Vasall

[369] Vasall (von ungewisser Abstammung, mittellat. Vasallus, Fidelis, Beneficiatus, Feodatus, Feudatarius, Miles, Cliens), ein Lehnsmann, d.i. derjenige, welcher von einem Andern, dem Lehnsherrn (Dominus feudi), das nutzbare Eigenthum an einem Lehngut, unter Vorbehalt des Obereigenthums u. des Rückfalls für den Aperturfall, sowie unter der Bedingung wechselseitiger Lehnstreue verliehen erhalten hat, s. Lehn. Die Haupteintheilung der V-en ist die in Hauptvasallen (V-en im engern Sinne), welche ihr Lehn unmittelbar von einem solchen Lehnsherrn haben, welcher keinen weitern Herrn über sich hat; u. in Aftervasallen (Arriervasallen, Afterlehnsmann), welche ihr Lehn selbst erst von einem V-en, vermöge einer sogenannten Subinfeudatio, erhalten haben. Auf dem gleichen Grunde beruhte zur Zeit des Deutschen Reiches die Eintheilung in unmittelbare Reichsvasallen, welche unmittelbar dem Kaiser u. Reich lehnpflichtig waren, u. in mittelbare od. landsässige V-en, welche ihr Lehn mittelbar von einem deutschen Reichsfürsten besaßen. Die Eintheilung in kanzleischriftsässige u. amtssässige V-en bezieht sich ursprünglich auf die verschiedene Beschreibung der V-en zu den Ritter- u. Lehndiensten (entweder unmittelbar durch die. fürstliche Kanzlei od. die fürstlichen Ämter), womit sich dann auch ein verschiedener Gerichtsstand u. zuweilen verschiedene Berechtigung auf den Landtagen verband. Von dem Ministerialis unterscheidet sich der V. wesentlich dadurch, daß die erstere Bezeichnung überhaupt alle Personen umfaßt, welche in Dienstverhältnissen stehen, daher sogar Unfreie darunter mit begriffen wurden. Um V. werden zu können, muß man vor Allem die passive Lehnsfähigkeit besitzen. Die Eigenschaften hierzu sind entweder von der Art, daß ihre Existenz schlechthin wesentlich ist, ihr Mangel also die Lehnserreichung unmöglich macht (absolute Lehnsunfähigkeit), od. nur solche, welche von den Gesetzen blos insofern gefordert werden, als der Lehnsherr darauf bestehen will (relative Lehnsunfähigkeit). Die erstere Unfähigkeit ist bei allen denen vorhanden, welche überhaupt keine Rechtsfähigkeit od. wenigstens nicht die Fähigkeit besitzen Eigenthümer eines[369] unbeweglichen Objectes, wie es der Regel nach das Lehn ist, zu werden (z.B. nach manchen Landesgesetzen Juden etc.); relative Hindernisse werden besonders durch die Rücksicht auf die Fähigkeit die Lehnsdienste gehörig zu verrichten geschaffen, daher z.B. juristische Personen, Weiber, durch körperliche Gebrechen Unfähige, Gemüthskranke, Unfreie, Geistliche, bei adligen Lehen Nichtadelige ausgeschlossen sind. Ist aber dennoch an einen relativ Unfähigen eine Belehnung geschehen, ohne daß der Lehnherr auf die Leistung der Lehndienste förmlich verzichtete, so kann er verlangen, daß ihm vom V-en ein tüchtiger Stellvertreter bestellt werde. Dies ist dann entweder ein Lehnsbevollmächtigter (Lehnsanwalt, Lehnssubstitut, Lehnspfleger), wenn er die Lehnspflicht als ein bloßer Mandatar des V-en auf sich nimmt; od. ein Provasall (Lehnträger), wenn er die Lehnspflicht kraft eines eigenen Rechtes u. im eigenen Namen thut. Das vasallitische Recht erscheint alsdann der Substanz nach von der Befugniß zur Ausübung desselben (Provasallagium) getrennt. Besonders bei den Lehen, welche an Korporationen od. auch sonst an eine Mehrheit von Personen (z.B. eine Familie) verliehen sind, verlangen die deutschen Lehnrechte die Bestellung eines Lehnträgers als nothwendig; durch freiwillige Übereinkunft kann ein solcher in andern Fällen ernannt werden (gewillkürter Lehnträger). Die Begründung des Lehnsverhältnisses erfolgt durch die Investitur, s.u. Lehn IV. Die Verpflichtungen des V-en bestehen in dem Lehngehorsam od. der Lehntreue; die Verbindlichkeit hierzu liegt nicht blos dem besitzenden Lehnsmanne, sondern auch den Nebenvasallen, welche in der ersten Investitur stillschweigend ob. ausdrücklich mitbegriffen waren u. deshalb ein eventuelles Successionsrecht in das Lehn haben, ob. Zur treuen Erfüllung dieser Verbindlichkeiten verpflichtet sich der V. durch den Lehnseid (Vasallagium), insofern nicht, wie bei den sogenannten ungeschwornen od. Handlehn, die Eidespflicht durch besondere Verabredung od. Gewohnheit erlassen ist. Die Lehndienste des V-en bestehen theils in ordentlichen (Servitia ordinaria), welche der gesetzlichen Vermuthung nach bei allen Lehn mit dem Lehnbesitz von selbst verbunden sind, theils in außerordentlichen (S. extraordinaria), welche nur bei gewissen Arten von Lehen od. nach besonderen, bei der Investitur gestellten Bedingungen vorkommen. Zu den elfteren gehörte immer die Kriegshülfe (S. militaria), welche der V. in Natur leisten mußte, wenn nicht der Lehnsherr ihn gegen eine Entschädigung (Adoha) ausdrücklich davon entband. In der neueren Zeit sind indessen bei der gänzlich veränderten Kriegsverfassung in allen Territorien, in denen überhaupt noch die Lehnsverbindung besteht, durch Gesetz od. wechselseitige Vereinigung eine Verwandlung des Naturaldienstes in eine Geldsumme (Ritterpfandsgelder etc.) eingetreten. Andere ordentliche Lehnsdienste sind noch die gewissen Ehrendienste (S. honoraria) in allen Ehrenfällen der lehnsherrlichen Familie, auch wohl Gerichtsdienste, ohne daß jedoch darüber gemeinrechtliche Normen bestehen. Bei Eintritt von Veränderungen in der Person des Lehnsherrn (Herrenfall), od. wenn das vasallische Recht an eine andere, in der frühen Belehnung mitbegriffene Person übergeht (Lehnfall) hat der V. überdies die Pflicht das Lehn von Neuem zu muthen, d.h. gewöhnlich schriftlich (daher Muthungsschreiben, über dessen Eingang von dem Lehnsherrn od. der Lehnscurie dann ein Muth- od. Vigilanzschein ausgefertigt wird) um Erneuerung der Belehnung zu bitten. Die Form der Erneuerung ist dann in der Regel ganz die der ersten Belehnung, mit der Ausfertigung eines neuen Lehnbriefes, wofür an die Lehnskanzlei gewisse Abgaben, od. die Lehnstaxe (Schreibeschilling) u. andere Sporte (Lehnssporteln) zu entrichten sind. Die Rechte des V-en bestehen im Gegenüber des Lehnsherrn in dem Anrecht auf die Lehnsprotection, d.h. auf kräftigen Schutz gegen jede, seinem Leben, seiner Ehre od. seinem Lehngut drohende Gefahr; in Betreff des Lehngutes steht dem V-en das Recht zu von demselben alle Nutzungen, welche das Lehn nach seiner physischen u. rechtlichen Beschaffenheit gewährt, ausschließend, wie ein voller Eigentümer, zu ziehen u. ebenso die damit verbundenen Gerechtigkeiten allein zu seinem Vortheil auszuüben. Die Erwerbung der Früchte geschieht durch blose Separation, u. dieselben fallen ihm damit zu allodialem Eigenthum zu. Über die Substanz des Lehns selbst kann der V. nur soweit disponiren, daß er sich allen Deteriorationen u. Veräußerungen ohne Bewilligung des Lehnsherrn, welcher dieselben sonst als nichtig aussprechen kann, zu enthalten hat. Über die beim Todesfall des V-en eintretende besondere Lehnssuccession s.u. Lehn VIII.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 369-370.
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