Indische Sprachen

[891] Indische Sprachen, 1) alle Sprachen verschiedenen Stammes, welche in Vorderindien gesprochen werden; in der neueren Sprachwissenschaft blos 2) diejenigen I-n S., welche dem Indogermanischen Sprachstamme zugehören u. eine der sechs od. acht Hauptfamilien desselben bilden. Dieselben werden dann auch noch genauer mit dem Namen der Arisch-indischen Sprachen im Gegensatz zu den nichtarischen od. anarischen Sprachen des Dekan (s. Dekanische Sprachen) zusammengefaßt. Dem Alter wie der Bedeutung nach an der Spitze der ganzen Familie steht das Sanskrit (s.d.), dessen bewunderungswürdiges Lautsystem u. vollendeter, jede grammatische Modification umfassender Formenbau in den abgeleiteten Sprachen um so mehr verliert, je weiter diese der Zeit nach von dem Sanskrit entfernt sind. Mit der Festsetzung u. Ausbreitung der Arischen Inder im eigentlichen, damals von Berberischen Völkern bewohnten Indien, bildeten sich, zum Theil wohl der Vernachlässigung u. Verweichlichung im Munde der Letztern, das Pdakrit (s.d.), die Vulgärsprache, die sich zur Zeit des Asoka im 3. Jahrh. v. Chr. aus Inschriften bereits in drei Hauptdialekten nachweisen läßt u. zur Sprache gewöhnlichen Lebens geworden war, während das Sanskrit, durch die Grammatiker fixirt, von nun an als von den Gebildeten erlernte Hochsprache nur in den Schulen u. den Werken der Wissenschaft u. Literatur fortlebte. Aus einer Prakritmundart, welche zur Blüthezeit des Buddhismus blühte, ging das Pali (s.d.). hervor, das von den Buddhisten vielfach zur Übersetzung u. Abfassung ihrer heiligen Schriften verwendet ward u. so zur heiligen Schriftsprache (dem Latein im Mittelalter für die christliche Kirche), für den Buddhismus wurde u. sich mit demselben nach Ceylon, Birma u. Siam verbreitete. Das Prakrit, wie das Pali besitzen beide zwar noch zum größten Theil den materiellen Inhalt des Sanskrit, haben aber in den Lauten mannigfache Veränderungen erfahren; im Prakrit z.B. fehlen die Vocale u. u. die Diphthonge ai, au. Zusammenziehungen, Ausstoßungen, Schwächungen u. Erweichungen der Laute sind sehr häufig. Geringere Abänderungen hingegen haben die Formen erfahren; doch besitzen Pali u. Prakrit keinen Dual mehr. Noch weniger Abweichungen haben beide Sprachen in Bezug auf die Wortfügung erfahren. Auf eine dritte Stufe der Umwandlung waren die indischen Volkssprachen bereits vor dem 10. Jahrh. gelangt, infolge der Einflüsse fremder Sprachelemente wie Entartung des eigenen Volksgeistes. Seit dieser Zeit datirt im Allgemeinen die Entstehung der neueren indischen Volkssprachen, gleichsam die Enkelinnen des Sanskrit. Man führt deren gewöhnlich 24 auf, doch ist dieses ganze Gebiet der indischen Sprachforschung noch so wenig angebaut[891] das man sich auf diese Zahl nicht stützen darf. Die wichtigsten derselben sind das Hindi (s.d.) im centralen Hindustan in verschiedenen auch literarisch angewandten Mundarten; als solche sind auch die Sprachen von Bikanir, Marwar, Jaypur, Udaypur, sowie das Haruti, Bradsch Bhaka Malawi, Bundelakhandi u. das Magadha zu betrachten; das Bengalische in Bengalen, das Mahrattische, das Guzerati, das Uriya (s.d. a.) in Orissa. Diese fünf neuindischen Sprachen arischen Stammes haben auch eine mehr od. minder selbständige Literatur aufzuweisen. Nicht ist dies der Fall bei folgenden Sprachen: dem Asamesischen, dem Maithila od. Tirhutiya, dem Nepalesischen, dem Kosalesischen, dem Dogusi, dem Kaschmiri, dem Pendschabi, dem Sind, dem Wucht od. Multani, dem Kutschi, dem Kunkuna in der Umgegend von Bombay bis südlich nach Goa. An keine bestimmte Gegend gebunden ist das Hindustani, dessen sich namentlich die Muhammedaner in ganz Vorderindien neben ihren eigentlichen Landessprachen bedienen (s. Hindustanische Sprache u. Literatur). Noch gehört zu den I-n S. die Sprache der Zigeuner (s.d.); das Kawi (s.d.) auf Java u. Bali enthält zwar sehr viele indische Bestandtheile, zählt aber seinem Organismus nach zu den Malayischen Sprachen. Nimmt man die Bezeichnung I. S. im weiteren Sinne des Wortes, so gehören dahin auch noch die grundverschiedenen, einen ganz andern u. eigenthümlichen Sprachstamm bildenden Dekanischen Sprachen (s.d.) od. Dravidasprachen, unter denen das Tamulische, das Tolugu (od. Telinga), das Kanaresische, das Malayalam od. Malabarische die bedeutendsten sind. Vielleicht gehört dazu auch das Singhalesische (s.d.) auf Ceylon, die Sprachen einzelner Völkerreste u. Stämme in den Gebirgen des Dekan, den Vindhyaketten u. dem Himalaya, sowie im äußersten Nordosten der Bengalischen Präsidentschaft. Am bekanntesten sind die Sprachen der Gonds, Bheels, Sonthals, Puhareas u. anderer Stämme in Centralindien, im Nepalesischen u. anderen Theilen des oberen Himalaya werden tibetanische Mundarten gesprochen; die Sprache der Kassia (s.d.) nordöstlich von Bengalen ist monosyllabisch u. weist nach Hinterindien hinüber. Bis 1835 war im Angloindischen Reiche, wie im Reiche des ehemaligen Großmogul, das Persische die Sprache der Regierung u. der Diplomatie; seitdem ist das Hindustani, als die räumlich am weitesten verbreitete indische Sprache an dessen Stelle getreten. Jetzt wird die Verbreitung der leicht zu erlernenden u. an den. Höfen u. in den Handelsplätzen von dem gebildeteren Theile des Volkes auch meist schon verstandenen englischen Sprache möglichst unterstützt. Vgl. Perry, On the geographical distribution of the principal languages of India, Bombay 1853. Die eigenthümliche Schrift zunächst der arischen Indier, dann auch der Nichtarier Vorderindiens, eines Theils von Hinterindien, Tibets u. des Indischen Archipels ist das Devanagari (d.i. Schrift der Götterstadt), in Europa gewöhnlich auch Sanskritschrift genannt; nur das Hindustani hat das arabisch-persische Alphabet angenommen. Doch hat das Alphabet bei den verschiedenen Völkerstämmen gewisse Umgestaltungen erfahren. Abgeleitet vom Devanagari, das vorzugsweise für das Sanskrit verwendet wird, sind die Alphabete der Bengalen, Orissaer (Uriya) Mahratten u. Guzeratis, in denen auch häufig gedruckt wird. Für den ersten Blick etwas fremdartiger erscheinen die Schriften der Tamulen, Tetugur, Kanaresen, Malabaren u. Singhalesen, welche jedoch ebenfalls nur Abarten des altindischen Alphabetes sind Dasselbe gilt auch von der birmanischen, siamesischen u. javanesischen Schrift. Das Tibetanische läßt deutlich den indischen Ursprung erkennen. Auch in Japan wird eine aus dem Devanagari abgeleitete Schrift gebraucht, das sogenannte Bon-si.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 891-892.
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