[643] Aquarellmalerei (franz. Peinture à l'aquarelle, ital. Acquerello, engl. Painting in water-colours), die Malerei mit Wasserfarben, die den Malgrund nicht decken, sondern durchscheinen lassen. Sie unterscheidet sich dadurch vornehmlich von der Gouache- (d.h. Deckfarben-) Malerei. Indessen sind in neuerer Zeit diese Unterschiede mehr und mehr verwischt worden, so daß sich jetzt die meisten Aquarellmaler auch des Weiß und andrer Deckfarben bedienen und gerade dadurch der Ölmalerei gleiche Wirkungen erzielen. Zur Verwendung kommen bei der A. teils pflanzliche, teils mineralische Farben. Letztere sind dauerhafter und lichtbeständiger. Die Farben kommen jetzt meist flüssig (in Näpfen und Tuben) in den Handel. Die wichtigsten Farben sind: gelber Ocker, ungebrannte und gebrannte Siena, gebrannter Hellocker, Indischrot, Van Dyck-Braun, Indigo, Indischgelb, Zinnober, Mennige, Permanent-Karmin, Ultramarin, Emeraldgrün, Stil de grain, Lampenschwarz, blauer Kobalt, Caput mortuum u. englisches Weiß (Chinese white). In neuerer Zeit ist die Fabrikation von Aquarellfarben so weit gediehen, daß über 100 verschiedene Nuancen im Handel vorkommen. Meist bedient man sich auch noch des deckenden Kremser Weiß zum Aufsetzen der Lichter etc. Der Farbenauftrag erfolgt am besten mit Pinseln aus Marderhaaren von etwa 25 cm Länge, wozu noch große Lavierpinsel kommen. Man malt in der Regel auf Papier, das nicht zu grobkörnig und stark sein darf (»Whatman«), aber auch auf Pergament, Seide, Atlas,. Holz etc. ohne Grundierung.
Geschichte. Die Ägypter bedienten sich der Aquarellfarben, d.h. mit Gummiwasser versetzter Farben, bei ihren Wandgemälden. Sie überzogen die Wandfläche mit Stuck, zeichneten darauf die Umrisse in roten vertieften Linien, grundierten mit weißer Farbe und kolorierten die einzelnen Teile. Eine ähnliche Technik weisen die ältern etruskischen Wandmalereien auf. Auch die Technik der Wandgemälde in den Katakomben ist A. Nicht selten begegnen wir der A. unter den aus altchristlicher Zeit vorhandenen Miniaturen oder Buchillustrationen. Andeutungen über die Aquarellmalereitechnik dieser Periode finden sich in des Heraclius Büchern »Von den Farben und Künsten der Römer« und in der »Diversarum artium schedula« von Theophilus, einem deutschen Mönch aus dem Ende des 11. oder Anfang des 12. Jahrh. Die Byzantiner übten in ihren Miniaturen meist die glänzendere Gouachetechnik. In Büchern aus der romanischen Zeit findet man nur selten leicht aquarellierte Federzeichnungen. Häufiger werden sie in der Frühzeit des gotischen Stils, namentlich in Deutschland. Später wurden wieder vollständig in Deckfarben mit dem Pinsel nach byzantinischer Manier ausgeführte Miniaturen Mode. Auch aus dieser Zeit sind uns technische Rezepte für die A. erhalten in Cenninis »Buch von der Kunst«, in dem die Manier der Giottesken geschildert wird. Sie kannten bereits das Abstufen dee Schatten und beschränkten sich nicht mehr auf die bloßen vegetabilischen Farben, sondern hatten dieselbe Auswahl wie die Tafelmalerei. In den Buchillustrationen des 15. Jahrh. überwiegt die Gouachemalerei. Reiche Anwendung fanden hingegen die Aquarellfarben beim Kolorieren von Holzschnitten. Diese Technik wurde handwerksmäßig von den sogen. Briefmalern und Illuministen betrieben, die mittels Patronen Spielkarten, Heiligenbilder, Porträte, Darstellungen merkwürdiger Begebenheiten, die als fliegende Blätter auf den Märkten feilgeboten wurden, oft in lebhaften Farben kolorierten. Auch Kupferstiche pflegten teilweise[643] bis ins 17. Jahrh. hinein aquarelliert zu werden. Sonst bedienten sich die meisten Künstler der Renaissance der A. zur Ausführung ihrer Zeichnungen und Entwürfe. Namentlich in Deutschland waren leicht kolorierte, hier und da in den Schatten schwarz getuschte und mit Deckweiß gehöhte Federzeichnungen sehr beliebt. In jeder Sammlung von Handzeichnungen bieten sich zahlreiche Beispiele dieser Art, so in der Wiener Albertina unter andern die Trachtenbilder Dürers. Holbein pflegte seine Porträtstudien mit dem Stift zu entwerfen und an gewissen Stellen leicht in Aquarell zu kolorieren. Die niederländischen Maler, namentlich die Landschaftsmaler, liebten es, ihre Skizzen in brauner oder schwarzer Farbe auszuführen, und erzielten damit ähnliche Lichteffekte wie in ihren Radierungen. Im 18. Jahrh. wurde sehr viel in Aquarell gearbeitet; es wurde Modesache, der sich auch Dilettanten bemächtigten. Sepia und chinesische Tusche spielen eine große Rolle.
Die Ausbildung der A. zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung begann in England, wo sich eine eigne Schule der A. entwickelte, die mit der Ölmalerei in Konkurrenz trat und ihrer Manier in ganz Europa fast ausschließliche Geltung verschaffte. Die Anfänge dieser Schule reichen noch ins 18. Jahrh., wo Smith (gewöhnlich Warwick-Smith genannt) grau in grau getuschte Zeichnungen nachher kolorierte. Turner begann ohne vorhergehende Untermalung sofort die Zeichnung mit Aquarellfarben anzulegen und erreichte damit eine bisher bei Aquarellen noch nie gesehene Tiefe und Farbenglut. Mit ihm wetteiferte Girtin. Sie sind die eigentlichen Begründer der modernen Aquarellmalereitechnik, die in England vorzugsweise in den beiden Gesellschaften für A. (Society of painters in water-colours und Institute of painters in watercolours) gepflegt wird. Die englischen Aquarellisten wagten sich zuerst im Wettstreit mit der Ölmalerei an jedes Genre. Ihre Bilder erreichen oft die Größe von mehreren Quadratfuß. Unter den Landschaftern sind zu nennen: Copley, Fielding, Turner, Callow, Glower, W. Müller, Harding, Landseer, Taylor, Stanley; unter den neuern: Richardson, Roberts, A. W. Hunt, J. M. Whistler, J. Crawhall, John Reid, J. Fulleylove, Th. Collier u.a. Im Genre glänzen: G. Barrett, T. S. Cooper, Dobson, C. Green, H. Herkomer, J. F. Lewis (orientalisches Genre), F. Walker, Alma Tadema etc.; in der Historie: J. Gilbert, H. S. Marks, F. Shields, H. Warren u.a.; im Blumenstück: J. D. Linton; im Seestück: W. L. Wyllie. Auf die Landschaft läßt sich die A. am besten und ohne Zwang anwenden, weil die Aquarellfarben sich in hohem Grade für die Wiedergabe der verschiedensten Stimmungen der Atmosphäre, für zarte, fliegende Farbentöne eignen. Sehr viel tragen zur heutigen Blüte der A. die Verbesserungen in der chemischen Zusammensetzung der Farben, deren Ton sich nicht mehr verändert, und die Bereitung des Papiers bei. Die moderne englische Technik, die nun größtenteils auch auf dem Kontinent sich Geltung verschafft hat, ist im wesentlichen folgende: Nachdem die Zeichnung in dünnen Konturen mit Bleistift auf das Papier (oder die Seide etc.) aufgetragen ist, wird der Hintergrund mit einem breiten, platt gedrückten Pinsel aus Zobel- oder Eichhörnchenhaaren, den man in die sehr wässerige Farbe getaucht, in horizontalen Streifen angelegt. Das Reißbrett oder die Staffelei muß mäßig schief gestellt sein. damit die einzelnen Streifen ineinander verlaufen. Wolken werden entweder ausgespart (unter anderm mit Hilfe von Papierausschnitten, die man auf die betreffenden Stellen legt), oder mit reinem Wasser ausgewaschen. Die Anwendung von Deckweiß soll bei der reinen A. vermieden werden. Mittel- und Vordergrund werden im Lokalton angelegt mit Aussparung der Lichter, die aber gleichfalls, wie beim Hintergrund, ausgewaschen werden können. Um besonders seine Details auszuführen, z. B. Grashalme, Glanzlichter auf Fleischteilen, Stoffen etc., befeuchtet man entweder die betreffenden Stellen mit Wasser und hebt die Farbe nach einiger Zeit mit einem Fließpapier oder Wollenlappen ab, oder man entfernt die Farbe mit einem Radiermesser. So haben englische Aquarellisten bis in die neueste Zeit die feinsten Details hervorgezaubert ohne alle Anwendung von Deckfarben. Gegenwärtig ist man jedoch in letzterm Punkt nicht mehr so skrupulös, und namentlich bei figürlichen Szenen ist von den neuesten englischen Aquarellisten Deckweiß gebraucht und den Farben ein starker Gummizusatz gegeben worden, damit sie glänzender wirken. Vgl. Roget, History of the Old Water-colour Society (Lond. 1891, 2 Bde.); Redgrave, Water-colour painting in England (das. 1892).
Nach diesem Vorgang der Engländer ist die A. in ihrer Technik allmählich so verfeinert und zu so starken Wirkungen gesteigert worden, daß sie schließlich dasselbe Gebiet beherrscht wie die Ölmalerei. Ihr ursprünglicher Charakter wird nicht mehr festgehalten. Man verbindet sie bisweilen sogar mit Pastellzeichnung und sucht ihr auch noch durch andre Mittel Wirkungen abzugewinnen, die zu dem bescheidenen Material im Widerspruch stehen. Gegenwärtig wird die A. mit gleichem Eifer in allen kunstübenden Ländern betrieben. Am meisten ist sie für Reisestudien beliebt. In Paris, in Brüssel, in Wien, in Berlin u.a. O. haben sich Gesellschaften für A. nach dem Muster der englischen konstituiert, die jährlich eigne Ausstellungen veranstalten. Die ersten französischen Aquarellisten, die durch den in Paris tätigen Engländer Bonington angeregt wurden, lehnten sich an Turner, Girtin etc. an. Auf Bonington folgten: Huet, Delacroix, Decamps, Johannot, Gudin. Roqueplan, L. Boulanger, C. Nanteuil, Eugène Lami, E. Isabey und H. Baron. Vorzügliche Landschafter sind: F. L. Français, J. Jacquemart, Hubert, Ouvrié, Gué, Fort, H. Harpignies, E. Yon etc. Im Genre sind hervorragend. Ed. Detaille, Berchère, Berne-Bellecour, L. Leloir, A. de Neuville, Jean Béraud, P. A. Besnard, L'Hermitte, A. Moreau, Vibert etc.; im Porträt: Doré, Olivier, Grand; als Tiermaler: Lambert; als Blumen- und Stilllebenmaler: Jeannin, Redouté, E. Duez, die Damen Desportes und Madeleine Lemaire. Außerdem sind Aquarelle auf Atlas und Seide für Fächerschmuck sehr beliebt. In neuerer Zeit haben Detaille und A. de Neuville mit glänzendem Erfolg den Versuch gemacht, die A. mit der Gouachemalerei zu verbinden und statt des Papiers seine Malleinwand zu verwenden. In jener Verbindung war ihnen allerdings Menzel in Deutschland lange vorausgegangen.
In Deutschland hielt man bis in die 1840er Jahre an der Untermalung mit Tusche u. Neutraltinte fest; schlechte Stimmung und Luftperspektive, ängstliche Detailausführung bemerken wir bei fast allen deutschen Landschaften der ersten Hälfte des 19. Jahrh. Bedeutendere Künstler bedienten sich der A. mit vornehmer Oberflächlichkeit zu Entwürfen, Illustrationen etc., z. B. Carstens, Schrödter, Neureuther, Schwind. Die Märchengestalten dieses Romantikers erhalten in der leichten, duftigen Behandlung mit Aquarelltinten einen eigentümlich traumhaften, unkörperlichen Schein. Eine malerische Weise schlug zuerst J. A. Koch ein,[644] dem die Aquarellistenfamilie Alt (Jakob, Rudolf und Franz, vorzüglich in Architekturdarstellungen) folgte. Der erste bedeutende deutsche Aquarellist war jedoch der unter Isabey gebildete Ed. Hildebrandt. Nur erscheint bei diesem das rein koloristische Prinzip bereits auf die Spitze getrieben. Im Gegensatze zu ihm legte J. Sellény das Hauptgewicht auf das Gegenständliche. In der Mitte zwischen beiden steht Karl Werner. In derselben Manier bewegen sich: B. Fiedler in seinen Bildern aus Venedig, Ägypten und Syrien und H. L. Fischer in Wien. Ausgezeichnet im Genre sind: L. Passini in Venedig und J. Kossak in Krakau. A. Menzel in Berlin beherrscht auch das Aquarell mit Meisterschaft, und zwar ist er der erste in Berlin gewesen, der diese Technik zur Fähigkeit, allen Anforderungen gerecht zu werden, entwickelt hat. Neben ihm waren und sind in Berlin P. Meyerheim, E. Körner, L. Spangenberg, K. Graeb, A. Hertel, C. Saltzmann, F. Skarbina, Th. v. Eckenbrecher, H. Herrmann, E. Bracht, M. Fritz, in München H. v. Bartels, in Düsseldorf A. Achenbach, C. Gehrts, Hans Hermans, A. Kampf, E. Dücker, A. Seel, in Karlsruhe L. Dill und H. Krabbes tüchtige Aquarellisten. Neuerdings hat sich die A. auch in Italien und Spanien zu einer außerordentlichen Höhe entwickelt. Die italienische A. bleibt mit Bezug auf Kühnheit und Vielseitigkeit der Motive und auf Flächenumfang nicht hinter der englischen zurück, übertrifft sie aber noch an geistreicher und leichter Durchführung. Die bedeutendsten Aquarellmaler Italiens sind: Simoni, Corelli, Bompiani, Zezzos, Randanini, Joris, Cipriani, Tomba, Ethofer, Mariano, Ferrari, Gabani, Signorini, Aureli und Galofre. In Spanien haben sich nach dem Vorgang Fortunys besonders Villegas und Ussel in der A. ausgezeichnet. Unter den holländischen Aquarellmalern ist Israels, unter den dänischen P. S. Kroyer hervorzuheben.
Vgl. noch L. H. Fischer, Die Technik der A. (8. Aufl., Wien 1901); Jännicke, Handbuch der A. (6. Aufl., Stuttg. 1902); M. Schmidt, Technik der A. (7. Aufl., Leipz. 1901); Barret, Anleitung zur A. (a. d. Engl., 7. Aufl., Stuttg. 1898); Raupp, Katechismus der Malerei (3. Aufl., Leipz. 1898; die A. von H. v. Bartels); Berger, Die Technik der A. in Kunst und Kunstgewerbe (das. 1901); Cassagne, Traité d'aquarelles (2. Aufl., Par. 1886).
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