Grammatiker

[535] Grammatiker (Grammaticus, v. gr.), zur Zeit des Plato Einer, welcher sich mit den Buchstaben (Grammăta), deren Natur, wechselseitigem Verhältniß u. Zusammenhang unter einander beschäftigte. Die Kenntniß dieser Elemente der Sprache bildete die erste Stufe des Unterrichts, welcher von Privatlehrern, die den Namen Grammatistä führten, ertheilt wurde. Dasselbe Verhältniß bestand noch zur Zeit des Aristoteles. Wenn sich auch einzelne Grammatiker schon damals auch mit Kritik u. Erklärung der gelesenen Literaturwerke beschäftigen mochten, so ist doch von einem eigentlichen Sprachgelehrten, etwa mit Ausnahme des Likymnios, in dieser Periode noch nicht die Rede. Letzteres fand erst im Alexandrinischen Zeitalter statt, wo sich die Grammatik als der Beruf des G-s zu einem solchen Umfange ausdehnte, daß man darunter die ganze Gelehrsamkeit über das Alterthum begriff, wie man jetzt auch unter Grammata nicht mehr blos die Buchstaben, sondern die Schätze der Literatur in formaler u. realer Beziehung verstand. Der G. mußte alles umfassen, was zum Verständniß für die Kritik u. die Erklärung eines Dichters od. sonstigen klassischen Schriftstellers nöthig war. Die Alexandrinischen Grammatiker beschäftigten sich daher nicht blos mit Untersuchungen über Theile der Grammatik im engeren Sinne des Wortes, mit der Erklärung fremder u. veralteter Wörter u. Redensarten, mit Sammlung erläuternder Stellen aus anderen Schriftstellern; sondern auch mit der Erklärung ganzer Werke, mit der Lösung von Fragen über einzelne schwierige Stellen, mit größeren od. geringeren Veränderungen u. Recensionen älterer Werke, bes. des Homer, mit dramaturgischen Sammlungen u. Didaskalien u. mit Verfertigung von kritischen Verzeichnissen der für klassisch gehaltenen Schriftsteller. In allen diesen Beziehungen wirkten: Zenodotos (280 v. Chr.), Aristophanes von Byzanz (221–180), Aristarchos (156 v. Chr.), Krates aus Mallus (167 v. Chr.), der mit seiner Schule zu Pergamum in Gegensatz zu den Alexandrinern trat, Dionysios der Thracier (60 v. Chr.), Didymos aus Alexandrien (30 v. Chr.), Zoilos. Es folgen dann Asklepiades aus Myrlea (50 n. Chr.), Tryphon aus Alexandria, zur Zeit des Augustus, Älios Dionysios aus Halikarnaß (130 n. Chr.), Apollonios Dyskolos (160 n. Chr.) u. dessen Sohn [535] Älius Herodianus, Drako aus Stratonice in Karien (gegen Mitte des 2. Jahrh.), Hephästion, Longinos, Proklos aus Sicca, Lehrer des Kaisers M. Antoninus, Arkadios (200 n. Chr.), Dositheos Magister, Lesbonax, Georgios Cöroboskos (400 n. Chr.). Einige der genannten haben auch Schriften zur Sprachlehre u. Sprachphilosophie hinterlassen, wie z.B. Apollonios Dyskolos. Zu den G-n zählen auch die Verfasser der verschiedenen Onomatologica (s.d.) u. Lexica (s.d.), sowie die Schriftsteller über die griechischen Dialekte u. die Scholiasten. Sammlungen eines Theiles der noch übrigen Schriften der griechischen Grammatik in Grammatici graeci, Vened. 1495–1524, 6 Bde.; in den Anecdota graeca von Villoison, ebd. 1781, 2 Bde., Bekker, Berl. 1814–21, 3 Bde., Bachmann, Lpz. 1828, 2 Bde., u. Cramer, Oxf. 1835–1837, 3 Bde.; bei Dindorf, Grammatici graeci, Lpz. 1823, etc. Von den älteren römischen G-n sind fast nur noch die Namen bekannt, bis auf Verrius Flaccus, von dessen Schrift nur Fragmente übrig sind. Vollständige Schriften besitzen wir noch von M. Terentius Varro, der neben Nigidius Figulus für den größten Gelehrten seiner Zeit galt. Unter den Kaisern lebten C. Melissus, M. Pomponius Marcellus, Q. Asconius Pedianus, der den Cicero commentirte; der ältere Plinius, der ein verlorenes Werk De dubio sermone latino schrieb; Q. Rhemmius Fannius Palämon; dessen Zeitgenoß M. Valerius Probus (60 n. Chr.), Suetonius, der Stoiker Cornutus, der Commentator des Virgil; L. Calpurnius Piso (111 n. Chr.), Velius Longus, M. Terentius Scaurus, M. Cornelius Fronto, Aulus Gellius, Nonius Marcellus (wahrscheinlich gegen Ende des 2. Jahrh.), Censorinus (238 n. Chr.), Terentianus Maurus (250 n. Chr.), Sextus Pompejus Festus, Flav. Caper (300 n. Chr.), Älius Donatus, Fabius Marius Victorinus (um 354), Max. Victorinus, Flav. Mallius Theodorus (399 n. Chr.), Jul. Severus, Macrobius, Servius, Marius Sergius (5. Jahrh.), Cledonius, Helenius Acro u. Pomponius Porphyrio, Jun. Philargyrius, Flav. Sofipater Charisius, Diomedes Argrötius, P. Confentius (um 450), der heilige Augustinus, Marcianus Capella, Claudius Sacerdos u. eine Anzahl Anonyme (herausgeg. von Endlicher, Analecta Vindobonensia, Wien 1837). Die Grammatiker waren in der ersten Zeit zu Rom ebenfalls nur Privatlehrer, wenn auch an mehreren höheren Lehranstalten des Reichs, wie zu Athen, Tarsus, Rhodus, Alexandria, Apollonia, Massilia dieselben gewissermaßen angestellt waren. Erst unter Vespasian erhielten die öffentlich lehrenden Grammatiker u. Rhetoren eine Besoldung von Staatswegen, bis ihnen unter Hadrian (117–38), der das Athenäum, eine hohe Schule, gründete, noch mehr Vortheile zuflossen. In noch höherem Grade geschah dies in Constantinopel, wo Theodosius II. u. Valentinianus III. (425 n. Chr.) eine Akademie begründeten, an welcher 20 griechische u. römische Grammatiker, 8 Rhetoren, 2 Juristen u. 1 Philosoph angestellt wurden. Dabei bestanden natürlich noch die Grammatiker als Privatlehrer fort. In letzterem Falle hießen sie bei den Römern Literator, Literarius, Primus magister, Ludi magister, während der eigentliche Grammatiker Literatus, seine Wissenschaft u. Thätigkeit aber Grammatica, od. auch Literatura genannt wurde (s. Literatur). Auch führten die letzteren, wie die Lehrer der Rhetorik u. Philosophie, den Ehrentitel Professores. Sammlungen lateinischer Grammatiker veranstalteten Godofredus (1622), Putsch (Hanau 1605), Lindemann (Corpus grammaticorum, Lpz. 1831–32, 1.–3. Bd., unvollendet) u. Keil u. Hertz (Lpz. 1854 ff.). Vgl. Gräfenhan, Geschichte der klassischen Philologie im Alterthume, Bonn 1843–50, 1.–4. Bd.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 535-536.
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