[65] Philolŏgie (v. gr.), im modernen Sinne des Wortes diejenige Wissenschaft, welche den Geist eines Volkes, in den verschiedenen Lebensbedingungen u. Zuständen, in denen u. unter deren Einfluß derselbe sich geoffenbart hat, zu erforschen u. darzustellen sucht. Wenn auch die Sprache eine der wichtigsten Schöpfungen ist, in welcher der Geist eines Volkes zum Ausdruck kommt, so ist die Betrachtung derselben einerseits nur ein Theil der wissenschaftlichen Thätigkeit der Philologen, andererseits muß sie dieselbe in einer ganz anderen Weise u. von einem anderen Gesichtspunkte aus verfolgen. Es besteht daher ein wesentlicher Unterschied zwischen P. u. Linguistik. Der Philolog betrachtet die Sprachen nur als Mittel zum Zweck u. beleuchtet sie nur im Zusammenhange mit allen übrigen Offenbarungen des Geistes eines Volkes; der Linguist hingegen setzt sich die Sprache selbst als Zweck, sucht den Organismus derselben zu begreifen, erforscht, wie mannigfach der menschliche Geist seine Gedanken u. Vorstellungen ausgedrückt hat, u. sucht die verschiedenen Ausdrucksformen nach ihrem Wesen u. ihrer Bedeutung zu erkennen, s. Linguistik. Die P. wendet sich daher vorzugsweise nur Culturvölkern zu, während für den Linguisten eine jede Sprache, auch die des uncultivirtesten, rohesten Volkes, gleiche Wichtigkeit besitzt. Die P. ist daher auch eine historische Wissenschaft, während die Linguistik zu denjenigen Disciplinen zählt, welche den Menschen u. seine Natur zum Gegenstand haben. Wie der Philolog, wenn er Dinge der Sprache bearbeitet, andere Sprachen je nach Bedürfniß in sein Bereich ziehen muß u. seine Forschung vorzugsweise todten Sprachen od. wenigstens früheren Sprachniedersetzungen zuwendet; kann der Linguist auch der Ergebnisse der philologischen Sprachbetrachtungen nicht entbehren, wenn auch ihm, den lebenden Sprachorganismen gegenüber, die ausgestorbenen Sprachen gleich Petrefacten erscheinen. Es gibt so viel verschiedene P-n, als es Culturvölker gibt, d.h. Völker, welche zu einer Literatur in ihrer Sprache, einer Kunst, einer Religion, einem geschichtlichen Leben überhaupt gelangt sind. In Wirklichkeit jedoch hat sich bis jetzt nach Vorgang der Klassischen P. (s. unten) die Erforschung. des Volksgeistes nur in wenigen Fällen zu einer eigenen u. selbständigen Wissenschaft gestaltet, wenn auch die Keime zu mehrern bereits in der Entfaltung begriffen sind. Man kann als selbständige Glieder der philologischen Wissenschaft jetzt etwa betrachten außer der Klassischen P.: die Orientalische P., in welcher die Chinesische (Ostasiatische), die Indische, die Persische (Iranische), die Semitische (mit der Phönicische, Hebräischen, Arabischen u. Jüdischen) u. die Ägyptische bereits zu besonderen Forschergebieten u. Disciplinen geworden sind; die Romanische; die Celtische; die Deutsche od. Germanische mit der Skandinavischen; die Slawischen u. die Finnische. Da der Philolog auch die früheren Zustände eines Volkes zu berücksichtigen u. den Geist desselben in seinen Werken u. seiner Entwickelung zu verfolgen hat, so wird seine Thätigkeit, wenn auch nicht erschöpfend, häufig als Alterthumswissenschaft bezeichnet. Bei jüngeren Völkern, wie bes. bei den Romanischen, deren Entwickelung erst in das Mittelalter unter dem Einfluß des Christenthums fällt, sowie bei einigen orientalischen Völkern, deren Cultur erst durch den Islam od. Buddhismus hervorgerufen wurde, somit ein eigentliches Alterthum (in culturhistorischem Sinne) nicht besessen haben u. eine eigene nationale Religion, nationales Recht, nationale Kunst etc. volkswüchsig nicht entwickeln konnten, ist die Thätigkeit des Philologen daher vorzugsweise auf die Sprache u. Literatur angewiesen, wenn er auch nicht versäumen darf, die Eigenthümlichkeit der Schattirungen, welche ein jedes Einzelvolk auch in Bezug auf öffentliches Leben, häusliche Sitte, künstlerische Production, religiöse Denkweise, wissenschaftliche Neigung etc. von einem andern, ethnographisch wie culturhistorisch noch so nahe verwandten (Franzosen, Spaniern. Italiener; Deutsche, Niederländer u. Engländer; Dänen, Schweden u. Norweger) unterscheidet, in das Bereich seiner Betrachtung zu ziehen. Dagegen wird nach der anderen Seite hin die P. wiederum fast ganz zur Alterthumswissenschaft, wenn es sich um Völker handelt, deren Sprache erstorben u. deren nationale Culturblüthe untergegangen ist. So die Altindische, die Persische, die Phönicische, die Ägyptische, die Altklassische P. Bei den Völkern, welche mit ihrer Volksthümlichkeit bis in das Alterthum (heidnische Zeit, im Gegensatz zur modernen, christlichen od. moslemischen) reichen, wie die Deutschen,[65] Skandinavier, Slaven, Finnen, Perser, Araber, in anderer Weise die Chinesen, hat man zwischen Alterthumswissenschaft u. P. zu scheiden versucht, jedoch mit Unrecht, da die neueren Zustände geistiger Cultur aus den vorausgegangenen zu erklären, diese älteren aber ohne Kenntnißnahme der neueren nicht zu erforschen u. zu beleuchten sind.
Die Klassische P., welche deshalb auch vorzugsweise P. heißt, ist in Bezug auf innere Gliederung u. Methode das mehr od. minder maßgebende Vorbild geworden, u. es mußte dieses geschehen, da sie nicht bloß an Alter, sondern auch an Reise u. Vollkommenheit des Organismus alle übrigen Philologien überragt. Die. Anfänge der philologischen Thätigkeit gehen bis in das Alterthum selbst zurück. Dasselbe gilt auch von dem Namen P., doch bezeichnete dieser anfänglich nur Liebe zum Reden, Gefallen an Unterhaltung; wenn sich bei Plato Sokrates einen Philologen nennt, so sind darunter die wissenschaftlichen Unterhaltungen verstanden, in welchen er seine philosophischen Lehren auszusprechen u. mitzutheilen pflegte. Als jedoch um die Zeit u. mit Aristoteles die frische Productivität des griechischen Geistes aufhörte u. die Betrachtung der geistigen Schätze der Vergangenheit zum Ersatze dafür begann, wurde es eine Pflicht der Gebildeten, von den vorhandenen Werken der Literatur u. Kunst Kenntniß zu nehmen, zu gleicher Zeit zog sich aber diese Bildung in die Schule zurück u. wurde ein Vorzug derer, welche die Mittel zu ihrer Erwerbung besaßen. Diese allgemeine Bildung von wesentlich reproducirendem historischem Charakter, aber ohne Beschränkung auf ein einzelnes Gebiet, hieß in den letzten Zeiten P., u. das Wort kam in dieser Bedeutung zu den Römern. Männer, welche diese universelle Gelehrsamkeit in höherem Grade besaßen, wurden in lobender Weise Philologen genannt; so wird von Eratosthenes (190 v. Chr.) u. von dem späteren gelehrten Römer Attejus berichtet. Hauptsitze dieser polyhistorischen Gelehrsamkeit waren Alexandria, auf kürzere Zeit auch Pergamum. Vorzüglich waren es die Grammatiker, welche durch ihr ursprüngliches Hauptgeschäft, die Erklärung der Dichter, auf diese Polyhistorie geführt wurden. Die Grammatik war damals noch ein Studium, welches von Vielen selbständig betrieben wurde, ohne daß sie deshalb Philologen waren; auch die Philosophie trat nur dann im Gegensatz zur P., wenn dieselbe als freie Speculation betrachtet wurde. Als man die gesammte P. in eine Encyklopädie derjenigen Disciplinen zusammenfaßte, welche den allgemeinen höheren Unterricht ausmachen sollten, wurde der Inbegriff der sogenannten sieben freien Künste (das Trivium: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, u. das Quadrivium: Musik, Arithmetik, Geometrie u. Astronomie) mit dem Namen P. bezeichnet, wie von Marcianus Capella, der im 5. Jahrh. n.Chr. sein Buch verfaßte, welches im Abendlande fast das ganze Mittelalter hindurch das gewöhnliche Lehrbuch dieser Encyklopädie gewesen ist. Im Mittelalter blieb diese Gliederung u. Begrenzung des Unterrichts stets dieselbe, wenn auch der Name P. nicht gebräuchlich war. Die antike P. war doch auf einen ihr ganz fremden Boden verpflanzt, u. es bedurfte einer langen Zeit unklarer Gährung, ehe man in der christlich germanischen Welt zu einer gereinigten Erkenntniß des überkommenen Schatzes gelangte. Die Verbindung des Mittelalters mit dem Klassischen Alterthum blieb Jahrhunderte lang nur eine mittelbare, getrübt durch Unrichtigkeiten u. Mängel aller Art, die Kenntniß von demselben allein in den Händen der Geistlichen, welche dieselbe in den Klöstern pflegten u. in ihren Schulen lehrten. Die Kenntniß der Alten blieb der kirchlichen Lehre u. scholastischen Wissenschaft dienstbar. Man paßte die Lateinische Sprache im Gebrauche dem kirchlichen u. wissenschaftlichen Bedürfniß an, ohne daran zu denken, daß die Norm für dieselbe in den Schriften der alten Römer liege; die Schätze der Griechischen Literatur waren nur sehr mangelhaft u. dann fast nur durch lateinische Übersetzungen (wie namentlich des Aristoteles) zugänglich. Doch waren im Laufe der Zeit die Antriebe immer kräftiger geworden, welche über diesen Zustandhinausführen sollten. Das in Italien niemals außer Brauch gekommene Römische Recht, der zunehmende Verkehr mit Byzanz u. Anderes erregten das Interesse für das Griechische in Italien u. brachten manche Kenntnisse dahin, namentlich wurden die Schriften der griechischen Ärzte alsbald für den praktischen Gebrauch durch Übersetzung in das Lateinische nutzbar gemacht. Die mit diesem Aufleben wissenschaftlichen Interesses in Wechselwirkung stehende Begründung von Universitäten in Italien schuf Mittelpunkte u. Sammelplätze für immer ausgedehntere Studien u. erweckte das Bewußtsein, daß die Altrömische Literatur nur eine abgeleitete sei u. daß die Griechische einen weit größeren Schatz des Inhaltes biete.
Das Abendland war somit allmälig reif geworden, um die Reste altgriechischer Bildung, welche noch in dem dahingewelkten Byzantinischen Reiche vorhanden waren, bei sich aufzunehmen, in seinem Schoße zu pflegen u. zu einer neuen u. fruchtbaren Wirksamkeit zu führen. Ehe das Byzantinische Reich unter der Macht der barbarischen Türken zusammenbrach, war diese erneuerte Übertragung bereits vollendet; der Kern des großen Umschwungs der gesammten Abendländischen Cultur, welchen man gewöhnlich die Wiedergeburt der Wissenschaften zu nennen pflegt, bildete die P. Der Umfang derselben war Anfangs, wie im Alterthum, unbestimmt u. grenzenlos, indem sie alle Wissenschaften umfaßte u. beherrschte; unter den namhaftesten Gelehrten jener Zeit dürfte sich keiner finden, der nur Philolog gewesen u. nicht auch eine andere besondere Wissenschaft bevorzugt hätte. Die erste Aufgabe der neuerblühenden, auf die unmittelbare Kenntniß des klassischen Alterthums gestützte Wissenschaft war die Bekämpfung der mittelalterlichen scholastischen Wissenschaft u. Lehrweise, sowie Ersatz der gebräuchlichen Lehrbücher durch neue; vor Allem drang man darauf, daß das Lateinische gereinigt u. nach den altrömischen Vorbildern gelehrt u. gebraucht wurde. Obgleich die Vertreter der neuen Richtung, weil sie sich angeblich bloß mit einer ergetzlichen u. leichtfertigen Literatur beschäftigten, spottweise Poeten (Poetae) genannt wurden, so war die alte scholastische Weise doch bald aller Orten besiegt. Um diese Sprachreinigung erwarben sich Verdienste in Italien außer Petrarca u. Boccaccio namentlich noch Laurentius Valla, ferner Mancinelli, Sulpicius u. A.; in Spanien Antonius von Nebrixa, in Frankreich Tardivus, Budäus, Despanterius, in Deutschland Wympfeling, Celtes, Bebelius, Brassicanus, Henrichmann, Herm. Busch, Lange u. v. A. Diese überwiegend grammatischen u. stylistischen Bestrebungen wurden die Ursache, daß[66] die P. od. Studia humanitatis, wie man sie nannte, vorzugsweise auf die formale Kenntniß der Klassischen Sprachen bezogen wurden u. man darunter mehr eine Kunst, die der Beredtsamkeit, verstand. Andere verlangten von einem Philologen od. Humanisten die Kenntniß alles des Stoffs, welcher nach Cicero's Definition mit Beredtsamkeit behandelt werden kann. Diese Auffassung der P., so oft u. eindringlich sie auch von den Humanisten des 15. u. 16. Jahrh. in Reden, Briefen u. Schriften (z.B. Budäus, De philologia, Busch, Vallum humanitatis) empfohlen wurde, konnte doch auf die Dauer der Zeit nicht haltbar bleiben. Die Romanischen Völker, bes. die Italiener, hatten zwar die humanistischen Studien lebhaft u. begeistert ergriffen, allein bald fühlten sie sich mit den von ihnen leicht begriffenen u. gehandhabten antiken Formen der Prosa u. Poesie befriedigt, u. die P. ist bis auf neuere Zeit herab in Italien im Ganzen überwiegend die formale u. stylistische Lateinische geblieben, wenn auch die mannichfaltigen Reste des Alterthums, bes. der alten Kunst, nach andern Seiten hin anregend wirkten. In den deutschen Ländern hingegen, in England u. zum Theil auch in Frankreich wurde das philologische Studium sofort auf die kirchliche Lehre u. die Philosophie bezogen u. wurde daher zu einem der vorzüglichsten Förderungsmittel u. Stützen der kirchlichen Reformation. Wenn auch von der Protestantischen Kirche die P. mit großem Fleiß u. Vorliebe gepflegt wurde, so blieb sie doch auch hier noch in derselben Unbestimmtheit des Begriffs wie zuvor u. wurde deshalb nur so hoch geschätzt, weil sie der Theologie u. andern Wissenschaften eben die ersprießlichsten Dienste leistete. Sie führte letzteren die formale philologische Bildung zu, soweit dieselben ihrer bedurften; ging die P. darüber hinaus, so wurde sie immer wieder zu einer mehr od. weniger umfassenden Encyklopädie verschiedener Wissenschaften u. der Philolog zu einem Polyhistor. Zuletzt wurde die P. in dieser Weise aufgefaßt von Joh. Matthias Gesner (s.d.) u. von Joh. Aug. Ernesti in seinen Initia doctrinae solidioris. Bei dem Fortschreiten der modernen Wissenschaft war jedoch eine solche Polymathie auf die Dauer unmöglich. Man erklärte daher die P. bloß für einen Theil der Polymathie u. beschränkte sie auf die Kenntniß der Sprachen u. des gesammten Alterthums od. der Geschichte, wie Joh. Wowerius, Casaubonus, Joh. Gerh. Vossius u. A. Andere Philologen hingegen faßten die P. als Sprachwissenschaft auf u. erklärten Grammatik, Kritik u. Hermeneutik als deren drei Haupttheile, u. diese Auffassungsweise war, trotz ihrer Einseitigkeit, eine sehr allgemeine; sie fand neben der soeben erwähnten u. der polymathischen namentlich im 17. u. 18. Jahrh. große Verbreitung. Ihr letzter großer Vertreter war Gottfried Hermann in Leipzig; ihr System hat in seiner ganzen Schwäche gezeigt Matthiä (Encyklopädie u. Methodologie der P., Lpz. 1835); andere Anhänger u. Vertheidiger desselben sind Jahn, F. W. Fritzsche, Kirchner, C. E. Chr. Schneider u. A. Noch einseitiger war der Standpunkt, welchen Hemsterhusius u. seine namentlich in Holland blühende Schule einnahm, indem er als Mittelpunkt u. Ziel dor P. nur die Kritik hinstellte, u. somit Kenntniß des gesammten Alterthums nur dazu dienen sollte, um gelegentlich verdorbene Textstellen zu verbessern.
Obgleich sich diese Richtungen bis auf die Gegenwart herab einzelne Anhänger bewahrt haben, so ist doch die P. längst in eine ganz neue Lebensperiode eingetreten. Diese zweite Wiedergeburt erfolgte in Deutschland, welches von nun an die eigentliche Pflegestätte für diese Wissenschaft blieb. Die Anregung zu dem Umschwunge gab vorzüglich dem mit der Mitte des 18. Jahrh. praktisch u. lebendig gewordene Sinn für das Schöne, welcher in den Werken des Alterthums die unerreichten Muster aller Kunst erkennen lehrte. Infolge der Bestrebungen Winckelmanns u. Lessings bildete sich ein Enthusiasmus für das antike Schöne aus, welcher nicht bloß das in der Kunst, sondern auch das im Leben erfaßte; das Studium des Alterthums gewann dadurch eigenthümlichen Werth, so daß es auch um seiner selbst willen betrieben zu werden anfing. Bei dieser geistigen Bewegung, welche mit dem im Volke lebhaft erregten Interesse für die schöne Literatur in enger Verbindung stand, blieben die Philologen nicht zurück; Christ, Klotz, Ernesti, Saxe u. namentlich Heyne zogen die Archäologie u. die künstlerische Seite der Literatur in das Bereich ihrer Studien, der Letzte sah sogar diese Seite für die. bedeutungsvollste an u. wollte die P. mit der Ästhetik verbunden u. aus beiden eine eigene Facultät gebildet wissen. Indem man jedoch bald zur Einsicht gelangte, daß die Kunst, namentlich bei den Griechen, nicht als eine isolirte Erscheinung genommen werden dürfe, sondern weil sie in Glauben, Sitte, öffentlichem Leben u. Geschichte ihre Antriebe u. Zielpunkte finde, auch nicht ohne dieses Ganze richtig verstanden werden könnte, so wandte sich das Interesse auch bald dem ganzen antiken Leben zu. Die P., welche bis jetzt mehr nur als Hülfsdisciplin für die medicinischen, juristischen u. theologischen Fachstudien gegolten hatte, gewannen hierdurch ein ganz neues Interesse u. neben den übrigen Wissenschaften eine selbständige Stellung. Diese Emancipation der P. wurde durch F. A. Wolf (s.d.) wissenschaftlich vollendet. Wenn er die P. auch nicht zu einem wohlgegliederten Ganzen zu organisiren vermochte, so machte er doch das gesammte Alterthum zum selbständigen Gegenstand der P., welche er deshalb auch Alterthumswissenschaft nannte; er bearbeitete ferner in einer Reihe von Werken einzelne Theile seiner Wissenschaft, wodurch er neue Wege bahnte; endlich schaffte er auch der P. eine praktische Lebensstellung, indem namentlich durch seine Einwirkung der Gymnasialunterricht Männern überwiesen wurde, welche sich der P. berufsmäßig gewidmet hatten. Einen Schritt weiter that A. Böckh, indem er auf das Entschiedenste u. Wirksamste den historischen Charakter der P. zur Anerkennung brachte. Andere, wie O. Müller, G. Bernhardy, F. Ritschl, obgleich sie im Einzelnen abweichen, stehen doch im Ganzen auf der von Wolf geschaffenen Grundlage, überhaupt haben sich die anderen Richtungen nur noch weniger Namen von Bedeutung zu erfreuen.
In neuester Zeit hat G. Haase eine vollständige Systematisirung der P. aufgestellt, welche sich dadurch auszeichnet, daß sie in dem Schemaselbst die geschichtliche Entwickelung des Alterthums ohne Künstlichkeit u. Zwang in der Anordnung sich darstellen läßt. Nach demselben muß die P. das ganze Wesen des Alterthums, die Offenbarung des in ihm waltenden Geistes nach allen Seiten u. in seiner Entwickelung von den ersten Anfängen an bis zu dem Untergange seiner Träger vollständig darlegen. Das System[67] selbst unterscheidet instrumentale Disciplinen von den Hauptdisciplinen, beiden gehen zwei einleitende Disciplinen voraus: die Geschichte der P. u. die Encyklopädie der P., von denen die erstere den Begriff der ganzen Wissenschaft praktisch od. geschichtlich, letztere denselben systematisch zu entwickeln hat. A) Die Instrumentalen Disciplinen zerfallen in drei Gruppen: a Repertorien des Stoffs: die Literaturgeschichte u. die Epigraphik für die Literatur; die Museographie u. Numismatik für die Erzeugnisse der Kunst; die Bibliographie für die Kunde der Handschriften u. Bücher als der neuern Hülfsmittel; b) die Hülfsmittel zu dem Verständniß der Documente (in der Praxis durch den Schulunterricht zu erstreben): die Lexikographie; die Grammatik (in praktischer od. populärer Form); die Reallexika; c) Disciplinen, welche lehren, in welcher Weise das von den obengenannten Disciplinen gewährte Verständniß auf den Stoff anzuwenden sei, welchen die unter a) genannten Disciplinen vorlegen: die diplomatische od. niedere Kritik mit der Paläographie; die Hermeneutik; die höhere Kritik. B) Die Hauptdisciplinen sollen unmittelbar den Geist des Alterthums in den verschiedenen Zuständen u. Lebensbedingungen darstellen, in denen u. unter deren Einfluß er sich offenbart hat. Hier sind zu unterscheiden: a) die Alte Geographie, welche die Natur des Landes u. Klimas darlegt, als der außergeschichtlichen Lebensbedingungen, unter dessen Einfluß die Zustände der Völker, hier namentlich der Griechen u. Römer, sich gestaltet haben; b) die Darstellung der Urzustände als Einleitung zur geschichtlichen Zeit, od. Mythologie u. Cultus, worin die älteste Zeit eines Volkes ihre ganze Weltanschauung u. Erkenntniß niederlegt; c) die geschichtlichen Lebensbedingungen, denen außer den genannten beiden Disciplinen die Geschichte des Alterthums zur Einleitung dient, welche sich selbst aber in drei Gebiete zerlegen: aa) das Gebiet der Sittlichkeit, das praktische Leben, behandelt in den Antiquitäten des öffentlichen u. Privatlebens; bb) das Gebiet der Kunst, zerfallend α) in das Gebiet der redenden Kunst, welches die Grammatik, als die Theorie u. Kunst des Sprechens mit der Prosodie, die Poetik od. die Geschichte des Dichtens nebst der Metrik u. die Rhetorik od. die Geschichte der Kunst des Redens mit der Lehre vom Numerus umfaßt; β) in das Gebiet der nachahmenden Kunst, wohin die Gymnastik, die Musik, die Mimik; endlich y) in das der bildenden Kunst, wohin die Architektonik, die Plastik, die Malerei gehören; cc) das Gebiet der Wissenschaft, welches wiederum in die allgemeine Culturgeschichte u. die Geschichte der einzelnen Wissenschaften zerfällt. Vgl. G. Haase in der Allgemeinen Encyklopädie von Ersch u. Gruber (Sect. III., Bd. 23, Lpz. 1847).
Während sich so in Deutschland die P. zu einer in sich selbst wohlgegliederten u. mit vollem Bewußtsein entwickelnden Wissenschaft gestaltete, vermochten die übrigen Länder hiermit nicht Schritt zu halten mit Ausnahme etwa von Skandinavien u. den Niederlanden, obgleich in letzterem noch die alte von Hemsterhusius vertretene Richtung vorherrscht. In England u. Nordamerika entfaltet sich namentlich durch deutsche Einflüsse ein regeres u. wissenschaftlicheres Studium des Alterthums, doch können sich die Leistungen dieser Länder mit Deutschland nicht vergleichen. Italien huldigt noch immer der Richtung auf formale u. stylistische Latinität, wenn hier auch die archäologischen, numismatischen u. epigraphischen Schätze des eigenen Landes viele treffliche Bearbeiter gefunden haben. Spanien u. Portugal sind über den Standpunkt des 16. Jahrh. nicht hinaus, eher noch zurückgekommen; in Frankreich ist neuerer Zeit, jedoch vorzugsweise von dort naturalisirten Deutschen (Hase, Dübner, Müller, Egger etc.) manches gute Werk erschienen. Überhaupt haben die Romanischen Völker u. die Engländer auch an der Bearbeitung ihrer eigenen Sprachen bewiesen, daß sie einer streng methodischen philologischen Thätigkeit nicht gewachsen sind. Was die Slawen für die klassische P. geliefert haben ist von keiner großen Bedeutung, doch zeigen die Leistungen derselben über ihre eigene Sprache u. ihr eigenes Alterthum, daß ihnen, bei deutschen Vorbildern u. unter deutscher Schulung, der Sinn u. Talent für wissenschaftliche philologische Forschungen nicht gebricht. Dasselbe gilt von den Neugriechen, welche den Fortschritten der Wissenschaft in Deutschland zu folgen streben.
Die hohe Bedeutung, welche das Studium des Klassischen Alterthums für die höhere Bildung besitzt u. trotz der Anfechtungen von Seiten des Philanthropinismus, wie auch hin u. wieder der kirchlichen Orthodoxie immer behalten wird, ist im Laufe des gegenwärtigen Jahrh. in Deutschland (in den Niederlanden, Skandinavien u. Griechenland) auch vom Staate anerkannt worden; es bestehen daher gegenwärtig an allen Universitäten (seit 1849 auch in Österreich) sogenannte Philologische Seminare, in denen die jungen Philologen auch zugleich zu Lehrern für die Gymnasien herangebildet werden. Früher waren diese Institute, deren erstes 1737 zu Göttingen gegründet wurde, Privatanstalten.
Die Jubelfeier der Universität Göttingen 1837 bot Veranlassung zu den Versammlungen der deutschen Philologen u. Schulmänner, welche seitdem jährlich in verschiedenen größern deutschen Städten abgehalten worden sind. Zuerst 1838 in München, dann 1839 in Manheim, 1840 in Gotha, 1841 in Bonn, 1842 in Ulm, 1843 in Kassel, 1844 in Dresden, 1845 in Darmstadt, wo sich neben den deutschen Philologen die Deutsche Morgenländische Gesellschaft constituirte, welche dieselbe Zeit u. denselben Ort der Versammlung mit den Philologen beibehalten hat, 1846 in Jena, 1847 in Basel (1848 fiel aus u. 1849 hielten blos die Orientalisten in Leipzig eine Versammlung), 1850 in Berlin, 1851 in Erlangen, 1852 in Göttingen, (1853 fiel aus), 1854 in Altenburg, 1855 in Hamburg, 1856 in Stuttgart, 1857 in Breslau, 1858 in Wien, (1859 fiel aus), 1860 in Braunschweig, wo für 1861 Frankfurt a. M. als Versammlungsort bestimmt wurde. Außer diesen Förderungsmitteln besitzen die deutschen Philologen noch eine Anzahl Organe zum rascheren Austausch ihrer Forschungen; die bedeutendsten sind außer der 1858 eingegangenen Zeitschrift für Alterthumswissenschaft, die von Jahn begründeten Jahrbücher für P. u. Pädagogik, das Rheinische Museum u. der Göttinger Philologus; außer Deutschland besitzt nur Holland rein philologische Zeitschriften (Mnemosyne). Vgl.: Barby, Encyklopädie u. Methodologie des humanistischen Studiums, Berl. 1805; Schaaff, Encyklopädie der klassischen Alterthumskunde, Magdeb. 1806, 2. A. 1820; Bernhardy, Grundlinien u. Encyklopädie der P., Halle 1832; Hoffmann, Alterthumswissenschaft, Lpz. 1835; Mützell, Über das Wesen u. die Berechtigung der P. als Wissenschaft,[68] Berl. 1835; Matthiä, Encyklopädie u. Methodologie der P., Lpz. 1835; Haase, Vergangenheit u. Zukunft der P., Berl. 1835; Milhauser, Über P., Lpz. 1837; Elge, Über P. als System, Dessau 1845; H. Reinhardt, Die Gliederung der P., Tüb. 1846.
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