Theolŏgie

[485] Theolŏgie (v. gr.), 1) bei den Griechen die Kenntniß u. Lehre von den Göttern u. den göttlichen Dingen; daher nannten sie denjenigen einen Theologos, welcher Theogonien (s.d.) dichtete, wie Orpheus u. Hesiodos, od. über göttliche Dinge u. den Ursprung der Dinge durch Götter philosophirte, wie Empedokles u. Pherekydes. Varro theilte die T. in Theologĭa mythĭca, Kenntniß der Mythen u. Göttersagen, deren sich die Dichter bedienten; Th. physĭca, deren sich die Philosophen bei ihren Untersuchungen über die Entstehung der Welt etc. bedienten; Th. civilis, Kenntniß des öffentlichen Cultus. In der christlichen Kirche hieß 2) Th. bei den älteren Kirchenvätern die Lehre von Gott, daher auch wieder im 18. Jahrh. die Nachweisung des Daseins u. Wirkens Gottes aus den verschiedenen Erscheinungen u. Werken der Natur, wie Bronto-, Astro-, Minero-, Ichthyotheologie etc., s.u. Gott S. 504; seit dem 2. Jahrh. 3) die Lehre von der göttlichen Natur Jesu, im Gegensatz zu Ökonomia, der Lehre von dessen menschlichen Natur, weshalb Johannes in der unechten Überschrift zur Apokalypse u. Gregor von Nazianz Theologen genannt wurden, indem sie die Logoslehre vertheidigten. Auch die Lehre von der Trinität nannte man zuweilen Th. Seit Theodoret u. bes. seit Peter Abälard im 12. Jahrh. verstand man unter Th. 4) die gelehrte Darstellung der gesammten Religionswissenschaften. Früher pflegte man die Th. einzutheilen: A) In Rücksicht auf ihre Quellen: in a) die natürliche od. philosophische Th. Th. naturalis, Th. philosophica, Th. rationalis, welche die geoffenbarte Religion u. namentlich das Christenthum voraussetzt; b) die positive od. geoffenbarte (s. Offenbarung), wie insonderheit die christliche. Zu dieser gehörten: die biblische Th. (Th. biblica), welche die christliche Religionslehre aus der heil. Schrift schöpft u. darstellt; u. die kirchliche od. symbolische Th. (Th. ecclesiastica od. Th. symbolica), welche die Religionslehre aus einer od. mehren in der Kirche angenommenen Bekenntnißschriften (s. Symbol 22) schöpft. B) In Ansehung des Inhalts: a) die theoretische Th. od. die Dogmatik (Th. theoretica), s. Dogmatik; u. b) die praktische Th. (Th. practica) od. die Ethik (s.d.). C) In Betracht der Methode od.. Behandlungsweise: a) eine systematische od. gelehrte (Th. systematica), insofern sie ihre Lehren nach einem Principe ordnet u. in wissenschaftlicher Form darzustellen sucht; od. b) eine populäre (Th. popularis, acroamatica, catechetica), welche die Aufgabe hat die Lehren der Religion den Laien auf eine faßliche u. erbauliche Weise darzustellen. Die älteren Theologen unterschieden noch die scholastische, mystische u. patristische Th. (s. Scholastik, Mystik, Patristik); ferner, je nach Verschiedenheit derjenigen, welchen man eine Th. beilegte: Th originalis, die Religionswissenschaft, welcheich bei Gott selbst u. Christus findet; Th. originata, die Religionswissenschaft, welche endliche Geister, Engel u. Menschen besitzen; Th. viatorum, die Religionswissenschaft der Menschen, insofern sie noch in diesem irdischen Leben pilgern; u. Th. patriae, die Religionswissenschaft, welche sie in ihrer ewigen Vollendung besitzen werden etc.

Die neuere Wissenschaft, welche als den Mittelpunkt alles christlichen Lebens das Reich Gottes hinstellt u. der Th. die Aufgabe zuweist die objective Entwickelung des göttlichen Geistes in dem Gottesreiche zu zeigen, u. welche zugleich die Kirche mit dem Reiche Gottes in eine organische Verbindung bringt, um die Entfaltung der Kirche durch den heiligen Geist darzustellen, theilt die Th. zunächst: A) in die historische, welche den Ursprung, den weitern Fortgang u. die gegenwärtige Lage der Kirche erforscht. In dieser Beziehung hat sie es a) mit der Biblischen Geschichte, u. zwar hier zunächst mit der Bibelkunde zu thun, indem sich die Kraft des göttlichen Geistes in der Bibel geoffenbaret hat, vorbereitend im Alten Testament u. in Erfüllung gehend im Neuen Testament. Hier kommt es nun vor Allem darauf an, den Canon der Bibel festzustellen, d.i. die zur Bibel gehörenden Bücher bestimmt zu bezeichnen (Canonik), den Text durch eine, der heiligen Urkunde würdige Kritik zu sichern, die Geschichte des Canons sorgfältig zu ermitteln (Einleitungen in das Alten. Neue Testament) u. für die Auslegungskunst (Hermeneutik) die Grundsätze u. Regeln aufzustellen, wie sie die Rücksicht auf die Bibel, als das Wort Gottes, erfordert. An diese Quelle der Offenbarung reiht sich der Inhalt derselben als eigentliche Biblische Geschichte u. Archäologie u. als Biblische Glaubens- u. Sittenlehre (Biblische Theologie des Alten u. Neuen Testaments), indem sie nach jener Seite hin die biblischen Erzählungen in ihrer Beziehung zu dem Reiche Christi zur Anschauung bringt u. nach dieser hin theils dem gesammten Lehrinhalt der heiligen Schrift nachgeht, theils den besondern Lehrbegriff, wie er in ganzen Gruppen von Schriftstellern, z.B. bei den Propheten, od. bei einzelnen unter ihnen, z.B. dem Apostel Paulus, hervortritt, zu entwickeln sucht, ohne diese biblischen Lehren jetzt schon in ein System zu bringen. Während die Biblische Geschichte als solche nur bis zur Gründung der Christlichen Kirche reichen kann, wird die Geschichte des Gottesreiches von diesem Zeitpunkte an bis auf die neueste Zeit herauf b) in der kirchenhistorischen Th. fortgesetzt, zu welcher die kirchliche Chronologie, Geographie, Diplomatik u. die monumentale Th., welche letztere bes. die Inschriften u. Monnmente der Kirche behandelt, als Hülfswissenschaften gerechnet u. in welcher wieder einzelne Zweige, z.B. die Ketzergeschichte u. die Geschichte der Sekten, die Specialkirchengeschichte einzelner Länder, als besondere Theile der Kirchengeschichte behandelt werden. Die kirchenhistorische T. hat es entweder mit den äußeren Schicksalen der Kirche u. mit den sichtbaren Gestaltungen des kirchlichen Lebens (Kirchengeschichte im eigentlichen Sinne) od. sie hat es mit der Entwickelung, den Veränderungen u. den Kämpfen der christlich-kirchlichen Glaubenslehre (Dogmengeschichte) u. mit der Darstellung der Entwickelung der christlichen Sittenlehre (Geschichte der Ethik) zu thun, wozu noch die Geschichteder handschriftlichen u. gedruckten Literatur kommt. Da das Reich [485] Gottes nicht still steht, sondern immer neuen Entwickelungen entgegengeht, so hat die kirchenhistorische Th. die Ergebnisse ihrer geschichtlichen Forschungen bis in die Gegenwart herauf festzuhalten u. darzustellen, u. dies geschieht c) in der kirchlichen Statistik, welche die Lage der Kirche, wie sie sich in ihrer Entwickelung gestaltet hat, darstellt, dabei alle Theile, mit denen sich die kirchenhistorische Th. beschäftigte, sie mögen nun die äußere od. innere Lage der Kirche betreffen, ins Auge faßt u. so theils die Gestaltung der Glaubenslehre in den einzelnen Confessionen, theils das Verhältniß derselben zu einander, theils im Speciellen die bestehenden kirchlichen Zustände in den einzelnen Ländern behandelt. Indem nun die Th. nach ihrer geschichtlichen Seite den Zustand des christlichen Glaubens u. des christlichen Lebens berührt, hat sie auf den Inhalt der Lehre näher einzugehen u. wird nun B) zur Systematischen Th., welche a) die Grundsätze (Principien) aufzusuchen hat, wie sie sich aus der Erscheinung u. Geschichte des Reiches Gottes ergeben, auf denen sich die Wissenschaft als solche aufzubauen u. zu entwickeln hat, u. zwar die Grundsätze, wie sie aus dem Wort Gottes in der Schrift hervorgehen u. in der ganzen Christlichen Kirche Anerkennung gefunden, wie sie aber auch in den einzelnen Kirchen ihre bestimmte Gestalt gewonnen haben (Symbolik), u. wie von ihnen aus die Stellung der verschiedenen Confessionen zu einander u. das religiöse Bewußtsein der einzelnen Glieder einer Kirche erscheint. Nach Feststellung dieser Grundsätze handelt es sich nun b) um den Inhalt der systematischen Th. nach der dogmatischen u. ethischen Seite, wie sie sich in den Aussprüchen der Schrift u. in den Bekenntnissen der Kirche darstellt u. durch die Thätigkeit des Individuums wissenschaftlich begründet u. verarbeitet wird (Dogmatik u. Ethik); u. da sich dieselbe nicht als abgeschlossen von allen andern Wissenschaften darstellen kann, sondern namentlich die Ideen der Philosophie zu berücksichtigen hat, so knüpft sich daran c) die Philosophie des Christenthums, welche bes. als speculative Th. (s. unten) das Christenthum mit dem Kreise der philosophischen Ideen in Verbindung bringt, dasselbe als die höchste Spitze des Culturlebens bezeichnet u. das Reich Gottes in seiner Erscheinung, Entwickelung u. Vollendung als den Mittelpunkt der Philosophie der Geschichte der Menschheit betrachtet. Indem die systematische Th. als Wissenschaft in dieser Weise ihre Aufgabe zu lösen sucht, hat sie zugleich immer den Einfluß auf das Leben der Individuen im Reiche Gottes wie in der Kirche vor Augen u. deshalb reiht sich an sie C) die Praktiche Th., welche alles das in sich begreift, was von Seiten der Menschen zum Ausbau des Reiches Gottes durch die Kraft des Heiligen Geistes zu thun ist. Sie geht deshalb a) von dem kirchlichen Organismus, wie er sich im Reiche Gottes gestaltet hat, u. seinen Grundlagen aus, beschäftigt sich b) mit dem Kirchenrecht, indem sie das Verhältniß der Kirchenglieder zu einander u. zu denjenigen, welche kirchliche Ämter verwalten, ferner das der verschiedenen Kirchen zu einander u. das der Kirche zum Staat in Erwägung zieht, u. hat es endlich c) mit den Wissenschaften zu thun, durch welche die Arbeit der Diener der Kirche am Ausbau des Reiches Gottes bedingt ist. Dahin gehört die Liturgik od. die Einrichtung des Gottesdienstes in allen Theilen des Cultus; die Homiletik od. die Lehre von der Verkündigung des göttlichen Wortes für die erwachsenen Christen; die Pädagogik mit der Katechetik, d.i. die Erziehung der Jugend zu dem Reiche Gottes; die Halieutik, d.i. die Anweisung die Nichtchristen zu bekehren; die Pädeutik, d.i. die Bildungslehre der Diener der Kirche auf Schulen, Universitäten, in Seminarien etc.

Da die Theologen zur Aufstellung eines Systems der Religionslehre stets den Grund aus der Philosophie entnahmen, so ist die Th. durch alle Phasen der Philosophie mit durchgegangen u. daher ihre Geschichte mit in der Geschichte der Philosophie enthalten (s.u. Philosophie u. Christenthum). Hiernach unterscheidet sich die Th. von der Religion durch ihren Zweck, ihr Alter, ihre Darstellung etc. In den ersten 3 Jahrhunderten war die Th. eine freie Wissenschaft, die Materie des christlichen Glaubens war in dem Apostolischen Symbol gegeben, aber die Ansicht u. Äußerung darüber u. daher die Ausbildung derselben war, weil das Symbol nur Bekenntniß, nicht Glaubensgesetz war, eine freie, was sich in den zahlreichen Sekten der Kirche, in den verschiedenen Ansichten u. Begründungsweisen der Kirchenväter u. in der freien, ungehinderten Darstellung derselben zeigt. Die Sitte, daß seit dem 4. Jahrh. auf Concilien Glaubenssätze festgestellt wurden, welche durch Wissenschaft u. Überzeugung, oft aber auch durch gewaltsame Mittel gesiegt hatten, u. daß mit dem Zweifel an der Wahrheit derselben u. dem Abgehen von denselben sogar Gefahren für die bürgerliche Existenz verbunden waren, machte der Freiheit der Th. ein Ende. Die sich immer vergrößernde Macht, welche die Päpste in Westen u. die Byzantinischen Kaiser in Osten über die Kirche gewannen, hielt fest an jenem für sie bequemen Mittel Streitigkeiten in der Th. nicht aufkommen zu lassen od. dieselben schnell zu unterdrücken. Die Reformation, obgleich sie ausdrücklich freie Prüfung u. Regulirung des Lehrsystems nach der Heil. Schrift verlangte, brachte doch der Th. die Freiheit nicht wieder, sondern stellen derselben durch die Aufstellung von Symbolen (s. Symbolische Bücher), bes. durch die Concordienformel, alsbald neue Grenzen. Freiheit gewann die Th. als Wissenschaft wieder, als sie gegen die englischen u. französischen Freigeister ihre Existenz mit der des Christenthums zu retten hatte, durch die veränderte Auffassung der Inspiration der Heiligen Schrift u. die Behandlung der biblischen Bücher wie andere Schriften des Alterthums (historisch-grammatische Schrifterklärung), durch das freiere Gebahren mit dem Worte der Symbole u. durch Kants Aufstellung einer Vernunfttheologie, gegenüber der bisherigen kirchlichen u. (Wolfschen) natürlichen Th. Aus der Kritischen Philosophie ist der Rationalismus (s.d.) entwachsen, welcher auf dem Gebiete der Th. das fortschreitende Element vertritt; ihm gegenüber steht die Orthodoxie, welche die Auctorität der Kirchen- u. Symbollehre vertritt u. an der Lehre der Kirche als unantastbar u. normativ für alle Zeit festhält. Zwischen inne steht der Supernaturalismus (s.d.), dessen Anhänger zwar eine unmittelbare Offenbarung annehmen, aber den Inhalt derselben mit den religiösen Ideen der Vernunft identificiren. In neuester Zeit hat bes. die spinozistisch geartete u. durch Hegel in feste logische Formen gebrachte Speculation ihre Macht auch über die Th. erstreckt. Diese Th., welche in den letzten Jahrzehnten viele gelehrte u. scharfsinnige Vertreter unter den Theologen[486] gefunden hat u. den Namen Speculative Th. erhielt, betrachtet das Christenthum als einen gegebenen Stoff, welcher in seiner Wahrheit erkannt werden soll von dem menschlichen Geiste, welcher indeß gewisse religiöse Ideen u. Erkenntnisse u. die Gewißheit des Christenthums in der Form des persönlichen Glaubens in sich trägt, u. ihre Aufgabe besteht nun darin, das religiöse Glaubensleben, welches sie im Christenthum empfangen hat, mit dem Denken u. der Welt des Wissens zu verbinden. Dies kann nur durch eine strenge Methode geschehen, damit die speculative Th. auf der einen Seite nicht bloß auf dem Wege des reinen Denkens ihre Arbeit zu vollenden sucht; auf der andern Seite aber nicht der Phantasie einen überwiegenden Einfluß gestattet, wie er in den Erzeugnissen der Mystik u. Theosophie (s. b.), ungeachtet ihrer geistvollen Schöpfungen, nicht selten hervortritt. Die Nothwendigkeit derselben suchen ihre Vertreter dadurch zu begründen, daß es nach ihrer Meinung nicht genügt in die großen Thaten Gottes in der Vergangenheit, wie sie das Christenthum enthält, sich hineinzuleben u. sie gleichsam wieder als Facta der Gegenwart zu erleben, sondern daß es auch darauf ankommt, in ihnen den Beweis für den fortdauernden Heilsrathschluß Gottes zu begründen u. sich darum neben dem, was Gott zum Heil der Menschen gethan hat, in das ewige u. unveränderliche Wesen Gottes zu vertiefen, u. daß die gegen das Christenthum, als absolute Wahrheit, gerichteten Angriffe nicht bloß eine Zurückweisung der gegnerischen Gründe, sondern auch eine Begründung des Christenthums als Wahrheit verlangen, was nur auf dem Wege der speculativen Th. möglich ist, indem dieselbe sich nicht bloß auf die Auctorität der Kirche u. der Schrift, sondern auf den Beweis der absoluten Wahrheit des Christenthums stützt. Schon in den ersten christlichen Jahrhunderten nahm die Th. bei Behandlung der Lehren über die Menschwerdung Gottes, über die Trinität, über die Entstehung der Sünde etc. einen speculativen Charakter an, u. diese Anfänge setzten sich bes. in ausgedehntester Weise in der Scholastischen Zeit fort, wo Anselmus durch seine Schriften über den Ontologischen Beweis für das Dasein Gottes u. über die Frage: Cur deus homo, die Bahn brach. In der Reformation fand die speculative Richtung keine hervorragenden Vertreter, sie wurden erst nach den gründlichen philosophischen Untersuchungen über die Theorie des Erkennens u. über Gott u. Welt wieder bemerkbar, u. namentlich gab die Schellingsche u. Hegelsche Philosophie dazu Veranlassung. Die bedeutendsten Vertreter der speculativen Th. im 19. Jahrh. waren Daub, Schleiermacher, Marheinecke u. unter den Lebenden: Martensen, Rothe, Dorner, Lange u. A. Vgl. Thilo, Die Encyclopädie der theologischen Wissenschaften von Rosenkranz, Halle 1831, 2. A. 1846; Danz, 1832, Hegenbach, Lpz. 1833, 6. A. 1861; Thilo, Die Wissenschaftlichkeit der modernen speculativen Th, Lpz. 1851; Frank, Geschichte der protestant. Th., 1862.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 485-487.
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