Grabmal

[198] Grabmal (Grabdenkmal, hierzu die Tafel »Grabmäler«), im weitern Sinne jedes einem Toten an seiner Beerdigungs- oder Beisetzungsstätte errichtete Erinnerungszeichen, im engern Sinn ein solches von künstlerischer, durch Architektur oder Plastik hergestellter Form. Ursprünglich eine Auszeichnung für Fürsten, Helden und hervorragende Persönlichkeiten, wurde die Sitte, Grabmäler zu errichten, schon im frühen Altertum allgemein und auf alle Toten ausgedehnt. Aus roh aufgeworfenen Erdhügeln (tumuli), die später mit ausgerichteten Steinen oder mit [198] Mauerwerk umgeben wurden, und unbearbeiteten Steinblöcken entwickelte sich bereits im Altertum das G. bis zur edelsten künstlerischen Form. In uralten Grabmälern, wie z. B. dem sogen. Grabe des Kyros (s. Tafel »Architektur II«, Fig. 7), dem Grabe des Dareios (s. Tafel »Architektur II«, Fig. 8), den ägyptischen Pyramiden und Königsgräbern (s. Tafel »Architektur I«, Fig. 1 u. 2), den lykischen Felsengräbern (s. Tafel »Architektur II«, Fig. 12 u. 13), den phönikischen und jüdischen, tempelartig gebildeten Gräbern (s. Tafel »Architektur II«, Fig. 10 u. 14), sind uns für die gesamte Entwickelungsgeschichte der Kunst wichtige Monumente erhalten. Bei den Ägyptern, Griechen, Etruskern und Römern wurde der Gräberkultus am weitesten getrieben. Vor den griechischen, kleinasiatischen, griechisch-römischen und römischen Städten wurden ganze Gräberstraßen (Athen, Pompeji, Via Appia bei Rom) angelegt, die dicht mit Grabsteinen (Stelen; s. Tafel »Grabmäler«, Fig. 2 u. 4), Urnen aus Marmor und Terrakotta (Fig. 3 u. 5), kleinen Baulichkeiten (s. Tafel »Architektur IV«, Fig. 9–11), Tempeln und imposanten Monumenten (G. der Cäcilia Metella bei Rom) besetzt waren (vgl. »Die attischen Grabreliefs«, hrsg. von Conze u.a., Berl. 1890 ff.; Holwerda, Die attischen Gräber der Blütezeit, Leiden 1899; Milchhöfer, Über die Gräberkunst der Hellenen, Kiel 1900). In Kleinasien gelangte das monumentale G. für Helden, Fürsten, Könige etc., das einen Bau für sich bildete, nach orientalischen Vorbildern zur reichsten Ausbildung (Beispiele: das G. von Xanthos im Britischen Museum, das Mausoleum [s. d.] von Halikarnassos, das Heroon von Gjölbaschi), die aber durch römische Prunkbauten (Mausoleum des Hadrianus, s. Tafel »Architektur V«, Fig. 8 u. 9) noch überboten wurden. In den von orientalischen Sitten beeinflußten Ländern der griechisch römischen Kultur entwickelte sich nach dem Vorbilde der ägyptischen aus Holz und Stein gefertigten Mumiensarkophage (Fig. 1) der frei stehende, meist in unterirdischen Begräbnisstätten beigesetzte, gewöhnlich aus Marmor hergestellte Sarkophag, der eine architektonische Gliederung erhielt und an den Seiten reich mit Reliefs und sonstigem Bildwerk geschmückt wurde, die sich auf den Toten bezogen. Solcher Sarkophage hat sich eine große Zahl erhalten. Ein besonders reiches Beispiel ist der fälschlich sogen. Sarkophag Alexanders d. Gr. aus Sidon (jetzt in Konstantinopel, Fig. 6). Römische Grabsteine und Grabdenkmäler mit Inschriften, Reliefdarstellungen und Figuren sind überall gefunden worden, soweit sich die römische Herrschaft und Kolonisation erstreckten. Die Christen übernahmen die Sitte, Grabmäler zu errichten, von den Römern. In den Katakomben und sonstigen altchristlichen Begräbnisstätten sind Grabsteine und Sarkophage (s. Tafel »Christliche Altertümer I«, Fig. 6, und Tafel »Bildhauerkunst VII«, Fig. 9) gefunden worden, und das monumentale Grabmal der römischen Zeit hat in dem Grabmal des Theoderich in Ravenna (s. Tafel »Architektur VI«, Fig. 4) einen Nachklang gefunden. Aus der Beisetzung von Leichen in unterirdischen Begräbnisstätten entsprang im Mittelalter die Gewohnheit, Geistliche, Fürsten und später ouch wohlhabende, um die Kirche verdiente Bürger im Gewölbe unter dem Fußboden der Kirchen, Kapellen und Kreuzgänge zu bestatten. Als äußeres Zeichen des Bestattungsortes wurden oberhalb des Fußbodens entweder Sarkophage oder ähnliche Freigräber mit und ohne Baldachin (Fig. 7 u. 10) aufgestellt, oder in den Fußboden Grabplatten mit Inschriften und den Bildnissen der Verstorbenen eingelassen. Diese Grabplatten, eine besondere Gruppe der Grabmäler, wurden entweder aus Marmor, Sand- und Kalkstein, Granit, Schiefer etc. oder aus Metall (Messing, Bronze) gefertigt. Die metallenen Grabplatten, in welche die Darstellungen entweder eingraviert (Fig. 8), oder auf denen sie in erhabenem Guß angebracht wurden (Fig. 13), finden sich noch häufig in norddeutschen (pommerschen und lübischen) Kirchen. Als der Raum auf den Fußböden der Kirchen zu mangeln begann, wurden die Grabplatten an den Wänden und Pfeilern der Kirchenschiffe und Kapellen ausgerichtet und befestigt. Ein Gleiches geschah auch später mit solchen in den Fußboden eingelassenen Grabplatten, die man vor der völligen Zerstörung durch Fußtritte schützen wollte. Die gotische Kunst fügte zu dem Sarkophag noch einen Baldachin hinzu, der, tempelartig ausgebildet, bisweilen mit einer Unzahl von Figuren und Reliefs geschmückt wurde (Gräber der Scaliger in Verona, Sebaldusgrab von Peter Vischer in Nürnberg). Auf dem Sarkophag lag gewöhnlich die Porträtfigur des Verstorbenen, allein oder mit seiner Frau, in vollem Waffenschmuck, in Fürstentracht, Ornat u. dgl., und zu den Füßen ein Tier, das entweder dem Wappen entlehnt war, oder eine Tugend symbolisierte (Fig. 9 u. 11). Die minder bevorzugten Gemeindemitglieder wurden außerhalb der Kirche, aber in unmittelbar an sie grenzendem Terrain (Kirchhof) begraben, wo man ihnen ebenfalls Grabsteine errichtete, die oft an den Kirchenmauern befestigt wurden. Mit der wachsenden Ruhmsucht des Individuums, die sich mit dem Beginn der Renaissancezeit zuerst in Italien entwickelte, wuchs auch der Grabmälerluxus. Die italienischen Kirchen, Klöster und die Hallen der Friedhöfe (Campi santi in Pisa, Florenz) sind voll von prächtigen, oft von ersten Meistern ausgeführten Grabmälern. Päpste und Fürsten wetteiferten in der Errichtung von prunkvollen Grabmonumenten, mit deren Ausführung bisweilen schon bei Lebzeiten derer, für welche die Grabmäler bestimmt waren, begonnen wurde (Grabmäler der Päpste in St. Peter zu Rom, Michelangelos Grabkapelle der Mediceer in Florenz, s. Tafel »Bildhauerkunst IX«, Fig. 8). Die Grabmäler waren teils Sarkophage mit den schlafenden oder betenden Figuren der Toten, teils Freibauten mit Baldachinen, Kuppeln u. dgl. (Grabmäler Kaiser Maximilians in Innsbruck, Ludwigs des Bayern in der Frauenkirche zu München, s. Tafel »Bildhauerkunst X«, Fig. 5), teils architektonisch gegliederte, durch Nischen, Statuen und Reliefs belebte fassadenartige Aufbauten, die an die Wände gelehnt wurden (Dogen- und Patriziergrabmäler in Venedig und Prälatengrabmäler in Rom, Fig. 12). Letztere Gestalt der Grabmäler wurde besonders im 17. und 18. Jahrh. von der Barock- und Rokokokunst weiter ausgebildet und zu üppigstem, völlig weltlichem und oft bis zur Geschmacklosigkeit überladenem Prunk getrieben (G. Moritz' von Sachsen in Straßburg, Schlütersches G. in Berlin, Fig. 14). Zu antiker Einfachheit kehrte wieder G. Schadow in Berlin zurück (s. Tafel »Bildhauerkunst XII«, Fig. 5 u. 6). In neuerer Zeit werden Grabmäler in Kirchen nur für fürstliche Personen oder zum Ehrengedächtnis berühmter Männer (Pantheon zu Rom, Westminsterabtei zu London, neuer Dom in Berlin) errichtet. Daneben werden auch isolierte Ruhestätten für Mitglieder von Fürstenfamilien in Gestalt von Kapellen mit Grabmälern angelegt (Mausoleen in Charlottenburg bei Berlin, [199] Herrenhausen bei Hannover, Rosenhöhe bei Darmstadt, die griechischen Kapellen bei Wiesbaden und Baden-Baden, das Mausoleum Kaiser Friedrichs in Potsdam). In den Mausoleen zu Charlottenburg, Potsdam und Herrenhausen ist für die darin Beigesetzten die Form der römischen Sarkophage beibehalten worden (Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise von Rauch, s. Tafel »Bildhauerkunst XIII«, Fig. 4, Kaiser Wilhelm I. und Kaiserin Augusta von Encke, Kaiser und Kaiserin Friedrich von R. Begas). In neuester Zeit haben besonders die Franzosen (Hauptwerk: das Monument aux morts auf dem Père Lachaise in Paris von Bartholomé, s. d.), die Italiener und nach ihrem Vorgang auch die Deutschen und Österreicher in der Grabmälerplastik einen großen Aufwand von Gedanken und kostbarem Material entfaltet. Vgl. Schubring, Das italienische G. der Frührenaissance (Berl. 1903, mit 40 Tafeln); v. Lichtenberg, Das Porträt an Grabdenkmalen (Straßb. 1902); Schweitzer, Die mittelalterlichen Grabdenkmäler mit figürlichen Darstellungen in den Neckargegenden von Heidelberg bis Heilbronn (das. 1899); Buchner, Die mittelalterliche Grabplastik in Nordthüringen (das. 1902); die von Wasmuth herausgegebene Sammlung »Ausgeführte Grabmäler und Grabsteine« (Berl. 1889 ff.); »Grabmalskunst, Grabmäler etc., ausgeführt von Künstlern unsrer Zeit« (das. 1902 ff.); »Künstlerische Grabdenkmale. Moderne Architektur und Plastik« (Wien 1903 ff.); Gerlach, Toten schilder und Grabsteine (das. 1896); Prosperi, Moderne Grabsteine etc. (Düsseld. 1896); Krauß, Moderne Grabdenkmäler (Aachen 1902).

Eine besondere Form haben auch die alten Inder ihren Grabmälern gegeben, indem sie über den Gräbern glockenförmige Hügel (Topes) wölbten, die von Säulen umgeben und von Steinbildwerken gekrönt wurden (s. Tope). Die Mohammedaner zeichneten die Gräber ihrer Fürsten, Propheten und Heiligen durch große oder kleine Grabmoscheen mit Denksteinen (Kaaba Mohammeds) aus. Über die Grabmäler der vorgeschichtlichen und altnordischen Völker s. Dolmen und Gräber, vorgeschichtliche. Vgl. auch Artikel »Begräbnisplatz«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 198-200.
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