Madeira [1]

[39] Madeira (spr. madē-ira, Madera), zu Portugal gehörige Insel im Atlantischen Ozean, unter 32°38' nördl. Br. und 16°54' westl. L. und 700 km von der Küste Marokkos entfernt, 443 km nördlich von Tenerife, bildet mit der 55 km nordöstlich gelegenen Insel Porto Santo, den Desiertas im SO. und den unbewohnten Klippen der Salvados einen portugiesischen Distrikt Funchal (815 qkm). M. ist 55 km lang, 24 km breit und wird in seiner ganzen Länge von einer Gebirgskette (durchschnittliche Erhebung 811 m) durchzogen. Im östlichen Teil, wo die Bergmassen 1200 m übersteigen, breitet sich ein mehr als 15 km im Umfang messendes, von steilen Klippen begrenztes Plateau aus, Paul da Serra, mit moorigen Flächen. Westlich davon erhebt sich der höchste Berg der Insel, der Pico Ruivo (1846 m) am Rande des 500 m tief eingeschnittenen Curral das Freiras, eines ungeheuern kreisförmigen Beckens, wahrscheinlich des alten Kraters. Das Bergland wird von tiefen, weiten Schluchten zerrissen, die den Verkehr sehr erschweren, und fällt zum Meer in steilen (bis 585 m) Klippen ab. Außerordentlich wild ist die Nordostküste bei der Halbinsel São Lourenço (davor die Insel Fora mit Leuchtturm). M. und seine Nebeninseln verdanken ihre Entstehung Vulkanen, die von der Miocänzeit an tätig waren, aber sämtlich erloschen sind. In den Tuffschichten, die mit basaltischen Strömen, Schlacken und Aschenmassen wechsellagern, finden sich noch in 370 m Höhe Reste miocäner Muscheln. Die Pflanzenreste deuten nach Unger auf eine Flora hin, die zur Tertiärzeit ein großes Festland zwischen Island und den Kapverdischen Inseln bedeckte und Europa mit Afrika und wahrscheinlich auch mit Amerika verband. Island, M., die Azoren, die Kanarischen und Kapverdischen Inseln stellen die Trümmer dar. Den Untergrund von M. bildet ein älteres Eruptivgestein, Diabas, das von den jüngern tertiären Gebilden fast vollständig verhüllt wird. Das Klima ist von einer wunderbaren Milde und Gleichmäßigkeit. Die mittlere Jahrestemperatur ist 18,6°; Februar (kühlster Monat): 15,4°, August (heißester): 22,6°. Als Extreme sind seit 25 Jahren: 32,7° und 6,5° vorgekommen; die Temperatur der Sommernächte sinkt kaum unter 24°. Regenmenge in Funchal 68,3 cm an 79 Regentagen; die feuchtesten Monate sind November bis März. Ein heißer, trockner Wüstenwind aus der Sahara, »Leste« genannt, tritt zuweilen als Nordost bis Südost im Winter, Frühling und Herbst, selten im Sommer auf und führt roten Staub mit sich. Relative Feuchtigkeit sinkt dann unter 20 Proz. Schnee fällt im Winter bis auf 800 m herab. Mittlere Bewölkung erreicht 46 Proz. M. steht in seiner Vegetation den Kanaren am nächsten. Der Süden hat noch schwache Reste der Waldungen bewahrt, die einst M. bedeckten und ihr den Namen Isola di Legname (»Holzinsel«, auf der Mediceischen Hafenkarte 1351; auch madéira bedeutet im Portugiesischen »Holz«) verschafften, durch den Leichtsinn ihres ersten Entdeckers und Kolonisators Gonçalves Zarco aber fast ganz niedergebrannt wurden. Neben südeuropäischen gedeihen die meisten tropischen Kulturgewächse, wie Zuckerrohr und Pisang; auch andre tropische Fruchtbäume sind häufig, Palmen dagegen fehlen. Charakteristisch für M. ist der auch auf den Kanaren herrschende Drachenbaum Dracaena Draco in der immergrünen Region der Lorbeerbäume, die durch Laurus canariensis bezeichnet ist, und in der Clethra arborea und die Sapotazee Sideroxylon für M. typisch sind. Wo der Lorbeerwald (über 1600 m) aufhört, entwickelt sich die Region der Maquis. Hier besteht die Hauptmasse der Vegetation aus der südeuropäischen Baumheide (Erica arborea), mit Stämmen von 12–13 m Höhe, und aus einem endemischen Vaccinium (V. maderense). Die Fauna von M. gehört zur paläarktischen Region und zwar zur Mittelmeersubregion; die auf der Insel vorkommenden Säugetiere sind eingeführt. An Vögeln hat M. eine größere Zahl mit den Azoren gemein, einige sind ihr eigentümlich, mehrere europäisch. Sehr spärlich sind Reptilien und Amphibien vertreten; zahlreich dagegen Insekten (über 700 Arten Käfer); einen großen Teil derselben hat M. gemeinsam mit den Azoren; ein kleiner Teil ist europäisch, viele sind M. eigen; bemerkenswert ist die große Anzahl flügelloser Insekten.

Kärtchen von Madeira.
Kärtchen von Madeira.

Von Landschnecken besitzt M. eine große Zahl eigner Arten. Die Bevölkerung, fast nur am Südrand, während das Innere menschenleer bleibt, ist zumeist portugiesischer Abkunft, in den untern Schichten durch Mauren, als Sklaven eingeführte Neger, Italiener, Juden stark beeinflußt und nimmt trotz Kindersterblichkeit und Krankheit zu, ist jedoch, da das arme Land wenig Hilfsquellen bietet, zur Auswanderung gezwungen, die sich nach Britisch-Guayana, der Kapkolonie, Brasilien, Hawaï richtet. M. bewohnten 1768: 64,000, 1825: 100,000, 1885–90: 134,000, 1900: 150,500 (185 auf 1 qkm) Einw. Jetzt haben viele Fremde, namentlich Engländer, die Insel ihres für Lungenkranke wohltätigen Klimas halber zum Wohnsitz gewählt (s. unten). Der Schulbesuch ist obligatorisch, es bestehen einige Elementarschulen, in Funchal ein Lyzeum und Seminar. Religion ist die römisch-katholische (Bischof in Funchal), doch werden alle Bekenntnisse geduldet. Der Ackerbau ist in dem zerklüfteten Gelände sehr schwierig, die Anlage von Terrassen und Bewässerungskanälen, oft in Tunnels durch die Berge, bewundernswert. Das Land ist Eigentum weniger Großgrundbesitzer, die dasselbe an Pächter gegen ein Viertel bis zur Hälfte des Ertrags zu freier Verfügung überlassen haben. Gebaut wird Zuckerrohr (1452 eingeführt), aus dem viel Rum bereitet wird, Weizen, Mais, Gerste, doch nicht genügend für den Bedarf, ausgezeichnete Bananen, Ananas, Frühgemüse (viel ausgeführt), Tabak, echte Kastanien, Orangen, Zitronen[39] etc. Das wichtigste Produkt der Insel ist aber Wein (s. Madeirawein). Die Industrie beschränkt sich auf Zucker-, Tabak- und Zigarrenfabrikation, Handstickerei, Holzarbeiten, Stroh- und Weidengeflechte, die im Ausland Absatz finden. Der Handel, hauptsächlich in englischen Händen, ist im Stillstand begriffen, der Schiffsverkehr aber durch den gesteigerten Wettbewerb der europäischen Nationen um Westafrika in stetigem Wachsen, da Funchal Depot für Kohle (englische) ist. Handel und Schiffahrt bewegen sich ausschließlich über Funchal (s. d.). Gewöhnliche Beförderungsmittel sind bei den steilen Straßen von Ochsen gezogene Schlitten, Reitpferde, Hängematten. Auf der 46 km nordöstlich gelegenen Insel Porto Santo, 12 km lang, 5,5 km breit, bis 490 m hoch, mit kahlem, dürrem Boden und 1750 Einw., wird etwas Gerste gebaut; Hauptort ist la Vilha, Sitz eines Lieutenant-Gouverneurs. Die davorliegenden drei Desiertas werden von einigen hundert Fischern und Schäfern bewohnt, die etwas Getreide bauen. Sie beherbergen viele wilde Ziegen und Kaninchen, auch die Orseillepflanze. M. bildet einen Distrikt von Portugal, der in den Cortes zu Lissabon durch Abgeordnete vertreten ist. An der Spitze der Regierung steht ein Gouverneur. Die Hauptstadt Funchal hat (1900) 20,850 Einw. Daselbst befindet sich in 300 m Höhe seit 1905 eine von deutscher Seite begründete Kuranstalt (Santa Anna), die Höhenstationen bis zu 1600 m errichten will. – M. soll durch die Phöniker entdeckt worden sein; jedenfalls war es schon früh den Portugiesen bekannt, die unter genuesischen Kapitänen Fahrten hierher machten. Auf einer florentinischen Karte erscheint die Insel 1351 unter dem Namen Isola di legname (»Holzinsel«). Ein Sturm verschlug 1419 zwei Portugiesen, João Gonzales und Martin Vaz, an die von ihnen aus Dankbarkeit Porto Santo benannte Insel, und im nächsten Jahre nahm Portugal Besitz von der bisher unbewohnten Gruppe und sandte Kolonisten hierher. Man glaubte damals die Atlantis der Alten wiedergefunden zu haben. Mit Portugal stand auch M. 1580–1640 unter spanischer Herrschaft; 1801 und 1807–14 war es von England besetzt. Vgl. Hochstetter, Madeira (Wien 1861); Hartung, Geologische Beschreibung der Insel M. und Porto Santo (Leipz. 1864); R. Schultze, Die Insel M., Aufenthalt der Kranken und Heilung der Tuberkulose (Stuttg. 1864); Mittermaier und Goldschmidt, M. und seine Bedeutung als Heilungsort (2. Aufl., Leipz. 1885); Johnson, M., its climate and scenery (3. Aufl., Lond. 1885); Brown, M. and the Canary Islands, Reiseführer (7. Aufl., das. 1903); Langerhans, Handbuch für M. (Berl. 1884); Zimmermann, Die europäischen Kolonien, Bd. 1 (das. 1899); Biddle, M. Islands (2. Aufl., Lond. 1900, 2 Bde.); Vahl, Madeiras vegetation (Kopenh. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 39-40.
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