Lackarbeiten

[19] Lackarbeiten, orientalische, in China, Japan, Persien und andern Ländern Asiens gefertigte Gegenstände jeglicher Art, die teils dem Luxus (Wandschränkchen, Etagèren, Schmuck-, Taschentuch-, Handschuh- und Fächerkasten, Dosen, Schalen), teils dem Hausgebrauch (Tische, größere Schränke, Waschfässer, Tablette, Brotkörbe, Teller, Suppenschalen, Flaschen- und Gläseruntersätze) dienen und bei ihrer erstaunlichen Billigkeit, die sich durch die geringen in China und Japan gezahlten Arbeitslöhne erklärt, in Europa seit ihrer Einführung durch die Wiener Weltausstellung von 1873 reichen Absatz finden. Diese auf die Massenausfuhr gearbeiteten Gegenstände werden mit geringerer Sorgfalt ausgeführt als die größern Prachtstücke, die für den heimischen Gebrauch oder für Ausstellungen angefertigt werden. Alte japanische L., d.h. solche, die mindestens in das 18. Jahrh. zurückreichen, werden mit hohen Preisen bezahlt. über das Alter der orientalischen Lackindustrie läßt sich ebensowenig etwas Sicheres feststellen wie über das Alter der übrigen Industriezweige Ostasiens. Aus dem konservativen Charakter der ostasiatischen Völkerschaften darf man jedoch schließen, daß ihre Industrien bis tief in das Altertum, zum Teil noch bis über den Beginn der christlichen Zeitrechnung hinausreichen. Aus der Zeit vom 12. bis zum 15. Jahrh. sind bereits Namen berühmter Lackkünstler überliefert, und um 1700 hatte die Lackkunst, besonders durch den Maler Ogata Korin, ihren Höhepunkt erreicht. Japanische Lackwaren gelangten im 16. und zu Anfang des 17. Jahrh. durch Portugiesen und Spanier über Macao und Manila nach Europa, von 1640 ab aber nur durch Holländer, die auch die ersten Versuche machten, sie nachzuahmen. Eine ganze Sammlung japanischer L. besaß im 18. Jahrh. die Königin Marie Antoinette von Frankreich (im Louvre).

Zur Herstellung der japanischen und chinesischen L. wird das zu lackierende Holz mit einem eisernen Schaber sorgfältig glatt geputzt und dann poliert. Etwaige Risse werden mit Werg, Pflanzenpapier oder Kitt ausgefüllt. Nach der Glättung überzieht man die Fläche mit Hanfleinwand oder Bastpapier und dann mit einer Grundmasse, die aus Wasser, Kleister, Rohlack und Ziegelmehl oder Ocker besteht. Dieser Grund muß einen Tag trocknen und zeigt dann eine körnige Oberfläche, die mit einem Stein poliert und dann mit einem ähnlichen feinern Gemisch überdeckt wird. Nach dem Trocknen findet das Abschleifen der noch vorhandenen Unebenheiten statt, dann folgen noch mehrere Anstriche, zuletzt mit schwarzem Lack, und endlich sorgfältige Abschleifung mit Magnolienholzkohle und Wasser. Darauf beginnen die Schlußarbeiten mit glänzenden Lackanstrichen und mancherlei sonstigen Verzierungen. Der Lack wird durch Einschnitte in die Rinde des Firnissumach (Rhus vernix oder vernisicera, chinesisch: Tsi, japanisch: Urusinoki) gewonnen. Er bildet eine grauweiße, dickflüssige Emulsion, die an der Luft bald tiefbraun oder schwarz wird. Zur Reinigung preßt man den Lack durch Tücher, entfernt an der Sonne oder durch künstliche Wärme sein Wasser und setzt ihm verschiedene Farben zu. Durch Beimengung von Kampfer wird er dünnflüssig. Die erste Lackschicht wird mit einem seinen Pinsel sehr dünn aufgetragen und muß langsam trocknen, damit sie nicht Risse bekommt. Der Arbeitsraum wird deshalb mit Wasser besprengt, wodurch zugleich die Atmosphäre von Staub befreit wird. Arbeiten, auf die man ganz besondere Sorgfalt verwenden will, sollen in feuchten Gruben und auf Kähnen gemacht werden. Nachdem die erste Lackschicht trocken geworden, wird sie mit Wasser angefeuchtet und dann mit Holzkohle, Schachtelhalm, auch wohl mit Tonerde poliert. Das Auftragen der Lackschicht wird nun unter denselben Prozeduren so oft wiederholt, wie es der Wert der Arbeit bedingt. Die geringste Zahl der Lackschichten beträgt 3, die höchste 18. Das Trocknen der Lackschichten wird in Gestellen mit zahlreichen Fächern bewirkt. Man legt die Holzplatte in das unterste Fach und läßt sie dann langsam von unten nach oben wandern, wodurch der rasche Temperaturwechsel vermieden wird. Hat der Lackierer seine Arbeit vollendet, so beginnt die des Künstlers, der nach Vorlagen arbeitet und sie dann durchpaust, oder aus freier Hand mit dem senkrecht gehaltenen Pinsel oder Stift die Farben aufträgt, oder die Linien der Zeichnung eingraviert. In diesen Malereien auf dem Lackgrund, die vorzugsweise in Gold, aber auch in Gelb, Grün, Rot und Blau ausgeführt werden, entfalten die japanischen Künstler eine reiche Phantasie. Sie beschränken sich zwar vorzugsweise auf die Darstellung von Vögeln und Pflanzen in Landschaften, bekunden darin aber ein äußerst sorgsames Naturstudium und ein sein ausgebildetes Gefühl für Harmonie und Farbenverbindungen. Sie sind in den Details Naturalisten, ohne sich jedoch zu einer der Wirklichkeit entsprechenden Wiedergabe der gesamten Natur emporschwingen zu können. Vgl. Japanische Kunst. Die Kunsttechnik vererbt sich in Japan wie in China durch mündliche Überlieferung vom Vater auf den Sohn.

Die Zeichnung wird zunächst mit Zinnober oder Lack angelegt, und ihre Umrisse werden dann mit einem Stahlstift scharf umzogen. Damit werden auch alle Details und innern Linien in den Lack eingeritzt. Zur Vergoldung wird die noch feuchte Grundierung mit pulverisiertem Gold eingestäubt. Nach dem Trocknen wird das überflüssige Gold mit einer weichen Bürste weggekehrt und das Ganze dann noch einmal mit einem dünnen, völlig durchsichtigen Lack überzogen. Bei den neuern Arbeiten ist ein mehr oder minder starkes Relief der Vögel, Pflanzen, Berge etc. sehr beliebt. Es wird mittels eines Kittes erzielt, der fest auf seiner Unterlage haftet, und aus dem die Formen durch Gravierung entstehen. Dann folgt Anstrich mit Transparentlack, Verzierung durch Gold- oder Silberpulver und zuletzt die Politur. Das Gold wird oft mit grünlichem Lack überzogen, oder man benutzt eine grünliche Goldsilberlegierung. Später führten die Japaner auch Elfenbein, rote Koralle, Schildpatt, Malachit und Perlmutter, deren grünlich oder rötlich schillernder Glanz mit Gold und Lack zu einer vollendeten Harmonie verbunden wird, in ihr dekoratives System ein. Vögel, Insekten, Pflanzen, namentlich Blumenkelche, werden aus diesen Stoffen geschnitten und in den Lack eingelegt. Bei der billigern Ausfuhrware wird die Perlmutter gelb, rot, grün, blau und violett, je nach dem Bedürfnis, gefärbt. Neben den gemalten kommen auch geschnittene L.[19] vor, bei denen die Ornamente in den Lack, der bis zu sechs Schichten übereinander aufgetragen wird, eingeschnitten werden. Endlich gibt es auch in Japan schwarze, braune, rote, grüne und grün-rot-gelb marmorierte L., welch letztere vermutlich nur Nachahmungen der indischen oder persischen L. sind. Die nach Europa eingeführten Gegenstände bestehen durchweg aus Holz. In China und Japan wird der Lack, namentlich bei leichten Arbeiten, auf Geflechte von Bambusrohr, auf Papier (Tapeten), auf Elfenbein, Schildpatt und Tonwaren aufgetragen. Bei Vasen von Porzellan wird nach Art der Emailarbeiten zunächst ein Zellennetz von Metall aufgesetzt, in dessen Vertiefungen der Lack eingetragen wird. Im Lande wird der Lack auch zur Sicherung des Holzes gegen Nässe und Wurmfraß in der Architektur gebraucht. So werden die Säulen, Pfeiler, Querbalken und die Rahmen der aus Papier bestehenden Wände mit einem dichten Lacküberzug versehen, der auch wohl mit Gold dekoriert wird. Bei den Tragbäumen der außer Gebrauch gekommenen Sänften war eine reiche Dekoration des Lackanstrichs etwas Gewöhnliches. Auch das Holz von Brücken wird bisweilen mit Lack überzogen. S. Tafel »Chinesische Kultur II«, Fig. 17, bei Artikel »China«, und Tafel »Japanische Kultur und Kunst II«, Fig. 14 u. 18, Tafel III, Fig. 4, 8 u. 9.

Die indischen und persischen L. unterscheiden sich von den ostasiatischen vor allem dadurch, daß das Material ein Harz ist, das Ornament zunächst vollständig aufgetragen und dann erst durch einen Lacküberzug geschützt wird. Dieser Lack (Gummilack) muß sehr hell und durchsichtig sein. Die Ornamentik schließt sich sowohl in Indien als in Persien an streng vegetabilische Elemente an. Nur in Persien werden in diese stilisierten Pflanzenmuster Medaillons mit ebenfalls stilisierten oder doch typisch behandelten, nicht der Natur nachgebildeten menschlichen Figuren eingefügt. Bisweilen wird das Pflanzenornament noch durch Vögel belebt. Die Färbung ist im Gegensatz zu China und Japan außerordentlich reich. Sie ist augenscheinlich durch die Schalfabrikation in Kaschmir beeinflußt. Wenigstens sind die Muster sowohl als das Farbensystem eng verwandt. Grün, Rot, Gelb und Blau sind die Lieblingsfarben, besonders das erste, das mit Gold zu einer höchst wirksamen Verbindung gebracht wird. Für den Grund wird dann auch ein tiefes Blau verwendet. Im fernern Gegensatz zu Japanern und Chinesen überziehen die Inder und Perser die ganzen Flächen, z. B. Deckel, Vorder-, Rücken- und Seitenflächen eines Kästchens, mit einem dichten ornamentalen Gewebe, das systematisch durch Borten eingefaßt ist, in denen sich das einmal verwendete Motiv rhythmisch wiederholt. Bisweilen werden in Indien die Muster auch aus mehreren aufgetragenen Lackschichten herausradiert. Die Stoffe dieser L. sind starkes Papier, Papiermaché und leichtes Holz. Es sind meist Schalen, Büchsen, Flaschen, Fächerbehälter, Teller und Buchdeckel. In Indien selbst, wo die besten L. in Kaschmir gemacht werden, lackiert man auch Stühle, Tische und Bettgestelle. Es gibt auch lackierte Spielkarten, die mit Figuren bemalt sind. Die indischen und persischen Lackwaren halten an Güte des Materials mit den japanischen den Vergleich aus. Vgl. Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, Bd. 1 (2. Aufl., Stuttg. 1876); Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 1 (das. 1878); Rein, Japan, Bd. 2, S. 400 ff. (Leipz. 1886); Gonse, L'art japonais (Par. 1883); Hart, Notes on the history of lacquer (in den Transactions of the Japan Society, Lond. 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 19-20.
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