[181] Disciplīn (v. lat.), 1) die gute Zucht u. die dazu angeordneten Maßregeln, hauptsächlich bei öffentlichen Anstalten aller Art. Disciplinarsachen, sind daher alle die Zucht über Untergebene, insbesondere die Schul-, Kirchen-, Militär- u. Staatsdienerzucht, die Zucht in Zucht- u. Strafhäusern etc. angehenden Angelegenheiten; Disciplinaruntersuchung, das Verfahren, welches bei einem Verstoße gegen diese D. eingeschlagen wird; Disciplinargesetze od. Disciplinarvorschriften. die Normen, nach denen sich dies Verfahren sowohl, als die angedrohte Strase (Disciplinarstrafe) richtet. Zur Ausübung der D. berechtigt die Disciplinargewalt, d.i. die Besugniß, die Disciplinarstrafen zu erkennen u. zu executiren, Die Natur derselben gestaltet sich sehr verschieden, je nach dem Zwecke der Anstalt u. der Bildungsstufe u. bürgerlichen Stellung ihrer Mitglieder. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, daß die D. Sache der Verwaltung, nicht der Justiz ist, weshalb die strengeren Vorschriften über ein proceßgemäßes Verfahren, über Beweis, Vertheidigung etc. bei Disciplinarsachen nicht Platz greifen. Weil aber andererseits die Disciplinarstrafen oft sehr empfindlicher Natur sein u. den Betroffenen schwer verletzen können, so wird immer in den schwereren Fällen das Disciplinarverfahren einem eigentlichen Proceßverfahren sich nähern. Wo wohlerworbene Rechte in Frage sind, ist dem Betroffenen sogar gemeinrechtlich der Anspruch darauf, daß die Sache als Justizsache behandelt werde, nicht abzusprechen; allein die particularrechtlichen Vorschriften halten dies freilich weder immer genau ein, noch läßt sich auch dieser Grundsatz immer mit dem Interesse auf schleunige u. nachdrückliche Handhabung guter Zucht u. Ordnung vereinigen. Nur das ist festzuhalten, daß eigentliche Criminalstrafen nie auf dem Wege des Disciplinarverfahrens erkannt werden dürfen, sondern stets eine ordentliche Criminaluntersuchung voraussetzen. Dagegen können Geldstrafen, Amtsentsetzung, Entziehung des Gehaltes etc., obwohl sie auch vertragsmäßig begründete Rechte betreffen, im Wege des Disciplinarverfahrens zur Anwendung kommen. Von den einzelnen Arten der D. ist als die allgemeinste a) die D. über arbeitsscheue u. liederliche Subjecte überhaupt anzusehen, welche von Seiten der Polizeibehörden des Staates in der Weise geübt wird, daß dergleichen Individuen nach einem vorausgegangenen summarischen Verfahren unter polizeiliche Aufsicht gestellt od. bei bewiesener anhaltender liederlicher Lebensweise in sogenannte Corrections- u. Arbeitshäuser gebracht werden; b) die Schulzucht (Disciplina scholastica), d.i. die Aufsicht über Schulen u. Lehrer einer Schulanstalt, ist in Bezug auf die Schüler meist in die Hände des Vorstehers od. Lehrercollegiums ziemlich unbeschränkt gelegt. Dies gilt namentlich auch von der Universitäts-D., welche bezüglich der Studirenden in der Regel in den Händen des Senats u. Universitätsgerichts ist, u. bei welcher Conflicte mit der eigentlichen Justiz um so weniger vorkommen, wenn, was sonst die allgemeine Regel war, Senat u. Universitätsgericht zugleich die eigentliche bürgerliche u. Strafgerichtsbarkeit über die Studirenden ausübt. Bezüglich der Lehrer greift die allgemeine D. über Staatsdiener (s. unten) ein, die nur deshalb hier oft eigenthümliche Schwierigkeiten bietet, weil auch oft der Vortrag von wissenschaftlichen Lehrmeinungen, bei denen dann sachverständige Gutachten von Männern derselben Wissenschaft nothwendig werden, Gegenstand von Disciplinaruntersuchungen werden kann. c) Die Militär-D. zeichnet sich in der Regel durch besondere Strenge, wie sie die Pünktlichkeit des Dienstes mit sich bringt, aus. Kleinere Disciplinarvergehen während des Dienstes hat hier immer der unmittelbare Vorgesetzte (Compagnieführer, Bataillons- od. Regimentscommandeur) zu ahnden; bei größeren kommt die Sache an das Militärgericht, u. es fließt dann D. u. Gerichtsbarkeit zusammen. Schwieriger wird die Handhabung der D. nur bei den beurlaubten Soldaten, indem diese rücksichtlich ihres Wandels nur der Civilobrigkeit zu unterstehen pflegen, welche Vieles, was bei dem Soldaten wider gute Ordnung u. Zucht ist, nicht ahnden kann u. darf. Über die Grenze, welche hier zu beobachten ist, pflegen die einschlagenden militärischen Vorschriften specielle Bestimmungen zu enthalten. Noch strenger ist d) die D. in Gefangen-, Zucht- u. Correctionshäusern. Selbst für unbedeutende Vorfälle werden hier die strengsten Maß regeln nothwendig, weil es sonst leicht durch die Macht des bösen Beispiels dazu kommen kann, daß die Gefangenen, welche natürlich die Mehrzahl der Hausbewohner bilden u. zum großen Theil aus verwegenen Subjecten bestehen, die Übermacht erlangen u. alle Ordnung über den Haufen werfen. Die Disciplinarstrafen bestehen hier in Dunkelarrest, Entziehung der warmen Kost u. anderer Erleichterungen, z.B. des Tabakrauchens, des Bettes, in Anlegung von Ketten, körperlicher Züchtigung. Bei Untersuchungsgefangenen pflegen die Strafen nur in Dunkelarrest u. Entziehung der Kost zu bestehen. Die erkannten Disciplinarstrafen werden ohne Verzug vollzogen, u. Recurse dagegen haben keine aufschiebende Wirkung. e) Die Kirchen-D. (Disciplina ecclesiastica) begreift die Aufsicht über die Kirchenglieder rücksichtlich gottesdienstlicher u. religionswidriger Handlungen. Diese Art der D. war früher ziemlich streng u. von weiter Ausdehnung, da den kirchlichen Zwangsmitteln zugleich ein großer Einfluß auf die ganze bürgerliche Stellung der Individuen beigelegt war. Nachdem neuerdings aber durchaus der Grundsatz anerkannt ist, daß keine kirchliche Maßregel gegen ein Individuum auf dessen bürgerliche Stellung eine Wirkung äußern kann, hat diese Art der D. viel verloren u. ist nur bezüglich[181] der eigentlichen Kirchendiener von größerer Bedeutung. Bei Verletzung der geistlichen Standespflichten erkennt die katholische Kirche auf die geistlichen Pönitenzen; die protestantische behandelt die Disciplinarvergehen der Geistlichen im Ganzen nach Analogie der Disciplinarvergehen der Staatsdiener, nur daß da, wo die Consistorialverfassung besteht, das Consistorium die Disciplinargewalt ausübt. Gegen Laien tritt nach den Grundsätzen der protestantischen Kirche nur Vermahnung u. Verweis ein, u. nur bei Unterlassung der Taufe kann es auch, unter Zuhülfenahme des weltlichen Armes, wohl zur Anwendung wirklicher Gewalt kommen. Die katholische Kirche geht in ihren Disciplinarstrafen bis zur Excommunication. Eine der wichtigsten Branchen der öffentlichen D. bildet f) die D. über die Staatsdiener. Außer der Bestrafung der eigentlichen Amtsverbrechen (s.d.) muß der Staatsgewalt das Recht gegeben sein, im Verwaltungswege auf ein anständiges Leben, gute Zucht u. Ordnung seiner Beamten ein besonderes Augenmerk zu haben, weil sie es sind, welche in anderen Beziehungen wieder das öffentliche Wohl in Händen haben, u. bei dem zahlreichen Corps der Beamtenwelt ohnedies eine geordnete Regierung nicht zu handhaben wäre. Fahrlässigkeit, Unfleiß, Leichtsinn im Dienste, Unverträglichkeit od. Widerstand gegen Weisungen der Vorgesetzten, unsittliches Betragen in u. außerhalb des Dienstes berechtigen den Dienstherrn daher dazu, den Beamten nicht blos mit geringen Disciplinarstrafen zu belegen, sondern auch ihn zeitweilig od. auf immer seines Amtes zu entsetzen. Die näheren Bestimmungen, wie u. in welcher Folge die einzelnen Strafen zur Anwendung zu bringen sind, sind in den neueren Staatsdienstpragmatiken in der Regel genau festgesetzt. So nothwendig auch nun hierbei Strenge ist, so haben doch auch manche hierin zuviel gethan u. zu gerechten Klagen Anlaß gegeben. Hierher gehören bes. die Conduitenlisten, welche den Staatsdiener durch ihre fortwährende Überwachung auch der unbedeutendsten Beziehungen unter eine unwürdige Bevormundung stellten (so in Preußen, wo sie aber durch Verordnung vom 30. Juli 1848 wieder aufgehoben wurden). Die Disciplinargewalt wird in der Regel durch das vorgesetzte Collegium ausgeübt; neuerdings ist anch für einzelne Staaten (z.B. Baden) die Bildung eines aus höheren Justiz- u. Administrativbeamten zusammengesetzten Disciplinargerichtshofes in Frage gekommen. Das Verfahren beginnt bei schwereren Vergehen, welche möglicher Weise zu gänzlicher Amtsentsetzung führen können, mit vorläufiger Suspension von der Amtsführung. Während derselben ist gemeinrechtlich dem Beamten der Anspruch auf Fortbezug seiner Besoldung nicht zu nehmen; in den Landesgesetzen wird jedoch dies oft von dem Grade des in Frage stehenden Vergehens abhängig gemacht. Die geringste Strafe besteht in einem schriftlichen Verweise; schwerer ist schon der mündliche Verweis vor versammelter Behörde. Außerdem werden Geldstrafen, Haus- u. Civilarrest, Versetzung auf eine andere Stelle (bei minderem Gehalt sogen. Strafstelle), zeitige Remotion mit Entziehung des Gehaltes, in den schwersten Fällen gänzliche Entlassung angewendet. Nur bei dem Richter stande finden hiervon, zur Wahrung der Unabhängigkeit desselben, meist Ausnahmen Statt, indem namentlich gänzliche Dienstentlassung od. Herabsetzung des Gehaltes bei den richterlichen Beamten an ein eigentlich richterliches Erkenntniß gebunden ist. Ähnlich sind die Disciplinarvorschriften hinsichtlich der sogenannten uneigentlichen Staatsdiener, wie Ärzte u. Anwälte. Doch bestehen für die letzteren in manchen Staaten als besondere Disciplinarbehörden die Anwaltskammern (s.u. Advocat). Von sich selbst übt jede Behörde die D. über die von ihr erscheinenden u. verhandelnden Parteien in der Weise aus, daß sie bei Störung der äußeren Ruhe u. Ordnung sofort ebenfalls Verweise, Geldstrafen, bei gröberen Insulten auch auf kurzandauerndes Gefängniß erkennen kann. g) In den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens kommt eine Art Disciplinargewalt noch den Eltern über Kinder, den Lehrmeistern über ihre Lehrlinge, der Herrschaft über das Gesinde zu. Die erstere gründet sich auf die Grundsätze über die väterliche Gewalt, welche schon nach Römischem Recht dem Vater ein sehr ausgedehntes Züchtigungsrecht einräumte; ebenso gestattet auch schon das Römische Recht dem Lehrherrn eine angemessene Züchtigung. Die D. über das Gesinde ist den Gesindeherrschaften aber meist nach Observanz u. particularrechtlichen Bestimmungen in der Weise eingeräumt, daß das Gesinde wenigstens nicht berechtigt ist, bei geringen Correctionsmitteln wegen Injurien gegen die Gesindeherrschaft klagend auf zutreten. 2) so v.w. Wissenschaft, bes. Facultätwissenschaft; 3) Statuten u. Formen des sogenannten regulirten Lebens der Mönchs- u. Nonnenorden etc.; 4) die leiblichen Strafen, namentlich die Geiselung durch den Prior, durch einen Bruder od. an sich selbst vollzogen; daher Discipliniren, so v.w. Geiseln; 5) die Klosterzucht im Allgemeinen; 6) die Vorbereitung der Socinianer zum Abundmahl, s.d.
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