[169] Großbritanniens (engl.) Literatur. Aus der eigentlichen brit. Zeit (der celtischen) ist nichts erhalten, da die Gesänge Ossians erwiesen theils Macphersons Erzeugniß, theils Nachbildungen irischer Poesien sind. Ueber angelsächs. Literatur s. Angelsachsen, Alfred, Beda. Nach der Eroberung Englands durch die franz. Normannen war die Bildung der herrschenden Klasse französ., daher war die Poesie dieselbe, wie die der eigentl. franz. Trouvères, während die Volkspoesie sich in der Ballade erhielt, die histor., theolog. u. philosoph. Schriftsteller lateinisch schrieben und zu der europ. mittelalterl. Literatur einen bedeutenden Beitrag lieferten. Die eigentl. nationale engl. Literatur beginnt, seitdem Normannen u. Angelsachsen zu einer Nation verschmolzen u. die engl. Sprache sich ausgebildet hatte. Ihre erste Periode eröffnen Gower und besonders Chaucer (s. d.) als Dichter, dem die Schotten William Dunbar (gest. 1530) u. Gawin Douglas (gest. 1522) ebenbürtig nachfolgten. Die vorherrschend prakt. Richtung des engl. Volksgeistes offenbarte sich bereits in den Schriften Fortescues über den Staat, Lyttletons über das engl. Recht. Die Zeit vor der Reformation, wo die class. Studien u. die ital. Poesie die Literaturen aller gebildeten europ. Völker umschufen, ist ziemlich reich an Dichtern (Skelton, Henry Howard Graf v. Surrey, Wyat etc.), von denen jedoch keiner ersten Ranges ist. Einen hohen Aufschwung nahm die gesammte engl. Literatur ungefähr zur Zeit der Königin Elisabeth, namentlich in der Poesie; Spencer gab dem romant. Epos seine Vollendung, in Shakespeare aber erreichte das Drama eine weder vorher noch seitdem übertroffene Höhe. Auch seine unmittelbaren Vorgänger u. Nachfolger, z.B. Marlowe, Green, Beaumont, Fletcher, Massinger etc. stehen keineswegs niedrig, wenn sie auch ihn nicht erreichen. Baco von Verulam eröffnete für die Philosophie ein neues Zeitalter, Harvey entdeckte den Blutumlauf und damit die Grundlage der Physiologie, Nepper fand die Logarithmen, Coke, Selden, Hale etc. bildeten das Privatrecht aus u. verarbeiteten die vorhandene Masse des Einzelnen zu einer geordneten Uebersicht. Die bürgerl. Streitigkeiten, die bereits in den letzten Jahren der Königin Elisabeth aufkeimten und sich unter Jakob I. weiter entwickelten, riefen einen principiellen Kampf über den Ursprung der königl. Würde ins Leben und gaben einer polit., jetzt vergessenen Literatur den Ursprung. Sie hatte ihren bedeutendsten Schriftsteller während der Revolution gegen Karl I. in Milton, welcher puritanischrepublikan. Doctrinär durch sein »Verlornes Paradies« sich den Rang eines der ersten Dichter gesichert hat. Die folgende Periode, der Milton noch theilweise angehört, beginnt mit der Restauration und dauert bis zu Anfang des vor. Jahrh. Der Einfluß des Hofes u. der ihm ergebenen Partei führte dem Puritanismus des Mittelstandes gegenüber den Geschmack an Pomp, Glanz und Genuß, dazu sittliche Frivolität ein, wie sie in Frankreich unter Ludwig XIV. herrschten. Das Epos u. das shakespearsche Drama konnten dieser Richtung nicht gefallen, außer Otway hat sich auch kein Tragiker aus dieser Zeit bei der Nation erhalten, dagegen hatte sie treffliche Lyriker in Dryden, Cowley, Waller etc., ausgezeichnete Lustspieldichter in Wicherley, Congrève, Vanburg, u. am Schlusse der Periode in die folgende hineinbrechend, in Foote, Colman, Cumberland, Sheridan etc., in Butler den Dichter des komischen Nationalepos »Hudibras«. Die engl. Wissenschaft übte damals bereits einen Einfluß auf Europa aus. I. Locke verfolgte Bacons Weg in der wissenschaftl. Methode, bildete sie aber zum einseitigen Empirismus aus und wurde dadurch der Vater des modernen Scepticismus; in polit. Beziehung vertrat er die Revolutionsgrundsätze, wogegen Hobbes in seinem »Leviathan« u. »Secive« die unumschränkte Monarchie [169] als Staatsideal hinstellte und die Religion als eine Maschine in der Hand des Monarchen behandelte. Am meisten förderten die Engländer Mathematik u. Naturwissenschaften; Barrow begann die Analysis des Unendlichen, Boyle untersuchte die chemische Zusammensetzung der Luft, Halley beobachtete den südl. Sternenhimmel, berechnete die Bahn eines Kometen u. wies auf die Durchgänge der untern Planeten als ein Mittel zur Bestimmung der Entfernung der Sonne hin, Isaak Newton aber, dessen Hauptwirksamkeit in diese Periode fällt, begründete durch seine Theorie der Schwere, durch seine mathemat. und optischen Entdeckungen eine neue Zeit für die Mathematik u. die Naturwissenschaften. Die folgende Periode der engl. Literatur erfüllt das 18. Jahrh. Die engl. Verfassung ist ausgebildet, die Parteien bekämpfen einander nur noch in den Wahlversammlungen und parlamentarischen Debatten, ein allgem. Wohlstand ruft eine behagliche Lebensweise u. mit derselben das Wohlgefallen am Zierlichen u. Unterhaltenden hervor. Das Lehrgedicht, die Satire, die beschreibende Poesie (besonders in Naturschilderungen) herrschen vor; Pope, Young, Dyer, Denham, Thomson, Akenside, Gay, Goldsmith, Hayley etc. Die Hauptrichtung der Zeit war die humoristische und satirische in allen ihren Formen. Addison erfand gleichsam das allgem. humorist. Charakterbild u. hatte in Steele, Johnson, Goldsmith Nachfolger und Nebenbuhler; Swift gilt jetzt noch als Meister bitterer Satyre, Sterne der seinen Ironie u. des zartfühlenden Humors. Fielding wurde der Vater des humorist. Romans; neben ihm nehmen Smollet und Goldsmith die ersten Plätze ein. Gleichzeitig entstand durch De Foe der populäre Roman zum Ersatz für die verlornen Heldensagen. Die lyr. Poesie war weniger fruchtbar, weist jedoch Gray u. Prior auf, von denen der erste in der Elegie, der andere in der leichten u. zierlichen Gattung als ausgezeichnet gilt. In der zweiten Hälfte des Jahrh. begann eine Reaction gegen den vorherrschenden Geschmack in der Poesie, theils durch die Bekanntschaft mit der altengl. Volkspoesie (Percy), theils durch die neue aus dem Volke hervorgegangene Poesie, vorzüglich durch die tiefgehenden Bewegungen unter Georg III., eine Reaction, die jedoch erst mit dem Schlusse des Jahrh. zum Durchbruche kam. Die Beredsamkeit hatte in dieser Zeit ihre classische Periode; von Chatham, dem gefeiertsten Redner, sind jedoch nur wenige Reden vollständig erhalten, weil das Zeitungswesen erst nach dem amerikan. Kriege die erforderliche Einrichtung erhielt. Burke, Pitt, Fox, Sheridan, Erskine, Wyndham etc. stehen würdig neben Demosthenes und Cicero, sowohl was Kraft, Schönheit der Form, logische Schärfe und Witz anbelangt. Neben der parlamentar. Beredsamkeit entfaltete sich das polit.-literar. Treiben in ungeahnter Masse u. Bedeutsamkeit; die Zeitungen vermehrten sich u. nahmen das große Format an; unter den zahllosen Pamphleten gelten die Briefe des Junius als Muster der beredten leidenschaftl. Darstellung. In der Nationalökonomie stellte Adam Smith das System auf, das noch jetzt das Schiboleth der Freihandelspartei ist; die engl. Rechtswissenschaft erhielt durch Blakstone die ausgebildete Grundlage, auf welcher noch jetzt fortgebaut wird. Die Geschichtschreibung bildete sich besonders in der pragmatischen Richtung aus, blieb jedoch von dem Einflusse der skeptischen Philosophie nicht frei (Gibbon, Hume; Robertson, Middleton etc.), die sehr beliebte Biographie artete schon damals gerne in Kleinigkeitskrämerei aus; in der Geschichtsforschung wurde bei weitem nicht so viel als von den französ. Benedictinern geleistet. Die angewandte Mathematik wurde mit dem größten Eifer angebaut, insofern Mechanik, Schiffsbau, Seewesen etc. mit derselben im engsten Zusammenhang stehen; in der Theorie bleiben die Engländer jedoch hinter den Franzosen u. Deutschen zurück. Für die Thätigkeit in den Naturwissenschaften zeugen Namen wie Cavendish, Wilson, Priestley, Kirwan, Bradley etc.; in der Philologie, in der die Engländer nie stark waren, obwohl die Bildung ihrer Aristokratie wie in keinem anderen Lande auf die altclassische Literatur sich [170] gründet, leistete nur Bentley Hervorragendes; die Ausdehnung der engl. Herrschaft in Asien, welche die Erlernung des Persischen, Indischen u. Arabischen für eine zieml. Anzahl von Angestellten zur Nothwendigkeit macht, veranlaßte einige werthvolle Arbeiten über orientalische Sprachen. Mit dem Ende des 18. Jahrh. begann die noch jetzt fortdauernde Periode der engl. Literatur. Durch den Krieg gegen die franz. Republik u. Napoleon, durch die großartigen engl. Eroberungen u. Entdeckungen auf dem ganzen Erdball, den beispiellosen Aufschwung des Nationalreichthums ist der nationale Geist in eine Bewegung versetzt worden, dessen allgemeinster Ausdruck die Literatur ist. Die Poesie hat auf allen ihren Zweigen, das Drama ausgenommen, eine Fülle von Blüten getrieben. Als lyrische u. epischlyrische Dichter nennen wir: Byron, Thomas Moore, Walter Scott, Shelley, Campbell, Wordsworth, Southey, Wilson, Crabbe, Rogert, Lockart etc. Im histor. Roman hat Walter Scott die Palme errungen; ihm zunächst folgen James, Bulwer, Dickens, Thakeray etc.; Seeromane liefert Marryat etc. Die parlamentar. Beredsamkeit zeigt seit dem Tode von Pitt, Fox etc. einen merklichen Rückgang; bei Brougham, dem bedeutendsten Redner nach 1815, erscheint das Künstliche u. Studierte auffallend, Canning verdankte seine Erfolge mehr seinem Witze als der überzeugenden Kraft, Peel einer Logik, die ihre Sätze gleich einer Phalanx aufstellte; bei den gegenwärtigen Rednern und Parteiführern: Russel, Palmerston, Derby, DʼJsraeli etc. ist eine Unsicherheit merkbar, welche sie vergebens durch Sophistik, wie Palmerston und DʼJsraeli, oder durch die Maske aristidischer Geradheit zu verbergen suchen. Die Geschichtschreibung dagegen weist Werke ersten Ranges auf, namentl. was England selbst anbelangt: Hallam, Lingard und Macaulay u.a.; um die griech. Geschichte erwarben sich Grote und Thirlwall Verdienst, um die indische John Mills, um die der Kreuzzüge Charles Mills; Rawlinsons und Layards archäolog. Forschungen (Babylon, Niniveh) folgt die gebildete Welt mit Aufmerksamkeit. Die histor. Beiträge durch Herausgabe von Memoiren, Briefen, Depeschen etc. sind zahllos. In den Naturwissenschaften hat Davy durch die Entdeckung der Metalloxyde, Faraday durch die des Elektromagnetismus eine neue Epoche geschaffen; doch ist die Richtung vorherrschend, den Naturwissenschaften wie der Mathematik eine Anwendung auf das Leben zu geben, daher finden dieselben immer populäre und dennoch gediegene Bearbeitungen. Ebenso die Mechanik und alles Wissen, das eine Beziehung auf die Gewerbe hat (Babbage). Für die Systematisirung der Geographie leisten die Engländer unverhältnißmäßig wenig, desto mehr aber für eigentliche Erdkunde durch Land- u. Seereisen u. durch die Beschreibung derselben. Die periodische Literatur, besonders die politische, hat einen ungeheuren Umfang; sie zerfällt in Reviews (Vierteljahrschriften), in Wochenblätter und Tagblätter; jede Partei hat ihre eigenen Organe. Die Philosophie liegt in England fast gänzlich brach; nur I. Bentham wandte seine platte Nützlichkeitstheorie auf Staats- und Rechtswissenschaft an, wodurch er einige praktische Versuche veranlaßte, die mißlingen mußten. Uebrigens trösten sich die Engländer über die geringe Cultur des philosoph. Studiums in ihrem Lande damit, daß die speculative Philosophie in Deutschland hinlängliche Pflege finde u. daß deren Früchte der Welt nicht entgehen können, falls sie wirklich gute Früchte trage.
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