Krakau [1]

[561] Krakau (poln. Kraków), Stadt und Festung in Galizien, liegt in weiter Ebene, 215 m ü. M, am linken Ufer der Weichsel, die hier die Rudawa aufnimmt, an den Linien Wien-K. und K.-Podgórze der Nordbahn, K.-Lemberg, K.-Wieliczka und K.-Kocmyrzów der Staatsbahnen.

Wappen von Krakau.
Wappen von Krakau.

K. besteht aus der innern Stadt, die von Promenaden (an Stelle der ehemaligen Stadtmauer) umgeben ist, dem südlich angrenzenden Schloßbezirk Wawel und sechs Vorstädten: Neue Welt (Nowy Šwiat) im W., Piasek und Kleparz im N., Wesola im O., Stradom und Kazimierz im S. Mit dem jenseit der Weichsel liegenden Podgórze (s. d.) ist K. durch die Franz Josephs-Brücke (von 1850) verbunden. Ein Rest der alten Befestigungswerke ist das Florianstor (im N. der innern Stadt). In neuester Zeit ist übrigens K. durch Außenforts zu einem befestigten Waffenplatz erhoben worden. Der größte öffentliche Platz ist der Ringplatz in der Mitte der Stadt, mit dem Denkmal von Mickiewicz, die belebteste Straße die vom Ringplatz südlich führende Grodzka Ulica. Öffentliche Anlagen sind außer den erwähnten Promenaden der Jordanpark in der Vorstadt Neue Welt, der botanische Garten in Wesola und der Krakauer Park in Piasek.

Von den 41 Kirchen ist die bemerkenswerteste die gotische Schloß- oder Domkirche auf dem die Stadt überragenden, steil zur Weichsel abfallenden Felsplateau Wawel, 1320–59 unter Kasimir d. Gr. erbaut, die Grabkirche polnischer Könige und Feldherren. Die Krypte enthält unter anderm die Grabmäler Johann Sobieskis, Joseph Poniatowskis und Thaddäus Kosciuszkos. In den 19 Kapellen befinden sich die Grabdenkmäler Kasimirs d. Gr. und Kasimirs IV. (von Veit Stoß), des Kardinals Friedrich Jagiello (von Peter Vischer), Stephan Báthoris, ein Denkmal Johann Sobieskis, der silberne Sarg des von König Boleslaw 1079 am Altar erschlagenen heil. Stanislaw, Bischofs von K., Denkmäler des Bischofs Soltyk, des 1812 vor Moskau gebliebenen Grafen Wladimir Potocki (von Thorwaldsen), die Büste des Grafen Artur Potocki und seiner Mutter sowie ein segnender Christus (von demselben), Denkmäler des Königs Ladislaw Jagiello und seiner Gemahlin Hedwig, des Dichters Mickiewicz etc. Bemerkenswert ist auch die reiche Schatzkammer. Die gotische Marienkirche am Ringplatz (aus dem 13. und 14. Jahrh., neuestens polychrom restauriert), mit 2 Türmen (der höhere 73 m hoch), enthält einen riesigen Hochaltar sowie ein Kruzifix von Veit Stoß und mehrere Denkmäler, die Dominikanerkirche die Bronzegrabplatte des Humanisten Buonaccorsi (Callimachus), die Franziskanerkirche (aus dem 13. Jahrh.) das Grabmal des Königs Wladislaw Jagiello, die Florianskirche in der Vorstadt Kleparz (aus dem 12. Jahrh.) Bilder von Hans von Kulmbach und den Johannesaltar von Veit Stoß (von 1524), die Annakirche Denkmäler von Kopernikus und Johann Cantius. Hervorragende weltliche Gebäude sind das Schloß auf dem Berge Wawel, im 14. Jahrh. unter Kasimir d. Gr. gegründet und später mehrfach erweitert, bis 1610 Residenz der Könige von Polen, seit 1846 Kaserne und Spital, neuestens geräumt und restauriert, ferner die große, im 13. Jahrh. gegründete, im 16. Jahrh. umgebaute Tuchhalle (Sukiennice) am Ringplatz, 1879 restauriert, mit dem Nationalmuseum (Bilder von Matejko, Siemiradzki u. a.) und einer permanenten Gemäldeausstellung, der daneben stehende Rathausturm (Rest des 1820 abgebrochenen alten Rathauses), das neue Universitätsgebäude, ein gotischer Bau, 1881–87 nach Ksieżarskis Plänen ausgeführt, mit stattlichem Vestibül und schöner Aula, und der fürstbischöfliche Palast (von 1850). K. zählt (1900) 91,323 Einw., darunter 6049 Mann Militär, meist Polen (6576 Deutsche) und Katholiken (25,670 Juden). An industriellen Unternehmungen enthält die Stadt mehrere Fabriken für Maschinen und Ackerbaugeräte, Chinasilberwaren, Tischlerwaren, chemische Produkte, Tabak, Würste, Bier, Seife und Öl sowie Dampfmühlen und Buchdruckereien. Der Handel hat insbes. Getreide, Holz, Spiritus, Schweine, geräucherte Fleischwaren und Eier zum Gegenstand; auch werden in K.[561] stark besuchte Pferde- und Viehmärkte abgehalten. Die Stadt besitzt ein Lagerhaus, eine Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank, die Galizische Bank für Handel und Industrie, 2 Sparkassen und andre Kreditinstitute; an Bildungsanstalten besitzt K. vor allem die 1364 von Kasimir d. Gr. gestiftete Jagellonische Universität mit polnischer Unterrichtssprache. Dieselbe zählte 1902: 177 Lehrer und 1711 Studierende. Zur Universität gehören eine Bibliothek (350,000 Bände, 4400 Handschriften, 7000 Kupferstiche und 9500 Münzen), ein archäologisches Museum, eine kunsthistorische Sammlung, ein Naturalienkabinett, eine Sternwarte und ein botanischer Garten. Außerdem befinden sich in der Stadt eine kaiserliche Akademie der Wissenschaften (seit 1872), 4 Obergymnasien, 2 Oberrealschulen, eine Kunstakademie, eine Lehrer- und eine Lehrerinnenbildungsanstalt,

Plan von Krakau.
Plan von Krakau.

ein Mädchengymnasium, eine Staatsgewerbeschule, eine höhere Handelsschule, eine Schule des Musikvereins, ferner das Nationalmuseum (s. oben), ein technisch-gewerbliches Museum, das Museum Czartoryski (Gemälde und andre Kunstgegenstände), das Hutten-Czapskische Museum sowie ein Nationaltheater. An Wohltätigkeitsanstalten besitzt K. insbes. die Hospitäler in St. Lazarus und St. Ludwig. K. ist Stadt mit eignem Statut und Sitz einer Bezirkshauptmannschaft (K.-Umgebung), einer Polizeidirektion, des Oberlandesgerichts für Westgalizien, eines Landesgerichts, einer Finanzbezirksdirektion, einer Berghauptmannschaft, einer Staatsbahndirektion, eines römisch-katholischen Fürstbischofs, des 1. Korpskommandos und einer Handels- und Gewerbekammer. Die Stadt hat elektrische Beleuchtung und eine Straßenbahn. Beliebte Punkte der Umgebung sind: der 2 km nordwestlich von der Stadt entfernte Kosciuszkohügel (333 m), der 1820–23 zu Ehren Kosciuszkos auf dem seit 1855 in ein Fort umgewandelten Bronislawaberg errichtet wurde, mit schöner Aussicht, dann der südlich gelegene, zum Andenken an den sagenhaften Gründer von K. (s. unten) künstlich ausgerichtete Krakusberg (276 m).

[Geschichte.] Die heimische Sage bringt die Geschichte Krakaus mit der mythischen Gestalt des Fürsten Krok in Zusammenhang und verlegt die Gründung der dortigen Burg um 700. Über diese Periode herrscht jedoch Dunkel, auch die Beziehungen Krakaus zum großmährischen Reich sind unklar. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrh. gehörte K. zum böhmischen Fürstentum, doch eroberte es Boleslaw Chrobry zurück und gründete ein Bistum daselbst. Unter den polnischen Teilfürstentümern, wie sie seit dem 12. Jahrh. bestanden, hatte das von K. eine übergeordnete Stellung. Schwer litt K. zur Zeit des ersten Tatareneinfalls (1241), doch folgte unmittelbar der Aufschwung durch die deutsche Kolonisation. 1257 erhielt K. Magdeburger Recht, hatte aber in der Folge durch neue Tatarenstürme schwer zu leiden. Von 1290 bis 1305 war K. im Besitz des Böhmenkönigs Wenzel II., dessen Sohne Wenzel III. entriß es aber der König von Polen, Wladislaw Lokietek, wieder, erhob K. zur Residenz und ließ sich 1320 daselbst krönen. Von dieser Zeit an blieb es die Krönungs- und Begräbnisstadt der Könige von Polen (bis 1764). Dagegen verlegte Siegmund III. (1587–1632) die Residenz von K. nach Warschau, wo sie seitdem verblieb. 1525 belehnte König Siegmund I. in K. Albrecht von Brandenburg mit dem Herzogtum Preußen. Nach der Zeit der Reformation entstanden bürgerliche Unruhen zwischen Katholiken und Protestanten (seit 1591), und 1606 stürmten die erstern die protestantische Kirche. 1655 wurde die Stadt von den Schweden erobert. Bei einer zweiten Eroberung durch die Schweden (1702) ging das königliche Schloß in Flammen auf. Nachdem hier 1768 die bekannte [562] Krakauer Konföderation abgeschlossen worden war, wurden die Konföderierten daselbst von den Russen belagert und die Stadt mit Sturm genommen. Die Krakauer Akte vom 27. März 1794 wurde für Polen das Signal zur allgemeinen Erhebung. Von K. aus rückte Kosciuszko zu seinen ersten glücklichen Schlachten aus; mit ihm unterlag auch die Stadt und wurde bei der dritten Teilung des Reiches von 1795 an Österreich gegeben, dem schon früher die Vorstadt Kasimierz zugefallen war. Von 1809 bis zum Sturz Napoleons I. bildete K. einen Teil des Herzogtums Warschau. Auf dem Wiener Kongreß (1815) wurde K. unter dem Schutz von Österreich, Rußland und Preußen als Freistaat erklärt, der letzte Rest des selbständigen Polen; doch war der Umfang der Republik (1100 qkm oder 22 QM.) zu beschränkt, als daß die ihm zugestandene Souveränität mehr als eine bloß nominelle hätte sein können. Nach dem polnischen Aufstand von 1830–31, dem sich ein Teil der Bevölkerung von K. anschloß, erhielt im März 1833 K. eine neue Verfassung, durch die es seine Selbständigkeit zum größten Teil einbüßte. Gleichwohl fand noch immer eine Menge polnischer Flüchtlinge in K. eine Freistätte. Als nun der Aufforderung der Schutzmächte an den Senat, dieselben auszuweisen, nicht Folge geleistet wurde, rückten im Februar 1836 österreichische, russische und preußische Truppen in K. ein. Darauf wurde die Verfassung einer abermaligen Durchsicht unterworfen und die Gewalt der Schutzmächte und ihrer Bevollmächtigten noch bedeutend vergrößert. 1846 machte die Insurrektion K. zu ihrem Hauptwaffenplatz und setzte hier eine revolutionäre Nationalregierung ein. Aber der polnische Aufstand in Galizien wurde niedergeschlagen, und als russische und österreichische Truppen gegen K. heranrückten, riß hier die größte Mutlosigkeit ein. In der Nacht vom 2. zum 3. März räumten die bewaffneten Insurgenten die Stadt, und diese ward am folgenden Tage von österreichischen und russischen Truppen besetzt. Auf Grund der Berliner Konferenzen der drei Schutzmächte wurde 6. Nov. 1846 trotz der Proteste von seiten Englands und Frankreichs der Freistaat K. aufgehoben und die Stadt nebst ihrem Gebiet, wie sie es 1809 besessen, 16. Nov. 1846 als Teil der österreichischen Monarchie dem Königreich Galizien einverleibt. Im Frühjahr 1848 kam es auch in K. zu Unruhen, die durch Waffengewalt unterdrückt wurden. Auch unter österreichischer Herrschaft blieb K., wo die Nationalhelden Sobieski, Poniatowski und Kosciuszko begraben liegen, Mittelpunkt des Polentums. 1889 wurde das Bistum K. zum Fürstbistum erhoben. Vgl. Rostafinski, Führer durch K. (poln., Krakau 1891); Essenwein, Die mittelalterlichen Kunstdenkmale der Stadt K. (Leipz. 1869); Bucher, Die alten Zunft- und Verkehrsordnungen der Stadt K. (Wien 1889); Szujski, Stary Kraków (Krakau 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 561-563.
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