Hatzfeldt

[870] Hatzfeldt, altes hess. Dynastengeschlecht, das mit dem Anfang des 13. Jahrh. in die Geschichte eintritt und bald den Landgrafen, namentlich in ihrer 30jährigen Fehde mit den Löwenrittern seit 1379, nachdrücklichen Widerstand leistete. Es gehörte zu der rheinischen Reichsritterschaft, hatte Schloß H. an der Eder (jetzt Ruine) zur Stammburg und besaß in Franken die Herrschaft Rosenberg, in Thüringen einen Teil der Herrschaft Gleichen und in Schlesien die Herrschaft Trachenberg. Nachdem Johann von H. um 1430 durch Heirat mit der Erbin der Herrschaft Wildenburg (in der Rheinprovinz) diese erworben hatte, teilte sich das Geschlecht 1508 in die 1681 erloschene Mertensche und Wildenburgische Linie. Mit Melchior v. H. (s. unten) wurde das Geschlecht in den Grafenstand erhoben. Friedrich II. von Preußen erhob 1741 in der Person des Grafen Franz Philipp Adrian einen Zweig zum fürstlichen und Kaiser Franz I. 1748 zum reichsfürstlichen Rang, nach dem Rechte der Erstgeburt. Dieser Stamm erlosch 1794; der Anteil an der Grafschaft Gleichen wurde von Mainz als erledigtes Lehen eingezogen, die Allodialgüter fielen an den Grafen von Schönborn, die andern Lehen sowie die Herrschaft Trachenberg gingen an einen andern Zweig (Werther-Schönstein) der wildenburgischen Linie über, der Werther und Schönstein besaß und sich seit 1794 Fürsten von H. zu Trachenberg nannte. Haupt der Linie ist Fürst Hermann (s. unten 5). Die andre, ältere wildenburgische Linie (Wildenburg-Weißweiler) erlangte 1635 die reichsgräfliche Würde, erbte 1681 Wildenburg, besitzt die Standesherrschaft Wildenburg-Schönstein bei Koblenz und seit 1870 auch die Fürstenwürde. Jetziges Haupt: Fürst Alfred von H.-Wildenburg (geb. 9. April 1825). Besonders bemerkenswert sind:

1) Melchior von H., Graf von Gleichen, geb. 10. Okt. 1593 zu Krottorf in Hessen, gest. 9. Jan. 1658 in Powitzko bei Trachenberg, trat in kaiserliche Dienste, stand 1635 unter Gallas' Kommando, wurde 1636 von Banér bei Wittstock geschlagen, drängte mit Gheleen und Götz diesen im folgenden Jahr aus Sachsen nach Pommern, entsetzte 1637, mit Götz vereinigt, Leipzig, schlug 17. Okt. 1638, in Westfalen befehligend, den schwedischen General King und den Pfalzgrafen Karl Ludwig bei Vlotho, zog sich aber vor Banér nach Sachsen zurück. 1639–40 mit der Deckung Böhmens beschäftigt, kommandierte er 1641 wieder in Westfalen und in Thüringen, focht 1642 gegen die Hessen, die sich fast des ganzen Erzstifts Köln bemächtigt hatten, stand 1643 gegen Guébriant am Rhein, hatte wesentlichen Anteil an dem Siege bei Tuttlingen (25. Nov. 1643) und nahm im folgenden Jahre Halberstadt und Osterwieck. Nach der Entsetzung Gallas' mit dem Oberbefehl über das[870] kaiserliche Heer als Feldmarschall betraut, sammelte er bei Prag eine neue Armee und griff auf des Kaisers ausdrücklichen Befehl 6. März 1645 Torstensson bei Jankau an, ward jedoch geschlagen und gefangen. Ausgewechselt, befehligte er 1657 die Truppen, die Kaiser Leopold I. dem König Johann Kasimir von Polen gegen die Schweden zu Hilfe schickte, und nahm Krakau ein.

2) Franz Ludwig, Fürst von, geb. 22. Nov. 1756 in Wien, gest. daselbst 3. Febr. 1827, wurde kurmainzischer Geheimrat, Generalleutnant und Inhaber eines Infanterieregiments, trat 1795 in preußische Dienste und ward 1802 Generalleutnant. Als 1806 Berlin von den preußischen Truppen geräumt wurde, übertrug ihm der Gouverneur und Staatsminister Graf von der Schulenburg-Kehnert, sein Schwiegervater, die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten. Wegen eines am 24. Okt. wenige Stunden vor Ankunft der Franzosen an den König abgesandten, aber aufgefangenen Berichts über die französische Armee ward H. 28. Okt. verhaftet. Seine Gemahlin warf sich Napoleon zu Füßen. Als dieser ihr den Brief ihres Gemahls als den einzigen Beweis für dessen Schuld entgegenhielt, ergriff sie ihn entschlossen und vernichtete ihn an einem nebenstehenden Licht. H. ward hierauf freigelassen. Später mit mehreren diplomatischen Sendungen betraut, ging er 1818 als Gesandter nach dem Haag, 1822 nach Wien. Die fürstliche Würde ging auf seinen ältern Sohn, den Fürsten Friedrich Hermann Anton, geb. 2. Okt. 1808, gest. 20. Juli 1874, über. Der jüngere Sohn des Fürsten Franz Ludwig, Graf Maximilian, geb. 7. Juni 1813, gest. 19. Jan. 1859, betrat die diplomatische Laufbahn, ward 1838 preußischer Legationssekretär zu Paris und im Mai 1849 außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister daselbst und wohnte als zweiter Bevollmächtigter Preußens dem Pariser Friedenskongreß von 1856 bei.

3) Sophie, Gräfin von, Tochter des vorigen, geb. 10. Aug. 1805, gest. 25. Jan. 1881 in Wiesbaden, feil 1822 vermählt mit dem Grafen Edmund von H.-Wildenburg, ward 1851 von ihm geschieden. Während des Scheidungsprozesses, im August 1846, entwendeten (wie man sagte, auf Anstiften F. Lassalles) Assessor Oppenheim und Dr. Mendelssohn im Mainzer Hof zu Köln der Baronin Meyendorf, der Geliebten des Grafen H., eine Kassette, worin sie für die Gräfin H. wertvolle Urkunden vermuteten. Dieser Diebstahl hatte einen aufsehenerregenden Prozeß zur Folge, in dem Lassalle der Gräfin beistand. Seitdem war die Gräfin Lassalles mütterliche Freundin und beteiligte sich namentlich an seiner sozialistischen Agitation, auf die sie auch nach Lassalles Tod 1864 ihren Einfluß geltend zu machen suchte.

4) Paul Melchior Hubert Gustav, Graf von, preuß. Diplomat, aus der Linie H.-Wildenburg, geb. 8. Okt. 1831, gest. 22. Nov. 1901 in London, Sohn der vorigen und Bruder des Fürsten Alfred von H., des Chefs der Linie Wildenburg, studierte die Rechte, betrat die diplomatische Laufbahn, war bei mehreren preußischen Gesandtschaften, namentlich in Washington und Paris, als Legationsrat tätig, wurde als Geheimer Legationsrat und vortragender Rat in das Auswärtige Amt zu Berlin berufen und 1874 außerordentlicher Gesandter in Madrid, wo er in der schwierigen Zeit des Karlistenkrieges und der innern Wirren das Deutsche Reich vertrat. 1878 ging er als deutscher Botschafter nach Konstantinopel, wo er 1880 als ältestes Mitglied des diplomatischen Korps die Kollektivverhandlungen der Mächte mit der Pforte über die Dulcignofrage und den griechischen Grenzstreit führte; auch erwirkte er den Ferman für die Ausgrabungen in Pergamon. 1881 zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes berufen, ward er 1885 Botschafter in London und blieb dies bis kurz vor seinem Tode.

5) Hermann, Fürst von H., Herzog zu Trachenberg, geb. 14. Febr. 1848 zu Trachenberg in Schlesien, studierte die Rechte und trat in den preußischen Justizdienst, nahm am Kriege gegen Frankreich teil und folgte seinem Vater, dem Fürsten Hermann von H., 20. Juli 1874 als Fürst und Haupt der Linie H.-Trachenberg. In das Herrenhaus trat er 1878 als erbliches Mitglied ein; dem Reichstag gehörte er 1878–93 als Mitglied der Reichspartei an und war 1894 bis Juni 1903 Oberpräsident von Schlesien. Er ist königlicher Oberstschenk, und 1. Jan. 1900 wurde ihm die Herzogswürde verliehen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 870-871.
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