Gerade (die)

1. Die die Gerade genommen, lassen die Gerade.Graf, 217, 245.

Aus dem Nachlass der Frau wurde die Gerade (s. 4) nur dann ausgeschieden, wenn sie dieselbe selbst ererbt hatte, in welchem Fall sie wieder vererbt wurde. Hatte sie dieselbe aber – und davon handelt das Sprichwort – als nächste Niftel (s.d.) angenommen, so kam sie wieder an die nächste weibliche Verwandte. (Vgl. M. Nering, Das alte kölnische Recht, IV, 57.)


2. Die Gerade an die nächste Niftel, das Heergewäte an den nächsten Schwertmag.Graf, 184, 10.

Gerade und Heergewäte gehörten nicht zum Erbe im engern Sinne (s. Eigen 7, Grossvater und Nachlass). Die Gerade, welche im allgemeinen alles in sich begriff, was durch weibliche Thätigkeit geschaffen oder zum Schmucke der Frauen bestimmt war, fiel an die nächste weibliche Anverwandte (Niftel) aus der Reihe der Kunkel- oder Spillmagen. Was z.B. im Kirchspiel Debstedt unter stadt-bremischer Hoheit zur Gerade gehörte, findet sich in Pratje's Historischen Sammlungen (III, 375) wie in Köster (93) aufgeführt. Das Heergewäte, d.i. all das Geräth, dessen der wehrhafte Mann zu Schutz und Wehre bedurfte, als Schwert, Streitross, Feldbett, Sattel u. dgl. an den nächsten männlichen Anverwandten. (S. Schwertmagen.)

Mhd.: Di gerade an di neste niftelen, daz herwerte an den nesten swertmac. (Homeyer, Sachsenspiegel, I, 27, 1.)


3. Die Gerade geht nicht über die Brücken.Eisenhart, 298; Eiselein, 226; Hillebrand, 162, 225; Graf, 217, 246; Estor, III, 697; Simrock, 3418.

Dies Sprichwort redet von der Gewohnheit solcher Städte, wo Heergewette (Gesetz über das, was die Söhne erben) und Gerade (was den Töchtern zukommt) noch in Gebrauch sind, bei Theilungen nichts in Städte verabfolgen zu lassen, wo dies Erbschaftsgesetz nicht besteht. (S. Niftel.) Es ist ferner über dies Sprichwort zu vergleichen Haltaus, Glossarium, 662; Grimm, Rechtsalt., 585.


4. Gerade erbt man nicht.Graf, 217, 247.

Sie war nicht im allgemeinen Erbgange, sie wurde nur vererbt, wo sie ererbt war. (S. 1.) Bei Pufendorf (II, 14, 8): »Rehde ne gift men nicht.«


5. Gerade hat viel Ungerade.Eisenhart, 297; Eiselein, 226; Pistor., IX, 47; Simrock, 3417; Runde, 682; Hillebrand, 159, 223; Hertius, 92, 18; Estor, I, 570; Graf, 184, 12.

Unter Gerade, was soviel als Geräth bedeutet (Grimm, Rechtsalt., 567), versteht man diejenigen beweglichen Güter, die nach den besondern Rechten und Verordnungen eines jeden Landes stets gewissen derselben fähigen Personen zufallen, also z.B. gewisse den Töchtern, andere den Söhnen, was bei Theilungen früher zu grossen Streitigkeiten Anlass gab, wenn es Dinge betraf, von denen es zweifelhaft schien, ob sie zur [1559] Gerade gehörten. Auch war es z.B. der Mutter sehr leicht gemacht, ihre Töchter, wenn sie eine grössere Liebe zu ihnen als zu den Söhnen hatte, reichlicher zu betheilen; sie durfte nur mehr solche Sachen und Geräthe ankaufen, die bei einer einstigen Theilung den Töchtern zufielen. Diese Theilung war daher oft sehr ungerade.

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 1. Leipzig 1867, Sp. 1559-1560.
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