Rügen

[441] Rügen, die größte der deutschen Inseln; liegt in der Ostsee, unsern der pommerschen Küste, von welcher es der 1/4 Meilen breite Sund od. Gellen (Göllen) trennt; 19,25 QM. mit 42,000 Ew.; bildet den Kreis Bergen des Regierungsbezirks Stralsund in der preußischen Provinz Pommern. Das Meer bildet auf allen Seiten tiefe Meerbusen, darunter der Rügensche Bodden od. das Neue Tief, auf der Südseite; das Prorer Wyk, auf der Ostseite; das Tromper Wyk, auf der Nordostseite; Vorgebirge: in Süden Palmer Ord, in Norden Arkona, in Osten (auf Mönkgut) Kiköber, Nord kerd u. Süd-kerd. Der westliche Theil ist ganz eben, der östliche Theil ist bergig (der Rugard bei Bergen, die Stubbenitzer Berge auf der Halbinsel Jasmund) u. die nordöstlichen Küsten fallen als meist schroffe, steile Kreidewände in das Meer. Der Boden ist sehr fruchtbar, vorzüglich auf Jasmund u. Wittow; Producte: Getreide, Raps, Vieh u. Fische (bes. Häringe); außerdem Leinwandfabrikation u. Schifffahrt, schöne Buchen- u. Eichenwälder, jedoch nicht hinreichend für den Holzbedarf, Obstcultur gering. Auf mehren Theilen der Insel erheben sich Hünengräber, deren in neuerer Zeit mehre geöffnet worden sind u. nicht unerhebliche Ausbeute geliefert haben. R. theilt sich a) in den Kern der Insel, mit der Hauptstadt Bergen (früher Gora, 1190 von Jaromar I. angelegt u. 1613 zur Stadt erhoben), der fürstlichen Residenz Putbus (s.d.) u.a. Orten, so wie mit mehren Halbinseln; b) der südöstliche Theil) Mönchgut (Mönkgut), s.d.; c) der nordöstliche, nie Halbinsel Jasmund, ist an die Insel durch die Prora, einen bewaldeten Damm, gebunden, bespült von außen von dem Prorer Wyk, nach innen von dem Kleinen Jasmunder Bodden, über welchem sich nördlich der Große Jasmunder Bodden ausbreitet, welche beide Binnenwasser der von der Westseite ins Land tretenden See sind u. wo ein preußischer Kriegshafen angelegt wird. Jasmund bildet ein kleines, 2 Meilen langes u. 1 1/2 Mln. breites Hochland u. besteht auf der Nord- u. Nordostseite aus einem 400 Fuß hohen Kreidegebirge, welches an mehren Seiten weite runde Einschnitte hat, deren hervorspringende Spitzen kleine Vorgebirge bilden, welche zusammen Stubbenkammer (eigentlich Kammen- od. Kamminstopien, d.h. Steinstufen) heißen; höchste Spitzen der Königsstuhl (so genannt, weil König Karl XII. von hier am 8. August 1715 einem Seetreffen zwischen den Schweden u. Dänen zusah), 409 Fuß ü. d. M., welcher durch Stufen zugängig u. oben mit einer Barriere gefriedigt ist u. eine überraschende Aussicht darbietet, u. die Große Stubbenkammer, in deren Rücken die Stubbenitz (Stubnitz), ein herrlicher, 2 Meilen langer Buchenwald, sich hinzieht, worin ein Gasthaus in Schweizerstyl erbaut ist. Dies ist die besuchteste u. schönste Partie R-s. In dem Walde Stubbenitz liegt von waldigen Höhen umgeben der sogen. Burg- (Borg-) od. Herthasee (Schwarzer See), 160 Fuß im Durchmesser, 60–66 Fuß tief, u. die Herthaburg. Letzteres ist ein 50 Fuß hoher Wall, welcher in einem Halbrund einen Buchenhain einschließt, an dessen offene Seite dann der beschattete Teich mit bewegungslosem Wasser stößt. Benannt ist diese Partie nach der angeblichen deutschen Göttin Hertha (s.u. Nerthus). Ein heiliger Platz ist es auf jeden Fall gewesen, man findet auf einer nahen Höhe noch Opfersteine. d) Den nordwestlichen Theil der Insel bildet die Halbinsel Wittow; der schmale, öde, über 1 Meile lange Landstreifen, durch welchen sie mit Jasmund zusammenhängt, heißt die Schmale Haide od. Schaabe; sie wird durch den Rassower Strom, ein Binnenwasser, welches von Süden nach Norden eintritt, in zwei Theile gespalten. Auf ihr ist bes. das nördliche, 173 Fuß ü. M. hohe u. ebenfalls aus Kreidebergen bestehende Vorgebirge Arkona merkwürdig. Hier stand das alte Arkon, eine wendische Burg (j. Jaromarsburg genannt) u. der reiche Haupttempel des Gottes Svantewit, worin die heiligen Kriegsfahnen aufbewahrt wurden. Die Dänen zerstörten 1168 Burg u. Tempel u. noch jetzt zeigt man schwache Überreste von dem Walle, welcher zum Schutz der Burg diente. Auf ihm steht der 1827 erbaute Leuchtthurm, von welchem man eine weite Aussicht über Insel u. Meer hat. Genannt ist diese Halbinsel nach dem Dorfe Wittow, an der südlichen Spitze der Halbinsel; in dem nördlichen Theile ist der Flecken Altenkirchen, wo der Dichter Kosegarten 1792–1806 als Prediger lebte. e) Inseln um R.: Hiddensee (s.d.), welche sonst einem, 1292 von Fürst Witzlaf II. gegründeten u. von den Schweden zerstörten Kloster gehörte, ferner Ummanz, Vilm u. m. kleinere. Besucht wird R. in neuerer Zeit sehr oft, bes. von Norddeutschen; man kommt hierher entweder mit dem Dampfboot von Swinemünde, wo die Überfahrt 5–6 Stunden dauert, dann landet man bei Putbus; od. man fährt mit dem Dampfboot von Stralsund nach der Alten Fähre, einem Dörfchen im Hintergrunde eines tiefen Defilés. Vgl. (Knoblauch) Grümbke, Geographisch-statistisch-historische Darstellung der Insel R., Berl. 1819, 2 Bde.; Die Insel R., Stett. 1836; E. Müller, R. in der Brusttasche, Lpz. 1850,3. A. Berl. 1861; Beschreibung der Insel R., ein Führer für Reisende, Berl. 1851; Rasch, Ein Ausflug nach R. (Nr. 8 von I. I. Webers Illustrirter Reisebibliothek), Lpz. 1856.

Alte Sagen berichten, daß ein Seesturm die vormals mit Pommern zusammenhängende u. Roja genannte Insel losgerissen habe; neuere Geschichtsschreiber haben dies bis auf das Jahr 1309 herabgesetzt, aber bereits früher wird R. als Insel erwähnt, u. mehre Historiker halten die Insel, auf welcher Tacitus den Hertha- od. Nerthusdienst erwähnt, für R. Die ältesten Bewohner waren die Rugier (s.d.), ein germanisches Volk, nach deren Auswanderung sich im 6. Jahrh. der wendische Stamm der Ranen (Rugianen) hier niederließ u.[441] mit den zurückgebliebenen Germanen vereinigte. Bei Arkona hatten sie eine Veste u. den Hauptsitz ihres Gottesdienstes (s. Svantevit). Von ihrer Insel aus machten sie häufige Raubzüge gegen die Sachsen u. Dänen; als Ludwig der Deutsche 843 Deutschland als seinen Theil erhalten hatte, unternahm er 844 einen Rachezug gegen sie, tödtete ihren König Gozominst u. unterwarf die Insel seiner Herrschaft; um die Bewohner aber desto besser in Gehorsam zu halten, schickte er Mönche aus Corvey dahin, um sie zum Christenthum zu bekehren. Aber nach dem Tode Ludwigs verfiel die Mission, u. die Rugianer vertrieben die Christen sammt den Geistlichen, führten das Heidenthum wieder ein u. erneuerten die Kriege gegen die Sachsen. Diese wurden lange mit abwechselndem Glück geführt, bis im 12. Jahrh. die Däuen, welche ebenfalls durch die häufigen Raubzüge der Rugianer gereizt waren, sich ernstlich gegen sie wendeten. Damals herrschte Tetzlaf mit seinen Brüdern Jaromar u. Stoislas über sie; König Erich Emund von Dänemark landete 1136 bei Arkona u. zwang die Rugianer zur Ergebung, Annahme des Christenthums (wobei ihnen jedoch ihr Götze Svantevit als St. Veit gelassen wurde) u. Zahlung eines Tributs. Bald fielen sie aber wieder ab, u. erst dem König Waldemar gelang es durch den Bischof Absalon von Roeskilde 1168 Arkona zu erobern u. zugleich den Tempel zu zerstören; er unterwarf die Insel der dänischen Herrschaft u. befestigte das Christenthum, wozu Jaromar, welcher sich selbst hatte taufen lassen u. ein eifriger Christ wurde, viel beitrug. Darauf machte aber Heinrich der Löwe Anspruch auf einen Theil der Beute u. des Landes, u. 1171 wurde bei der Zusammenkunft Waldemars mit Heinrich an der Eiderbrücke stipulirt, daß Heinrich die Hälfte der in Arkona erbeuteten Tempelschätze u. des jährlichen Tributs der Rugianer erhalten sollte, worauf auch der Papst 1177 die Hälfte der Insel der geistlichen Aufsicht des Bischofs von Schwerin untergab. Übrigens blieben die Könige der Insulaner als Vasallen der Krone Dänemark bei ihrer Regierung. Jaromir I. legte 1190 Bergen an; auf ihn folgte 1212 sein Sohn Witzlaf I.; dieser zog 1219 mit den Dänen gegen Livland u. Esthland, um dort das Christenthum einzuführen. 1241 folgte ihm sein Sohn Jaromir II., welcher 1259 in Krieg mit dem König Christoph von Dänemark kam, weil er diesen nicht als seinen Lehnsherrn anerkennen wollte, u. die Dänen bei Nestved schlug. Ihm folgte 1282 sein Sohn Witzlaf II., welcher R. von dem deutschen Kaiser Rudolf in Lehn nahm u. 1303 die Herrschaft seinem Sohn Witzlaf III. ließ. Unter diesem verwüsteten 1309 u. 1317 die Sturmfluthen R. u. rissen die Insel Rüden von R. ab. Er kam 1316 in Streit mit dem Herzog Wratislav IV. von Pommern, welcher die aufrührerischen Stralsunder gegen den Fürsten unterstützte. Geschlagen von demselben, machte er einen Vertrag mit ihm, daß sie ihre Unterthanen gegen ihre Fürsten nicht unterstützen wollten u. wer von Beiden den Andern überlebte, sollte dessen Land erben. Als daher Witzlaf den 8. Nov. 1325 starb, kam R. an Pommern (s.d., Gesch. b), behielt aber noch eigene Fürsten bis 1478, wo Herzog Wratislav XI. st. u. R. unter Bogislav ganz mit Pommern vereinigt wurde. Nach Aussterben der Herzöge von Pommern kam R. durch den Westfälischen Frieden 1648 mit Pommern an Schweden, u. Dänemark trat im Frieden von Roeskilde 1658 u. von Kirchenhagen 1660 die Reste der geistlichen u. weltlichen Gerichtsbarkeit, welche es noch in R. geübt hatte, an Schweden ab. 1705 wurde R. von Brandenburg, Dänemark u. Sachsen, welche gegen Karl XII. alliirt waren, besetzt, 1720 aber wieder geräumt. 1807 wurde R. von den Franzosen genommen (s.u. Preußisch-Russischer Krieg, S. 586) u. bis 1813 besetzt gehalten, wo es die Schweden wieder in ihre Gewalt bekamen. 1814 wurde es erst an Dänemark abgetreten. dann gegen Lauenburg an Preußen vertauscht; vgl. Putbus (Geneal.). Vgl. Barthold, Geschichte von R. u. Pommern, Hamb. 1839, 4 Bde.; Fabricius, Urkunden zur Geschichte des Fürstenthums R., Berl. 1861; Fock, Rügensch-Pommersche Geschichte, Lpz. 1861.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 441-442.
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