Korsika

[514] Korsika (franz. la Corse), Insel im Mittelmeer, ein französisches Departement bildend, von der nördlich liegenden Insel Sardinien durch die 11 km breite Straße von Bonifacio getrennt, ist von Livorno, dem nächsten italienischen Hafen, 84 km, und von dem nächsten französischen Hafen, Antibes, 172 km entfernt (s. das Kärtchen S. 515). Sie hat von N. nach S. eine Länge von 183 km, eine größte Breite von 84 km und einen Flächenraum von 8722 qkm (158,4 QM.). Die Insel ist deutlich als ein abgelöstes Stück von Sardinien zu erkennen. Mit Italien verknüpft es ein unterseeischer, wenig unter 180 m sinkender Rücken, auf dem sich ihm die toskanischen Inseln entgegenstrecken, während es von der Provence durch Tiefen von 2000 m getrennt ist. Bei Bastia setzt sich an den Rumpf der Insel die gebirgige, 38 km lange Halbinsel von Kap Corso, so nach der Nordspitze benannt, an, die an ihrer westlichen Basis den Hafen von St.-Florent hat. Sehr viel reicher gegliedert, reicher an Buchten und malerischen, steilen Vorgebirgen ist die Westseite der Insel; es folgen auseinander die Buchten von Calvi, Porto, Sagone, Ajaccio und Valinco, denen freilich meist eine anschließende Ebene fehlt. Nur bei Ajaccio ist eine kleine Küstenebene vorhanden, mit Recht Campo d'Oro, das Goldfeld, genannt. Das Innere der Insel ist von rauhen Bergen erfüllt, die deutlich eine Hauptkette mit Meridianrichtung, eine Fortsetzung derjenigen von Sardinien, erkennen lassen, aber in der Weise, daß die schwer zu übersteigende Wasserscheide im nördlichen Teil der Insel sich nahe der Nordwestküste, im südlichen näher der Ostküste hält. Die Ostseite besteht aus Kreidegesteinen, meist Kalk, an der Küste auch aus tertiären und quartären Bildungen, während der bei weitem größte Teil der Insel westlich von einer Linie, die von Ile Rousse nach Solenzara verläuft, aus altkristallinischem Gestein, vorzugsweise Granit, besteht. Hier liegen denn auch die mächtigsten Erhebungen, rauhe Granitspitzen, den größten Teil des Jahres von Schnee bedeckt, der zentrale Monte Rotondo (2625 m), der noch höhere, nördlichere Monte Cinto (2707 m), der südlichere Monte d'Oro (2391 m) und der südlichste, nach seiner Gestalt Incudine (»Amboß«) benannt (2136 m). Dies sind die Ursprungsstätten der zahlreichen kleinen, im Sommer meist trocknen Flüsse, Die größten sind der Golo und der Tavignano,[514] die zur Ostküste, der Taravo, die Gravona und der Liamone, die zur Westküste gehen.

Das Klima der Insel ist, von der Ostküste abgesehen, herrlich, die Mitteltemperatur des Jahres beträgt an der Küste 17,4°, im Sommer 24,5, im Winter 11,2°. Schnee fällt selten, wohl aber sind die Berge die Hälfte des Jahres mit Schnee bedeckt. Es regnet reichlich genug (in Ajaccio 571 mm im jährlichen Durchschnitt), und nur der Sommer ist regenarm. So können hier alle Gewächse der südlichen Mittelmeerländer gedeihen, Agrumen, Opuntien, Agaven, ja selbst Dattelpalmen; Agrumenkultur ist sogar in einzelnen Gegenden, z. B. bei Ajaccio und in den Tälern von Kap Corso, von Wichtigkeit. Der Charakterbaum Korsikas ist aber der Ölbaum, der in einzelnen Gegenden, wie in der Balagna, ganze Wälder bildet und bis 700 m hoch steigt. Höher hinauf steigen die Edelkastanien, die noch ungeheure Wälder bilden und so reich tragen, daß sich die Bevölkerung wesentlich davon nährt. Sonst sind aber die Urwälder, die ehemals die Insel dicht bedeckten, bedeutend gelichtet worden. Noch gibt es einzelne dichte Wälder von herrlichen Laricio-Kiefern, wohl auch von Lärchen, Eichen und Buchen; aber sie schwinden rasch dahin, und von den offiziellen (1900) 126,121 Hektar Wald besteht der größte Teil aus Buschwald und Gestrüppe, in der Küstenzone meist aus immergrünen Sträuchern gebildet, die sogen. Macchien. Über der Zone der Wälder breiten sich die Alpenweiden aus, auf denen im Sommer die Schafe und Ziegen weiden, wo auch noch der Mufflon vorkommt.

K hat eine Bevölkerung von (1901) 295,589 Seelen. Die Insel ist also schwach bevölkert (34 Bewohner auf 1 qkm). Die Bewohner Korsikas (die Korsen) sind, von einer im 17. Jahrh. eingewanderten griechischen Kolonie und von einigen tausend Franzosen in den Städten abgesehen, als Italiener zu betrachten. Sie haben Zeugnisse von ihrer Vaterlandsliebe, ihrer Tapferkeit und Todesverachtung wie von ihrer Treue in Menge aufzuweisen, ebenso aber auch von ihrer Rachsucht, tollem Ehrgeiz und Eifersucht. Die furchtbare Vendetta (Blutrache, s. d.) ist noch heute nicht völlig erloschen. An materieller ebenso wie an geistiger Bildung stehen die Korsen noch tief. Das Korsische ist ein verderbtes Italienisch. Die Sprache des Volkes ist reich an Bildern, Poesie wird eifrig gepflegt, Improvisationstalent ist nicht selten; tief poetische Volkslieder sind in aller Mund, namentlich die Voceri, die Totenklagen, spielten in der Vendetta eine große Rolle. Die Volksbildung ist noch sehr mangelhaft.

Die Bodenkultur steht auf sehr tiefer Stufe der Entwickelung, noch nicht die Hälfte des Bodens ist angebaut und auch dies nur mit Hilfe von italienischen Arbeitern, die aus der Provinz Lucca, bis zu 10,000, zur Aussaat und Ernte herüberkommen. Nach dem offiziellen Kataster kommen von der Gesamtfläche auf Ackerland 360,000, auf Wiesen 57,600, auf Weinland 17,500, auf Weiden 105,000 Hektar etc. Die wichtigsten Bodenprodukte sind: Getreide, insbes. Weizen (1902: 124,375 hl), Gerste, Roggen, Wein (113,839 hl), Oliven, Kastanien und Südfrüchte, insbesondere vorzügliche Zitronen. Die Viehzucht steht ebenfalls noch sehr tief, am zahlreichsten sind Schafe (1893: 433,000) und. Ziegen (231,000); die Zahl der kleinen, aber kräftigen korsischen Pferde wie die der Maultiere ist gering (je 10,000 Stück), am niedrigsten steht die Rinderzucht (55,000 Stück). Die Seidenraupenzucht lieferte 1902: 85,887 kg Kokons. Sehr reich an Fischen sind die Lagunen der Ostseite, namentlich an Aalen; auch Sardellen- und Thunfischerei, dann Korallenfischerei wird an der Küste getrieben. Die Mineralschätze Korsikas scheinen wenig bedeutend zu sein; es wird nur etwas Bergbau auf Blei-, Kupfer- und Antimonerze getrieben. Ausgezeichnet ist das Steinmaterial, insbes. Granit, Porphyr, Jaspis, Serpentin, Marmor und Alabaster. Die Seesalzgewinnung beträgt ca. 400 Ton. Salz. Von den zahlreichen Mineralquellen ist nur die außerordentlich kohensäurehaltige von Orezza von nicht ganz örtlicher Bedeutung. Die Industrie ist wenig entwickelt und liefert nur Gegenstände des einheimischen Bedarfs. Für Kommunikationsmittel ist im Innern noch wenig gesorgt. Das Eisenbahnnetz hat eine Länge von 295 km. Eine Eisenbahnlinie führt von Ajaccio über den Paß von Vizzavona (1162 m), der mittels eines Tunnels unterfahren wird, nach Bastia; Zweigbahnen gehen von dieser Linie nach Calvi und Ghisonaccia.

Karte der Insel Korsika.
Karte der Insel Korsika.

Der Handel ist vorzugsweise nach Frankreich (Marseille), nächstdem nach Italien und Algerien gerichtet. Die Einfuhr besteht aus Getreide und Mehl, Baumaterialien, Kohlen, Metallwaren, Salz, Vieh, Käse, Viehfutter, Wein, Branntwein, Ton- und Glaswaren, Papier; die Ausfuhr aus Wein, Holz, Gerberrinde, Olivenöl, Kastanien, Südfrüchten,[515] eingelegten Früchten etc. Die Haupthäfen sind Bastia, Ajaccio und Calvi. K. zerfällt in die 5 Arrondissements von Ajaccio, Bastia, Calvi, Corte und Sartène. Hauptstadt ist Ajaccio (s. d.) Der korsische Appellhof ist in Bastia, das Bistum in Ajaccio.

[Geschichte.] K. wurde seit der ältesten Zeit von dem ligurischen Volksstamm der Korsen bewohnt. Um 564 v. Chr. gründeten die Phokäer daselbst die Stadt Alalia (Aleria), wurden aber bald von den vereinigten Karthagern und Etruskern vertrieben, welch letztere nun die Insel besetzten, bis sich die Karthager der Handelsplätze an Korsikas Küsten bemächtigten. Während des ersten Punischen Krieges setzten die Römer sich auf der Insel fest und unterwarfen sie 231. Um 465 eroberte der Wandalenkönig Geiserich K., das nach dem Untergang des Wandalenreichs Ostgoten und Byzantiner einander streitig machten. Im Anfang des 8. Jahrh. erschienen die ersten Sarazenenschwärme auf der Insel; um die Mitte des Jahrhunderts bemächtigten sich die Langobarden derselben, und mit dem Langobardenreich kam K. an die Franken. Wenngleich die Insel noch lange von den deutschen Kaisern als ein Teil ihres Reiches angesehen wurde, scheint sie doch im 10. Jahrh. tatsächlich unabhängig gewesen und von heimischen Dynasten beherrscht zu sein. Über diese beanspruchte 1077 Gregor VII. die Oberherrschaft; Urban II. erneuerte 1091 diese Anordnung zugunsten des Bischofs Daimbert von Pisa und seiner Nachfolger. Den Pisanern machten seit dem Anfang des 12. Jahrh. die Genuesen die Herrschaft über die Insel streitig. Der korsische Adel nahm bald für die eine, bald für die andre der rivalisierenden Städte Partei, allein die Genuesen behaupteten die Oberhand; nachdem sie in der Seeschlacht bei Meloria 1284 die Flotte der Gegner vernichtet hatten, eroberten sie nach und nach die ganze Insel, die ihnen Pisa in dem Frieden von 1299 abtrat. Genua behauptete die Gewalt über K. gegen aragonesische, auf eine päpstliche Verleihung von 1295 sich stützende Ansprüche, vermochte aber der auf der Insel herrschenden Anarchie nicht zu steuern, und immer wieder kam es zu Aufständen gegen das drückende und aussaugende Regiment der genuesischen Statthalter. Besonders gefährlich wurden diese Aufstände im 18. Jahrh. Eine allgemeine Empörung, die 1730 unter Führung des korsischen Generals Luigi Giafferi ausgebrochen war, war erfolgreich, und eine allgemeine Versammlung der Korsen zu Corte im Januar 1735 sprach die ewige Trennung Korsikas von Genua aus. Am 12. März 1736 landete der deutsche Baron Theodor von Neuhof (s. d.) mit einer Schar Abenteurer unter britischer Flagge bei Aleria und gewann in kurzem so großes Ansehen, daß ihn die Korsen als Theodor I. zum König von K. ernannten. Sein Königtum dauerte aber kein Jahr, und mehrere Versuche, es wiederzugewinnen, mißlangen, da Genua 1738 die Franzosen zu Hilfe rief. Indessen brachten auch diese die Insel nicht zu dauernder Botmäßigkeit; immer wieder erneuerte sich die Volkserhebung, und namentlich unter der Führung des Pasquale Paoli (s. d.) gewann der Aufstand mehr und mehr an Boden. Bis auf einige befestigte Seeplätze wurden die Genuesen völlig von K. verdrängt; da verkaufte Genua 15. Mai 1768 K. für 2 Mill. Frank an Frankreich. Zwar nahmen die Korsen den Kampf auch mit dieser Macht auf; aber die unglückliche Schlacht von Pontenuovo (8. Mai 1769) entschied das Schicksal der Insel. Paoli verließ sie mit andern Flüchtlingen, und K. ward französische Provinz. Während der französischen Revolution kehrte Paoli 1790, zum französischen Statthalter von K. ernannt, in sein Vaterland zurück, geriet aber 1793 mit dem französischen Konvent in Konflikt, rief das Volk noch einmal zu den Waffen und eroberte mit Hilfe der Briten im Mai 1794 Bastia und Calvi, worauf sich die Korsen in einer allgemeinen Abgeordnetenversammlung zu Corte 19. Juni 1794 als eignes Königreich unter britischem Schutze konstituierten. Aber die französische Partei gewann unter dem General Gentili seit 1796 immer mehr Anhang auf der Insel, so daß, nachdem 27. Okt. d. J. die Franzosen von Livorno aus gelandet waren, die Engländer sich zum Abzug genötigt sahen. Seitdem blieb die Insel bei Frankreich. Vgl. Gregorovius, Corsica (3. Aufl., Stuttg. 1878); Blankenstein, Reiseskizzen aus Corsica (Gera 1886); Andrei, A travers la Corse (2. Aufl., Par. 1893); Girolami-Cortona, Géographie générale de la Corse (Ajaccio 1893); Rikli, Botanische Reisestudien auf einer Frühlingsfahrt durch K. (Zürich 1903); Le Joindre, La Corse et les Corses (Par. 1904); Ratzel, La Corse, étude anthropogéographique (in den »Annales de Géographie«, Bd. 8, 1899); Nentien, Étude sur la constitution géologique de la Corse (Par. 1898); Saint-Germain, Itinéraire descriptive et historique de la Corse (das. 1868); Biermann, Die Insel Corsica etc. als klimatischer Kurort (Hamb. 1868); Gsell Fels, Riviera, Südfrankreich, K. etc. (in Meyers Reisebüchern, 6. Aufl., Leipz. 1904); »Carte géologique de la Corse«, 1: 320,000 (hrsg. vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Par. 1897). Zur Geschichte: Buttafoco, Dictionnaire d'histoire et de géographie de la Corse (2. Aufl., Montdidier 1887); Filippini, Istoria de C. (Turnone 1594; 2. Aufl., bis 1769 fortgesetzt von Gregory, Pisa 1828–32, 5 Bde.); Ehrmann, Pragmatische Geschichte der Revolutionen von Corsica (Hamb. 1799); Jacobi, Histoire générale de la Corse (Par. 1835, 2 Bde.); Galletti, Histoire illustrée de la Corse (das. 1863); Barry, Corsican studies (Lond. 1893); Jollivet, Les Anglais dans la Méditerranée, 1794 à 1797. Un royaume anglo-corse (Par. 1896); Caird, History of Corsica (Lond. 1899); Colonna de Cesari Rocca, Recherches sur la Corse an moyen-âge, 1014–1174 (Genua 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 514-516.
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