Urkunde

[287] Urkunde (lat. Instrumentum), 1) im weitesten Sinne jedes Beweismittel, mit Einschluß der Zeugen; 2) im engeren Sinne ein lebloser, von Menschenhand gefertigter Gegenstand, welcher entweder zur Erhaltung des Andenkens an irgend eine Begebenheit od. zur Offenbarung eines bestimmten Gedankens od. Willensactes entstanden ist. Es lassen sich in diesem Sinne schriftliche u. nicht schriftliche U-n unterscheiden; zu den letzteren gehören alsdann auch nicht beschriebene Denkmäler, Zeichnungen, Wappen, Grenzsteine, Siegel, Malpfähle u. dgl.; 3) im engsten Sinne eine schriftliche Aufzeichnung, gleichviel ob sie ursprünglich sogleich zum Zwecke des Beweises aufgenommen wurde od. nicht. U-n enthalten dann entweder eine Aufzeichnung, welche in der Absicht aufgenommen wurde, daß dadurch das beurkundete Geschäft selbst seine Gültigkeit erhalten od. damit bewiesen werden sollte, z.B. Testamente, Codicille, die urkundlichen Vollziehungen über gesetzliche Erlasse od. über Verträge aller Art; od. Eingeständnisse ihres Verfassers, z.B. Schuldverschreibungen, Quittungen, Briefe etc.; od. Zeugnisse eines Dritten, z.B. Protokolle, öffentliche u. Privatattestate etc. Je nachdem die U-n der allgemeineren Erinnerung u. Benutzung, od. nur besonderen Rechtsinteressen dienen sollten, unterschieden die Römer die U-n noch in Monumenta (Denkmäler) u. Documenta (U-n im engeren Sinn). Fast bei allen Völkern, mit Ausnahme der alten Deutschen, sind die U-n immer als ein vorzügliches Mittel betrachtet worden, um die Wahrheit einer bestrittenen factischen Behauptung vor Gericht festzustellen, bes. weil in der Schrift der bleibende Ausdruck eines Willensactes od. eines durch sinnliche Wahrnehmung veranlaßten geistigen Zustandes liegt Deshalb hat der Urkundenbeweis selbst vor dem Zeugenbeweise in manchen Beziehungen noch dm Vorzug, weil der Inhalt der U. eine längere Dauer hat, als bei Zeugen, dieselbe auch unverändert bleibt, während die Erinnerungen der Zeugen mit der Zeit geschwächt, durch manche Einflüsse getrübt u. selbst durch äußere Einwirkungen viel leichter verfälscht werden können. Das Verfahren bei dem Urkundenbeweise ist wegen der Einfachheit des Beweismittels auch regelmäßig von größerer Schnelligkeit, welche in gleichem Maße bei dem Beweise durch Zeugen gar nicht möglich ist. Bei manchen Verträgen ist die Errichtung einer U. gemeinschaftlich unbedingtes Erforderniß, z.B. bei den Wechseln (s.d.), ebenso im Altrömischen Recht bei der Obligatio literarum. Manche Landesgesetze haben dies noch weiter ausgedehnt u. für die Klagbarkeit aller Verträge, deren Werth eine bestimmte Summe überschreitet, die schriftliche Errichtung vorgeschrieben. So müssen nach dem Preußischen Landrecht alle Verträge, welche einen Gegenstand von mehr als 50 Thlr, betreffen, schriftlich errichtet werden. Meist wird dann auch erfordert, daß zur Errichtung der U. Stempelpapier (s.u. Stempel) verwendet werde. Bei den sogenannten Papieren au porteur (s.u. Staatspapier) bildet der Besitz der U. sogar den alleinigen Grund des Klagrechtes, sodaß ohne denselben jede Legitimation mangelt. U-n, welche sich aus die Besitzrechte von Immobilien beziehen, müssen beim Verkauf dieser Immobilien dem neuen Käufer mit tradirt werden. Die Deutschen nahmen den Gebrauch schriftlicher U-n für Rechtsgeschäfte erst von den Römern an. Ganz bes. wurde die Verbreitung derselben durch die Geistlichkeit gefördert, welcher daran gelegen war, daß über die ihr gemachten Schenkungen, so wie über den Besitz ihrer Güter, Einkünfte u. Gerechtsame schriftliche Beweise ausgefertigt wurden. Dadurch erklären sich die bereits in den älteren germanischen Rechtsbüchern enthaltenen Vorschriften über die Nothwendigkeit schriftlicher U-n über derartige Schenkungen u. über die dabei einzuhaltenden Formen. Bereits im 5. Jahrh. kommen U-n deutscher Könige (z B. von Odoacer vom Jahr 489) vor, u. Marculf (s.d.) theilt in seiner Formelsammlung die für U-n gegebenen Formeln schon in regales u. pagenses, so daß auch die Errichtung von U-n durch Privatpersonen als gebräuchlich erhellt. Doch beziehen sich alle erhaltenen U-n aus dieser frühesten Zeit nur auf die südlichen u. westlichen germanischen Staaten; in dem Norden u. Osten Deutschlands verbreiteten sich dieselben erst seit Karl dem Großen. Eine wesentliche Förderung erhielt der Gebrauch der U-n durch die Verordnung dieses Kaisers, daß jeder Graf, Bischof, etc. in seinem Sprengel einen Notarius haben solle. Auch die Ausbildung des Lehnswesens erhöhte den Gebrauch der U-n sehr durch die Einführung der Lehnbriefe (s.u. Lehen), welche die Lehnherren ihren Vasallen über die Lehngüter ertheilten, während früher die Belehnung nur in der Versammlung der Lehnsmannen (Curia parium) durch den Act der Investitur geschah u. hierüber dann höchstens eine von den Mannen unterschriebene kurze Aufzeichnung stattfand. Vollendet wurde die Ausbildung des Urkundenwesens u. die Allgemeinheit des Gebrauches bei allen nur einigermaßen wichtigen Rechtsgeschäften durch die Reception des Römischen u. Canonischen Rechtes, so wie durch die Einführung einer festen, regelmäßig schriftlichen Geschäftsform bei den öffentlichen Behörden. Für die Sammlung der wichtigeren U-n wurden Archive (s.d.) angelegt.

[287] I. Die Benennung der U-n war nach Zeit, Ort u. Gelegenheit der Errichtung ehedem eine sehr verschiedene. Von der Entstehungsart der U-n sind die Benennungen Opus, Opusculum, Scriptio, Manuscriptum, Scriptura, Autographum, gewöhnlich mit Erwähnung des Inhaltes (z.B. Scriptura de emtis, ein Kaufcontract, Scriptura, reditoria, Aufzeichnung über Einkünfte), ferner Dictum, Dictitium, Dictatus (wenn das Niedergeschriebene dictirt worden), Arenga (von Harangae, Rede), Auctoritas (in Beziehung auf Gewaltgeber od. höhere Behörden), Series (Series petitoria, ein Gesuch) hergenommen. Von dem Stoffe, auf welchen die U-n geschrieben werden, rühren die Bezeichnungen Charta (Papierurkunde) u. Membrana (Pergamenturkunde) her. Auf die äußere Form des Stoffes beziehen sich die Benennungen Duplicata, Combinae (beide in Beziehung auf die Zusammenfaltung); Pagina, oft mit näherer Angabe des Inhaltes, z.B. P. donationis,P. divisionis, eine U., welche auf einer Seite eines Blattes geschrieben ist; Tabella, Libellarium, Rotulus, Rolla, U-n, welche aus mehren zusammengeleimten Blättern zusammengesetzt waren u. aufgerollt werden mußten; Bulla, U. mit anhängendem Siegel; Billa, Billetta, Bullatura, auch Scida Cedula, Schedula, kleinere aus Streifen bestehende U-n, Billets. Von der inneren Einrichtung der Schrift hergenommen sind die Bezeichnungen Literae, Epistolae, U-n in Briefform, meist mit Bezeichnung des Inhalts, als Missivae, Indiculi Monstrae, Notitiae (von der gewöhnlichen Eingangsformel Notum sit universis), Testamenta, im allgemeinen Sinne von Zeugnissen über Geschehenes, Tituli, als Beweismittel für bestimmte Ansprüche (Titulus), Monumina, Monimina, Munitiones (Bestärkungen), Confirmationes, Firmitates (Bekräftigungen) Amminicula, Rogationes (wegen der dazu erbetenen u. unterschriebenen Zeugen) etc. Der Ausdruck Diploma od. Diptycho bedeutet ursprünglich im Alterthum U-n auf Täfelchen verschiedener Größe, welche auf einander gelegt u. mit einem Gelenk versehen wurden, um sie auseinanderbreiten zu können. Im Mittelalter kommt der Ausdruck wenig vor u. bedeutet im Allgemeinen U.; erst seit dem 17. Jahrh. wurde er bes. zur Bezeichnung von kaiserlichen, königlichen u. fürstlichen U-n wieder gebräuchlicher. Ältere deutsche Ausdrücke zur Bezeichnung von U-n sind: Brief, Breeff, Brest (von Breve, Brevia, daher in der Gerichtssprache Brief u. Siegel), seltener Schrift, Ding, Gedinge, Gesätze, Satzung, Zate, Zatebreeff, Handfeste Zettel (von Schedula), Zärter, z.B. Ehezärter (von Charta). Der Ausdruck U. selbst rührt nur von der gewöhnlichen Schlußformel: des zu Urkund, d.h. um dies kund zu thun, her.

II. Für den rechtlichen Werth der U-n, bes. hinsichtlich ihrer Beweiskraft vor Gericht, sind von Wichtigkeit die Eintheilung in A) öffentliche u. Privaturkunden (Instrumenta, publica u. privata). Öffentlich nennt man eine U. dann, wenn sie von einer Behörde od. einer solchen Person ausgestellt wurde, welche öffentlichen Glauben genießt, vorausgesetzt, daß der Gegenstand, über welchen die U. ausgefertigt wurde, zu dem amtlichen Wirkungskreis des Ausstellers gehörte, u. daß derselbe dabei auch in amtlicher Eigenschaft thätig war; alle anderen U-n fallen unter den Begriff von Privaturkunden Als öffentliche U-n gelten hiernach nicht blos die von einem Gericht über, von ihm verhandelte Gegenstände aufgenommenen U-n, sondern bes. auch die Pfarrbücher u. Pfarrmatrikeln über Geburten, Ehe- u. Sterbefälle, die Bücher u. Kataster der öffentlichen Steuerämter u. die in gehöriger Form aufgenommenen Notariatsinstrumente, insoweit die Landesgesetze die Einrichtung der Notarien (s.d.) beibehalten haben. Zweifelhaft ist die Frage, ob die Aufbewahrung einer U. in einem Archive ihr die Eigenschaft einer öffentlichen verleihe. Neuerdings nimmt man gewöhnlich nur so viel an, daß die lange Aufbewahrung einer U. in einem Archive nur deren Glaubwürdigkeit erhöht u. den Beweis der Echtheit derselben unterstützt; die weitere Beweiskraft ist dagegen nach den besonderen Umständen zu beurtheilen. Das Römische Recht unterscheidet außerdem noch sogenannte Documenta quasi publica u. versteht darunter solche Privaturkunden, welche von drei unbescholtenen männlichen Zeugen mitunterzeichnet sind. Sie sind bes. im Römischen Hypothekenrecht den öffentlichen U-n gleichgestellt; nach dem neueren Civilproceßrecht müssen sie hinsichtlich der Beweiskraft den Privaturkunden gleichgestellt werden, u. der Vortheil der Mitunterschrift der Zeugen beruht nur darin, daß durch Beiziehung derselben im Falle der Abläugnung der U. der Beweis sofort ergänzt werden kann. B) In Originale (Authentica scriptura, Urschrift) u. Copien (Exemplum, Abschrift). Unter Original hat man dabei nicht blos das erste in vollkommener Form vollzogene Exemplar einer U., sondern jedes Exemplar zu verstehen, bei dessen Abfassung der ursprüngliche Errichtungsact von denselben Hauptpersonen wiederholt worden ist. Es können demnach von derselben U. auch mehre Originale vorhanden sein. Copien dagegen sind Nachbildungen des Originals, ohne Wiederholung des ursprünglichen Errichtungsactes Man unterscheidet von denselben noch einfache (Copia simplex, saga) u. beglaubigte (C. fidemata, authentica, vidimus), wenn die Nachbildung von einer hierzu autorisirten Behörde od. Person mit dem Original verglichen u. die Übereinstimmung beider in gehöriger Form bestätigt worden ist. Die letzteren wurden sonst auf eine zweifache Weise ausgestellt, entweder so, wie noch jetzt gewöhnlich, vermittelst einer der Abschrift beigefügten Bescheinigung über deren Übereinstimmung mit dem Originale, od. mittelst einer über die Abschrift bes. ausgestellten U., welche Transsumt hieß, während man jetzt häufig darunter Abschrift von Abschrift versteht. In älterer Zeit wurden auch oft die Abschriften aller ausgefertigten Originale in besondere Bücher eingetragen, sogenannte Copialbücher (Instrumentalia volumina, Panchartae, Chartularia, Regestraria, s. Rgesta, Diplomataria, Bullaria, Libri copiales). Bei beglaubten Abschriften öffentlicher U-n pflegt man ferner noch zu unterscheiden, ob die Beglaubigung von der Behörde selbst, welche das Original ausgefertigt hat, od. von einer anderen Behörde ausgegangen ist. Beglaubte Abschriften der ersteren Art heißen oft vorzugsweise Abschriften in beweisender Form (Copiae in forma probante), letztere einfach beglaubte Abschriften Den ersteren kommt völlig gleiche Beweiskraft mit dem Originale zu; die letzteren begründen immer nur eine größere od. geringere Wahrscheinlichkeit der Echtheit des Originales, da eine U., welche die [288] Merkmale einer öffentlichen U. an sich trägt, doch immer noch verfälscht u. unecht sein kann. Eine besondere Art der Beglaubigung bildet das sogenannte Exemplificationsverfahren Es werden dabei von dem Gericht sämmtliche Interessenten des Rechtsgeschäftes, über welches die U. Nachricht gibt, zugezogen u. zur Anerkennung des Inhaltes der U. aufgefordert. Erfolgt dieselbe, so schließt das Exemplificat dann den Echtheitsbeweis in sich u. die U. erhält die Beweiskraft öffentlicher U-n, mithin, wenn das Original eine Privaturkunde war, höhere Beweiskraft als dieses. Auch einfachen, nicht beglaubten Abschriften ist, wenn das Original fehlt, nicht alle Beweistüchtigkeit abzusprechen, es hat dann das Ermessen des Richters über die Beweiskraft zu entscheiden.

III. Im Besonderen ist der Gebrauch der U-n als Beweismittel verschieden im Civil- n. im Criminalprocesse A) Im Civilprocesse hängt die Beweiskraft der U-n zunächst von der Beschaffenheit ihres Inhaltes ab. Enthält die U. ein Zeugniß, d.h. wird von dem Aussteller derselben irgend ein geschichtlicher Vorgang, eine Handlung od. ein Ereigniß bestätigt, so kommt es darauf an, ob die U. eine öffentliche ob. eine Privaturkunde ist. Im ersteren Fall liefert die U. für die Thatsache vollen Beweis, wenn sie nur in der gesetzlich vorgeschriebenen Form ausgefertigt ist. Auf diesem Grundsatz beruht bes. die volle Beweiskraft der gerichtlichen Protokolle (s.d.), welches nicht Anderes als öffentliche schriftliche Zeugnisse sind. Gegen die Existenz u. den Inhalt einer durch ein solches öffentliches schriftliches Zeugniß bestätigten Thatsache ist selbst ein Gegenbeweis nur in beschränktem Maße zulässig. Die ältere Ansicht forderte dazu wenigstens drei Zeugen; die neuere Zeit läßt zwar den Gegenbeweis mit den gewöhnlichen Beweismitteln zu, indessen nur insofern als entweder ein formelles Gebrechen bei Errichtung des Zeugnisses, od. eine Verfälschung od. nur eine Unvollständigkeit desselben behauptet wird. Eine Privaturkunde ermangelt dagegen solchenfalls in der Regel aller Beweiskraft. Ist nämlich der Aussteller der U. eine dritte, am Rechtsstreit unbetheiligte Person, so mangelt ihr, abgesehen von der Übereinstimmung mit einem zweiten Mitzeugen, die Form der persönlichen Vernehmung, durch welche allein ein Zeugniß Glaubwürdigkeit vor Gericht erhält (s.u. Zeuge). Ist aber der Aussteller der U. einer der streitenden Parteien u. lautet dabei das Zeugniß zum Vortheil des Ausstellers, so hat es deshalb keine Beweiskraft, weil Niemand in eigener Sache Zeugniß ablegen kann (Scriptura pro scribente nihil probat,); lautet es aber zum Nachtheil desselben, so kann die U. zwar Beweiskraft haben, allein es richtet sich dieselbe alsdann nicht nach den Regeln eines Zeugnisses, sondern eines Geständnisses. Doch leidet auch die Regel Scriptura pro scribente nihil probat noch Ausnahme, wenn der Inhalt einer solchen U. noch durch andere Wahrscheinlichkeitsgründe unterstützt wird, welchenfalls sie nach Ermessen des Richters wenigstens einigen Beweis liefern kann; auch bei in gehöriger Form geführten Handelsbüchern, welche für den sie producirenden Kaufmann so viel beweisen, daß darauf ein Erfüllungseid gestützt werden darf. Particularrechte unterscheiden dabei noch, ob die Production gegen einen Kaufmann od. Nichtkaufmann geschieht, u. lassen nur im ersteren Falle den Aussteller zum Erfüllungs-, im anderen aber den Gegner zum Reinigungseide zu. Das neuere deutsche Handelsgesetzbuch bestimmt darüber, daß ordnungsmäßig geführte Handelsbücher bei Streitigkeiten unter Kaufleuten in der Regel einen unvollständigen Beweis liefern, welcher durch Eid od. andere Beweismittel ergänzt werden kann. Ihre Beweiskraft gegen Nichtkaufleute festzusetzen ist den Landesgesetzen überlassen. Enthält die U. ein Gutachten des Ausstellers, so beurtheilt sich die Beweiskraft derselben nach den Erfordernissen des Beweises durch Sach- od. Kunstverständige. Ein von einer Partei blos außergerichtlich erholtes schriftliches Parere (s. d,) kann darnach nie zu einem vollen Beweis hinreichen, weil auch die Sachverständigen in der Regel gerichtlich u. eidlich vernommen werden müssen. Bildet den Inhalt der U. ein Geständniß der Gegenpartei od. einer solchen Person, deren Geständnisse die Gegenpartei für sich gelten lassen muß, so beweist die U. vollkommen (Scriptura, contra scribentem probat), weil wegen der schriftlichen Ausfertigung der Animus confitendi zu vermuthen ist; doch wird damit der Gegenbeweis gegen die Wahrheit der eingestandenen Thatsache beschlossen. Enthält endlich die U. den unmittelbaren Ausdruck eines eigenen Willensactes des Ausstellers, wie z.B. bei Testamenten, Schuldbriefen etc. (sogenannte dispositive U-n), so liefert dieselbe ebenfalls vollen Beweis sowohl der Existenz als des Inhaltes der getroffenen Disposition, da eine derartige U. die Handlung selbst bildet, welche durch die Schrift sinnlich erkennbar u. in dieser Erkennbarkeit auf eine bleibende Art fixirt worden ist. Jedoch erstreckt sich dieser Beweis nur auf die Thatsache der Disposition u. ihres Inhaltes, nicht auf die rechtliche Gültigkeit derselben, weshalb der Beweis des Betruges, der Simulation etc. dem Gegentheil immerhin offen bleibt. Hierbei wird aber überall vorausgesetzt, daß es der U. nicht an den notwendigen äußeren Förmlichkeiten fehle, ferner daß ihr Inhalt wirklich relevant sei, d.h. mit dem zu beweisenden Satze vollkommen übereinstimme, u. daß sie echt sei, d.h. Gewißheit vorliege, daß sie wirklich von dem herrühre, welcher als der Aussteller bezeichnet ist. Die äußeren Formen richten sich theils nach der individuellen Beschaffenheit des beurkundeten Geschäftes (z.B. bei Privattestamenten die Zuziehung von sieben Zeugen, bei Wechseln die Bezeichnung als Wechsel etc.); theils sind sie allgemeine. Zu letzteren gehören bei öffentlichen U-n die Unterschrift der ausstellenden Behörde u. die Beidrückung des Amtssiegels, bei Privaturkunden in der Regel wenigstens die Unterschrift des Ausstellers. Bei Notariatsinstrumenten müssen, so weit nicht Landesgesetze Anderes vorschreiben, die Vorschriften der Notariatsordnung von 1512 eingehalten sein. In Betreff der Relevanz ist bes. die Rechtsregel Referens sine relato nil probat von Wichtigkeit. Ist nämlich in einer an sich zu einem anderen Zwecke, als zu welchem sie producirt wird, errichteten U. einer anderen U. nur beiläufig Erwähnung gethan, so genügt, um den Inhalt der angezogenen U. (Documentum relatum) zu beweisen, die Bezugnahme darauf in der ersteren U. (Doc. referens) nicht, sondern es muß das von. Doc. relatum selbst vorgelegt werden. U-n, in denen kein specieller Vergleichungsgrund für die darin bezeugte Verbindlichkeit ausgedrückt ist (sog. Documenta indiscreta),[289] sind zwar an, sich nicht irrecognoscibel indessen gilt bei ihnen die Beschränkung, daß sie nicht zu den guarentigiirten U-n (Doc. guarentigiata) zählen, aus denen allein der Executivproceß (s.d.) angestellt werden kann. Um als solche U-n zu gelten, muß aus denselben genau sowohl die Quantität u. Qualität, als das Subject u. Object der Obligation, wegen deren geklagt werden soll, u. die für die Leistung bestimmte Zeit erhellen. Die Echtheit wird bei öffentlichen U-n, wenn sie die äußeren Kennzeichen der legalen Ausfertigung, bes. das entsprechende Amtssiegel an sich tragen u. sonst keine sichtbaren Fehler, wie Rasuren, Durchstreichungen, Veränderungen etc. haben, rechtlich präsumirt Privaturkunden haben dagegen eine solche Rechtsvermuthung nicht für sich, u. es muß daher der Producent derselben den Richter von der Echtheit bes. zu überzeugen suchen. Die Herstellung dieser Überzeugung aber wird im Civilprocesse zuerst immer dadurch versucht, daß die U. dem Gegentheil (Product) gerichtlich vorgelegt u. derselbe aufgefordert wird sich darüber zu erklären, ob er dieselbe recognoscire od. diffitire, d.h. ob er sie als echt anerkenne od. nicht. Im ersteren Falle wird jeder weitere Echtheitsbeweis von Seiten des Producenten überflüssig; im zweiten Falle aber muß der Producent den Echtheitsbeweis mittelst der gewöhnlichen Beweismittel, namentlich durch Zeugen, andere U-n od. durch die Schriftenvergleichung (Comparatio litterarum) übernehmen, wenn er es nicht bei den Producten zum Diffessionseid kommen lassen will, durch welchen, wenn er wirklich geleistet wird, die U. alle Beweiskraft verliert. Das formelle Verfahren ordnet sich dabei so, daß der Producent, welcher den Beweis zu. führen hat u. ihn durch U-n führen will, zuvörderst binnen einer, richterlich bestimmtes od. nach den meisten Particularrechten gesetzlichen Frist schriftlich zu erklären hat, daß er den Beweis durch die hierbei so genau, als zur Beurtheilung der Zulässigkeit im Allgemeinen erforderlich ist, anzugebenden U-n führen wolle. Manche Gesetze erfordern dabei die sofortige Beifügung vollständiger, mehrfach sogar beglaubter Abschriften. Der Richter hat darauf, die Beweisantretung zu prüfen u. einen unerheblichen od. unzulässigen Urkundenbeweis sofort von Amtswegen zu verwerfen. Außerdem aber wird die Beweisantretung dem Gegentheil zur Erklärung mitgetheilt u. zugleich ein Termin zur Vorlegung der Originale der U-n angesetzt, zu welchem der Beweisführer unter dem Präjudiz der Desertion, des Beweises (bei Verlust der U-n), der Product aber zur Erklärung über die Echtheit od. Unechtheit derselben bei Strafe der sonst fingirten Anerkennung (Sub poena agniti vel recogniti) vorgeladen wirb. Erscheinen beide Theile in dem Termin, so wird zuvörderst der Producent zur wirklichen Vorlegung der Originale veranlaßt. Auch öffentliche U-n sind dem Producten vorzulegen, obschon sie keiner ausdrücklichen Anerkennung bedürfen, weil ihm gegen die Rechtsvermuthung ihrer Echtheit der Beweis der Verfälschung zusteht. Widerspricht der Product der Echtheit, so muß er sich bei öffentlichen U-n sogleich zum Beweis der Verfälschung erbieten, zu dessen Ausführung ihm eine peremtorische Frist gesetzt wird; bei Privaturkunden muß er auf Verlangen des Producenten sofort den Diffessionseid dahin, daß die U. von dem, angeblichen Aussteller weder geschrieben noch unterschrieben, u. daß sie auch nicht mit seinem Wissen u. Willen von einem Anderen ge- ob. unterschrieben worden sei, ableisten, wodurch dann die U. alle Beweiskraft verliert, wenn, nicht der Producent selbst es vorzieht den Echtheitsbeweis anzutreten Wählt Producent dabei das Mittel der Schriftenvergleichung, so geschieht dieselbe nach den Regeln des Sachverständigenbeweises in der Weise, daß die streitige U. durch vereidete Schreibverständige mit Schriftzügen anderer U-n, welche unbestritten von dem angeblichen Aussteller der fraglichen U. herrühren, verglichen wird. Ergibt diese Vergleichung hinsichtlich eigenthümlicher Schriftzüge, der Satzbildung u. Rechtschreibung völlige Übereinstimmung, so kann die Schriftenvergleichung unter Umständen selbst bis zur Herstellung vollständigen Echtheitsbeweises führen; in der Regel kommt es jedoch wegen Unvollständigkeit der; richterlichen Überzeugung noch zur Auflegung eines Erfüllungs- od. Reinigungseides, welcher letztere dann mit dem Diffessionseid zusammenfällt. In manchen Particularrechten hat aber das Mißtrauen gegen diese Art des Echtheitsbeweises dahin geführt, daß sie ihn zur Herstellung der Echtheit bloßer, Unterschriften gar nicht zulassen, ja ihn unter allen Umständen verbieten. Eine Folge der Production der U-n im Productionstermin ist die damit eintretende Gemeinschaftlichkeit derselben (Communio documentorum). Es wird damit der Satz gemeint, daß der Gegentheil, wider welchen, mit den, U-n Beweis, geführt werden sollte, jetzt auch von dem Resultate derselben für den von ihm zu führenden Beweis Gebrauch machen kann. Befindet sich die U., deren sich eine Partei zur Herstellung des Beweises in einem Civilprocesse bedienen will, in fremden Händen, u. verweigert der Besitzer die Herausgabe derselben, so kann der der U. zum Beweis Benöthigte unter gewissen Voraussetzungen auf Edition der U dringen, s. Edition 3). Vgl. Spangenberg, Lehre vom Urkundenbeweise. Heidelb. 1827, 2 Abth.

B) Im Criminalprocesse bilden die U-n keine selbständige Art der Beweismittel; es konnte daher auch im alten Inquisitionsverfahren auf eine U. allein nicht, wie etwa auf Zeugen od. Geständniß, eine Verurtheilung gebaut werden. Doch kann auch von einer besondern Art der Beweisführung durch U-n im Strafprozesse insofern gesprochen werden, als durch manche U-n Thatsachen, welche für das Strafurtheil relevant sind, als vollkommem gewiß hergestellt werden können, namentlich wenn die U-n selbst den Gegenstand des Verbrechens bilden, wie z.B. bei Urkundenfälschungen, Schmähschriften, hochverrätherischen Aufrufen etc. Der Untersuchungsrichter hat daher ein Hauptaugenmerk darauf zu richten, etwaige U-n von Relevanz aufzusuchen u. in sichern Gewahrsam zu bringen. Hierzu dient insbesondere die Beschlagnahme u. Durchsuchung der Briefschaften des Angeschuldigten., welche im Ganzen nach den Vorschriften u. in den Formen einer Haussuchung, daher nach den neueren Strafproceßordnungen in Regel nicht anders als im Beisein des Angeschuldigten od., falls derselbe flüchtig ist, eines seiner Angehörigen zu erfolgen hat, so wie auch der Befehl an die Post, eingehende an einen Angeschuldigten addressirte Briefe od. Paquete zuvörderst an den Inquirenten abzugeben. Der Inhalt der U-n wird dann je nach den Umständen zu Vorhalten an die Zeugen u. an den Angeschuldigten selbst benutzt. Ein Hauptziel des[290] Inquirenten ist dabei möglichst die Echtheit der U. zu constatiren. Hierzu kann, wenn nicht der Angeschuldigte selbst die U. ausdrücklich recognoscirt, insbesondere die Vernehmung von Zeugen, welche entweder den Angeschuldigten die U. schreiben sahen od. doch seine Schriftzüge kennen, die Benutzung von Indicien (s, d.), sowie auch die Schriftenvergleichung mit Beiziehung schreibverständiger Personen, selbst die Anwendung von Mitteln der Chemie, z. B, um bei anscheinend verfälschten U-n den ursprünglichen wahren Inhalt des Papiers wiederherzustellen, dienen; dagegen ist die Anwendung des Diffessionseides im Strafprocesse ausgeschlossen, da es hier nicht auf ein Gegenüberstehen von Parteien, sondern auf Erforschung der materiellen Wahrheit ankommt. Ebendeshalb ist auch bei wirklichem Anerkenntniß der U. Seitens des Angeschuldigten Pflicht des Richters genauer zu prüfen, ob das darin liegende Geständniß als in vollem Umfange glaubwürdig auzusehen ist od. nicht. Öffentliche U-n beweisen unter denselben Voraussetzungen, wie im Civilprocesse, das darin Bezeugte zunächst vollständig; doch ist auch gegen sie ein Gegenbeweis statthaft.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 287-291.
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