Römische Literatur

[742] Römische Literatur, die, hat im allgemeinen nur Eigenthümliches aufzuweisen in Bezug auf Geschichte, Beredsamkeit und Rechtswissenschaft u. ist in allen andern Zweigen, namentlich hinsichtlich der Poesie, zumeist nur Nachbildung der Griechen in der Art, daß mehr oder minder die griech. Unbefangenheit durch Absichtlichkeit, die Natur und Wahrheit durch Kunst und Anstrengung verdrängt erscheinen. Die gewöhnliche Eintheilung der r.n L. ist die in 3 Perioden, nämlich I. von den ältesten Zeiten (eigentlich von Livius Andronikus um 240 v. Chr.) bis zum Tode des Augustus 14 n. Chr., welch erste Periode sich füglich wiederum als vorciceronische, ciceronische und augusteische Epoche betrachten läßt; II. von Augustus bis auf Hadrian (14–138 n. Chr.) welche Zeit die silberne der r.n L. genannt werden darf, wie etwa in die Jahre 78 v. bis 14 n. Chr. ihr goldenes Zeitalter fällt. Mit der III. Periode, die historisch von 138–476 n. Chr. reicht, beginnt, nach einer kurzen Nachblüte unter den Antoninen, entschieden den Zerfall der alten Welt überhaupt u. findet bis zu seiner Vollendung seinen Ausdruck in einer immer kläglicher werdenden Literatur, während anderseits eine christliche Wissenschaft emporblüht, welche die Vorzüge der eigentlich classischen Zeit verhältnißmäßig noch am meisten bewahrte, aber in den Stürmen der Völkerwanderung u. des kirchlichen Lebens sich keineswegs zu einer richtigen Vermittlung des antiken und christlichen Geistes fortzuentwickeln vermochte. – Die r. L. erhielt den Anstoß zu ihrer Entwicklung spät und von außen, nämlich durch die Griechen, indem der Freigelassene Livius Andronicus 514 a. U. als dramatischer Dichter auftrat u. die Odyssee übersetzte, die rasch zum Schulbuch wurde; vorher war die r. L. nur vorhanden, insoweit dieselbe gewissermaßen Hausbedarf war: man hatte Tischlieder, religiöse Gesänge (carmina saliaria, axamenta. Lieder der fratres arvales in saturninischen Versen, mimenartige Lustbarkeiten (carmina amoeboea), ferner Rechtsbücher (jus Papirianum), auch politische und priesterliche Jahrbücher u. dergl. Mit Verweisung auf die [742] einzelnen Namen bemerken wir, daß I. die Poesie in dem unpoetischen alten Rom im Ganzen am wenigsten gedieh. In der dramatischen Poesie zeichneten sich außer Livius Andronicus als Uebersetzer u. Dichter aus die Tragiker Naevius, Ennius, noch mehr Pacuvius, aber nur aus der Kaiserzeit sind 10 Stücke von Seneca vorhanden u. gelten als eine theilweise der spätesten Zeit zugehörige Sammlung; die Komödiendichter Plautus u. Statius stehen dem Terenz nach, die wahre Komik, die allen abgeht, war vielleicht in den volksthümlichen Atellanae mehr vorhanden, mindestens überdauerten letztere sowie die sentenzenreichen spöttischen Mimen alle Komödien und Tragödien. An Heldengedichten war kein Mangel, aber einen Homer hat Rom niemals gehabt u. außer dem von Horaz verherrlichten Lucius Varius als bedeutend im heroischen Epos den einzigen Virgilius Maro, im silbernen Zeitalter den A. Lucanus (Pharsalia); Silius Italicus, Valerius Flaccus, Papir. Statius repräsentiren vorherrschend den Mangel an u. den Zerfall der Dichtkunst, während der späteste von allen röm. Epikern, Cl. Claudianus, bereits für das Aufwachen einer ganzneuen Lebenskraft Zeugniß ablegt. Im gelehrten didactischen Epos überflügelten die Römer ihr Vorbild, die Alexandriner: Lucretius Carus, vor allen Virgil und Ovid. Von der II. Periode an besang man die Astrologie, versificirte die Medicin, Geographie, sogar Maß und Gewicht u. abermals repräsentirt Cl. Claudianus und sein Zeitgenosse Rutilius Numatianus eine Wiedererhebung. In der lyrischen Poesie erreichte das Höchste, was ein Römer hierin zu erreichen vermochte, Horatius; in Oden und Liedern standen ihm Catull, Titius Septimius u.a. unendlich nach. Catull glänzte dagegen in der Elegie, weit mehr aber Tibull, welchem Properz u. Albinovanus mit minderm Glücke nachfolgten. Als Heroidendichter sind höchstens Properz und Ovid zu nennen; letzterer fand als Episteldichter erst im 4. Jahrh. zu Valentinians Zeit einen würdigen Nebenbuhler an dem Spanier M. Ausosonius. Daß die, stille Naturbeobachtung fordernde, bukolische Poesie dem röm. Volkscharakter widerstrebte, da für spricht die geringe Anzahl der Dichter, die sich hierin versuchten, sowie die Absichtlichkeit, die einen aus Virgils Hofidyllen heraus anwidert. Auch in der Fabel leisteten die Römer blutwenig, Phädrus ahmte die Griechen, Avianus meist den Phädrus nach, dagegen blühte in der r.n L. die Satire. Dieselbe entwickelte sich aus den witzigen Stegreifreden der Mimenspiele und wurde u. blieb Erguß persönlicher Ansichten über Sitten und öffentliches Leben: Lucilius, der gelehrte Terentius Varro, vor allen Horatius, dann Persius und Juvenal; unter den Epigrammatikern war Martial der vorzüglichste und von vielen zugleich der einzige, von welchem Dichtungen übrig sind. Früher und vorzüglicher als die Poesie entwickelte sich in der r.n L. II. die Prosa, vor allen die Historiographie, deren Ursprung Niebuhr wohl mit Unrecht in den Volksliedern suchte und welche durchaus einen politisch-rhetorischen Charakter an sich trägt. Die politische Geschichte begann mit Fabius Pictor, ihre Würdigung ist ermöglicht lediglich durch erhaltene Werke von Julius Cäsar, Cornelius Nepos, Sallust, Livius, auch von Trogus Pompejus, Vellejus Paterculus, dann von Curtius Rufus u. Tacitus, aus dessen Schriften das düstere Abendroth der alten Welt uns allenthalben entgegenleuchtet. Den rasch zunehmenden Zerfall repräsentiren Annäus Florus, Eutropius u. Ammian Marcellin. Die christlichen Historiker Sulpitius Severus u. Orosius sind als solche ohne Bedeutung; als Biograph ist Sueton schätzbar, besonders wenn man ihn mit der Sammlung der Sex scriptores historiae Augustae oder mit dem fabelhaften Aurelius Victor vergleicht. Die Kunst- und Literaturgeschichte wurde niemals als Geschichte behandelt, doch sind Cicero, Aulus Gellius, Quinctilian u.a., namentlich auch Vitruv und der Kirchenschriftsteller Hieronymus (s. d. Art.) wichtige Fundgruben; Anekdotensammler war der niederträchtige Valerius Maximus. Als Romanenschreiber ist außer dem schmutzigen Petronius noch Apulejus zu nennen. [743] In der Erdbeschreibung bekannten sich die Römer selber als Schüler der Griechen: Pomponius Mela, Plinius der ältere, die itineraria u.s.f. Noch mehr als in den historischen Wissenschaften zeichneten sich die Römer in der Beredsamkeit, neben der Rechtswissenschaft die schönste Frucht des praktischen Sinnes u. der Staatsverhältnisse während der Republik, aus; unter einer großen Anzahl trefflicher Redner sind nur wenige, von denen man genaue Nachrichten hat, zweifelsohne ein Beweis, wie allgemein die Beredsamkeit blühte, deren jeder bedurfte, welcher im Staatsleben vorwärts kommen wollte. Außer den Gracchen, Scipionen, Crassus, Hortensius u.a. ist vor allem Cicero zu nennen, der einzige Redner, von welchem die meisten Werke vorhanden sind. Junius Brutus war der letzte Redner der Republik; mit dem Kaiserthum kam das Ende der Beredsamkeit und der Anfang der Redekünstelei, Plinius der jüngere hinterließ Beweise hiefür, die Rhetoren u. ihre Schulstuben kamen in die Höhe, bedeutend als Theoretiker wurde Quinctilian. Als Epistolograph mag Cicero gleichfalls den 1. Rang eingenommen haben, um die Philosophie hat er sich höchst verdient gemacht, doch weit mehr philosoph. Werke schrieb L. Annäus Seneca; ob Apulejus oder erst Boethius die Reihe der heidnischen Philosophen schloß, ist ungewiß, desto sicherer aber, daß die heidnischen Philosophen im Ganzen den christlichen Platz machten, dem Arnobius, Lactantius, Aur. Augustinus. In den Naturwissenschaften ragte der ältere Plinius hervor, Mathematik, Astronomie u. Physik wurden lediglich um des Nutzens willen betrieben (Vitruv über die Baukunst), später fand die Astrologie eine Unzahl von Gläubigen. Die Staats- und Hauswirthschaft blühte, wurde aber erst spät in einzelnen Zweigen schriftstellerisch bearbeitet (die Agrimensoren, Cato Censorinus, Terentius Varro, Columella); die Heilkunde fand keinen Hippokrates u. keine bedeutende wissenschaftliche Entwicklung, die bei den Römern stets vereinigte historische u. grammatische Gelehrsamkeit gelangte erst zu Ansehen, als das Staatsleben zu sinken begann, überwucherte aber allmälig die ganze r. L.: Terentius Varro, Asconius Pedianus, Aulus Gellius, Donatus, dann Tertullian, Macrobius, F. Capella, Cassiodor, Priscianus u.a., zuletzt noch Beda venerabilis. S. Römisches Recht, Corpus juris. Die bedeutendsten Werke über r. L. sind von Ch. F. Bähr (3. Aufl. Karlsruhe 1844–45) und Bernhardy (3. Aufl. Halle 1855).

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 742-744.
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