[414] Briefmarke (Freimarke, franz. Timbre-poste, engl. Postage stamp, ital. Francobollo), das von den Postverwaltungen ausgegebene aufklebbare Wertzeichen zur Frankierung der Briefe. Seitdem die B. auch zur Frankierung andrer Postsendungen sowie von Telegrammen verwendet wird, ist amtlich die Bezeichnung Postwertzeichen angenommen worden. 1653 erhielt der Maître des requêtes (Berichterstatter über Bittschriften, Staatsrat) M. de Velayer von Ludwig XIV. das Privilegium, in Paris eine Art Stadtpost zu errichten, und auf dieser führte er billets de port payé ein, die den damit versehenen Briefen die freie Beförderung sicherten. Sie mußten »an dem Briefe befestigt oder um ihn herumgeschlagen oder auf irgend eine andre Weise angebracht werden, jedoch so, daß der Beamte sie sehen und leicht wegnehmen könne«. Sie ähnelten also wohl unsern Streifbändern. Die Stadtpost Velayers hatte nur kurzen Bestand. Auch spätere ähnliche postalische Einrichtungen, wie die Einführung von gestempelten Briefumschlägen in Sardinien 1818, waren nur vorübergehend. Die B. in ihrer jetzigen Form ist in England erfunden worden. Zur Durchführung der Rowland Hillschen Postreform war die Schaffung eines bequemen Mittels zur Vorausentrichtung des Portos notwendig geworden. Der Verleger des »Dundee Chronicle« I. Chalmers hatte schon 1834 den Vorschlag zur Einführung einer aufklebbaren Postmarke gemacht, und 1839 wurde dieser zusammen mit der Pennyporto-Bill angenommen. Durch Erlaß vom 26. Dez. 1839 wurde die Anfertigung von gestempelten Briefbogen (stamped covers), gestempelten Umschlägen (stamped envelopes) und aufklebbaren Marken (adhesive stamps) verfügt. Eine Londoner Kupferstecherfirma fertigte eine einfachschöne Marke mit dem Bildnis der Königin Viktoria nach William Wyons Erinnerungsmedaille an den Besuch der Königin in der City (9. Nov. 1837) an. Auf den Umschlägen waren, mehr als die Hälfte der Vorderseite deckend, die Symbole des britischen Handels dargestellt. Am 6. Mai 1840 wurden die neuen Wertzeichen ausgegeben.
Dem Vorgang Englands folgten: 1813 Brasilien und die Kantone Zürich und Genf; 1845 Finnland (vorerst nur mit gestempelten Briefumschlägen) und die Stadtpost in Petersburg; 1847 die Vereinigten Staaten von Amerika; 1848 Rußland, 1849 Belgien, Frankreich und Bayern, 1850 die Schweiz, Spanien, Österreich, Sachsen, Preußen, Schleswig-Holstein und Hannover; 1851 Sardinien, Dänemark, Baden, Württemberg, Kanada und Oldenburg; 1852 die Thurn und Taxissche Postverwaltung. Braunschweig, Luxemburg, Niederlande, Parma, Modena und der Kirchenstaat; 1853 Portugal; 1854 Norwegen; 1855 Bremen und Schweden; 1856 Finnland; 1858 die Walachei und Sizilien; 1859 Mecklenburg-Schwerin, Hamburg und Lübeck; 1861 Italien und Griechenland; 1863 die Türkei und Mecklenburg-Strelitz; 1867 Helgoland; 1868 Persien. Zurzeit haben wohl alle Staaten der Welt Briefmarken.
Die äußere Erscheinung der B. ist sehr mannigfaltig. Einheitlichkeit besteht nur insofern, als in den Ländern des Weltpostvereins die Marke zu 25 Centimes (20 Ps.) blau, die zu 10 Cent. (10 Ps.) rot und die zu 5 Cent. (5 Ps.) grün sein soll. Die meisten Vereinsländer haben diesen Grundsatz bereits durchgeführt. Ende des 19. Jahrh. gab es in den europäischen Staaten gegen 3000, auf der ganzen Erde etwa 10,000 verschiedene Markensorten zur Frankierung von Postsendungen. Die meisten Marken stellen kleine Beträge dar, die sich im allgemeinen zwischen 1/2 Penny (3 Ps.) und 45 Mk. bewegen. Vereinzelt nur kommen höhere Beträge vor: in England 5 Pfd.[414] Sterl., in Nordamerika 60 Doll. (240 Mk.) und in Südaustralien gar 20 Pfd. Sterl. (400 Mk.).
Für die Geschichte der Entwickelung der B. ist zu beachten: I. Die Druckmethode: 1) Tiefdruckverfahren (Kupfer- u. Stahlstich); 2) Hochdruckverfahren (Holzschnitt u. Buchdruck); 3) Flächendruckverfahren (Lithographie u. Zinkographie). II. Papierunterschiede: glatt, rauh, weich, dünn, dick, chinesisch, seiden; gerippt, gewellt, Moiré, Glacé etc. III. Die Farben: 1) die waschechten (alle außer Russen, Reliefmarken und Marken auf gekreidetem Papier); 2) die Drucke schwarz auf farbigem Papier; 3) die farbigen Drucke auf weißem Papier. IV. Die Umrandung: 1) ungezahnt. geschnitten; 2) durchschlagen; 3) durchlocht oder gezahnt. V. Die Wasserzeichen, die jetzt meist beseitigt sind, ebenso wie die Einfügung von Seidenfäden und der Musterunterdruck.
Die Herstellung der Briefmarken wieder übrigen Postwertzeichen erfolgt in staatlichen oder wenigstens in solchen Anstalten, denen die Anfertigung sonstiger geldwerter Papiere übertragen ist; in Deutschland in der Reichsdruckerei. Von den in Stahl gestochenen Urstempeln werden auf galvanoplastischem Wege die erforderlichen Vervielfältigungen genommen, die sodann zu Platten von 200 oder 400 Stück formiert werden. Die Papierbogen, aus denen infolge besonderer Zubereitung der Entwertungsstempel nicht spurlos entfernt werden kann, werden mit dem aus reinem, in Wasser gelöstem Pflanzengummi bestehenden Klebstoff versehen, bedruckt und schließlich auf Perforiermaschinen durchlocht. Die Durchlochung zur bequemen Abtrennung einzelner Stücke wurde 1852 von dem Engländer Archer erfunden. 1901 wurden rund 3 Milliarden Stück Briefmarken zum Werte von 282,8 Mill. Mk. von der deutschen Reichspost verkauft.
In rechtlicher Beziehung gilt die B. als Urkunde. Nach § 275 des Strafgesetzbuchs wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft, wer wissentlich von falschen oder gefälschten Post- oder Telegraphen-Freimarken oder gestempelten Briefkuverts Gebrauch macht oder unechte Marken oder Kuverts in der Absicht anfertigt, sie als echt zu verwenden, oder endlich solche Wertzeichen in der Absicht verfälscht, sie zu einem höhern Werte zu verwenden. § 276 des Reichsstrafgesetzbuchs bestimmt, daß mit Geldstrafe bis 600 Mk. derjenige bestraft wird, der wissentlich schon einmal verwendete Post- oder Telegraphenwertzeichen nach gänzlicher oder teilweiser Entfernung des Entwertungsstempels zur Frankierung benutzt. Ferner bedroht § 360, Ziffer 4, denjenigen, der ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde Stempel, Platten etc., die zur Anfertigung von Freimarken dienen können, anfertigt oder an einen andern als die Behörde verabfolgt, mit Geldstrafe bis 150 Mk. oder Haft. Endlich ist die durch § 364 angedrohte Geldstrafe (bis zu 150 Mk.) auch auf denjenigen ausgedehnt, der wissentlich schon einmal verwendete Freimarken nach Entfernung des Entwertungszeichens veräußert oder festhält.
Briefmarkenkunde (Timbrologie, Philatelie) ist das Studium der Entstehung und Verbreitung der Briefmarken. Seit etwa 40 Jahren wird das Sammeln der Briefmarken planmäßig betrieben. Das Bestimmen von Typen, Farben, der Ausgabezeit, die Kenntnis der Seltenheitsgrade, das Erkennen von Fälschungen, ist von Liebhabern zu einem hohen Grade der Vollkommenheit ausgebildet worden. Dutzende von Zeitschriften, Hunderte von Vereinen, Einzelschriften, Kataloge der Briefmarkenhandlungen, Handbücher und Sammelbücher sorgen für Belehrung auf diesem Gebiet. An vielen Plätzen sind Briesmarkenbörsen eingerichtet. Eine der reichhaltigsten Privatsammlungen ist die des Barons Artur v. Rothschild in Paris, die einen Wert von 200,000 Fr. darstellen soll; eine andre, die von Philippe de Ferrari in Varennes, soll 11/2 Mill. Marken enthalten, unter denen sich natürlich sehr viele »Ganzsachen«, d. h. Kuverts, Postkarten etc., befinden. Die größte öffentliche Sammlung befindet sich im Britischen Museum. Sie ist diesem von dem verstorbenen Parlamentsmitgliede Tapling testamentarisch vermacht und enthält, abgesehen von einer ansehnlichen Zahl Postkarten, Briefumschlägen etc., mehr als 200,000 Briefmarken. Ihr Wert wird auf 5060,000 Pfd. Sterl. veranschlagt. Die größte deutsche öffentliche Sammlung ist die im Postmuseum der deutschen Postverwaltung zu Berlin; sie enthält in der Schausammlung etwa 20,000 Marken und Ganzsachen, und in der Parallelsammlung (mit weitergehender Unterscheidung) etwa 40,000 Typen. Der Preis der Briefmarken wird nach ihrer Seltenheit bestimmt; alte Rumänen z. B., Schweizer Kantonalmarken, einige Spanier, Australier werden zu schwindelhaften Preisen notiert, für die erste Ausgabe von Mauritius vom Oktober 1847,1 Penny rot und 2 Pence blau, sollen 4000 Mk. bezahlt worden sein.
Allgemein zusammenfassende Schriften über die B.: Schaubeks-Lückes Illustriertes Briefmarkenalbum (25. Aufl., Leipz. 1903); Moschkau, Handbuch für Postwertzeichensammler (7. Aufl., das. 1892, 2 Bde.); Heitmanns »Großes Handbuch der Philatelie« (das. 188797, 3 Bde.); Brendicke, Die Kunde von den Postwertzeichen (Berl. 1888); Lietzow, Universal-Briefmarkenalbum (6. Aufl., Leipz. 1896); Rothschild, Histoire de la poste et du timbre-poste (4. Aufl., Par. 1878); Moens, Bibliothèque des Timbrophiles (Brüssel); Larisch, Preisverzeichnis sämtlicher bis Ende 1889 erschienenen Postmarken (Münch. 1890, Selbstverlag); Krause, Lehrbuch der Philatelie (Leipz. 1889); Suppantschitsch, Grundzüge der Briefmarkenkunde (das. 1895).