[564] Gravitation (v. lat.), die allgemeine Anziehung der Massen untereinander. Nächsteinigen unbestimmten Andeutungen, welche bereits die Aristotelische Schule hierüber machte, ist Keppler der erste, der mit Bestimmtheit die Idee der Anziehung der Massen faßte. Er sagt in seinem Werke über Mars, die Körper hätten ein Bestreben, sich einander zu nähern u. so würden auch die Himmelskörper, wenn sie sonst nichts hinderte, gegen ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt mit Geschwindigkeiten, welche sich umgekehrt wie ihre Massen verhalten, zueilen. Jedenfalls hinderte ihn der damals noch unvollkommene Zustand der Mathematik, die Theorie weiter zu verfolgen. Newton nahm das Problem wieder auf, wie man erzählt, angeregt durch die Betrachtung eines fallenden Apfels in dem Garten seines Geburtsortes Wolthorpe 1666. Da die Beschleunigung durch die Schwere innerhalb der für die gewöhnlichen Beobachtungen gegebenen Abstände von der Erde sich nicht merklich ändert, so schloß er, diese Kraft könne sich auch bis zum Mond erstrecken u. denselben in seiner Bahn um die Erde erhalten Dann lag aber die Analogie nahe, auch die Bewegungen der Jupitersmonde um ihren Hauptplaneten u. der Planeten um die Sonne einer Anziehungskraft des Jupiter u. der Sonne zuzuschreiben. Sollte sich diese Vermuthung mit dem dritten Kepplerschen Gesetze vereinigen, daß sich die Quadrate der Umlaufszeiten wie die dritten Potenzen ihrer mittleren Entfernungen verhalten, so war anzunehmen, daß die Massenanziehung der Sonne im umgekehrten Verhältniß des Quadrats der Entfernungen sich ändere. Es kam also darauf an, zu untersuchen, ob die Anziehung, welche der Mond nach der Erde erleidet, damit er in seiner Bahn bleibe u. nicht in jedem Augenblick nach der Richtung der Tangente sich fortbewege, sich zu der an der Erdoberfläche beobachteten Schwerkraft verhält wie das Quadrat des Erdhalbmessers zum Quadrat des Halbmessers der Mondbahn. Bei der damals noch unvollkommenen Kenntniß von der Größe des Erdhalbmessers differirte jedoch das Resultat um circa den siebenten Theil der ganzen Größe, weshalb Newton von dem Gegenstande abbrach. Als ihm aber 1682 die eben vollendete Gradmessung Picards bekannt wurde, wiederholte er seine frühere Rechnung, die er nun vor Freuden über die vollkommene Bestätigung seiner Vermuthung nur mit Hülfe eines Freundes vollenden konnte. Er entwickelte dann in kurzer Zeit seine berühmte Gravitationstheorie, die den Hauptgegenstand seiner Principia philosophiae naturalis ausmacht. Das Grundgesetz derselben ist., daß die Anziehungen in gleichen Entfernungen den Massen proportional, in verschiedenen Entfernungen aber außerdem dem Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional sind. Eine unmittelbare Folge desselben sind die drei von Keppler empirisch gefundenen Gesetze der Planetenbewegung. Eine weitere Folge die Störungen, welche ein Himmelskörper in seiner Bewegung um die Sonne durch die Anziehung eines dritten Körpers erfährt. Sie lassen sich aus dem Gravitationsgesetz vollkommen genau berechnen, wenngleich die Rechnung selbst, die unter dem Namen des Problems der drei Körper bekannte Aufgabe, sehr schwierig ist. Das Gravitationsgesetz bestätigt sich ferner nicht allein auch an den Systemen der mit Monden umgebenen Planeten, sondern auch in den Bewegungen der Doppelsterne um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt u. findet andererseits in der Erklärung vieler tellurischer Erscheinungen seine Anwendung. Da die Anziehung der Masse proportional ist, so ließ sich zunächst aus der Anziehung, welche der Mond gleichzeitig von der Erde u. von der Sonne erfährt, das Verhältniß der Masse der Erde zu der der Sonne, u. aus den Störungen, welche z.B. ein Komet bei seiner Annäherung an irgend einen Planeten erleidet, das Verhältniß der Masse des letzteren zu der der Sonne, sowie aus den Bewegungen der Trabanten um ihre Hauptplaneten die Masse dieser bestimmen. Die[564] G. wurde aber auch das Mittel, die absolute Masse der Erde zu bestimmen; befindet sich nämlich ein frei beweglicher Körper neben einem anderen von bedeutender Masse, so wird er nicht nur von der Erde, sondern auch von letzterem merklich angezogen, er sucht sich also nach einer mittleren Richtung zu bewegen u. wird einem Faden, an welchem er hängt, eine von der Richtung des Erdhalbmessers abweichende Richtung geben, die sich astronomisch mit jener vergleichen läßt u. so zur Bestimmung der Erdmasse im Vergleich zur Masse jenes Körpers führt. Versuche in dieser Weise von Maskelyne am Berge Shehallien in Schottland angestellt, ergaben die Dichtigkeit der Erde 4,71. Zu gleichem Zwecke verglichen Cavendish u. Reich die Schwingungen eines horizontalen Pendels, d.i. einer Drehwage, in Folge der Anziehung einer bedeutenden Bleimasse mit den Schwingungen eines verticalen Pendels in Folge der Anziehungskraft der Erde u. fanden so die Dichtigkeit der Erde = 5, st. Auch die Erscheinung der Ebbe u. Fluth ist eine nothwendige Folge der G. Ein analytisches Lehrgebäude alles dessen, was bisher aus dem Gesetze der G. hergeleitet worden ist, findet sich in Laplace, Mécanique céleste, populärer in Möbius, Elemente der Mechanik des Himmels, Lpz. 1843.