori di Torquato T. (Rom 1895); Ravelli, Lettere inedite di Bernardo e Torquato T., e saggio di una bibliografia delle lettere a stampe di Bernardo T. (Bergamo 1895); Pintor, Della liriche di B. T. (Pisa 1899).
2) Torquato, Sohn des vorigen, berühmter ital. Dichter, geb. 11. März 1544 in Sorrento, gest. 25. April 1595 in Rom, begann 1560 in Padua das Studium der Rechte, das er nach einem Jahre mit dem der Philosophie und Beredsamkeit vertauschte, und veröffentlichte zwei Jahre später ein episches Gedicht: »Rinaldo« (Vened. 1562). 1563 begab er sich zur Fortsetzung seiner Studien nach Bologna, mußte aber 1564 von dort fliehen, weil er beschuldigt wurde, der Verfasser einiger Satiren gegen Studiengenossen und einen Professor zu sein, und ging wieder nach Padua. Auch hier arbeitete er an dem schon früher gemachten Entwurf zu einem epischen Gedicht von der Befreiung Jerusalems weiter. 1565 ernannte ihn der Kardinal Lodovico von Este zum Hofkavalier in Ferrara. 1570 reiste T. nach Vollendung der ersten acht Gesänge seines Epos mit dem Kardinal nach Frankreich und wurde am Hofe Karls IX. huldvollst aufgenommen. Bald aber trat er in die Dienste des Herzogs Alfons, der ihm volle Muße zu seinen poetischen Arbeiten gewährte. T. verfaßte zunächst das Schäferspiel »Aminta«, das sofort unter großem Beifall ausgeführt ward (1573), und vollendete darauf im April 1575 sein Epos, zunächst u. d. T.: »Goffredo«. Im Sommer las er es dem Herzog und der Fürstin Lucrezia vor. Im November zum Historiographen des Hauses Este ernannt, begab er sich im Dezember nach Rom, um sein Gedicht dort nochmals durch verschiedene Gelehrte einer gründlichen Prüfung unterwerfen zu lassen. Mitte Januar 1576 war er wieder in Ferrara. Als er sein Gedicht endlich drucken lassen wollte, verbreitete sich das Gerücht, daß jemand anders es auf Grund einer erlangten Abschrift zu veröffentlichen im Begriff sei. Nur das energische Vorgehen des Herzogs verhinderte dies. Infolge all dieser Erregungen wurde T. geistesgestört. Kaum genesen, wurde er 7. Sept. von Ercole Facci, dem er in einem Streit eine Ohrfeige gegeben hatte, hinterrücks angefallen und mit einem Stock über den Kopf geschlagen. Dies verschlimmerte seine Geisteskrankheit, die sich in religiösem und Verfolgungswahn kundgab. Im Juni 1577 ließ er sich vom Inquisitor von Ferrara auf seine Rechtgläubigkeit prüfen, wurde aber freigesprochen. Er glaubte jedoch, man täuschte ihn und wolle ihn in der Sünde lassen. Als er am Abend des 17. Juni 1577 der Fürstin Lucrezia sein Leid klagte, zückte er das Messer gegen einen Diener, den er im Verdacht hatte, ihn zu belauschen. Man mußte ihn in einem Zimmer einschließen und dort behandeln. Nach einigen Tagen nahm ihn der Herzog mit nach der Villa Belriguardo, mußte ihn aber alsbald nach Ferrara zurückschicken, wo er ihn bei den Mönchen von San Francisco verpflegen ließ. Am 27. Juli floh T. und bettelte sich bis Sorrento zu seiner Schwester Cornelia durch. Unter ihrer liebevollen Pflege erholte er sich einigermaßen, aber die Sehnsucht nach Ferrara ließ ihm keine Ruhe. Nachdem er sich die Erlaubnis zur Rückkehr erwirkt hatte, traf er Mitte April dort ein, freilich unheilbar krank. Anfang Juli floh er von neuem ohne Grund nach Mantua und von dort nach Pesaro. Herzog Francesco Maria nahm ihn sehr liebevoll auf, aber ruhelos wanderte T. im September, ohne jemand etwas zu sagen, nach Piemont. In Turin trat er in den Dienst des Filippo d'Este. Er[335] verfaßte hier eine Anzahl Gedichte und prosaische Schriften und entwarf hier wahrscheinlich die drei berühmten Dialoge »Della Nobiltà«, »Della Dignità« und »Della Precedenza«. Im Februar 1579 floh er ohne jemandes Wissen nach Ferrara. Der Herzog, der gerade seine dritte Gemahlin heimführte, konnte ihn nicht empfangen. Dies brachte T. zur Raserei, und man mußte ihn schließlich ergreifen und in das Irrenhaus Sant' Anna führen, wo er eine Zeitlang in strengem Gewahrsam gehalten wurde, bis er einige Zimmer und nach wie vor Beköstigung vom Hof erhielt. In den folgenden Jahren wurde er manchmal aufs Land gebracht und konnte, allerdings nur unter Bewachung, am Karneval, an den Fastenpredigten und Hoffestlichkeiten teilnehmen. Er bekam ganz plötzliche, gefährliche Wutanfälle. In lichten Augenblicken schrieb er Hunderte von Briefen, worin er die verschiedensten Fürsten bat, ihn zu befreien, unzählige Verse und seine klaren, streng logischen philosophischen Dialoge, mit die schönste italienische Prosa. Die Buchhändler machten sich Tassos Krankheit zunutze und ließen Ausgaben seiner Gedichte und Prosaschriften erscheinen, die jedoch alle sehr inkorrekt sind bis auf die beiden Ausgaben der »Gerusalemme liberata« (Ferrara 1581). T. grämte dies Verfahren sehr, und er verleugnete das »Befreite Jerusalem«. Er erkannte nur die jetzt vergessene Überarbeitung »La Gerusalemme conquistata« an. Im Juli 1586 erlaubte der Herzog dem Fürsten von Mantua, Vincenzo Gonzaga, T. für einige Zeit mit nach Mantua zu nehmen. Hier führte der Dichter ein heiteres Leben, soweit seine Gesundheit es gestattete, und nahm seine Werke wieder auf. Er vollendete und veröffentlichte seine schon 1574 entworfene Tragödie »Il re Torrismondo« (Bergamo 1587). Im August besuchte er seine Verwandten in Bergamo. Nach Mantua zurückgekehrt, verfiel er wieder in Schwermut und wurde krank. Kaum hergestellt, entfloh er ohne Grund und gelangte über Bologna und Loreto 3. Nov. in Rom an. In den nächsten Jahren lebte er, ruhelos von Ort zu Ort ziehend, in Neapel, Rom, Florenz, Mantua, von Fürsten und Gönnern mit Auszeichnung und Rücksicht behandelt. In Neapel begann er 1592 sein Gedicht über die Schöpfung, »Il mondo creato«, kehrte aber schon im April nach Rom zurück, wo inzwischen sein alter Gönner Ippolito Aldobrandini als Clemens VIII. den päpstlichen Thron bestiegen hatte. Im Juni begab er sich nach Neapel, wurde aber im November vom Papste nach Rom zurückgerufen, um auf dem Kapitol die Dichterkrone zu empfangen. Der Papst wies ihm einen Jahresgehalt an; die Dichterkrönung mußte aber wegen Krankheit des Kardinals Cinzio verschoben werden. Im März erkrankte T. und starb im Kloster Sant' Onofrio (hier wurde 25. April 1897 ein Tassomuseum eingeweiht). Er ward in feierlichster Weise in der Kirche des genannten Klosters bestattet. Der Kardinal Bevilacqua von Ferrara ließ ihm ein Denkmal setzen; ein andres wurde in neuerer Zeit über seinem Grab errichtet. Auch in Sorrent, Bergamo, Neapel (von Solari), Padua etc. hat man dem Dichter Statuen errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Klassiker der Weltliteratur III« (im 12. Bd.).
T. gehört zu den fruchtbarsten italienischen Schriftstellern, und unter seinen poetischen Werken sind fast alle Gattungen der Dichtkunst vertreten. Sein Hauptruhm aber gründet sich auf sein Epos »La Gerusalemme liberata«, ein Meisterwerk seiner Gattung, sowohl wegen der edlen, würdevollen Behandlung des Stoffes, der vortrefflichen Charakteristik der Hauptpersonen und der schönen Abrundung des Ganzen als auch wegen der edlen, echt poetischen Diktion und der musikalischen Schönheit der Verse. Einen Haupt reiz des Gedichts machen die geschickt eingewebten Episoden aus. Zu tadeln ist dagegen, daß der Ausdruck nicht immer von geschraubten Antithesen und zugespitzten Wortspielen frei ist. Die Umarbeitung des Gedichts, die »Gerusalemme conquistata«, ist eine Verirrung und jetzt vergessen. Nächst der »Gerusalemme« ist das Schäferspiel »Aminta« Tassos vorzüglichstes Werk. Sein »Torrismondo« (zuerst Bergamo 1587) ist eins der besten italienischen Trauerspiele aus der ältern Schule, und auch seinem »Rinaldo« sowie den religiösen Gedichten: »Le sette giornate del mondo creato«, »Le lagrime di Maria«, »Il monte Oliveto«, »La disperazione di Giuda« fehlt es nicht an schönen Einzelheiten. Die lyrischen Gedichte (»Rime«) endlich sind teilweise vollendet. Von seinen Prosaschriften sind besonders die philosophischen »Dialoghi« sowie die zahlreichen für die Kenntnis der Zeit wichtigen »Lettere« (hrsg. von Guasti, Flor. 185355, 5 Bde.; neue Aufl. 1901) hervorzuheben. Die »Gerusalemme« ist in zahllosen Ausgaben verbreitet (erste authentische Ausgaben Parma 1581, Ferrara 1581; erste kritische Ausg. von A. Solerti, Flor. 189596, 3 Bde.). Vgl. Multineddu, Le fonti della Gerusalemme liberata (Turin 1895). Gesamtausgaben von Tassos Werken erschienen in Florenz 1724, 6 Bände, und Venedig 172242, 12 Bände; die vollständigste, aber unzuverlässig, ist die von Rosini (Pisa 182132, 33 Bde.). Kritische Einzelausgaben: »I dialoghi di T. T.« (Flor. 18581859, 3 Bde.; 2. Aufl. 1901) und »Prose diverse di T. T.« (das. 1875, 2 Bde.), von Guasti; »Opere minori in versi di T. T.« (Bologna 189195, 3 Bde.), »Appendice alle Opere in prosa di T. Z.« (Flor. 1892) und »Le rime di T. T.« (Bologna 18981902, 4 Bde.), von Solerti. Die besten deutschen Übersetzungen der »Gerusalemme liberata« sind die von Gries (13. Aufl., Leipz. 1874, 2 Bde.; Stuttg. 1887) und Streckfuß (mit Biographie, 4. Aufl., Leipz. 1847). »Auserlesene lyrische Gedichte« übersetzte K. Förster (2. Aufl., Leipz. 1844). Tassos Biographie schrieb sein Freund Giamb. Manso (Neapel 1619), vollständiger Serassi (Rom 1785; 3. Aufl., Flor. 1858, 2 Bde.), allein kritisch A. Solerti (Turin 1895, 3 Bde., mit vorzüglicher Bibliographie). Vgl. noch Ferrazzi, T. T., studj biografici-critici-bibliografici (Bassano 1880); Corradi, Le infermità di T. T. (in den »Memorie dell' Ist. Lomb.«, Bd. 14, 1880); über die Legende von Tassos Liebe zu Leonore d'Este: Campori und Solerti, Luigi, Lucrezia e Leonora d'Este (Turin 1880); Solerti, Ferrara e la corte estense nella seconda metà del sec. XVI (Citta di Castello 1891), Bibliografia delle opere minori in versi di T. T. (Bologna 1893) sowie dessen Bibliographie der Tasso-Literatur zur 300jährigen Jubiläumsfeier des Dichters in der »Rivista delle Biblioteche etc.«, Bd. 6 (1895) und Il terzo centenario di T. T. (in dem »Giornale storico della letteratura italiana«, Bd. 27, 1896); Wagner, T. daheim und in Deutschland (Berl. 1905; behandelt die Nachahmungen Tassos). Unecht sind die von dem Grafen M. Alberti herausgegebenen »Manoscritti inediti di Torquato T.« (Lucca 1837 f.) und der »Dialogo dei casi d'amore« (Turin 1894).
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