Zeitungen

[873] Zeitungen (hierzu Textbeilage »Zeitungswesen des Auslandes«), im allgemeinen periodische Druckerzeugnisse, im engern Sinn literarische Erzeugnisse, die regelmäßig fortlaufend die Ereignisse des Tages oder eines längern Zeitraums auf politischem, religiösem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet melden und besprechen. Der Unterschied zwischen Z. und Zeitschriften, den man zu machen pflegt, hat keinen tiefern Grund. Gewöhnlich pflegt man unter Z. die täglich erscheinenden und vorwiegend politischen Arten der Gattung zu verstehen, unter Zeitschriften diejenigen Arten, die wöchentlich, monatlich, viertel-, halb- und ganzjährlich erscheinen. Das Wort Zeitung ist die hochdeutsche Form für das niederdeutsche »Theiding« oder »Theidung«, das etwa »Nachricht« bedeutet. Noch im 18. Jahrh. wurde im gewöhnlichen Gespräch Zeitung gleichbedeutend mit Nachricht gebraucht. Die Bedeutung der Z. liegt darin, daß sie sich aus Organen, die der Verbreitung von Nachrichten über Tatsachen oder Ereignisse dienten, zu Trägern der öffentlichen Meinung umbildeten, indem sie den Stoff des Tatsächlichen der beurteilenden Besprechung unterzogen. So deckt sich ihre Geschichte mit der der öffentlichen Meinung.

Das Zeitungswesen ist eine freie, von ältern Vorbildern unabhängige Schöpfung der germanisch-romanischen Völker. Die ersten Spuren der Z. zeigten sich unmittelbar nach der Entdeckung der Neuen Welt. Die Auffindung Amerikas war ein Ereignis, dessen Bedeutung überall sofort gefühlt ward. Der Brief von 1493, in dem Kolumbus dem königlichen Schatzmeister Rafael Sanchez die Tatsache schilderte, ward in fast alle Sprachen übersetzt und in zahllosen Exemplaren verbreitet. Er war wohl das erste Druckerzeugnis seiner Art, das rasche und allgemeine Verbreitung fand. Seitdem ergossen sich in den ersten Jahren des nächsten Jahrhunderts eine Menge »Zeyttungen«, »Newe Zeyttungen«, »Copeyen« von Briefen, die als die eigentlichen Vorläufer der Z. anzusehen sind, über die Dinge, die mit jener Entdeckung zusammenhingen, teils im einzelnen, teils als Sammelwerke rasch über den Weltteil. Aber allen diesen Erzeugnissen fehlte die Periodizität, die hauptsächlich den Verbesserungen des Postwesens zu danken ist. Auch die Notizie scritte, die »geschriebenen Nachrichten«, die etwas später die Republik Venedig an öffentlichen Orten auszustellen pflegte, können noch nicht als eigentliche Z. in unserm Sinn betrachtet werden, obwohl von dem Geld (gazeta), das man für die Erlaubnis, sie lesen zu dürfen, zahlen mußte, heute noch die Z. in italienischer, französischer, spanischer und englischer Sprache genannt werden. So kann man eigentlich erst seit dem 17. Jahrh. von einer regulären Presse reden; besonders in seiner zweiten Hälfte, mehr noch zu Anfang des 18. Jahrh., bildete sich jener beständige Ideenumsatz aus, der seitdem allmählich zu einer Weltmacht geworden ist. S. auch Journalismus.

Wie der internationale geistige Verkehr durch die Ausdehnung des Zeitungswesens, durch die Verbreitung der Z., deren Zahl sich bei dem beständigen Schwanken der publizistischen Bewegung nicht feststellen läßt, gewachsen ist, beweist die Tatsache, daß in Deutschland jetzt Z. in 34 verschiedenen Sprachen gelesen werden. Von diesen erscheinen in Deutschland selbst Z. in 11 Sprachen: in deutscher, französischer, italienischer, spanischer, englischer, polnischer, tschechischer, dänischer, wendischer, litauischer und holländischer Sprache. Die größte Sprachverschiedenheit repräsentieren die Länder der österreichischen Monarchie, in denen Z. in 13 verschiedenen Sprachen erscheinen: in deutscher, französischer, italienischer, polnischer, ungarischer, tschechischer, griechischer, romanischer, serbischer, slowakischer, kroatischer, ruthenischer und slowenischer Sprache. Außer den genannten bezieht man in Deutschland durch die Reichspost noch Z. in kroatischer, ruthenischer, serbischer, slowakischer, slowenischer, ungarischer, russischer, portugiesischer, holländischer, schwedischer, neugriechischer, flämischer, bulgarischer, lateinischer, rumänischer, romanischer, armenischer, finnischer, isländischer, norwegischer, türkischer, hebräischer, arabischer und persischer Sprache. Von allen diesen Z. haben die in französischer Sprache die größte internationale Verbreitung; auf sie folgen die englischen, dann die deutschen Z.

In Deutschland haben sich die politischen Z. hauptsächlich seit dem Ende der 1840er Jahre vermehrt. Während 1823–47 nur 22 neue politische Z. entstanden, erschienen in den Jahren 1847–50 deren 66 neue. Ihre Zahl stieg bis 1871 auf 948 Stück, bis 1881 auf 2337, bis 1907 auf über 7000. Aber nicht nur die Entwickelung des politischen Sinnes hatte Einfluß auf die Zunahme der Z., ganz besonders auch war es der Handel, der ihre Ausbreitung beförderte. Auch hierin datiert von 1850 ein neuer Aufschwung. Während bis dahin in den Hauptplätzen des Verkehrs nur Kurszettel erschienen, hat sich seitdem eine Menge Organe entwickelt, die den finanziellen und merkantilen Interessen dienen. Nicht minder haben sich in gleichem Verhältnis die Modenzeitungen, die illustrierten und Unterhaltungsblätter gehoben, letztere wiederum in Deutschland ganz besonders seit 1871. Auch die Zahl der durch die Post beförderten Exemplare hat enorm zugenommen. Nach einer vom Reichspostamt aufgestellten Statistik wurden 1906 ca. 1706 Mill. Zeitungsnummern als solche von der Post befördert. Von großem Einfluß auf die Verbreitung der Z. war es, daß 1849 der deutsche Postkongreß in Dresden für die Beförderungsgebühren von Z. einheitliche Bestimmungen traf. Einer der wichtigsten Fortschritte aber war 1874 die Aufhebung der Zeitungsstempelsteuer im Bereich des deutschen Postgebiets zugleich mit der Kautionspflicht der Verleger. Die Z. unterliegen in Deutschland dem Postzwang (s. d.). Näheres über den Vertrieb durch die Post s. Postzeitungsdienst, Postzeitungsamt etc. In deutscher Sprache erscheinen nach der Zeitungspreisliste des kaiserlichen Postzeitungsamtes für 1907 auf der ganzen Erde 9945 Z. Die Gesamtzahl der in Deutschland publizierten Z. betrug 1907 etwa 7000, davon ca. 4000 politischen Charakters. Die katholische Presse Deutschlands hat seit 1870 einen bedeutenden Aufschwung genommen. Damals nur durch 15 Z. repräsentiert, erscheinen heute ca. 330 katholische Z. in Deutschland; dazu kommen noch viele katholische Wochen-, Monats- und sonstige illustrierte Blätter. Von den in Preußen erscheinenden ist zuerst die unter Windthorsts Auspizien 1871 in Berlin gegründete »Germania« zu nennen, welche die Interessen des päpstlichen Stuhles vertritt. Auf einen großen Leserkreis stützt sich die 1860 gegründete »Kölnische Volkszeitung«, das tonangebende Organ der rheinländischen Klerikalen. Auch der »Westfälische Merkur« (Münster), das Aachener »Echo der Gegenwart« und die »Deutsche Reichszeitung« (Bonn) sind von Bedeutung. Von den klerikalen Blättern der übrigen deutschen Staaten ist das »Mainzer Journal«, der »Bayerische Kurier« und die »Augsburger Postzeitung« nennenswert. Von katholischen Blättern, die[873] den Charakter unsrer Revuen aufweisen, sind besonders drei zu nennen, die jesuitischen »Stimmen aus Maria-Laach« (Freiburg i. Br., seit 1871), die 1838 von Phillips und Görres gegründeten, jetzt von Franz Blinder und Georg Jochner redigierten »Historischpolitischen Blätter« (München) und »Hochland«, Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, redigiert von Karl Muth (Kempten u. München). Kritischen Inhalts sind der »Literarische Handweiser« (Münster, seit 1862), die »Literarische Rundschau« (Freiburg, seit 1875) und das von der Leo-Gesellschaft herausgegebene »Allgemeine Literaturblatt« (s. Literaturzeitungen). In Österreich sind besonders das Wiener »Vaterland« und das »Linzer Volksblatt« zu nennen. Vgl. Keiter, Handbüchlein der katholischen Presse (2. Aufl., Essen 1900). Die sozialdemokratische Presse hat sich seit dem Ablauf der Dauer des Sozialistengesetzes (30. Sept. 1890) so vermehrt, daß sie jetzt über etwa 80 Z. verfügt, von denen über 50 täglich erscheinen, ferner über 2 illustrierte Unterhaltungsblätter und 2 illustrierte Witzblätter. Daneben erscheinen noch etwa 65 in sozialdemokratischem Geiste gehaltene Gewerkschaftsblätter, entweder wöchentlich oder aller 14 Tage. Das offizielle Parteiorgan ist der in Berlin erscheinende »Vorwärts« (s. d. und Sozialdemokratie, S. 636).

Die erste wirkliche deutsche Zeitung war die »Relation Aller Fürnemmen und gedenkwürdigen Historien etc.«, herausgegeben von dem Buchdrucker Johann Carolus zu Straßburg i. E., von der ein fast vollständig erhaltener Jahrgang von 1609 in der Heidelberger Universitätsbibliothek vorhanden ist. Doch hatte dieser Jahrgang von 1609, wie aus der Vorrede des Bandes zu schließen ist, bereits mehrere Vorgänger, so daß die erste deutsche Zeitung im modernen Sinn bereits mehrere Jahre vor 1609 zur Ausgabe gelangte. Seit 1615 erschien in Frankfurt a. M. die Wochenzeitung Egenolph Emmels, von der sich jedoch mit Bestimmtheit irgendwelche Blätter nicht mehr nachweisen lassen. Die nächstältesten, noch heute bestehenden deutschen Z. sind: die »Magdeburgische Zeitung« (um 1626), die »Königsberger Hartungsche Zeitung« (s. d.), die »Leipziger Zeitung« (1660), die »Jenaische Zeitung« (1674) und die »Augsburger Abendzeitung« (1690). Epochemachend war indes erst das Erscheinen der »Allgemeinen Zeitung« (gegründet 1798 von J. F. Cotta in Tübingen, seit 1810 in Augsburg, seit 1883 in München), die bis in die Mitte der 1870er Jahre das räumlich am weitesten verbreitete Blatt deutscher Zunge war, aber später durch die »Kölnische Zeitung« überflügelt wurde. Unter den preußischen Z. sind neben der »Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung«, der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung«, der »Nationalzeitung«, der »Post«, der »Vossischen Zeitung« (mit Sonntagsbeilage), der »Täglichen Rundschau«, dem »Berliner Tageblatt« u. der »Volkszeitung«, die in der Hauptstadt erscheinen (Näheres über sie und die andern Berliner Z. s. im Artikel »Berlin«, S. 699, und die betreffenden Einzelartikel), die »Kölnische Zeitung«, die »Frankfurter Zeitung«, die »Magdeburgische Zeitung« und die »Schlesische Zeitung« (Breslau) durch Fülle des Inhalts hervorragend. Das amtliche Organ der Regierung ist allein der »Deutsche Reichs- und königlich preußische Staatsanzeiger«. In Bayern verdienen außer der (1908 eingegangenen) »Allgemeinen Zeitung« und den »Münchener Neuesten Nachrichten« nur noch der »Bayerische Kurier«, die »Augsburger Abendzeitung«, die »Augsburger Postzeitung« und der »Fränkische Kurier« in Nürnberg Erwähnung. Württemberg wird durch den »Schwäbischen Merkur« und das »Neue Tagblatt« vertreten. Sachsen besitzt außer der amtlichen »Leipziger Zeitung« kein Tageblatt von politischer Bedeutung. Am verbreitetsten sind die »Dresdener Nachrichten«, das »Leipziger Tageblatt« und die die Bismarcksche Politik vertretenden »Leipziger Neuesten Nachrichten«. Wenn man von der »Karlsruher Zeitung« und der »Badischen Presse« absieht, hat außerdem nur noch die Presse der Freien Städte in Deutschland Bedeutung. In Hamburg erscheinen der »Hamburger Korrespondent«, der mit Berliner Regierungskreisen in Verbindung steht, und die »Hamburger Nachrichten« (die das Organ des Fürsten Bismarck nach seinem Rücktritt waren); in Bremen kommt die »Weserzeitung« heraus, und ein großer Teil Süddeutschlands wird durch die »Frankfurter Zeitung« mit Nachrichten versorgt. Die in den letzten Jahren in fast allen größern Städten entstandenen billigen und zum Teil in sehr hoher Auflage erscheinenden »Generalanzeiger« sind zumeist reine Lokalblätter ohne politische Färbung. Unter den Witzblättern politischen Inhalts steht der 1848 von Hofmann und Kalisch gegründete »Kladderadatsch«, unter den nichtpolitischen die in München erscheinenden »Fliegenden Blätter« (1845 von Braun und Schneider gegründet) obenan. Nach ihnen sind der »Ulk« und die »Lustigen Blätter« (beide in Berlin erscheinend) sowie der scharf-satirische »Simplicissimus« in München zu nennen. Unter den Unterhaltungsblättern steht die von Ernst Keil 1853 gegründete »Gartenlaube«, das einzige Blatt, das an Leserzahl mit den ausländischen Organen konkurrieren kann, voran. Ihr zunächst kommt die von Hallberger begründete illustrierte Wochenschrift »Über Land und Meer« (Stuttg., seit 1858). Vortreffliche Leistungen artistischer Natur bietet J. J. Webers »Illustrirte Zeitung« (Leipz., seit 1843). Eine besondere Abart dieser illustrierten Z., denen sich noch das »Daheim«, »Zur guten Stunde«, »Moderne Kunst«, »Universum«, die »Jugend«, die ausgesprochen katholische Zeitschrift »Alte und Neue Welt« u. a. anreihen, bilden die Modenzeitungen (s. Mode). Dem Charakter der »Revue des Deux Mondes« streben nach die von J. Rodenberg in Berlin geleitete »Deutsche Rundschau« (seit 1874), die »Deutsche Revue« (seit 1876), »Nord und Süd« (seit 1877), sämtlich Monatsschriften, und der »Kunstwart« (seit 1887), eine Halbmonatsschrift. Mehr der Unterhaltung sind »Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte« (Braunschw., seit 1856), »Velhagen und Klasings Monatshefte« (seit 1886) und die »Arena« (seit 1906) gewidmet. Von den politisch-literarischen und kritischen Journalen sind neben den ältern »Grenzboten« (s. d.) die seit 1872 erscheinende »Gegenwart«, »Das literarische Echo«, herausgegeben von J. Ettlinger (seit 1899), und M. Hardens »Zukunft« (seit 1892) zu nennen. Politische und wissenschaftliche Interessen vertreten die »Preußischen Jahrbücher«, gegründet 1858, und »Morgen«, Wochenschrift für deutsche Kultur, herausgegeben von Werner Sombart u. a. in Berlin, gegründet 1907. Ausgezeichnet ist die deutsche Journalistik auch durch eine Fülle fachwissenschaftlicher Zeitschriften. Die wichtigsten sind bei den Artikeln der betreffenden Wissenschaften angegeben. Über die Literaturzeitungen s. d. Spezielle Nachweise geben: der offizielle Zeitungskatalog (Preisliste) des deutschen Postzeitungsamtes und Sperlings »Zeitschriften-Adreßbuch« (Stuttg., jährlich), zum Teil auch die Kataloge der Annoncenexpeditionen[874] von Haasenstein u. Vogler und R. Mosse. – Über das Zeitungswesen des Auslandes vgl. die Textbeilage, auch die Artikel über die einzelnen Nationalliteraturen etc. Über die Verhältnisse der Z. zu den gesetzlichen und polizeilichen Bestimmungen der einzelnen Länder s. Presse, S. 284 f.

Vgl. Brunhuber, Das moderne Zeitungswesen (Leipz. 1907); J. J. David, Die Zeitung (Frankf. a. M. 1906); Wehle, Die Zeitung, ihre Organisation und Technik (2. Aufl., Wien 1883); Wrede, Handbuch der Journalistik (Berl. 1902); G. Schmidt, Kauf, Gründung und Finanzierung von Z. (Leipz. 1903); Kürschners Handbuch der Presse (Berl. 1902); Webel, Handlexikon der deutschen Presse (Leipz. 1905); v. Holtzendorff, Wesen und Wert der öffentlichen Meinung (Münch. 1879); E. Löbl, Kultur und Presse (Leipz. 1903); Meißner, Studien über das Zeitungswesen (mit andern, Festgabe für Adolf Koch, Frankf. a. M. 1907); Luck, Die deutsche Fachpresse, eine volkswirtschaftliche Studie (Tübing. 1908); Sells Dictionary of the world's press (Lond., jährlich) und die in der Textbeilage verzeichneten Werke über die ausländische Presse. – Zur Geschichte: E. Weller, Die ersten deutschen Z. (Literar. Verein in Stuttgart, 1872); O. Opel, Die Anfänge der deutschen Zeitungspresse 1609–1650 (im »Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels«, Bd. 3, Leipz. 1879); R. Graßhoff, Die brieflichen Z. des 16. Jahrhunderts (Dissertation, das. 1877); R. Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus (nur 1. Bd., Hannov. 1845); H. Wuttke, Die deutschen Zeitschriften (3. Aufl., Leipz. 1875); L. Salomon, Geschichte des deutschen Zeitungswesens (Oldenburg 1900–06, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 873-875.
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