[327] Seminār (lat. seminarium, »Pflanzschule«), Bildungs- und Vorbereitungsanstalt für Lehrer und Geistliche, namentlich für Volksschullehrer; seit der Kirchenversammlung von Trient (154563) amtlicher Name für Anstalten zur Heranbildung von Geistlichen, deren Gründung und Haltung den Bischöfen vorgeschrieben wird (23. Session, Kapitel 18). Erst später wurde, zuerst in Deutschland und Frankreich, das Bedürfnis empfunden, besondere Seminare zur Heranbildung künftiger Lehrer, namentlich für die Volksschule, zu begründen. Die Gründung eines solchen Seminars beabsichtigte schon Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha (gest. 1675). Die Idee eines Seminars für Lehrerinnen vertrat Fénelon in seiner Schrift über die Mädchenerziehung (1687). Ein Séminaire des maîtres d'école schuf in Reims (1684) J. B. La Salle, der Stifter der Christlichen Schulbrüder. Herzog Ernsts Idee wurde von Aug. Herm. Francke (s. d. 1) in Halle weitergebildet, dessen Seminarium praeceptorum (1698) und Seminarium praeceptorum selectum (1707) eine große Anzahl von Lehrern, allerdings besonders für höhere Schulen, vorgebildet haben. Ähnliche Anstalten wurden unter Begünstigung Friedrich Wilhelms I. von Preußen am Waisenhaus auf der Lastadie bei Stettin (1732) und am Pädagogium im Kloster Berge bei Magdeburg (1735) für niedere (deutsche) Schulen eingerichtet, denen 1747 das S. zu Rudolstadt, 1748 das zu Berlin. vom Realschulrektor und Oberkonsistorialrat J. J. Hecker begründet, 1750 und 1751 Schulmeisterseminare zu Hannover, Braunschweig Wolfenbüttel folgten. Meist lehnten diese ersten Schullehrerseminare sich vorhandenen höhern Lehranstalten an. Langsam verbreiteten sie sich, vielfach auch Normalschulen (s. d.) genannt, zumal durch die warme Empfehlung des katholischen Prälaten J. v. Felbiger (s. d.), des protestantischen Domherrn F. E. v. Rochow (s. d. 1), des preußischen Ministers A. v. Zedlitz und der sogen. Philanthropisten (Basedow u. a.), in Deutschland, Österreich, Schweiz etc., erlangten mehr und mehr selbständige Organisation und entwickelten sich zu erfreulicher Blüte. Erneute Aufmerksamkeit wurde dem Seminarwesen seit 1807 unter dem Eindruck der Niederlagen von 1806 und im Geiste Pestalozzis von der preußischen Regierung und gleichzeitig in den größern süddeutschen Rheinbundstaaten gewidmet. Doch ist systematische Fürsorge für Heranbildung tüchtiger Lehrer erst in den letzten Jahrzehnten allgemein als unerläßliche Pflicht des Staates anerkannt worden. Von den (1906) 208 staatlichen Lehrerseminaren im Deutschen Reich, deren 138 auf Preußen entfallen, ist etwa die Hälfte erst seit 1872 entstanden; namentlich reicht von den Lehrerinnenseminaren, deren Preußen 15 staatliche, 33 städtische und private mit staatlicher Berechtigung zählt, kaum eins über die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Von Deutschland aus haben die Seminare sich über die ganze gebildete Welt verbreitet. Auch in Frankreich, wo selbständige Ansätze in den geistlichen Orden vorhanden waren und die Revolution der Lehrerbildung anfangs warme Teilnahme widmete, ist doch die bevorzugte Pflege der Écoles normales, wie dort die Seminare heißen, erst im Laufe des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluß des deutschen Vorganges allmählich erwacht. Ebenso in Großbritannien, Nordamerika (Training Schools) und in den skandinavischen Reichen. In Großbritannien und Nordamerika wird jedoch die Vorbildung für das Lehramt an Volksschulen unter vorwiegender Beteiligung des weiblichen Geschlechtes vielfach auch an den Universitäten gesucht.
Die Einrichtung der Seminare ist sehr verschieden. Von geringerer Bedeutung ist der Unterschied der Externateinrichtung, bei der die Zöglinge nur den Unterricht in der Anstalt empfangen, und der Internateinrichtung, bei der ihnen das S. auch Wohnung und Kost gewährt. Wichtiger ist der Unterschied in der Bildungszeit, die z. B. in Preußen 3 Jahre, denen freilich 3 Jahre in der Präparandenschule vorangehen, im Königreich Sachsen, Hamburg, Anhalt, Bremen etc. 6 Jahre beträgt. Neuerdings wird im deutschen Lehrerstande vielfach dafür agitiert, die Seminare mit 23 Jahren auf die eigentliche pädagogische Berufsbildung zu beschränken und die Aufnahme in diese Anstalten vom Reifezeugnis einer höhern Lehranstalt[327] (Realschule? Oberrealschule?) abhängig zu machen. Einstweilen ist dieser Gedanke noch nicht zu voller Klarheit ausgeprägt und begegnet wohl auch sonst großen praktischen Schwierigkeiten. Im Königreich Sachsen ist an allen Seminaren Unterricht in der lateinischen Sprache pflichtmäßig eingeführt, auch in Preußen, Hamburg, Bremen etc. ist eine fremde Sprache (Französisch, Englisch, Latein) vorgeschrieben. Die vielfach vorkommende Verbindung des Lehramtes mit dem Organistenamt bedingt in den meisten deutschen Seminaren weitgehende Pflege der Musik, zumal des Orgelspiels. Turnen, Zeichnen werden heute an den Seminaren überall gelehrt; in vielen Lehrplänen findet sich auch Unterricht in Landwirtschaft, Gartenbau, Obstbaumzucht. Mit jedem gut eingerichteten S. ist mindestens eine Übungsschule verbunden, in der die Seminaristen der obern Klassen unter Leitung und Aussicht ihrer Lehrer sich im Unterrichten üben. Auch mit Taubstummenanstalten hat man vielerwärts die Seminare in enge Verbindung gebracht, um den jungen Lehrern diesen wichtigsten Zweig der Heilpädagogik durch Anschauung nahezubringen. In Preußen sind die für ihre Zeit epochemachenden Vorschriften des Ministers Falk »Lehrplan und Lehrordnung der königlichen Schullehrerseminare« vom 15. Okt. 1872, verfaßt von K. Schneider, durch die »Lehrpläne für Präparandenanstalten und Lehrerseminare« des Ministers v. Studt vom 1. Juli 1901 fortgebildet und ersetzt worden. Näheres über die ältere Zeit bringt in reicher Fülle das umfassende Sammelwerk: Schneider und v. Bremen, Volksschulwesen des preußischen Staats (Berl. 188687, 3 Bde.; besonders Bd. 1); für Österreich: »Organisationsstatut vom 31. Juli 1886«; für Bayern: »Normativ für Bildung der Schullehrer vom 29. Sept. 1866 mit Zusatz vom 7. Sept. 1886«; für Sachsen (Königreich): Gesetz vom 22. Aug. 1876 und Ausführungsverordnung vom 29. Jan. 1877. Alle diese Urkunden in der »Deutschen Schulgesetzsammlung«, begründet von Keller, fortgesetzt von Schi Um ann (Berl., seit 1872, wöchentlich). Seit 1896 gilt das Abgangszeugnis der deutschen Lehrerseminare als Nachweis der wissenschaftlichen Befähigung für den einjährig-freiwilligen Heerdienst. Die französischen Normalschulen sind geregelt durch das Dekret des Präsidenten vom 29. Juli 1881. In Frankreich (wie in Ungarn, Italien) gibt es auch einzelne besondere Seminare für Lehrer und Lehrerinnen an höhern Volks- und Mittelschulen, während in Deutschland für Lehrer derartige Anstalten fehlen und die Lehrerinnen für Volksschulen einer-, für mittlere und höhere Mädchenschulen anderseits zumeist in denselben Anstalten, nur für gewisse Lehrfächer getrennt, ihre Vorbildung empfangen. Dagegen besteht in Preußen (Berlin) eine Fortbildungsanstalt für seminarisch gebildete Lehrer, die sich in ihr die Befähigung für den Seminardienst erwerben können; und andre deutsche Staaten (Sachsen [Königreich und Großherzogtum], Hessen etc.) erleichtern zu diesem Zwecke tüchtigen Lehrern das akademische Studium. Vgl. den Artikel »Volksschullehrerseminar« in Schmid-Schraders »Enzyklopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens« (2. Aufl., Bd. 10) und Sander, Geschichte der Volksschule, besonders in Deutschland (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 5, 3. Abt., Stuttg. 1902).
An den Universitäten oder in naher Verbindung mit diesen gibt es gegenwärtig zahlreiche praktische Institute, die als historische, statistische, exegetische, katechetische, homiletische, liturgische, philologische, archäologische, pädagogische Seminare bezeichnet und als anregende Ergänzung der lediglich dozierenden Vorträge der Professoren besonders gepflegt werden. Von allgemeinerer Bedeutung sind unter diesen namentlich die pädagogischen Seminare, bestimmt zur praktischen Anweisung der angehenden Lehrer an höhern Lehranstalten und daher meist mit Übungsschulen verbunden oder an selbständige Schulen angelehnt. Ihr Urbild haben diese Anstalten ebenfalls in dem Seminarium praeceptorum (s. oben) und besonders dem Seminarium praeceptorum selectum A. H. Franckes von 1707, das 1881 der Direktor der Franckeschen Stiftungen, O. Frick, glücklich erneuert hat. Bereits das 18. Jahrhundert sah eine ganze Reihe pädagogischer Seminare, wie in Göttingen (1737), Halle (Universität, 1776), Berlin (1788 am Friedrich-Werderschen Gymnasium) entstehen. Besonders empfohlen wurden sie später als Universitätsanstalten mit Übungsschulen von Herbart und seiner Schule; doch hat man in Preußen aus praktischen Rücksichten der Verbindung mit einer höhern Lehranstalt und womöglich zugleich mit einem S. für Volksschullehrer den Vorzug gegeben. Wesentlich in diesem Sinn ist die Fürsorge für pädagogische Schulung des höhern Lehrstandes in Preußen gefördert worden durch Erlau des Ministers v. Goßler vom 15. März 1890. Nach ihm geht dem Probejahr der Kandidaten jetzt all gemein ein Seminarjahr voraus. Die für dieses erforderlichen Seminare sind an einer Reihe von höhern Lehranstalten eingerichtet worden. In den meisten andern deutschen Staaten ist man dem preußischen Vorgang in der Hauptsache, wenngleich mit manchen Abweichungen im einzelnen, gefolgt. Vgl. Frick, Das Seminarium praeceptorum (Halle 1883) und Lehrproben und Lehrgänge (das., seit 1884); Brzoska, Die Notwendigkeit pädagogischer Seminare (Halle 1836; neu hrsg. von Rein, Leipz. 1887); Voß, Die pädagogische Vorbildung zum höhern Lehramt in Preußen und Sachsen (Halle 1889); Schiller, Pädagogische Seminarien für das höhere Lehramt (Leipz. 1890); Fischer, Das königliche pädagogische S. in Berlin 17871887 (in der Berliner »Zeitschrift für das Gymnasialwesen«, Bd. 42, 1887); Beyer, Zur Errichtung pädagogischer Lehrstühle an unsern Universitäten (Langensalza 1895); Fries, Die Vorbildung der Lehrer für das Lehramt (Sonderdruck aus Baumeisters »Handbuch der Erziehungs- und Unterrichtslehre«, Münch. 1895); Morsch, Das höhere Lehramt in Deutschland und Österreich (Leipz. 1903). In Württemberg bestehen vier aus alten Klosterschulen hervorgegangene sogen. niedere evangelisch-theologische Seminare (Blau ben ren, Maulbronn, Schöntal, Urach), die ihren Zöglingen gymnasiale Vorbildung für das theologische Studium im Tübinger Stift gewähren. Statistisches S., s. Statistik.
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