Weben

[438] Weben (hierzu Tafel »Webstühle I und II« mit Text), die Herstellung von Stoffen (Zeugen, Geweben, s. d.), deren Fäden sich rechtwinklig kreuzen und aus zwei Fadensystemen bestehen, der in der Längenrichtung verlaufenden Kette (Zettel, Werft, Schweif, Anschweif) und dem in der Breitenrichtung verlaufenden Schuß (Eintrag, Einschuß, Einschlag). Zur Herstellung der Gewebe dient der Webstuhl, der von einem Arbeiter (Handwebstuhl) oder von einer mechanischen Vorrichtung (mechanischer Webstuhl, Kraftstuhl, Power loom) in Tätigkeit gesetzt wird. Über den Bau der Webstühle s. die beifolgenden Tafeln I und II.

Aus der Beschreibung des Webstuhls auf Tafel I und II geht hervor, daß die leinwandartigen und geköperten Gewebe zu ihrer Erzeugung nur 2 bis etwa 10 verschiedene Lagen des Eintrags und demnach auch nur ebensoviel, d. h. so viel Schäfte und Tritte verlangen, daß diese nicht nur im Webstuhl bequem untergebracht, sondern auch vom Weber sicher regiert werden können. Die gemusterten Stoffe dagegen fordern durch die mannigfaltigen Verflechtungen zwischen Kette und Schuß eine so große Verschiedenheit in der Lage der Fäden und somit in der Bildung des Faches, daß die Tritte im Webstuhl nicht mehr Platz haben. In solchen Fällen ersetzt man die Tritte durch Vorrichtungen, die wenig Raum einnehmen und sich leicht übersehen und handhaben lassen, damit die notwendige bestimmte Reihenfolge in der Hebung der Schäfte sicher eingehalten werden kann. In frühern Zeiten hing man die Schäfte zu diesem Zweck an vertikalen Schnüren auf, die unter der Decke des Arbeitsraumes horizontal weitergeführt (Schwanz) und befestigt wurden. Mit diesen Schwanzkorden verband man vertikal abwärts hängende sogen. Halsschnüre, an denen dann zur Hebung der betreffenden Schäfte ein Ziehen mit der Hand stattfand (Zugstuhl). Man unterschied Kegelstuhl und Zampelstuhl, je nachdem die Halsschnüre zum bequemen Erfassen einen hölzernen Knopf (Kegel) trugen oder am Fußboden befestigt waren und von dem Ziehjungen aus der Vertikalebene gezogen wurden (Zampelschnüre). In neuerer Zeit sind diese aus einer großen Menge von Schnüren zusammengesetzten Schäftehebevorrichtungen durch eine höchst einfache Anordnung verdrängt, bei der jeder Schaft an eine Schnur angeschlossen ist, die vermittelst einer sogen. Platine und eines besondern Schaltapparates in dem Augenblicke mit dem Tritt im Webstuhl in Verbindung gebracht wird, in dem der angeschlossene Schaft gehoben werden muß, so daß der Weber die Hebung sämtlicher Schäfte ordnungsmäßig mit einem einzigen Tritte bewirkt. Dieser Apparat bildet die Schaft-, Kamm- oder Trittmaschine, die besonders zum W. von Drell, Damast und sonstigen Stoffen mit kleinen Mustern dient (Kammweberei).

Zur Hervorbringung größerer Figuren (Muster-, Bildweberei) wird die Zahl der verschiedenen Einschüsse und dadurch der Schäfte so groß, daß auch diese aufgegeben und durch eine Vorrichtung ersetzt werden, die Harnisch genannt wird und in Verbindung mit dem Zugapparat der Schaftmaschine die eigentliche Jacquardmaschine bildet. Das Charakteristische des Harnisches besteht darin, daß im Webstuhl an Stelle der Schäfte Schnüre treten, die Heber oder Arkaden heißen und mittels andrer Schnüre (Korden) mit den Platinen der Schaftmaschine verbunden sind.

Bei den gemusterten (figurierten, dessinierten) Stoffen hebt sich die Figur (Dessin, Ornament) von einem sogen. Grund (Grundgewebe) aus Leinwand-, Köper-, Atlas- oder Gazebindung ab, wobei sie selbst innerhalb ihres Umfangs entweder eine geköperte, atlasartige etc. Fläche darstellt, oder überhaupt aus größtenteils frei (flott) liegenden Ketten- oder Schußfäden besteht, die nur an einzelnen Punkten (Bindungen), insbes. an den Umrissen der Figur, gebunden sind und durch das Flottliegen die letztere von dem Grund abheben, daß sie aufgelegt erscheint. Ein starkes Flottliegen nennt man Lizeré; die Fäden, welche die Lizeréfäden festhalten, heißen Bundfäden. Schließt man die samtartigen Gewebe aus, so werden Muster erzeugt: 1) durch bestimmte regelmäßige, aber auf verschiedenen Teilen der Fläche verschiedene Verschlingung der nämlichen Kette und des nämlichen Eintrags, die zugleich das Grundgewebe bilden, so daß man das Muster nicht wegnehmen könnte, ohne den Zusammenhang des Zeuges aufzuheben (Drell, leinener, wollener und seidener Damast, Bänder, Westen- und Kleiderstoffe); 2) durch Einweben besonderer, nur zum Muster gehöriger, vom Grundgewebe ganz unabhängiger und oft in mehreren verschiedenen Farben angewendeter Einschlagfäden: broschierte und lanzierte Stoffe (Bänder, Kleiderstoffe, Schals) und auf dem Webstuhl gestickte Stoffe (zu Damenkleidern, Vorhängen); 3) durch besondere, nur für das Muster bestimmte, in das für sich bestehende Grundgewebe eingeschaltete Kettenfäden; ausgelegte oder ausgeschweifte Muster (Bänder, Kleiderstoffe); 4) durch Hervorbringung gitterartiger Öffnungen mittels der dem Gazestuhl eigentümlichen Vorrichtung. entweder im Gazegrund selbst oder in Leinwandgrund: durchbrochene Stoffe (Damenkleider, Vorhänge); 5) durch Zusammenweben zweier auseinander liegender, meist glatter Zeuge, wobei die Art des Zusammenwebens das Muster erzeugt: Doppelgewebe (Pikee, Teppiche). Hierzu gehört auch die Basselisse- und Hautelisseweberei zur Herstellung von Gobelins und Tapetenstoffen (Basselisseweberei mit wagerecht, Hautelisseweberei mit senkrecht ausgezogener Kette [Lisse]). – Samtartige Stoffe, Gewebe, die auf einer Seite mit pelzähnlicher Decke versehen sind, z. B. Plüsch, Velpel, Manchestergewebe, haben als Grund ein Leinwand- oder Köpergewebe, das mit dem besondern Samtschuß atlasartig flottend durchzogen ist. Diese vom Webstuhl gelieferte Ware wird, nachdem die Schußfäden auf der Rückseite noch mehr durch Kleister befestigt sind, mit messerartigen Nadeln unter den flott liegenden Schußfäden aufgeschnitten, die sich dann ausrichten und den Pelz bilden. Weiteres s. im Artikel »Gewebe«.

Behufs der Musterweberei wird zunächst eine auf Papier gemachte Zeichnung desselben verfertigt. Die Zeichnung, die Patrone, aus der dann der Weber die spezielle Anordnung des Stuhles ableitet, muß über den Lauf oder die Lage eines jeden Ketten- und Eintragfadens Aufschluß geben und mithin eine genaue vergrößerte Abbildung des gewebten Stoffes darstellen. Hierzu dient das Patronenpapier (Carta [438] rigata), das mit eng stehenden Parallellinien in zwei sich rechtwinklig kreuzenden Richtungen bedeckt (quadriert) ist. Erfolgt die Anfertigung dieser Zeichnung nach einem vorliegenden Gewebemuster, so nennt man sie dekomponieren.

Ihrer Bestimmung nach unterscheidet man Bandstuhl (s. Bandweberei), Leinwand-, Damast-, Tuch-, Buckskin-, Seiden-, Schlauch-, Samt-, Gaze- etc. Stühle. Zum Einschießen farbiger Fäden für broschierte Stoffe verwendet man so viel Schützen, als farbige Fäden eingetragen werden sollen, und an Kraftstühlen sogen. Wechselladen, durch welche die Schützen der vorgeschriebenen Reihe nach selbsttätig vor das Fach rücken. Beim Samtweben dienen mechanische Vorrichtungen zum Einlegen der Nadeln; komplizierte Stühle sind zum W. geknüpfter Teppiche erfunden. Das W. der Hohlgewebe (Schläuche, Lampendochte, nahtlose Säcke, Busenstreifen u. dgl.) erfolgt mit zwei übereinander ausgespannten Ketten, durch deren Fache die Schütze so geführt wird, daß sie abwechselnd die obere und untere Kette passiert. Was die Leistung der Kraftstühle anbetrifft, so wird z. B. zu Baumwollenzeugen von etwa 1 m Breite die Schütze 200–2201001 in der Minute bewegt, so daß mit Rücksicht auf Unterbrechungen der Stuhl in 10 Arbeitsstunden 30–32 m Zeug webt, während ein tüchtiger Handweber in der Zeit nur 6–7 m desselben Zeugs weben kann; bei Leinwand muß der Stuhl weniger, etwa 135 Schütze in der Minute, machen, weil Leinengarn leichter reißt als Baumwollengarn. Die durch das Hinausfliegen der Schütze für den Weber entstehende Gefahr wird durch Schützensänger (Schützenwächter) aufgehoben (s. Tafel »Sicherheitsvorrichtungen«, S. III).

Zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der mechanischen Webstühle sind außer der Vergrößerung der Geschwindigkeit infolge der sorgfältigsten Ausführung drei Wege eingeschlagen. Man sucht die Stillstandsperioden, die durch Reißen des Fadens, Auswechseln der Schußspulen etc. entstehen, dadurch zu verringern, daß man die Schützen den Faden von großen Spulen abziehen läßt, die auf dem Gestell stehen (Seatons Stuhl, Tafel II, Fig. 22), oder man ersetzt automatisch die leeren Schützenspulen (Bulloughs Stuhl) oder die leeren Schützen gegen volle (Northrops Stuhl). Die weitestgehende Umgestaltung erfuhr der mechanische Webstuhl in dem Rundwebstuhl von Herold (Tafel II, Fig. 23).

Dem W. selbst gehen die Arbeiten zur Vorbereitung der Kette und des Einschlags voraus. Erstere bestehen in dem Spulen oder Winden, dem Scheren, dem Aufbäumen, dem Schlichten für leinene und baumwollene, dem Leimen für wollene Stoffe, letztere in dem Aufspulen des Schußfadens und eventuell Anfeuchten desselben. Das Spulen der Kette, durch welches das in Strähnen bezogene Kettengarn auf Spulen von 80–150 mm Länge gewunden wird, erfolgt auf dem Spulrad oder der Kettenspulmaschine. Ersteres ist dem Handspinnrad ähnlich; die Spule wird mittels Schnurrades und Rolle gedreht und wickelt den von einer Garnwinde kommenden, durch die Hand gleichmäßig geleiteten Faden auf, während bei der Maschine gegen 100 Spulen die Fäden von ebenso vielen Haspeln abwinden, wobei sämtliche Fäden durch gläserne Öfen (Fadenleiter) gemeinsam auf und ab geführt werden, um eine regelmäßige Bewickelung zu erzielen. Würde man nun so viel Spulen nebeneinander stellen, als die Kette Fäden hat, so könnte man direkt von denselben den Kettenbaum bewickeln. Hierzu würden jedoch oft mehrere tausend Spulen erforderlich sein, und man fügt daher als Zwischenoperation das Scheren (Kettenscheren, Zetteln, Schweifen, Kettenaufschlagen) ein, durch das die zur Kette erforderliche Anzahl Fäden in den gehörigen gleichen Längen abgemessen und zweckmäßig zusammengelegt werden. Hierbei werden die von 20–60 Spulen kommenden Fäden gemeinschaftlich in einer Schraubenlinie auf einen Scherrahmen (Schweifrahmen, Schermühle, Schweifstock) aufgewunden. Die so vorbereitete Kette kann man nun leicht aufbäumen, d. h. sie in der betreffenden Breite des Stoffes und in gehöriger Verteilung auf den Kettenbaum winden. Man steckt durch die Kette, da, wo sich das Gangkreuz befindet, ein rundes Leistchen (Fitzrute), legt dieses in eine Nute des Kettenbaums und schließt letztern durch einen eingelegten vierkantigen Stab. Damit sich während der nun folgenden Drehung des Kettenbaums die einzelnen Gänge richtig nebeneinander legen, läßt man dieselben durch ein kammartiges Werkzeug (Öffner) von der Länge des Kettenbaums laufen.

Die Ketten aus Baumwollen- oder Leinengarn werden ferner geschlichtet, die Kette aus Wollengarn oft geleimt, damit sie imstande sind, ohne Verletzung die vielfachen im Webstuhl vorkommenden Reibungen auszuhalten. Für Leinengarn genügt hierzu eine aus Kartoffeln bereitete dünne Mehlschlichte, die mit Bürsten dünn aufgestrichen wird; für baumwollene Garne benutzt man verschiedene Mischungen. Wollene Garne leimt man mit Leim, seidene mit Gummiarabikum oder mit Zuckerwasser. Der zum Einschuß bestimmte Faden muß, um in der Schütze bequem untergebracht zu werden, auf einer Spule oder Spindel aufgewickelt sein. Bei Kraftstühlen steckt man ohne weiteres die Kötzer auf eine in der Weberschütze befindliche Spindel; in den wenigen Fällen, wo dies nicht angeht, muß der Einschußfaden mittels des Spulrades oder der Schußspulmaschine gespult werden. Letztere ist im allgemeinen nach denselben Prinzipien gebaut wie die Kettenspulmaschine. Die letzte Vorbereitungsarbeit besteht in dem Durchziehen der Kettenfäden durch die Schäfte (Einziehen, Passieren) mittels eines hakenartigen Werkzeugs (Einziehnadel) und durch das Rietblatt (Kammstechen) mittels des Blattmessers, eines mit einem schrägen Einschnitt versehenen messerartigen Werkzeugs.

Geschichte der Webkunst

(Hierzu Tafel »Weberei«.)

Die Webkunst findet sich schon auf den ersten Stufen aller Kultur und vor der Kenntnis der Metalle. Gewisse Geräte des diluvialen Menschen zeigen Ornamente, deren Motive der textilen Kunst entnommen sind. Gewebe aus neolithischen Pfahlbauten sind offenbar auf einem Webstuhl hergestellt. Man hat auch aus dieser Periode Gewebe mit Fransen und Quastenfransen, façoniertes und Dickstoffgewebe gefunden. Webgewichte, Schiffchen etc. sind mehrfach gefunden worden. In der Bronzezeit fertigte man Kleidungsstücke aus Wolle und namentlich auch geköperte Gewebe. Gräberfunde zeigen, daß die Weberei in Ägypten bereits 2000 Jahre vor unsrer Zeitrechnung auf hoher Stufe stand. Gewandstoffe und Tempelbehänge der spätägyptischen Epoche sind uns aus koptischen Gräberfunden (s. Koptische Kunst) erhalten: ihre dekorative Gestaltung beruht zumeist auf der Wirkerei (Tafel, Fig. 1), die wir uns allenthalben als Vorläufer der eigentlichen Kunstweberei vorzustellen haben. Bei dieser Wirkerei, die mit der heutigen Wirkerei[439] (s. d.) nichts zu tun hat, wird die Musterung in die senkrecht oder wagerecht ausgespannte Kette mit Nadel oder Handspüle eingeflochten, wie bei der Gobelinwirkerei. Auch die wenigen in der Krim gefundenen altgriechischen Stoffreste sind gewirkte; von der sonstigen hochentwickelten Webkunst aus der Blütezeit des klassischen Altertums ist nichts Nennenswertes auf uns gekommen, für ihre Kenntnis sind wir auf skizzenhafte Darstellungen der Bilder auf Tonvasen angewiesen. Solche in Streifen angeordnete Ornamente deuten darauf hin, was auch aus der antiken Literatur bekannt ist, daß die Griechen bis etwa 700 v. Chr. ihre Prachtgewebe aus dem Orient bezogen haben, deren Muster sie selbständig umgestalteten. Dieser Vorgang, auch auf andern Gebieten der Kunst wahrzunehmen, läßt sich hier weitgehender verfolgen, wo vor allem Assyrien und Babylonien die Quelle der klassischen Formensprache ist, das Stammland westasiatischer Textilkunst, deren Werke als reiche Tempelbehänge, in Übersetzung des Steinstils, die Alabasterplatten aus Ninive (etwa 1000 v. Chr.) darstellen. Über den weitern geschichtlichen Gang der morgenländischen Webkunst vgl. den Artikel »Orientalische Kunstwebereien«. Bei den Römern findet sich in Anlehnung an die griechische Kultur die gleiche Benutzung von Prachtstoffen des Orients, deren Einfuhr in der Kaiserzeit ihren Höhepunkt erreichte; darunter auch Gewänder aus chinesischer Seide, die gewebt aus Vorderasien, vielleicht auch schon fertig aus China eingeführt wurden. Im 6. Jahrh. tritt Byzanz mit seinen Kunstwebereien in den Vordergrund, wozu die Einführung der Seidenraupenzucht von Persien her (552) beiträgt; die Hoffabriken Justinians wurden erweitert, man ahmte persisch-sasanidische Muster nach. Auf abendländischer Kultur beruhend, entstanden hier auch während der ersten Jahrhunderte n. Chr. selbständige Gewebemuster, die den Fußböden und Wandbekleidungen in Mosaik gleichen: unter anderm figürliche Darstellungen in Anlehnung an Zirkusspiele, die sich zu Rundbildern vereinigen; auch der sogen. Dioskurenstoff aus der Servatiuskirche in Maastricht (Tafel, Fig. 2) ist ein Erzeugnis byzantinischer Kunstweberei dieser Zeit. Vorherrschend blieb jedoch bis in das 12. Jahrh. hinein das orientalische Element: Kreise und andre geometrische Felder umschließen paarweise gegeneinander stehende Tiergestalten, Löwen, Greifen (Fig. 3), Adler (Fig. 4), letztere ohne heraldische Bedeutung; dazwischen Sterne oder zeitgemäßes Füllornament, das bisweilen an chinesische und indische Überlieferungen erinnert. Mittelalterliche Seidenstoffe mit vorwiegend geometrischen Mustern stammen aus Spanien, wo der Islam die Formensprache der Fläche am meisten beherrschte, wie in Sizilien, wohin durch die Herrschaft der Normannen unter Roger II. um 1140 die Kunstweberei der Sarazenen überführt und den italienischen Christen zugänglich gemacht wurde. In der bedeutendsten Werkstatt (Hôtel de Thîraz) in Palermo wurden unter andern Prachtstoffen auch die Kaiserornate des Deutschen Reiches (s. Tafel »Deutsche Reichskleinodien«) hergestellt. Im 13. und 14. Jahrh. entstanden Seidenwebereien in Lucca, Venedig, Florenz, Genua, Mailand, zum Teil mit orientalischen Arbeitern; die Muster erfuhren völlige Umgestaltung durch Aufhebung der Felderteilung, es entstanden freie, in Reihen abwechselnde Anordnung pflanzlicher Motive zwischen Menschen- und Tiergestalten in symbolischer Bedeutung und reizvollster Stilisierung, die auf einer Vereinigung von abend- und morgenländischen Motiven beruht und daher allgemein arabisch-italisch (Tafel, Fig. ö) bezeichnet wird. Die Farbengebung war vorwiegend rot und grün, dazwischen einzelne Teile des Musters oder durchgehende horizontale Streifen mit Gold broschiert. Hauptsächlichste Verwendung fanden solche Stoffe für kirchliche Zwecke; aber auch für weltlichen Luxus standen andre erst zu Gebote, als im 15. Jahrh. mit der vollen künstlerischen Entfaltung des Samts das Granatapfelmuster die Flächen der Weberei vollkommen beherrschte, im einzelnen ohne Unterschied des Gebrauchs für Gewänder oder Tapeten (Fig. 6 bis 8), der erst durch die im 16. Jahrh. in Mode kommende spanische Tracht eintrat, die infolge ihrer engen Fältelung kleinere Muster bedingte (Fig. 13). Für größere Flächen schuf die Renaissancezeit die verschiedenartigste Ausbildung des Granatapfelmotivs an Vasen und in Sträußen, in Verbindung mit orientalischen Schnittblumen (Nelken und Tulpen), die in spitz-ovalen Feldern erscheinen (Fig. 12), daneben reichliche Anwendung von Akanthus (Fig. 9) bis ins 17. Jahrh. hinein; für Trachtenstoffe kleinere Streumuster, vorherrschend in italienischen Erzeugnissen. In Spanien und den Niederlanden erfuhr die Weberei gleiche technische und künstlerische Ausbildung; der Süden Deutschlands (Augsburg) war bedeutend in Leinen- und Baumwollindustrie; erstere für gewebte Bortenmuster in Blau und Rot, unter Anwendung spätmittelalterlicher Tier- und Baumgestaltungen, letztere zumeist für Zeugdruck, wozu die Beziehungen zum Orient (Fig. 17, 22 u. 23) Vorlagen boten. Am Ende des 17. Jahrh. übernahm Frankreich auch in der Kunstweberei die Führung des Geschmacks; die Fabriken in Lyon und Tours waren schon 1466 und 1470 gegründet, aber durch italienische Arbeiter geleitet. Die Stoffe der Stilperioden Louis' XIII. und Louis' XIV. (Fig. 11 u. 18) enthalten daher noch italienische Überlieferungen mit kaum erkennbaren Nachklängen des Granatapfelmusters in Feldern, deren üppige naturalistische Füllungen aber auch unter dem Einfluß der holländischen Blumenzucht sich entwickelt haben. Zur Zeit des Rokoko unter Louis XV. findet sich ein Übergang zu Blumenzweigen, die sich frei über die Stofffläche legen, eine höchst vollendete Technik, in Form und Farbe der Natur nachgebildet, aber immer noch flach und dekorativ behandelt, die sich oft als getreue Nachahmungen in durchbrochenen Flächen mit Schleifen und Bändern zwischen den Ranken ausbreiten (Fig. 14, 15 u. 19). Unter Ludwig XVI. (Zopfzeit) bevorzugte man Streumuster zwischen senkrechten Streifen, zum Teil unter dem Einfluß gleichartiger indischer Stoffe (Fig. 22), im 19. Jahrh. unter Napoleon I. klassische Muster, die weiterhin durch Schinkel und Bötticher in Berlin ausgebildet wurden. Die Seidenweberei wurde in. Preußen unter dem Großen Kurfürsten mit Hilfe der Refugiés eingeführt und unter Friedrich d. Gr. weiter entwickelt. Der Verlauf des 19. Jahrh. brachte Stilwiederholungen älterer Zeiten und den Übergang zum Hochmodernen.

Die ursprüngliche Form des Webstuhls mit vertikaler Kette scheint schon sehr früh verlassen zu sein, wogegen der einfache Leinwandstuhl mit horizontaler Kette sich bis heute erhalten hat. Die wesentlichste Umgestaltung erfuhr die Weberei erst durch die Einführung der mechanischen Webstühle. Die Bandmühlen, auf denen 20 und mehr Bänder gleichzeitig gewebt werden, sind schon seit dem 16. Jahrh. bekannt. Die Entwürfe mechanischer Webstühle von de Game in London (1678) und von Vaucanson (1745)[440] blieben erfolglos. 1784 versuchte Cartwright einen Kraftstuhl zu bauen; doch brachte er erst 1787 eine Maschine zustande, für die er vom Parlament belohnt wurde. Der Webstuhl von Storrocks in Stockport (1803 und 1805, verbessert 1813) sing an, eine Rolle in der Baumwollmanufaktur zu spielen, aber erst Roberts in Manchester (1822) förderte die Sache zum erwünschten Ziel. Anfangs dienten die Kraftstühle nur zum W. glatter Stoffe; aber bald wurden sie so weit vervollkommt, daß sie auch für Musterweberei benutzt und mit der 1808 von Jacquard erfundenen Maschine verbunden werden konnten.

Literatur. Voigt, Die Weberei in ihrer sozialen und technischen Entwickelung (3. Aufl., Weim. 1882); Ölsner, Die deutsche Webschule (8. Aufl., Altona 1902); Reiser und Spennrath, Handbuch der Weberei (Berl. u. Münch. 1885–1900, 3 Bde.; 2. Aufl., Leipz. 1907 ff.); Schams, Ausführliches Handbuch der Weberei (3. Aufl., das. 1900), Webmaterialienkunde (Berl. 1898) und Kalkulation der Webwaren (4. Aufl., Nürnb. 1907); Lembcke, Mechanische Webstühle (2. Aufl. Braunschw. 1894; dazu 7 Fortsetzungen, 1888–96); Reh, Lehrbuch der mechanischen Weberei (2. Aufl., Wien 1890); Kinzer und Fiedler, Technologie der Handweberei (4. Aufl., das. 1906–08, 2 Bde.); E. Müller, Handbuch der Weberei (Leipz. 1896); Reiser, Lehrbuch der Spinnerei, Weberei etc. (4. Aufl., das. 1901); Gruner, Mechanische Webereipraxis (Wien 1898) und Theorie der Schaft- und Jacquardgewebe (das. 1902); Oberholzer, Praktischer Wegweiser für die Einrichtung und Behandlung des mechanischen Webstuhls (4. Aufl., Lörrach 1900); Donat, Technologie der Jacquardweberei (Wien 1902) und Großes Bindungslexikon (das. 1904); Utz, Die Praxis der mechanischen Weberei (Leipz. 1907). – Zur Geschichte der Weberei vgl. Fischbach, Geschichte der Textilkunst (Hanau 1883) und Ornamente der Gewebe (160 Tafeln); Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 3 (Stuttg. 1893); Kohl, Geschichte der Jacquardmaschine (Berl. 1873); Demmin, Die Wirk- und Webekunst etc. (Wiesbad. 1893); Dreger, Künstlerische Entwickelung der Weberei und Stickerei (Wien 1904); Ephraim, Über die Entwickelung der Webetechnik und ihre Verbreitung außerhalb Europas (in den »Mitteilungen des Leipziger Museums für Völkerkunde«, Heft 1, Leipz. 1904); Heiden, Handwörterbuch der Textilkunde (Stuttg. 1904); R. Wilbrandt, Die Weber in der Gegenwart, sozialpolitische Wanderungen (Jena 1906). Gute Vorbildersammlungen: Drahan, Ornamentale Entwürfe für die Textilindustrie (Reichenberg 1883) und Geometrische Entwürfe (das. 1883); Kumsch, Stoffmuster des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem königlichen Kunstgewerbemuseum zu Dresden (Dresden 1889–95,200 Tafeln); Lessing, Die Gewebesammlung des königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin (Berl. 1900–07,300 Tafeln); Haebler, Moderne Textilkunst (Planen 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 438-441.
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