Schatten

[97] Schatten (lat. Umbra), 1) Raum, in welchen die von einem leuchtenden Punkte od. Körper ausgehenden Lichtstrahlen sich nicht verbreiten können, nachdem sie vorher auf einen undurchsichtigen Körper gefallen sind. Wird dieser Raum nicht durch Licht aus anderer Quelle erleuchtet, so zeichnet er sich vor dem übrigen Raume durch Finsterniß aus, u. an diesem Gegensatz allein erkennt man ihn, weil er an sich nichts als ein Mangel an Licht ist. Die Grenze des S-s wird, wenn das Licht von einem Punkte ausgeht u. wenn man nur die geradlinig sich fortpflanzenden Lichtstrahlen berücksichtigt, durch die Gesammtheit der Berührungslinien gebildet, welche man von dem leuchtenden Punkte aus an den dunkeln Körper legen kann; der S. ist also, wenn letzter z.B. ein Schirm in Form eines Rechtecks ist, eine abgestumpfte vierseitige Pyramide, od. wenn er eine Kugel ist, ein abgestumpfter Kegel, dessen Spitze in dem leuchtenden Punkte liegt. Geht das Licht nicht allein von einem Punkte, sondern von einem Körper aus, so unterscheidet man Kernschatten, d.i. den Raum, welcher durch keinen Theil des leuchtenden Körpers beleuchtet wird, u. Halbschatten, in welchen die Lichtstrahlen nur von einem Theile des leuchtenden Körpers gelangen können. Der Kernschatten wird durch die Gesammtheit aller Linien begrenzt, welche beide Körper gemeinschaftlich so berühren, daß sie sich nicht zwischen beiden kreuzen, der Halbschatten durch die Gesammtheit aller gemeinschaftlichen zwischen beiden Körpern sich schneidenden Berührungslinien. Wenn also beide Körper Kugeln sind, u. zwar der leuchtende Körper eine größere ist (wie dies für die Sonne u. die von ihr beleuchteten Körper gilt), so ist der Kernschatten ein Kegel, dessen Basis im Umfange des dunkeln Körpers u. dessen Spitze in der Verbindungslinie beider Mittelpunkte auf der von dem leuchtenden Körper abgewendeten Seite liegt (Schattenkegel); der Halbschatten ist dagegen ein abgestumpfter Kegel, für welchen die Spitze zwischen beiden Körpern u. die abstumpfende Fläche im Umfange des dunkeln Körpers liegt, u. welcher also hinter dem letztern nach u. nach umfänglicher wird. Aus der Größe u. dem Abstande beider Kugeln läßt sich die Größe des S-s an jeder Stelle berechnen; dies ist wichtig für die Berechnung der Mond- u. Sonnenfinsternisse; denn die erstere tritt ein, wenn[97] der Mond in den Kernschatten der Erde tritt, eine Sonnenfinsterniß aber, wenn der betreffende Beobachtnngsort auf der Erde in den Halbschatten des Mondes gelangt; die letztere kann sich unter gegebenen Umständen steigern, bis der Kernschatten den Beobachtungsort trifft, wobei dann die Sonnenfinsterniß total ist. Setzt man den jenseits des dunkeln Körpers sich fortpflanzenden Strahlen eine an sich dunkle Fläche, z.B. eine ebene weiße Wand, aus, so zeichnet sich, namentlich wenn das Licht möglichst von einem Punkte ausgeht, der S. deutlich von dem erleuchteten Theile der Wand ab. Man benutzt solche Schattenrisse, um die Profile menschlicher Gesichter u. dgl. zu zeichnen; dabei muß dann, wenn der Schattenriß dem Original ähnlich sein soll, die Linie, welche den leuchtenden Punkt mit der Mitte des beleuchteten Körpers verbindet, auf der Wand senkrecht stehen. Ist die Lage des leuchtenden Punktes, des dunklen Körpers u. der beleuchteten Ebene u. endlich die Größe des dunklen Körpers gegeben, so läßt sich die Größe des auf die Ebene fallenden S-s u. umgekehrt aus der Größe des S-s die Lage des leuchtenden Punktes od. die Größe des dunklen Körpers (z.B. die Höhe eines Thurmes etc.) berechnen. Die Alten bedienten sich namentlich der Methode die Höhe der Sonne über dem Horizont aus der Länge des S-s eines Stiftes von bekannter Länge, eines Obelisken etc. zu berechnen; sie nannten bes. dabei den S. gerade, welcher von einem senkrechten Stift auf eine horizontale Ebene, u. den S. umgekehrt, welcher von einem horizontalen Stift auf eine senkrechte Wand geworfen wird (s. Gnomon). Bewegt sich der leuchtende Körper, während der dunkle ruht, od. umgekehrt, so bewegt sich natürlich auch der S. Man hat diese Erscheinung bes. an dem S. irdischer Gegenstände, welchen die Sonne wirft, verfolgt. Bei uns in der nördlich gemäßigten Zone sind bei Aufgang der Sonne im Osten die S. nach West gerichtet u. von unendlicher Länge; während die Sonne nun ihren Tagebogen über Süd nach West beschreibt, rücken die S. allmälig über Nord nach Ost; sie sind des Mittags am kürzesten, weil dann die Sonne am höchsten steht, u. zwar zur Zeit des längsten Tages, wo die Sonne ihre höchste Höhe erreicht, kürzer als die übrige Zeit im Jahre. Weil nun in den gemäßigten Zonen der S. niemals nach Süd (resp. Nord) zu liegen kommt, heißen die Bewohner derselben Einschattige (Heteroscii). Auf den Wendekreisen kommt alljährlich einmal der Fall vor, daß die Sonne des Mittags im Zenith steht u. also die Körper keinen S. werfen; die Bewohner derselben heißen daher Unschattige (Ascii). Zwischen den Wendekreisen ereignet sich dies zweimal im Jahre, u. in der einen Zwischenzeit fällt der S. des Mittags nordwärts, in der andern südwärts, daher Zweischattige (Amphiscii). Innerhalb der Polarkreise endlich läuft die Sonne zu der Zeit, wo sie innerhalb 24 Stunden nicht untergeht, rings am Horizont herum, u. der S. fällt successive nach allen Himmelsgegenden, daher Umschattige (Periscii). Als auf eine besondere Erscheinung hat man hinsichtlich der Bewegung des S-s noch auf das Zurückgehen des S-s aufmerksam gemacht. Wenn nämlich in der nördlichen Hälfte der heißen Zone die Declination der Sonne größer ist, als die geographische Breite, so geht die Sonne einige Grad nördlich vom Ostpunkte auf, der S. liegt dann von West einige Grad nach Süd. Während nun die Sonne ihren einigermaßen nach Süd geneigten Tagebogen beschreibt, rückt der Punkt des Horizonts, über welchem in jedem Augenblicke die Sonne senkrecht steht, erst etwas südwärts, also näher in Ost; nach einiger Zeit aber kehrt er zurück, nähert sich dem Nord u. liegt, während die Sonne culminirt, genau nach Nord; folglich geht gleichzeitig der S. zuerst näher nach West, nachher kehrt er zurück u. fällt Mittags nach Süd. Des Nachmittags u. in der südlichen Hälfte der heißen Zone wiederholt sich die analoge Erscheinung. Wenn der auf eine weiße Fläche geworfene S. durch anderes Licht erleuchtet wird, z.B. wenn der S. durch directes Sonnenlicht gebildet, aber durch reflectirtes noch beleuchtet wird, od. wenn ein Kerzenlicht den S. bildet, aber das gewöhnliche Tageslicht ihn verhältnißmäßig schwach beleuchtet, so erscheint der S. häufig farbig, z.B. bei Sonnenuntergang u. Sonnenaufgang erscheint der S. an einer weißen Wand u. auf einer Schneefläche häufig blau. Dies rührt daher, daß das Sonnenlicht dann vorwiegend gelbe u. rothe Farben enthält, daß das Auge dadurch gegen diese Farben abgestumpft ist u. daß in den weniger stark beleuchteten Stellen dann die complementären Farben desto intensiveren Eindruck machen; ähnliche Erklärung finden die übrigen Erscheinungen farbiger S. (s.u. Farben E). Ganz verschieden hiervon sind die farbigen Streifen an der Grenze des S-s in Folge des gebeugten Lichtes (s. Beugung 3). 2) Bei Zeichnungen u. Gemälden die dunkleren Stellen. Da in der Regel die Gegenstände nur von Einer Seite beleuchtet sind, so müssen die vom Licht abgewendeten Stellen grauweis lichtlos erscheinen, u. eine vollkommene Nachbilbung des Gegensatzes von Licht u. S. gibt der Zeichnung od. dem Gemälde den Schein der Abrundung, somit der Wirklichkeit. Bei runden Körpern nimmt der S. nur allmälig zu; hingegen bei eckigen Körpern kann er auch schroff sein. S., welcher in das Licht übergeht, heißt Halb- od. Mittelschatten. Der S., welchen ein Körper auf einen andern Gegenstand wirst, heißt Schlagschatten. 3) Nach der Vorstellung der Alten die im Tode aus dem Körper geschiedene Seele; in diesem Sinne spricht man von dem Schattenreich, als dem Aufenhalt abgeschiedener Seelen; 4) ein durch Beschattung gegen die Sonnenhitze sichernder Ort im Freien; 5) etwas Unvollkommenes, etwas Nachtheiliges, z.B. Schatten- u. Lichtseiten gewisser Lebensverhältnisse.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 97-98.
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