Belagerungszustand

[510] Belagerungszustand Belagerungsstand, Etat de siège), der Zustand einer Festung, wenn dieselbe von dem Feinde belagert wird od. nahe daran ist, es zu werden. Der B. erfordert außerordentliche Maßregeln u. die Abtretung der polizeilichen Gewalt an den Gouverneur u. Commandanten, welcher alle Vorkehrungen zu treffen befugt ist, die zur Sicherung des Platzes dienen, selbst wenn diese gegen die Rechte einzelner Personen od. Körperschaften streiten; die Thore werden mit erster Dämmerung geschlossen u. erst nach völliger Tageshelle wieder geöffnet, auf alle Ein- u. Auspassirende sorgsam u. Nacht die Straßen, bei einer schwierigen Bevölkerung ist das Führen, ja schon der Besitz von Waffen streng untersagt, mehr als 3 Personen dürfen sich nicht zusammen auf den Straßen blicken lassen. In der neueren Zeit ist der B. als ausnahmsweise Maßregel nicht blos im Falle der Kriegsgefahr u. für eigentliche Festungen, sondern auch im Frieden u. in offenen Plätzen zur Unterdrückung innerer Unruhen häufig angewendet worden. Zuerst wurde in dieser Weise in Frankreich von dem B. Gebrauch gemacht; die Jahre 1848 u. 1849 haben die Anwendung solcher Ausnahmegesetze auch nach Deutschland gebracht, u. es sind in Folge hiervon, da es an Bestimmungen darüber Anfangs ganz fehlte, mehrfache Verordnungen in den einzelnen Staaten erschienen, welche die dann eintretenden Rechtsverhältnisse näher normirt haben. Nach diesen Gesetzen ist für den Fall des Krieges in den vom Feinde bedrohten Provinzen jeder Festungscommandant befugt, die ihm anvertraute Festung mit ihrem Rayonbezirke in B. zu erklären; für andere Bezirke steht die Erklärung dem commandirenden Generale zu. Für den Fall eines Aufruhrs kann der B. sowohl in Kriegs- als Friedenszeiten erklärt werden; die Erklärung geht dann aber in der Regel vom Staatsministerium aus, u. nur in dringenden Fällen kann provisorisch u. vorbehältlich der sofortigen ministeriellen Bestätigung, rücksichtlich einzelner Orte u. Bezirke, durch den obersten Militärbefehlshaber auf Antrag des Verwaltungschefs, od., wenn Gefahr im Verzuge ist, durch den Militärbefehlshaber allein erfolgen. Die Erklärung des B-es erfolgt dann regelmäßig bei Trommelschlag od. Trompetenschall, außerdem durch Mittheilung an die Gemeindebehörde, durch Anschlag an öffentlichen Plätzen u. durch öffentliche Blätter. Mit der erfolgten Bekanntmachung geht die vollziehende Gewalt an die Militärbefehlshaber über, so daß die Civilverwaltungs- u. die Communalbehörden den Anordnungen u. Aufträgen der Militärbefehlshaber Folge zu leisten haben. Mit der Erklärung des B-es wird aber meist auch das Recht, daß Niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden darf, die Freiheit der Presse, die Rechte, welche sich auf Unverletzlichkeit der Wohnung u. die persönliche Freiheit beziehen, etc. für die Dauer des Ausnahmezustandes suspendirt; es hängt von dem Ermessen des commandirenden Militärbefehlshabers ab, welche Beschränkungen er an Stelle der hierüber sonst geltenden Bestimmungen treten lassen will. Hält es der Militärbefehlshaber od. das Staatsministerium für nöthig, die ordentlichen Gerichte zu suspendiren, so treten an Stelle derselben die Kriegsgerichte (s.d.), welche bes. die Verbrechen des Hochverrathes, Landesverrathes, Mordes, des Aufruhrs, der thätlichen Widersetzung, der Meuterei, des Raubes, der Plünderung, Erpressung, der Verleitung der Soldaten zum Ungehorsam od. zum Vergehen gegen die militärische Zucht u. Ordnung zur Untersuchung u. Bestrafung überwiesen erhalten. Die Kriegsgerichte werden aus Offizieren u. Civilrichtern zusammengesetzt. Das Verfahren vor diesen Kriegsgerichten ist dann ein sehr summarisches, s.u. Kriegsrecht.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 510.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: