Bordeaux [2]

[219] Bordeaux, die Hauptstadt des franz. Departements der Gironde, liegt 6 m ü. M. in einer weiten Ebene am linken Ufer der Garonne, die hier einen großen, nach O. offenen Bogen beschreibt, an dem Punkt, 98 km oberhalb der Flußmündung, bis zu dem mit der Flut selbst noch transatlantische Dampfer bis zu 8 m Tiefgang gelangen können, und ist Knotenpunkt der Süd- und Orléansbahn und der Linie Paris-Chartres-B.

Wappen von Bordeaux.
Wappen von Bordeaux.

Mit der gegenüberliegenden Vorstadt La Bastide ist B. durch eine schöne, 1809 bis 1821 erbaute steinerne Brücke mit 17 Bogen und durch eine neuere Eisenbahnbrücke verbunden. Obgleich nicht am Meer selbst gelegen, ist B. doch nächst Marseille und Havre die dritte Seestadt Frankreichs. Die Garonne bildet ein 9 km langes, 400–600 m breites, halbmondförmiges Hafenbassin, das von breiten, durch schöne Häuser begrenzten Kais eingeschlossen ist und 1200 Schiffen Raum gewährt. Dazu ist am untern Ende der Stadt, dem Stadtteil Bacalan, noch ein 1879 vollendetes, 10 Hektar großes Bassin angelegt worden, das auch bei Ebbe 7,5 m Tiefe hat. Den Kern von B. bildet die mittelalterliche Altstadt mit engen, krummen und finstern Gassen in der Nähe des gewaltigen Quinconceplatzes; um sie haben sich die neuern Stadtteile gelagert, die in weitem Umkreise von den Boulevards eingeschlossen werden. Die meisten Prachtbauten, alle in einem übereinstimmenden Stil ausgeführt, stammen aus der Zeit Ludwigs XV. Unter den zahlreichen schönen Plätzen sind nächst dem mit den Kolossalstatuen von Montesquieu und Montaigne und zwei als Leuchttürme dienenden Rostralsäulen geschmückten Quinconce als dem Zentrum von B. die Allées de Tourny (mit Springbrunnen an Stelle des 1870 vom Volk herabgeworfenen Reiterstandbildes Napoleons III.), die von der Place Tourny und vom Theaterplatz begrenzt werden, dann die schöne Parkanlage des Jardin public hervorzuheben. B. hat zahlreiche katholische, mehrere prot. Kirchen (darunter seit 1867 eine deutsche) und eine Synagoge. Architektonisch besonders ausgezeichnet sind: die gotische Kathedrale St.-André (11.–14. Jahrh. erbaut), einschiffig und auffallend breit, mit einem reich mit Statuen geschmückten, von zwei eleganten, 81 m hohen Türmen flankierten Portal und schönem Chor, dabei der 1440 erbaute, isoliert stehende Glockenturm Pey-Berland; die Kirchen St.-Michel,[219] ebenfalls mit isoliertem, 107 m hohem Glockenturm, ein Werk der spätern Gotik aus dem 15. Jahrh., St.-Seurin u. a. Von den übrigen Gebäuden sind hervorzuheben: das Stadthaus mit prächtigem Hof; das große Theater (1773–80 in antikisierendem Stil erbaut; dasselbe diente 1871 der Nationalversammlung als Beratungslokal); der Justizpalast, die Börse, das Zollhaus, der Fakultätspalast (mit dem Grabdenkmal Montaignes), die erhaltenen ehemaligen Stadttore etc. Das einzige größere Monument aus der römischen Glanzzeit von B. ist das Palais Gallien, das Fragment eines Amphitheaters. Die Zahl der Einwohner beträgt (1901) 247,876 (als Gemeinde 256,638).

B. verdankt seine Größe und seinen Reichtum dem Handel, und zwar vorzugsweise dem Weinhandel (s. Bordeauxweine), in dem es die erste Stelle in Frankreich einnimmt, und der sich schon seit dem 13. Jahrh., namentlich mit England, stetig entwickelte. Die Hauptabsatzgebiete bilden Deutschland, Großbritannien und Südamerika. 1900 belief sich die ausländische Weineinfuhr im Hafen von B. auf 685,000 hl, dagegen die Ausfuhr nach dem Ausland auf 732,000 hl. Im auswärtigen Handel sind ferner die wichtigsten Artikel bei der Einfuhr: Häute und Felle, Holz, Seefische, Zerealien und Kolonialwaren; bei der Ausfuhr: Branntwein und Liköre, Seefische, Baumwollen- und Schafwollenwaren, Gemüse, Häute und Felle, Obst.

Lageplan von Bordeaux.
Lageplan von Bordeaux.

Der Warenverkehr mit dem Auslande hatte 1901 bei der Einfuhr einen Wert von 274,5 Mill., bei der Ausfuhr von 306 Mill. Fr. Im Verkehr mit französischen Häfen spielen (außer Wein) die wichtigste Rolle in der Einfuhr: Eisen und Stahl, Baumaterialien, Zerealien, Branntwein und chemische Produkte; in der Ausfuhr: Holz, Zerealien, Salz, Branntwein und Harze Der Schiffahrtsverkehr umfaßte 1900: 9900 ein- und 9940 ausgelaufene Schiffe mit 1,990,054, resp. 2,162,621 T. Auf den internationalen Verkehr kamen 1900: 1514 ein- und 1499 ausgelaufene Schiffe mit 1,087,422, resp. 1,141,578 T. Die Handelsflotte umfaßt 119 Schiffe von 46,409 T. Auch der Kabeljaufang wird von B. aus betrieben. Ferner besitzt B. eine starke Fabrikation von Likören und andern Spirituosen sowie von Weinessig, Bier, moussierenden Getränken, von Fässern, Glasflaschen. Siph ons, Korkstöpseln, Kapseln, Etiketten etc. Andre Zweige der Eigenindustrie liefern alles, was zum Schiffbau, der sehr ausgedehnt ist (4 Werften), und zur Ausrüstung der Schiffe nötig ist; es gibt ferner eine sehr bedeutende Tabak-, eine Porzellanfabrik, Fabriken für Maschinen, Papier, Seife, chemische Produkte, Schokolade, konservierte Fische u. Lebensmittel, Teigwaren, Zwieback, Öl, Glühlampen, dann Dampf mühlen, Zuckerraffinerien. Reisschälfabriken, Wollspinnereien,-Webereien und-Färbereien, Fabriken für Schuhwaren, Kleidung und Hüte. B steht durch Dampferlinien in regelmäßiger Verbindung mit allen Teilen der Erde (im J. 1900 wurden 250 Schiffe von 240,096 Ton. dabei benutzt). Die Auswanderung über B belief sich 1900 auf 5057 Personen (davon 1684 Franzosen). Dem städtischen Verkehr dienen Pferdebahn- und Dampferlinien.

Bildungsanstalten sind: die Fakultäten für Rechte, philosophische Wissenschaften, Medizin und Pharmazie (zusammen 1900: 2124 Studierende), die freie katholisch-theologische Fakultät, ein Lyzeum, Normalschulen für Lehrer und Lehrerinnen, zwei theologische Seminare, eine medizinisch-chirurgische Vorschule, eine Kunst- und Kunstgewerbeschule, eine Schifffahrts-, Handels- und Ackerbauschule, ein Taubstummen- und Blindenerziehungsinstitut, zahlreiche gelehrte Gesellschaften, eine Akademie der Wissenschaften und Künste, eine öffentliche Bibliothek von 200,000 [220] Bänden, ein botanischer Garten, ein reiches Naturalien- und ein Antiquitätenkabinett, eine Gemäldegalerie (mit Gemälden von Perugino, Rubens, Delacroix etc.), eine Sternwarte und vier Theater. Die Stadt besitzt auch ein Irrenhaus, mehrere Waisen-, Kranken- und Wohltätigkeitsanstalten etc. B. ist der Sitz des Präfekten, des Generalkommandos des 18. Armeekorps, eines Erzbischofs, eines Appellhofs, eines Handelsgerichts und zahlreicher Konsulate fremder Staaten (darunter auch eines deutschen Konsulats). In B. sind geboren: Richard II. von England, der römische Dichter Ausonius, der Kirchenschriftsteller Paulinus, der Physiolog Magendie, der Chemiker Black, die Malerin Rosa Bonheur, die Staatsmänner Desèze, Gensonné, Ducos, Martignac u. a.

Geschichte. B. war als Burdigala Hauptort der Bituriges Vivisci, seit Augustus Hauptort der Provinz Aquitania II. mit berühmter Hochschule, und Residenz mehrerer Kaiser. Die christliche Zeit von B. datiert von 272. Im J. 407 verbrannten die Vandalen, Alanen etc. die Stadt; 412 kam sie in die Gewalt der Goten, 507 in die des Frankenkönigs Chlodwig; 732 wurde sie von den spanischen Arabern unter Abd er Rahmân erstürmt und geplündert, 735 aber von Karl Martell wiedererobert. Karl d. Gr. ernannte 778 einen Grafen von B. Im 9. Jahrh. wurde B. von den Normannen wiederholt geplündert. Erst als mit des letzten Herzogs von Aquitanien, Wilhelms IX., Erbtochter Eleonore das Land an Heinrich von Anjou und so 1154 an England kam, begann sich B. zu heben. Unter Richard II. trat B. 1379 gegen die Angriffe der Franzosen an die Spitze eines Bündnisses der Städte von Bordelais, mußte jedoch 23. Juni 1451 mit Karl VII. kapitulieren. 1650, während der, Fronde, machte B. einen Aufstand, der nur mit Mühe unterdrückt wurde. Während der Revolution war B. Hauptsitz der Girondisten, weshalb es von den Schreckensmännern verheert wurde. Im Frühjahr 1814 erklärte B. sich von allen Städten zuerst für die Bourbonen. Im Dezember 1870 wurde B. Sitz der Delegation der Regierung der nationalen Verteidigung (Gambetta, Crémieux, Glais-Bizoin und Fourichon); 15. Febr. 1871 genehmigte hier die Nationalversammlung den Frieden mit Deutschland und siedelte dann nach Versailles über. Konzile (Burdigalensia concilia) wurden vier hier gehalten: 384 gegen die Priscillianisten, 678 zur Wiederherstellung des Friedens und zur Verbesserung der Kirchenzucht, 1080, wo Berengar von Tours seine Ketzerei abschwor, und 1255. Vgl. O'Reilly, Histoire complète de B. (2. Aufl., Bordeaux 1863, 6 Bde.); Malvezin, Histoire du commerce de B. (das. 1896, 4 Bde.); Gradis, Histoire de B. (neue Ausg., das. 1901); »Bordeaux. Aperçu historique, sol, population, industrie etc.« (amtlich, das. 1892, 3 Bde.); Jullian, Histoire de B. (das. 1895.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 219-221.
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