Canton [2]

[645] Canton, 1) (Quangton), Provinz des asiatischen Kaiserthums China; grenzt im W. an die Provinz Kuang-ssi (Kueiling-fu), im O. an die Provinz Fu-kiang (Futschen-fu), im S. an das Chinesische Meer, den Busen von Tonkin u. die Annam-Provinz Tonkin, im N. an die Provinz Hunan (Tschangschafu) u. hat mit der dazu gehörigen Insel Hainan 4550 QM. u. 20 Millonen Einw.; Gebirge (Spitze Lofeu, eine der höchsten Chinas) wild, zum Theil waldig; am Ufer viele Buchten u. Vorgebirge (Gute Hoffnung); bewässert vom Tschu-kiang od. Perlfluß, Si (Nebenfluß desselben), Tonglong, Ngannan u. anderen meist durch Kanäle verbundenen Flüssen; hat südlich heißes, in den Gebirgen gemäßigtes Klima; auf dem Flachlande gut angebaut, bringt gewöhnlich doppelte Ernten von Reis, Gartenfrüchten, Tabak, ferner Thee, Baumwolle, Zucker, Obst, Südfrüchte, Fichten, Firnißbäume, Rhabarber u.a. Die Einw. beschäftigen sich mit Viehzucht (Schweine u. Hausgeflügel), Fischerei (viele Einw. wohnen in Sampanen), Seidenbau, etwas Bergbau (Kupfer, Eisen, Quecksilber, Steinkohlen), Fabrikation von seidenen, leinenen, baumwollenen Waaren, Papier etc. Die Provinz C. steht mit Kuang-ssi unter einem Statthalter (Tsontu) u. theilt sich in die Theile C. (Festland), die Halbinsel Macao u. die Insel Hainan. 2) (Kuangton, Kuang-tung-fu), Hauptstadt der Provinz, am linken Ufer des Tschu-kiang od. Perlflusses (unterhalb der Stadt Tiger genannt), unweit von seiner Mündung ins Chinesische Meer, zerfällt in die alte (chinesische) u. in die neue tatarische (mandschurische) Stadt, welche durch eine crenellirte Mauer (2 Stunden im Umfang) umgeben u. getrennt sind; außerdem mehrere Vorstädte. Durch diese Mauer führen mehrere Thore, die mit gewöhnlichen Thoren, nach Art unserer Scheunthore, geschlossen sind u. in deren Bezirk 3 Citadellen liegen. Der Eingang in die eigentliche Stadt ist den im 3. Theile von C., in der Kaufmannsstadt, wohnenden Europäern (den Bestimmungen des Vertrags von Nankin zuwider, nach welchem die fünf großen südwestlichen See- u. Handelsstädte denselben vollständig geöffnet werden sollten) noch immer streng verboten; die Chinesen laufen zusammen, wenn man durchdringen will, schimpfen, drohen, u. wer dennoch den Eingang erzwingt, riskirt, gefangen gesetzt u. nur gegen ein Lösegeld losgegeben zu werden. Nur auf ausdrückliche Auforderung eines Mandarinen wird dem Fremden ausnahmsweise der Eintritt gestattet. Auch in den übrigen Vorstädten thut der Europäer gut, sich von einem Soldaten begleiten zu lassen, um die Neugierigen abzuhalten u. die Kinder zu hindern, ihn mit Steinen zu werfen. In dieser Kaufmannsstadt liegen nun sämmtliche europäische Factoreien, u. zwar die Graben-(Damm-), niederländische u. englische Factorei (sehr groß u. schön; nach dem Brande 1822 prächtig wieder aufgebaut u. mit einem Thurme versehen, angeblich um eine Uhr aufstellen, in der That aber, um ganz C. u. die Umgegend mit Fernröhren übersehen zu können), ferner die persische, kleine (alte) englische, österreichische (jetzt verlassen), glückliche, amerikanische, französische, spanische u. dänische Factorei, letztere auch chinesisch durch Wirrwarr od. Allerlei bezeichnet, weil alle Nationen sich hier zu sammeln pflegen, welche (wie Preußen) keine eigenen Factoreien haben. Jede Factorei besteht aus einem, gegen den Tschu-kiang Front machenden größeren od. kleineren Gebäude u. einem Hof, der bis zur nächsten Straße reicht u. zu Niederlagen u. dgl. bestimmt ist; vor jeder weht die Flagge ihrer Nation; vor der Thür eines jeden Verkaufsgewölbes ein 8 Fuß hohes Gestell, eine bemalte od. vergoldete Tafel haltend mit dem Namen des Kaufmanns u. einem Verzeichniß seiner Waaren. Zwei Straßen, von Chinesen bewohnt, durchschneiden die Baulinie der Factoreien winkelrecht. Hier u. in der übrigen Kaufmannsstadt wohnen die Hongkaufleute (s.d.), zahlreiche Handelsleute u. Handwerker in eigenen viereckigen Quartieren, deren jedes besondere Kunstgegenstände enthält, u. die alle Gegenstände des chinesischen Kunstfleißes anfertigen u. sehr zudringlich gegen die Europäer sind. Auf dem Tschu-kiang wimmelt es von Sampanen (Flößen), welche eine völlige, dicht bevölkerte Wasserstadt (angeblich von 100,000 Ew.) bilden u. wo es alle möglichen Gewerbe, bes. aber viele Freudenmädchen (in sogenannten Blumenbooten) gibt. Sehr muß sich aber der Fremde hüten, den Wasserstraßen, wo der Aufenthalt der Letzteren ist, mit seinem Boote zu nahen, denn sogleich empfangen ihn hier Schimpfreden, unter denen das fau-quai loo (weißer Teufel, möge Dir der Kopf abgeschnitten werden!) das Mildeste ist. Außerdem ist C. Sitz eines Gouverneurs u. aller entsprechenden Behörden; es hat 400 Pagoden (eine davon wird von 400 Bonzen besorgt), viele Denkmäler, Triumphbogen, Spatziergänge (unzugänglich für Fremde). Die backsteinernen Häuser von C., außer den Factoreien, sind klein, einstöckig, ohne Fenster in die Straßen, aber mit Läden darin, in denen alle Gewerbe betrieben werden. Die Straßen sind mit Steinplatten gepflastert, aber meistens so eng u. winkelig, daß sie von Wagen nicht passirt werden können, weshalb die Lasten auf Bambusstöcken auf den Schultern getragen werden u. die reicheren Bewohner sich in Sänften tragen lassen; in dem Volksgemenge, das sie erfüllt, bemerkt man wenig Frauen. Man fertigt Seiden-, Baumwollen-, Porzellan-, Perlmutter-, Schildpadwaaren, Segel, Matten, Papier, chinesische Gemälde u. treibt ausgebreiteten Handel, bes. mit Thee (250–300,000 Centner jährliche Ausfuhr). Ausfuhr: außer Thee Nankin, Seidenzeuge, Perlmutterwaaren, Zink, Porzellan; Einfuhr: Uhren, Linnen, Baumwolle, Pelzwerk, Betelnüsse u. namentlich Opium (aber nur durch Schmuggelei). Der Gesammtwerth der Ausfuhr[645] beträgt durchschnittlich jährlich über 6 Mill. Pf. St., der der Einfuhr über 4 Mill. Pf. St. Der große Verkehr mit den Europäern (unter diesen hauptsächlich mit den Engländern u. Holländern), in neuerer Zeit auch viel mit den Nordamerikanern, in den Händen der Hongkaufleute (10–12 reicher Chinesen), muß viel Bedrückungen (strenges Durchsuchen der Schiffe u. Verweigern des Daseins derselben während des Winters, große Zollabgaben, viele Geschenke) leiden. Die fremden Schiffe müssen drei Stunden unterhalb an der Insel Wampon landen u. ihre Waaren von u. nach den Factoreien mit Lichterschiffen schaffen lassen. Münzen, Maße u. Gewichte s.u. China (Geogr.); 1,240,000 Ew., ausschweifend, roh, Seeräuberei treibend u. voll Haß u. Erbitterung gegen alle Fremden. Die Umgegend sehr gut angebaut; während des Sommers sehr heiß, im Winter aber kälter als andere Orte unter dem nämlichen Breitengrade (23° nördl. Br., wie Calcutta, Havaña). Nahe bei der Stadt C. liegen die Flecken Fochan u. Sinan, dieses mit 50,000, jenes (2 Meilen lang), mit 200,000 Ew. – C. hieß früher Kuang-tscheu, unter verschiedenen Dynastien erhielt es den Namen Hin-hoei, dann Xamtscheu, bis sie den alten Namen wieder erhielt; es ist eine sehr alte Stadt, die schon unter dem Kaiser Yao (2337 v. Chr.) gestanden haben soll. 700 n. Chr. wurde unter der Dynastie Tang in C. ein Markt für ausländische Waaren eröffnet; aber 795 wendete sich der Handel, wegen der großen Bedrückungen, von da weg. 879 belagerten die Cochinchinesen C. Nachher blühte der Handel hier wieder. Beim Einfall der mongolischen Tataren wurde auch C. verwüstet. 1516 kamen die Portugiesen hierher. 1650 wurde C. von den Tataren eingenommen, geplündert u. die Einw. ermordet (700,000 sollen umgekommen sein). 1822 legte eine Feuersbrunst 13–14,000 Häuser in Asche, dabei die ganze Kaufmannsstadt. Bei dem Streit mit den Briten um den Opiumverkauf seit 1840, der sich von hier aus entspann, wurden diese aus ihrer Factorei vertrieben, u. die Hongkaufleute, die vorzüglich mit ihnen verkehrt hatten, in Ketten nach Peking geschickt; die Briten bemächtigten sich 1841 der Forts an der Bocca Tigris u. endlich der Forts bei C. selbst, worauf ein großer Theil der Einw. von C. entfloh. 7. Decbr. 1842 Volksaufstand, wobei die englische Factorei zerstört wurde; 15. Jan. 1846 Aufstand des Pöbels gegen den Polizeimeister; im Juni u. Juli 1846 gegen die Fremden, wobei viele Aufrührer blieben; Ende 1854 u. Anfang 1855 wurde C. von den Rebellen eingeschlossen; 24. bis 29. Octbr. 1856 wurden von den Engländern die Forts an der Einfahrt in den Hafen, die Befestigungen an der inneren Durchfahrt u. der Palast des Statthalters beschossen u. genommen u. Streifzüge bis in die Straßen der Stadt gemacht, aber dann zogen sich die Engländer zurück; 20.–22. Novbr. beschoß auch eine nordamerikanische Corvette einige chinesische Festungswerke u. zerstörte dieselben. Um sich an den Europäern zu rächen, zündeten die Chinesen am 21. Decbr. die von den Fremden verlassenen Factoreien an; s.u. China (Gesch.).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 645-646.
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